Leitsatz (amtlich)

Erlischt ein Zahlungsdiensterahmenvertrag (Girovertrag) des Schuldners durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens und weiß die Bank nichts vom Insolvenzverfahren, können Handlungen der Bank nach Freigabe der selbständigen Tätigkeit des Schuldners, die sich nach objektivem Empfängerhorizont als vertragsgemäßes Verhalten im Rahmen des (erloschenen) Zahlungsdiensterahmenvertrags darstellen, nicht als konkludente Zustimmung zur Neubegründung eines Zahlungsdiensterahmenvertrags ausgelegt werden.

 

Normenkette

InsO §§ 115-116; BGB § 133 B, § 157 C, