Leitsatz (amtlich)

a) Ist der leitende Abteilungsarzt eines Universitätsinstituts zur genetischen Beratung kassenärztlich ermächtigt worden und wird eine derartige Beratung bei einem Kassenpatienten ambulant durchgeführt, so ist er im Fall eines Beratungsfehlers Haftungsschuldner (Fortführung der Senatsurteile BGHZ 100, 363 ff.; 105, 189 ff.; 120, 376 ff.).

b) Bei fehlerhafter genetischer Beratung, die zur Geburt eines genetisch behinderten Kindes geführt hat, können die Eltern von dem beratenden Arzt im Wege des Schadensersatzes den vollen Unterhaltsbedarf des Kindes verlangen, wenn sie bei richtiger und vollständiger Beratung von der Zeugung des Kindes abgesehen hätten.

c) Der Senat hält an seiner Auffassung fest, daß in den Fällen einer aus ärztlichem Verschulden mißlungenen Sterilisation sowie eines verhinderten oder fehlgeschlagenen Schwangerschaftsabbruchs aus embryopathischer oder kriminologischer Indikation der ärztliche Vertragspartner auf Schadensersatz wegen der Unterhaltsbelastung der Eltern durch das Kind in Anspruch genommen werden kann.

 

Normenkette

BGB §§ 823, 249; GG Art. 1

 

Verfahrensgang

OLG Stuttgart (Urteil vom 19.03.1992)

LG Tübingen

 

Tenor

Die Revision des Beklagten zu 1) gegen das Urteil des 14. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 19. März 1992 wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens werden wie folgt verteilt:

Von den Gerichtskosten tragen die Kläger zu 1) und 2) jeweils 4/20 und die Klägerin zu 3) 3/20. Der Beklagte zu 1) trägt 8/20 allein. Die Beklagten zu 1) und zu 2) tragen darüber hinaus 1/20 als Gesamtschuldner.

Von den außergerichtlichen Kosten des Klägers zu 1) trägt dieser selbst 8/20 und der Beklagte zu 1) 12/20. Von den außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu 2) trägt diese selbst 8/20, der Beklagte zu 1) 10/20. Die Beklagten zu 1) und 2) tragen weitere 2/20 dieser Kosten als Gesamtschuldner. Die Klägerin zu 3) trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst. Die außergerichtlichen Kosten des Beklagten zu 1) tragen er selbst und die Klägerin zu 3) jeweils zur Hälfte. Von den außergerichtlichen Kosten des Beklagten zu 2) tragen er selbst 1/20 und die Klägerin zu 3) 19/20. Von den außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 3) tragen der Kläger zu 1) 9/20 und die Klägerin zu 2) 11/20.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Die Kläger zu 1) und 2) sind Eltern einer 1982 geborenen Tochter, die von Geburt an geistig und körperlich behindert ist. Wegen des Verdachts einer fehlerhaften genetischen Disposition begaben sie sich auf Überweisung ihres Hausarztes im August 1983 in die damals vom Beklagten zu 1) geleitete Abteilung für klinische Genetik des Instituts für Anthropologie und Humangenetik der zu 3) beklagten Universität, weil sie vor dem Entschluß zu einem weiteren Kind eine Erbkrankheit ausschließen wollten. Der Beklagte zu 2), ein Klinikarzt an diesem Institut, erhob Befunde und verfaßte sodann das von ihm und dem Beklagten zu 1) unterzeichnete Schreiben vom 27. Oktober 1983, in welchem dem Hausarzt und in Abschrift auch den Klägern u.a. mitgeteilt wurde, daß eine vererbbare Störung äußerst unwahrscheinlich sei und man dem Ehepaar von einer weiteren Schwangerschaft nicht abraten müsse. Am 6. März 1985 wurde die Klägerin zu 3) mit den gleichen geistigen und körperlichen Behinderungen wie das erste Kind geboren.

Die Kläger halten die genetische Beratung für fehlerhaft und nehmen die Beklagten deshalb in Anspruch. Die Kläger zu 1) und 2) haben die Feststellung beantragt, daß die Beklagten verpflichtet seien, ihnen jeden materiellen Schaden zu ersetzen, der ihnen durch die Gehirnfehlbildung der Klägerin zu 3) entstanden sei und künftig entstehen werde, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger übergegangen seien. Daneben haben die Klägerinnen zu 2) und 3) auch Zuerkennung von Schmerzensgeld beantragt. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat auf die Berufung der Kläger zu 1) und 2) die Verpflichtung des Beklagten zu 1) festgestellt, diesen Klägern vorbehaltlich eines Anspruchsübergangs den materiellen Schaden zu ersetzen, der ihnen durch die Geburt der Klägerin zu 3), insbesondere durch den gesamten Unterhaltsaufwand, entstanden sei und künftig entstehen werde. Ferner hat es die Beklagten zu 1) und 2) als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin zu 2) wegen der Geburt der Klägerin zu 3) ein Schmerzensgeld von 10.000 DM zu zahlen. Im übrigen hat es die Klage unter Zurückweisung der weitergehenden Berufung der Kläger zu 1) und 2) sowie der Berufung der Klägerin zu 3) abgewiesen.

Die Beklagten zu 1) und 2) erstreben mit der Revision die Wiederherstellung des Landgerichtsurteils, die Kläger zu 1) und 2) (im folgenden: Kläger) eine Verurteilung auch der Beklagten zu 3) im Rahmen des Feststellungsantrags. Die Klägerin zu 3) hat ihre Revision zurückgenommen. Der Senat hat nur die Revision des Beklagten zu 1) angenommen, soweit sie den materiellen Schadensersatzanspruch betrifft.

 

Entscheidungsgründe

I.

Das Berufungsgericht ist der Auffassung, der Beklagte zu 1) müsse für eine schuldhafte Verletzung des Beratungsvertrags – auch durch den Beklagten zu 2) als seinen Erfüllungsgehilfen nach § 278 BGB – einstehen. Sachverständig beraten, hält das Berufungsgericht die genetische Beratung für fehlerhaft und unzureichend, weil die Beklagten zu 1) und 2) die Ursache der gesundheitlichen Beeinträchtigungen beim erstgeborenen Kind unzutreffend gewichtet hätten. Da im Beratungszeitpunkt die Frage, ob eine genetische oder eine pränatale Schädigung vorgelegen habe, durchaus offen gewesen sei, hätte die weitere Entwicklung des Kindes beobachtet und mit einer Risikoaussage für eine erneute Schwangerschaft abgewartet werden müssen, anstatt hierfür eine nicht hinreichend gesicherte Empfehlung abzugeben. Außerdem hätten die Beklagten zu 1) und 2) nicht auf eine erkennbare genetische Auffälligkeit des Chromosoms Nr. 7 beim Kläger zu 1) hingewiesen.

Diese Beratungsfehler seien für den geltend gemachten Schaden ursächlich, da die Kläger bei vollständiger und zutreffender Beratung von der Zeugung eines weiteren Kindes Abstand genommen hätten und für die geistigen und körperlichen Behinderungen der Klägerin zu 3) jedenfalls auch eine genetische Störung ursächlich geworden sei. Der materielle Schaden bestehe in dem gesamten Unterhaltsaufwand und nicht nur in dem durch die Behinderungen verursachten Mehrbedarf, da die Kläger durch die ärztliche Beratung hätten vermeiden wollen, ein behindertes Kind auf die Welt zu bringen, und sich nicht nur vor den Mehrausgaben für ein solches Kind hätten schützen wollen.

II.

Diese Ausführungen halten den Angriffen der Revision im Ergebnis stand.

1. Erfolglos bekämpft die Revision die Auffassung des Berufungsgerichts, daß der Beklagte zu 1) Haftungsschuldner des Vertrags über die genetische Beratung sei. Sie meint, dieser Vertrag sei zwischen den Klägern und der zu 3) beklagten Universität zustande gekommen, weil die genetische Beratung als Leistung des gemäß § 29 Abs. 1 des Universitätsgesetzes (UGBW) des Landes Baden-Württemberg in der damals geltenden Fassung vom 4. Juni 1982 – GBl. S. 177 rechtlich unselbständigen Instituts für Anthropologie und Humangenetik durch die nicht selbst liquidierenden Beklagten zu 1) und 2) erbracht worden sei. Bei seiner gegenteiligen Auffassung übersehe das Berufungsgericht, daß Fälle der vorliegenden Art mit der ambulanten Versorgung von Patienten in einem Krankenhaus in keiner Weise vergleichbar seien.

Dem vermag der erkennende Senat nicht zu folgen. Nach den zutreffenden Feststellungen des Berufungsgerichts sind die Kläger als Ersatzkassenpatienten von ihrem Hausarzt in die vom Beklagten zu 1) geleitete Abteilung des Instituts der Beklagten zu 3) überwiesen worden, um sich einer genetischen Beratung zu unterziehen. Rechtsfehlerfrei hat das Berufungsgericht auch festgestellt, daß der Beklagte zu 1) von der kassenärztlichen Vereinigung zu dieser ärztlichen Leistung ermächtigt worden ist. Wenn die Revision dem Berufungsurteil insofern Abweichendes entnehmen will, kann ihr nicht gefolgt werden.

Bei dieser Sachlage ist das Berufungsgericht in Übereinstimmung mit den vom erkennenden Senat mehrfach ausgesprochenen Grundsätzen (Senatsurteile BGHZ 100, 363, 367 f.; 105, 189, 194; 120, 376, 382 ff.) zur Auffassung gelangt, daß die Kläger zu 1) und 2) in vertragliche Beziehungen nur zu dem Beklagten zu 1) getreten sind, da die ambulante Versorgung von Kassenpatienten nicht in erster Linie Aufgabe des Krankenhausträgers, sondern der zugelassenen Kassenärzte bzw. des zur kassenärztlichen Versorgung zugelassenen Chefarztes ist. Demzufolge tritt ein Kassenpatient, der zur ambulanten Behandlung in ein Krankenhaus überwiesen wird, in vertragliche Beziehung nur zu dem die Ambulanz kraft kassenärztlicher Zulassung gemäß der damals noch geltenden Vorschrift des § 368 a Abs. 8 RVO (heute §§ 95, 116 SGB V) betreibenden Chefarzt und nicht etwa zu dem Krankenhaus, und zwar auch dann, wenn die Überweisung des Hausarztes auf das Krankenhaus gelautet hat (Senatsurteil BGHZ 105, 189, 194).

Die Revision zieht diesen Grundsatz für die ambulante Versorgung auch nicht in Zweifel, sondern meint, die genetische Beratung sei mit der ambulanten Versorgung von Patienten in einem Krankenhaus nicht vergleichbar. Indessen stellt die genetische Beratung zu der ambulanten und stationären Behandlung nicht etwa eine weitere Alternative dar, sondern ist vom Berufungsgericht vorliegend mit Recht sozialversicherungsrechtlich als ein Fall der ambulanten Versorgung angesehen worden, weil sie nicht im Rahmen eines stationären Krankenhausaufenthaltes erfolgt ist. Das Berufungsgericht hat auch nicht festgestellt, daß das Institut der Beklagten zu 3) etwa selbst zur ambulanten Versorgung von Versicherten ermächtigt gewesen wäre (sog. Institutsambulanz, dazu Senatsurteil BGHZ 120, 376, 383). Das macht die Revision auch nicht geltend, sondern bezieht sich für ihre Auffassung lediglich auf die landesgesetzlich geregelte Aufgabenverteilung, wonach die zu 3) beklagte Universität gemäß § 1 Nr. 2 c der auf § 3 Abs. 7 UGBW gestützten Verordnung des Kultusministeriums über Dienstaufgaben bei medizintheoretischen Instituten der Landesuniversitäten vom 2. Januar 1978 (GBl. S. 109) die genetische Beratung bei sozialversicherten Patienten durchzuführen hat. Daraus will sie folgern, daß ein Kassenpatient bei einer solchen Beratung notwendig ebenso in vertragliche Beziehungen zum Institut selbst trete, wie wenn er sich in stationäre Behandlung begebe. Dieser Schluß ist jedoch nicht gerechtfertigt, weil es insoweit nicht auf die öffentlich-rechtliche Zuweisung dieser Aufgabe innerhalb der Universität ankommt, sondern vielmehr auf die Frage, wer vom Zulassungsausschuß zur entsprechenden Versorgung der Patienten ermächtigt worden ist. Dies war nach den verfahrensfehlerfreien Feststellungen des Berufungsgerichts der Beklagte zu 1).

Soweit die Revision Zweifel an dessen Stellung als Vertragspartner der Kläger daraus herleiten will, daß das Berufungsgericht selbst nicht von einem eigenen Liquidationsrecht des Beklagten zu 1) ausgehe, liegt dem ein unrichtiges Verständnis des Berufungsurteils zugrunde. Das Berufungsgericht hat nämlich ein Liquidationsrecht des Beklagten zu 1) nicht verneint, sondern lediglich für unerheblich gehalten, daß er im Verhältnis zur Beklagten zu 3) verpflichtet gewesen sei, die ihm aufgrund kassenärztlicher Ermächtigung zufließenden Honorare an die Beklagte zu 3) weiterzuleiten. Damit ist das Berufungsgericht entgegen der Auffassung der Revision von einem Liquidationsrecht des Beklagten zu 1) im Außenverhältnis ausgegangen und hat die Verpflichtung zur Weiterleitung lediglich im Innenverhältnis bejaht. Derartige interne Vereinbarungen mit dem Krankenhausträger berühren die Stellung des zur kassenärztlichen Versorgung ermächtigten Chefarztes als Partner des Behandlungsvertrags mit dem um genetische Beratung Nachsuchenden bzw. zur Krankenkasse nicht.

2. Die Revision wendet sich auch ohne Erfolg gegen die Auffassung des Berufungsgerichts, daß die genetische Beratung durch den Beklagten zu 1) bzw. den Beklagten zu 2) als dessen Erfüllungsgehilfen fehlerhaft und unzureichend gewesen sei.

a) Soweit das Berufungsgericht einen Beratungsfehler darin sieht, daß die Ursache der gesundheitlichen Beeinträchtigungen des erstgeborenen Kindes und die damit verbundene Gefahr einer vererbbaren Störung falsch gewichtet worden sei, rügt die Revision sowohl eine Überspannung der Anforderung an die Pflichten des Arztes als auch die Außerachtlassung wesentlichen Prozeßstoffes.

Nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts ist im Beratungszeitpunkt die Frage, ob eine genetische oder pränatale Schädigung des erstgeborenen Kindes vorliege, durchaus offen gewesen. Deshalb hat das Berufungsgericht als Widerspruch zu der Unklarheit des Befundes die schriftliche Mitteilung der Beklagten zu 1) und 2) vom 27. Oktober 1983 gesehen, daß eine vererbbare Störung äußerst unwahrscheinlich und eine nicht bekannt gewordene pränatale Störung am wahrscheinlichsten sei, so daß eine Wiederholung nicht zu befürchten sei und von einer weiteren Schwangerschaft nicht abgeraten werden müsse. Die daraus abgeleitete Empfehlung für die Eltern sei bei dem offenen Befund, so meint das Berufungsgericht, nicht hinreichend gesichert gewesen. Das aber hätte durch die genetische Beratung klargestellt werden müssen.

Erfolglos wendet die Revision gegen diese Beurteilung ein, daß die Mitteilung vom 27. Oktober 1983 nicht gegenüber den Klägern erfolgt sei, weil dieses Schreiben an den Hausarzt gerichtet und den Klägern nur zur Kenntnisnahme zugeschickt worden sei. Sie meint, deshalb komme es entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht auf die Sicht der Kläger, sondern darauf an, wie ein Arzt den Bericht habe verstehen und den Klägern erläutern müssen. Angesichts der klaren Formulierungen in dem genannten Schreiben vermag die Revision jedoch nicht aufzuzeigen, weshalb der Hausarzt die getroffene Risikobewertung sowie die ausgesprochene Empfehlung nur mit den von der Revision angenommenen Einschränkungen an die Kläger habe weitergeben dürfen. Da auch die Äußerungen der Sachverständigen keinen Anhaltspunkt dafür ergeben, daß jenes Schreiben von dem Hausarzt der Kläger als Einschränkung der Empfehlung zu verstehen gewesen sei, bestand für das Berufungsgericht kein Anlaß, auf die Frage einzugehen, an wen der Arztbrief gerichtet war. Vielmehr konnte es sich für seine Auffassung, das Risiko sei zu optimistisch gesehen und die abgegebene Empfehlung nicht hinreichend gesichert gewesen, auch insoweit uneingeschränkt auf die Ausführungen der Sachverständigen stützen.

b) Ebensowenig ist die tatrichterliche Überzeugung des Berufungsgerichts, im Zeitpunkt der Beratung hätte vor einer abschließenden Risikoaussage die weitere Entwicklung des erstgeborenen Kindes abgewartet werden müssen, aus Rechtsgründen zu beanstanden. Der Einwand der Revision, wegen des fortschreitenden Alters der damals 33-jährigen Klägerin zu 2) sei ein weiteres Zuwarten nicht vertretbar gewesen, ändert nichts an der zutreffenden rechtlichen Beurteilung des Berufungsgerichts, weil es auch bei Berücksichtigung des Altersproblems im damaligen Zeitpunkt Aufgabe der genetischen Beratung gewesen wäre, klarzustellen, daß derzeit eine gesicherte Empfehlung für eine weitere Schwangerschaft nicht abgegeben werden könne.

c) Für die haftungsrechtliche Zurechnung des Schadens zum Beratungsfehler zieht die Revision die tatrichterliche Feststellung, daß die Kläger bei richtiger und vollständiger Beratung kein weiteres Kind gezeugt haben würden, nicht in Zweifel.

Zutreffend nimmt das Berufungsgericht auch an, daß der geltend gemachte Schaden in den Schutzbereich der aus dem Beratungsvertrag erwachsenen Pflichten des Beklagten zu 1) fällt, weil die genetische Beratung dazu dienen sollte, die Geburt eines erbgeschädigten Kindes kraft Entschlusses der Eltern zu verhindern. Dabei hat das Berufungsgericht es für die Zuordnung in den Rahmen des Schutzzwecks des Beratungsvertrages ausreichen lassen, daß eine wie auch immer beschaffene genetische Schädigung der Klägerin zu 3) für ihre gesundheitliche Beeinträchtigung zumindest mitursächlich sei. Das könne hier aufgrund der Beweisaufnahme festgestellt werden, weil beide Kinder gleichartige Schadensbilder aufwiesen, die jedenfalls und zumindest eine Kombinationsschädigung genetischer und exogener Herkunft darstellten, und bei der Klägerin zu 3) eine alleinige pränatale Schädigung nach der Beurteilung der Sachverständigen praktisch ausgeschlossen werden könne.

Die Revision wendet sich nicht gegen diese Feststellung des Tatrichters, sondern vermißt lediglich Feststellungen dazu, welche konkrete Erbanlage für die gesundheitlichen Schäden der Klägerin zu 3) bzw. beider Kinder ursächlich sei. Damit kann sie jedoch keinen Erfolg haben. Daß zur Art der festgestellten genetischen Schädigung der Klägerin zu 3) keine näheren Feststellungen getroffen werden konnten, hindert entgegen der Auffassung der Revision weder die Feststellung eines Ursachenzusammenhangs zwischen dem Beratungsfehler und der Geburt des genetisch geschädigten Kindes noch die Einordnung der gesundheitlichen Schädigung unter den Schutzzweck des Beratungsvertrags, da durch ihn nach der zutreffenden Beurteilung des Berufungsgerichts jegliche genetische Schädigung ausgeschlossen werden sollte.

d) Steht schon hiernach ein haftungsrechtlich relevanter Zuordnungszusammenhang jedenfalls zu einem der beiden Beratungsfehler – nämlich zu der unzureichenden Risikoaufklärung mit ungesicherter Empfehlung – fest, so kann dahinstehen, ob die Revision sich mit Recht dagegen wendet, daß das Berufungsgericht die Haftung des Beklagten zu 1) auch auf den unterlassenen Hinweis auf die Abweichung des Chromosoms Nr. 7 beim Kläger zu 1) gestützt hat.

3. Die Revision bleibt auch ohne Erfolg, soweit sie sich gegen die Feststellung wendet, daß der Schadensersatzanspruch der Kläger auf den gesamten Unterhaltsbedarf der Klägerin zu 3) gerichtet ist.

a) Die Revision sieht einen Verfahrensfehler darin, daß das Berufungsgericht unter Verstoß gegen § 308 ZPO den Klägern mehr als beantragt zugesprochen habe, weil diese ausdrücklich nur Ersatz des durch die Behinderung des Kindes entstandenen Mehrbedarfs gegenüber dem normalen Unterhaltsaufwand für ein nicht behindertes Kind geltend gemacht hätten. Sie will aus der Formulierung des Klageantrags, der auf Ersatz des „durch die Gehirnfehlbildung der Klägerin zu 3)” entstandenen Schadens gerichtet ist, herleiten, daß die Kläger nur Ersatz des durch diese gesundheitliche Störung verursachten Mehrbedarfs begehrten.

Ein Verstoß gegen § 308 ZPO liegt jedoch nicht vor. Mit Recht hat das Berufungsgericht den Feststellungsantrag entsprechend dem Sachvortrag der Kläger dahin ausgelegt, daß der gesamte Unterhaltsbedarf geltend gemacht werde. Konnte schon nach dem Wortlaut des Feststellungsantrags zweifelhaft sein, ob durch ihn tatsächlich das Klagebegehren entsprechend der Auffassung der Revision inhaltlich eingeschränkt oder nicht lediglich die Schadensursache bezeichnet werden sollte, so ergibt jedenfalls das Vorbringen der Kläger auf Seite 14 der Klagebegründung mit Deutlichkeit, daß sie Ersatz des gesamten Unterhaltsaufwandes begehrten. Da die Kläger diese Ausführungen in der Berufungsbegründung zulässigerweise in Bezug genommen haben, bewegt sich der Feststellungsausspruch des Berufungsgerichts im Rahmen des Klagantrags.

b) Auch vom Inhalt her hält dieser Ausspruch rechtlicher Nachprüfung stand.

Angesichts der tatrichterlichen Feststellung des Berufungsgerichts, daß die Kläger von der Zeugung eines weiteren Kindes Abstand genommen hätten, wenn ihnen die genetische Beratung vollständig und richtig erteilt worden wäre, steht – was die Revision im Grundsatz auch nicht in Zweifel zieht – die Auffassung des Berufungsgerichts, der durch die gleichwohl erfolgte Geburt des zweiten Kindes entstandene Unterhaltsaufwand könne mit ihrem Schadensersatzanspruch aus dem Beratungsvertrag gegen den fehlerhaft beratenden Arzt geltend gemacht werden, in Einklang mit der Rechtsprechung des erkennenden Senats.

Der Senat hat zu dieser Frage schon mehrfach für vergleichbare Fallgruppen Stellung genommen, nämlich bei fehlerhafter Beratung zur Vermeidung der Geburt eines vorgeburtlich schwer geschädigten Kindes (Senatsurteile BGHZ 86, 240 ff.; 89, 95 ff. sowie vom 7. Juli 1987 – VI ZR 193/86 – VersR 1988, 155 f.), bei mißlungener Sterilisation (Senatsurteile BGHZ 76, 249 ff. und 76, 259 ff.; vom 18. März 1980 – VI ZR 15/78 – VersR 1980, 719; vom 2. Dezember 1980 – VI ZR 175/78 – VersR 1981, 278 ff.; vom 10. März 1981 – VI ZR 202/79 – VersR 1981, 730 ff.; vom 19. Juni 1984 – VI ZR 76/83 – VersR 1984, 864 ff. und vom 30. Juni 1992 – VI ZR 337/91 – VersR 1992, 1229 f.) und bei mißlungenem (erlaubtem) Schwangerschaftsabbruch (Senatsurteile BGHZ 95, 199 ff.; vom 27. November 1984 – VI ZR 43/83 – VersR 1985, 240 ff.; vom 25. Juni 1985 – VI ZR 270/83 – VersR 1985, 1068 ff.; vom 15. April 1986 – VI ZR 72/85 – VersR 1986, 869 f. und vom 25. Februar 1992 – VI ZR 44/91 – VersR 1992, 829 ff.). Vom Sachverhalt her bestehen keine Bedenken dagegen, die für jene Fallgruppen entwickelten Grundsätze auf den vorliegenden Fall zu übertragen, in welchem die Eltern eines geschädigten Kindes sich schon vor der Zeugung eines weiteren Kindes einer genetischen Beratung unterzogen haben, weil sie das Risiko der Geburt eines zweiten geschädigten Kindes vermeiden wollten.

c) Indessen hat der 2. Senat des Bundesverfassungsgerichts in seinem Urteil vom 28. Mai 1993 – 2 BvF 2/90 u.a. – NJW 1993, 1751 ff. in Leitsatz 14 sowie unter D V 6 der Gründe in diesem Punkt Bedenken gegen die Rechtsprechung des erkennenden Senats erhoben. Auch wenn diesen Ausführungen keine Bindungswirkung beikommt und der erkennende Senat seine Rechtsprechung schon mehrfach kritischer Prüfung unterzogen hat (vgl. z.B. Senatsurteile BGHZ 76, 249, 252 sowie vom 19. Juni 1984 – a.a.O.), machen sie doch eine neuerliche eingehende Prüfung der Rechtslage erforderlich.

Das Bundesverfassungsgericht hat ausgeführt, eine rechtliche Qualifikation des Daseins eines Kindes als Schadensquelle komme von Verfassungs wegen (Art. 1 Abs. 1 GG) nicht in Betracht. Die Verpflichtung aller staatlichen Gewalt, jeden Menschen in seinem Dasein um seiner selbst willen zu achten – insoweit werde auf I 1 a des gleichen Urteilsabschnitts verwiesen – verbiete es, die Unterhaltspflicht für ein Kind als Schaden zu begreifen. Die Rechtsprechung der Zivilgerichte zur Haftung für ärztliche Beratungsfehler oder für fehlgeschlagene Schwangerschaftsabbrüche bedürfe deshalb der Überprüfung.

Der Senat vermag indes diesem Hinweis des Bundesverfassungsgerichts keine Begründung zu entnehmen, die im vorliegenden Fall einer Beurteilung der Aufwendungen für den Unterhalt als Schaden entgegenstünde.

aa) Ausgangspunkt für diese rechtliche Wertung des Unterhaltsaufwandes ist die vertragliche Haftung des Arztes für die Erfüllung der medizinischen Anforderungen zur Erzielung des Erfolgs der Behandlung oder Beratung, die er übernommen hat. Dieser haftungsrechtliche Ansatz kann allerdings nur für Verträge gelten, gegen deren Rechtmäßigkeit keine Bedenken bestehen. Von daher kann hier offen bleiben, ob bei einem Schwangerschaftsabbruch, der nicht aufgrund einer Indikation rechtmäßig ist, sondern aus den Gründen des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 28. Mai 1993 nicht für gerechtfertigt erklärt werden darf, also etwa aus Gründen, die der früheren Notlagenindikation entsprechen, dem Schutz vor wirtschaftlichen Belastungen durch das Kind für die vertraglichen Beziehungen überhaupt noch Bedeutung beikommt und ob er – selbst wenn das zu bejahen wäre – nach der Rechtsordnung noch Ansatz für einen Schadensersatzanspruch sein könnte.

Demgegenüber sind Beratungsverträge, durch welche wie im vorliegenden Fall bereits die Zeugung oder in anderen Fällen die Geburt eines erbgeschädigten Kindes verhindert werden soll, ebenso wie auf Vermeidung der Geburt eines Kindes gerichtete Sterilisationsverträge oder auch Verträge, auf deren Grundlage aus rechtlich unbedenklichen Gründen eine Schwangerschaft abgebrochen werden soll, etwa in Fällen einer kriminologischen oder embryopathischen Indikation (vgl. insoweit zur rechtlichen Zulässigkeit BVerfG a.a.O. D I 2 c bb, ebenso BVerfGE 39, 1, 50; vgl. auch Starck, JZ 1993, 816, 818), auf die Herbeiführung eines rechtmäßigen Erfolgs gerichtet. Bestehen schon gegen die rechtliche Wirksamkeit eines auf Sterilisation gerichteten Vertrags keine Bedenken (dazu Senatsurteile BGHZ 67, 58, 51 f. sowie vom 19. Juni 1984 – a.a.O. –), so gilt das erst recht für den vorliegenden Fall. Der Wunsch der Kläger, ein zweites, jedoch nicht behindertes Kind zur Welt zu bringen und zur Vermeidung einer aufgrund der Behinderung des erstgeborenen Kindes befürchteten genetischen Schädigung die Zeugung vom Ergebnis einer entsprechenden Beratung abhängig zu machen, könnte nicht einmal moralischen Bedenken begegnen, sondern ist in hohem Maß von elterlicher Verantwortung geprägt.

Ist jedoch ein Vertrag auf ein von der Rechtsordnung erlaubtes Ziel gerichtet, nämlich die Geburt eines – hier: erbgeschädigten – Kindes zu vermeiden, so hat der Arzt für die Erreichung dieses Vertragszwecks durch die Erfüllung der von ihm übernommenen Pflichten auch haftungsrechtlich einzustehen. Insoweit ergeben sich nach Auffassung des Senats keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Vielmehr wird in dem genannten Urteil des Bundesverfassungsgerichts unter D V 6 a.E. der Entscheidungsgründe ausdrücklich hervorgehoben, daß die Schlechterfüllung ärztlicher Behandlungs- oder Beratungspflichten grundsätzlich zivilrechtliche Haftungsfolgen auslösen kann. Die Rechtmäßigkeit von Verträgen der oben beschriebenen Art auch unter verfassungsrechtlichen Grundsätzen teilt sich deshalb dem Inhalt solcher Verträge auch insoweit mit, als sie darauf gerichtet sind, die wirtschaftliche Belastung durch ein Kind zu vermeiden. Bei entsprechender Vertragsabrede ist auch dieser wirtschaftliche Schutz Teil der vom Arzt übernommenen und von der Rechtsordnung gebilligten Aufgabe. Der Senat bleibt deshalb bei seiner schon mehrfach dargelegten Auffassung, daß sich die Haftung des Arztes auch auf diese wirtschaftliche Folge erstreckt, wenn er durch den jeweiligen Behandlungs- oder Beratungsvertrag den Schutz vor solchen Belastungen mit übernommen hat. Das hat der Senat u.a. für Fälle der Sterilisation aus Gründen einer Familienplanung bejaht (Senatsurteile BGHZ 76, 249, 256; 76, 259, 263 f.; vom 18. März 1980 – a.a.O.; vom 2. Dezember 1980 – a.a.O. S. 279; vom 10. März 1981 – a.a.O. und vom 19. Juni 1984 – a.a.O.). Für einen dem vorliegenden Fall durchaus vergleichbaren Fall der Schwangerschaftsberatung zur Verhinderung der Geburt eines schwer geschädigten Kindes hat der Senat in seinem in BGHZ 89, 95, 104 f. abgedruckten Urteil dargelegt, daß auch in solchen Fällen die wirtschaftliche Belastung vom Schutzzweck des Beratungsvertrags mit umfaßt wird, auch wenn sie nicht (wie etwa bei der Sterilisation aus wirtschaftlichen Gründen) im Vordergrund steht.

Unterläuft mithin bei derartigen Verträgen dem Arzt ein Fehler, der zur Geburt eines Kindes führt, so erstreckt sich seine Haftung auf die Freistellung des Vertragspartners von wirtschaftlichen Belastungen, die durch den Vertrag vermieden werden sollten. Auch insoweit kann die Übernahme der medizinischen Aufgabe durch den Arzt, die der Erreichung eines erlaubten Vertragszwecks dient, nicht ohne rechtliche Verantwortung für den Arzt und nicht ohne Konsequenzen für das Haftungsrecht bleiben. Vielmehr ist der haftungsrechtliche Schutz, der seinem Vertragspartner zukommen muß, letztlich eine Auswirkung des medizinischen Fortschritts, wenn dieser in Einklang mit der Rechtsordnung derartige Möglichkeiten zur Vermeidung der Geburt eines Kindes eröffnet.

bb) Bei dieser Sachlage würde es einen gravierenden Eingriff in das Gefüge vertraglicher Interessen darstellen, wenn der Arzt von den haftungsrechtlichen Konsequenzen einer schuldhaften Verletzung seiner Vertragspflichten freigestellt würde. Der Senat vermag auch unter Berücksichtigung der Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts – a.a.O. – keinen sich aus der Verfassung ergebenden Grund zu erkennen, der einen derart schwerwiegenden Eingriff in die zivilrechtliche Vertragshaftung erforderlich machen könnte. Der Schutz des ungeborenen Lebens vor einem Schwangerschaftsabbruch steht in Fällen wie hier nicht in Frage. Dieser Gesichtspunkt ist ersichtlich auch nicht der Ansatz des Bundesverfassungsgerichts für seine Kritik, die sich ohne Differenzierung gegen die vorgenannten Rechtsprechungsgrundsätze des Senats generell richtet. Aber ein entgegenstehender verfassungsrechtlicher Grund ergibt sich auch nicht aus dem Gesichtspunkt, daß es sich bei der wirtschaftlichen Belastung, welche der Arzt als Folge seiner mangelhaften Vertragserfüllung übernehmen muß, der Sache nach um den Unterhalt eines Kindes handelt.

a(1)) Der erkennende Senat teilt die den Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts im Urteil vom 28. Mai 1993 – a.a.O. – ersichtlich zugrundeliegende Auffassung, daß es sich auch bei Zugrundelegung einer Vertrags- und haftungsrechtlichen Betrachtungsweise von Verfassungs wegen (Art. 1 GG) verbietet, die Existenz des Kindes als Schaden anzusehen. Auch der Senat hat dies schon wiederholt zum Ausdruck gebracht (BGHZ 76, 249, 253 f.; Senatsurteil vom 19. Juli 1994 a.a.O.).

Der Senat hat indes bereits in seinem Leiturteil BGHZ 76, 249, 253 darauf hingewiesen, daß insoweit das Schlagwort „Kind als Schaden” eine unangemessene und aus rechtlicher Sicht auch untaugliche Betrachtungsweise darstelle, und demgegenüber in dem genannten Urteil wie auch in späteren Entscheidungen, insbesondere im Urteil vom 19. Juni 1984 – a.a.O. S. 365 dargelegt, daß der Schaden in dem durch die planwidrige Geburt des Kindes ausgelösten Unterhaltsaufwand bestehe. Dabei bedeutet nach Auffassung des Senats die Unterscheidung zwischen der Existenz des Kindes und seinem unbestreitbaren Wert als Persönlichkeit einerseits und der sich für die Eltern ergebenden Unterhaltsbelastung andererseits keine künstliche Aufspaltung bzw. eine „Zergliederung der personalen Ganzheit des Kindes” (so etwa Lankers, FamRZ 1969, 384), sondern erweist sich bei schadensrechtlicher Betrachtungsweise als folgerichtig. Weder die rechtlichen Ordnungen des Schadensrechts oder des Familienrechts noch eine ungezwungene Gesamtbetrachtung des Lebenssachverhalts nötigen nämlich dazu, bereits das Dasein des Kindes als Schadensfall anzusehen, um zu den hier in Frage stehenden haftungsrechtlichen Folgen zu kommen. Vielmehr stellt erst die Belastung der Eltern mit dem geldlichen Aufwand für den Unterhalt die die Annahme eines Schadens kennzeichnende Vermögensminderung dar. Die Eltern werden durch das Haftungsrecht auch nicht von ihrer Unterhaltspflicht gegenüber ihrem Kind freigestellt, sondern es findet, wie sogleich ausgeführt wird, eine ohnehin nur teilweise Beteiligung des Arztes an ihrer wirtschaftlichen Belastung durch die Unterhaltspflicht statt.

b(1)) Einer schadensrechtlichen Betrachtungsweise steht nach Auffassung des Senats auch nicht etwa schlechthin entgegen, daß es sich bei der wirtschaftlichen Belastung gerade um den Unterhalt für ein Kind handelt. Bei dem schadensrechtlich erforderlichen Vergleich der wirtschaftlichen Lage mit und ohne das Schadensereignis werden nämlich nicht etwa Existenz und Nichtexistenz des Kindes in dem Sinn miteinander verglichen, daß die Nichtexistenz des Kindes als positiver, seine Existenz hingegen als negativer Vermögensfaktor zu berücksichtigen wäre. Das müßte sicherlich unter dem Blickpunkt der Würde des Menschen nach Art. 1 GG verfassungsrechtlichen Bedenken begegnen. Ein derartiger Vergleich wäre indessen auch aus schadensrechtlicher Sicht verfehlt. Vielmehr hat die Beschränkung der schadensrechtlichen Betrachtungsweise allein auf die wirtschaftliche Seite des komplexen Lebenssachverhalts, den die Geburt eines Kindes darstellt, zur Folge, daß bei dem für eine Schadensermittlung erforderlichen Vergleich der Vermögenslagen lediglich die wirtschaftliche Situation des Unterhaltsverpflichteten mit und ohne Bestehen der Unterhaltsbelastung in Ansatz zu bringen ist.

Der Senat verkennt hierbei nicht, daß die wirtschaftliche Belastung erst durch die Existenz des Kindes ausgelöst wird. Insoweit handelt es sich jedoch lediglich um einen naturwissenschaftlichen Kausalzusammenhang, der für sich genommen wertfrei ist. Auch für ein „Wunschkind” ist die Unterhaltsverpflichtung für die Eltern in der Vermögensbilanz als wirtschaftliche Belastung ebenso fühlbar, ohne daß sich dies auf das Verhältnis von Eltern und Kind negativ überträgt. Im übrigen dürfte auch in den Fällen, in denen das Bundesverfassungsgericht den Ersatz von Schäden im Zusammenhang mit der Geburt des Kindes ausdrücklich gebilligt hat, diese als „Schadensquelle” im Sinn der Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts angesehen werden, wenn diesem Begriff überhaupt schadensrechtliche Relevanz beizulegen wäre (abl. Deutsch, NJW 1993, 2361, 2362). Insoweit hat der erkennende Senat auch erwogen, ob es unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten geboten sein könnte, in Beratungsfällen der vorliegenden Art oder bei fehlgeschlagener Familienplanung einen Anspruch auf billige Entschädigung in Geld für einen immateriellen Schaden durch die Verletzung des Persönlichkeitsrechts der Eltern zuzuerkennen, wie dies im Schrifttum erwogen wird (vgl. Diederichsen, VersR 1981, 693, 696; Stürner, VersR 1984, 305 sowie FamRZ 1985, 753, 760 f.; H. Lange, Schadensersatz, 2. Aufl., § 6 IX 7 h). Eine derartige Betrachtungsweise würde indes von einem Vergleich mit der Lage ohne die Existenz des Kindes nicht freistellen. Die Qualifizierung als immaterieller Nachteil für seine Eltern würde unmittelbarer und gravierender auf die Person des Kindes ausstrahlen als die Feststellung der wirtschaftlichen Belastung der Eltern für ihre (teilweise) Entlastung durch den Arzt. Zudem erscheint eine derartige Betrachtungsweise auch schadensrechtlich bedenklich. Denn letztlich würden die wirtschaftlichen Belastungen durch das Kind auf solchem Wege – weil dem Ausgleich als Vermögensschaden unter dieser Prämisse nicht zugänglich – mittelbar Einfluß auf die Bemessung der Entschädigung gewinnen und damit die Unterscheidung zwischen Vermögens- und Nichtvermögensschaden verwischen.

c(1)) In einer schadensrechtlichen Betrachtungsweise wirkt sich die Beurteilung der Unterhaltsbelastung in Fällen, in welchen sie durch Vertrag mit einem Arzt vermieden werden sollte, nicht negativ auf Persönlichkeit und Dasein des Kindes aus. Die Abnahme der wirtschaftlichen Belastung durch den Arzt ist nämlich entsprechend der Ausgleichsaufgabe von Schadens- und Haftungsrecht auf eine rein vermögensmäßige Bedeutung beschränkt und belegt weder das Kind mit einem Makel noch stellt es gar sein Lebensrecht in Frage.

Weder nach dem Gesetz noch nach der schadensrechtlichen Praxis ist der Schadensbegriff mit einer so negativen Bedeutung versehen, daß es sich von daher verbieten müßte, finanzielle Belastungen aus der Geburt eines Kindes als Schaden anzusehen. Insbesondere bedeutet die Beurteilung der Unterhaltsbelastung als Schaden im Verhältnis zwischen Eltern und Arzt nicht etwa, daß über das Kind ein Unwerturteil ausgesprochen und es durch die Verbindung mit dem Begriff „Schaden” in seiner Persönlichkeit herabgewürdigt würde. Eine solche Bedeutung, die aus verfassungsrechtlicher Sicht sicherlich unzulässig wäre, kommt dem Schadensbegriff nach dem Verständnis des erkennenden Senats nicht bei. Der Gesetzgeber des bürgerlichen Gesetzbuchs hat bewußt davon abgesehen, die Begriffe Vermögen und Vermögensschaden festzulegen, sondern sie der Wissenschaft und Praxis zur Ausbildung überlassen. Die Rechtsprechung hat von Anfang an als Schaden die Verminderung von Aktiv- oder die Vermehrung von Passivposten in einem rechnerischen Vergleich der durch das schädigende Ereignis eingetretenen Vermögenslage mit derjenigen zugrundegelegt, die sich ohne das Ereignis ergeben hätte (vgl. Beschluß des Großen Senats für Zivilsachen BGHZ 98, 212, 217 f.). Zwar enthebt die Differenzmethode als wertneutrale Rechenoperation nicht davon, am Schutzzweck der Haftung und an der Ausgleichsfunktion des Schadensersatzes die in die Differenzbilanz einzusetzenden Rechnungsposten wertend zu bestimmen (BGH, a.a.O.). War jedoch der Vertrag mit dem Arzt auch darauf gerichtet, eine Unterhaltsbelastung der Eltern zu vermeiden, so ist diese Belastung – wenn sie sich gerade wegen der fehlerhaften Vertragserfüllung einstellt – sowohl vom Schutzzweck des Vertrags wie auch vom Ausgleichszweck des Schadensersatzes her als Vermögensschaden anzusehen. Daß diese schadensrechtliche Bilanzierung nicht als „Unwerturteil” auf die Person des Kindes übergreifen kann, folgt aus der schon oben angesprochenen Beschränkung der schadensrechtlichen Betrachtungsweise auf den wirtschaftlichen Teil des Lebenssachverhalts. Mit diesem schadensrechtlichen Vergleich der Vermögenslagen wird auch nicht etwa menschliches Dasein in entwürdigender Weise in eine buchhalterisch-bilanzierende Sicht verengt; insoweit geht es nur um eine als solche wertfreie Methode zur Ermittlung von vermögensmäßigen Auswirkungen, auf die das Schadensrecht immer angewiesen ist und deren Einordnung als Hilfsmittel für die Tatsachenfeststellung sich dem Schadensbegriff mitteilt. Es ist die vorrangige Aufgabe des Schadensrechts, wirtschaftliche Vermögenslagen zu vergleichen und eine etwaige vermögensmäßige Differenz dem Haftungsrecht zur Verfügung zu stellen, das die Verantwortlichkeit für die Entstehung dieser Lasten feststellt und sie entsprechend zuordnet. Von dieser Funktion des Schadensrechts her kommt der Bewertung einer vermögensmäßigen Differenz als Schaden keine herabwürdigende Bedeutung zu. Bedeutet Schadensersatz mithin nach heutigem Verständnis eine gerechte Lastenverteilung nach den jeweiligen Haftungskriterien, nicht aber eine Sanktion schädlichen Verhaltens, so ist nach Auffassung des Senats nicht ersichtlich, weshalb die Beurteilung der Unterhaltspflicht als Schaden der Würde des Kindes abträglich sein könnte.

Im Gegenteil ist der Senat der Auffassung, daß die Zubilligung von Schadensersatz gerade in Fällen der vorliegenden Art für das Kind nicht nur ohne negative Auswirkung bleibt, sondern ihm sogar dienlich sein kann, weil hierdurch seine wirtschaftliche Lage verbessert und möglicherweise seine Wertschätzung innerhalb der Familie noch erhöht wird. Die Überbürdung von Unterhaltslasten auf den behandelnden Arzt erscheint besonders dann einleuchtend, wenn er infolge seines Beratungsfehlers für die mitunter existenzgefährdenden wirtschaftlichen Lasten mitverantwortlich ist, welche ein schwer behindertes, dauernd pflegebedürftiges Kind verursacht. Wie der Senat schon an anderer Stelle ausgeführt hat (BGHZ 76, 259, 266 f.), verbleibt für die Eltern auch in solchen Fällen, in denen der Arzt nicht wie bei der Geburt eines gesunden Kindes einen von vornherein durch die Regelunterhaltssätze beschränkten Teil der Unterhaltsbelastung, sondern den durch den Vermögensvergleich erfaßbaren Vermögensaufwand voll zu übernehmen hat, der gesamte übrige Betreuungsaufwand, aber auch ein beträchtliches Maß an vermögensmäßigen Leistungen und Verzichten, die sie nicht auf den Schädiger abwälzen können. Daß diese beschränkte wirtschaftliche Entlastung der Eltern in einem Zusammenhang mit einem verfassungsrechtlich unzulässigen Angriff auf die Würde des Kindes stehen soll, vermag der Senat nicht zu erkennen. Sofern die Eltern dem Kind wirklich aus seiner Geburt erwachsende Unterhaltslasten in Form einer negativen Einstellung nachtragen sollten, würde diese Haltung jedenfalls nicht verbessert, wenn die Rechtsordnung es verbieten würde, denjenigen an dieser Belastung zu beteiligen, der sie vertragswidrig herbeigeführt hat.

d1) Bei alldem verkennt der Senat nicht, daß der Schadensausgleich in Fällen wie diesem die herkömmliche Rechtsauffassung vor Anforderungen stellt, die der Gesetzgeber bei Schaffung des Bürgerlichen Gesetzbuches nicht vorher bedenken konnte. Diese Anforderungen haben indes ihre Ursache weniger im gesetzten Haftungs- und Schadensrecht, das der Rechtsprechung auch hier eine ausreichende Grundlage gibt, als in dem medizinischen Fortschritt der Fortpflanzungsmedizin, auf den das Zivilrecht eine der hierfür von der Medizin in Anspruch genommenen Einwirkungs- und Steuerungskompetenz angepaßte Antwort geben muß. Das gilt für die angesprochene Fallgruppe ebenso wie für den Fall, daß einer Frau - etwa in bewußtlosem Zustand - ohne ihr Wissen ein fremdes, bereits befruchtetes Ei eingepflanzt wird und sie dem hierdurch erzeugten Kind, wenn sie es austrägt, Unterhalt gewähren muß. Wenn und soweit die Inanspruchnahme von Steuerungskompetenz durch die Medizin insoweit nicht gegen die Menschenwürde verstößt, kann nach Auffassung des Senats nichts anderes gelten für eine zivilrechtliche Haftung für die Folgen, in denen das Ausmaß der vom Arzt übernommenen Verantwortung sichtbar wird.

4. Schließlich ist es vom Ausgleichszweck des Schadensersatzes her bei einem Beratungsvertrag der hier zu beurteilenden Art nicht geboten, den Schadensersatzanspruch auf den Mehrbedarf zu beschränken, der sich aus der angeborenen Behinderung des Kindes ergibt.

a) Die Revision zieht vom rechtlichen Ansatz her nicht in Zweifel, daß der Schadensersatzanspruch grundsätzlich auf den vollen Unterhaltsbedarf gerichtet ist, sondern meint lediglich unter Hinweis auf das Senatsurteil BGHZ 89, 95, 104 ff., vorliegend stehe nicht fest, daß sich die Gefahr, der die Beratung durch den Arzt begegnen sollte, tatsächlich verwirklicht habe. Sie meint, weil das Berufungsgericht insoweit nur von einem "Kombinationsschaden" ausgehe, der durch vielerlei Faktoren herbeigeführt worden sei, stehe jedenfalls nicht der Umfang der Schädigung fest, die gerade auf die fehlerhafte Beratung durch die Beklagten zurückzuführen sei. Dieser Einwand betrifft indessen der Sache nach nicht den Umfang des Anspruchs, sondern den Ursachenzusammenhang und kann, wie oben zu 2 c) bereits ausgeführt, angesichts der tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts nicht durchgreifen.

b) Der Senat hat in seinem zuvor genannten Urteil dargelegt, daß der Arzt bei schuldhafter Verletzung der Beratungspflicht dann, wenn er überhaupt für den Unterhalt einzustehen habe, in den dort aufgezeigten Grenzen den gesamten Unterhaltsaufwand und nicht nur den durch eine Behinderung verursachten Mehrbedarf ersetzen müsse. An dieser Auffassung hält der Senat nach erneuter Überprüfung auch für den vorliegenden Fall fest. Insofern besteht haftungsrechtlich kein bedeutsamer Unterschied zwischen den beiden Beratungsfällen. Vielmehr suchen die Eltern jeweils ärztlichen Rat, um kein vorgeburtlich schwer geschädigtes Kind zur Welt zu bringen. Wenn sie im Hinblick auf das Risiko eines zweiten geschädigten Kindes bei entsprechendem ärztlichen Rat von einer Zeugung absehen wollen, so liegt auf der Hand, daß sie bei richtiger Beratung gar kein Kind zur Welt gebracht hätten.

Der Schutzzweck des Beratungsvertrags erstreckt sich entsprechend dem Parteiwillen durchweg auch auf die Belastung mit dem finanziellen Aufwand für ein schwer behindertes Kind, welchen die Eltern dem Kind und sich durch ihre Vorsorge ersparen wollten. Wie der Senat in dem in BGHZ 89, 95, 105 abgedruckten Urteil dargelegt hat, läßt sich dieser Unterhaltsaufwand nicht aufteilen in einen solchen, der für ein hypothetisch gesundes Kind von den Eltern familienrechtlich geschuldet wird, und einen solchen, der durch den Gesundheitsschaden des Kindes zusätzlich bedingt ist. Der erforderliche Aufwand für die Existenzsicherung eines schwerbehinderten Kindes ist unteilbar. Nach Auffassung des Senats wäre es auch mit der Achtung vor der Person des Kindes im Sinn von Art. 1 Abs. 1 GG unvereinbar, an seine Existenz und die sich hieraus im einzelnen ergebenden Bedürfnisse den Maßstab eines „normalen” Kindes anzulegen. Die Freistellung der Eltern vom gesamten Unterhaltsbedarf auch in solchen Fällen ist deshalb keinesfalls mit einer Mißachtung der Würde des Kindes verbunden, sondern vielmehr geeignet, diese schadensrechtlich zu schützen und zu gewährleisten.

 

Unterschriften

Dr. Steffen, Bischoff, Dr. v. Gerlach, Dr. Müller, Dr. Dressler

 

Fundstellen

Haufe-Index 1558424

BGHZ

BGHZ, 128

NJW 1994, 788

Nachschlagewerk BGH

JZ 1994, 305

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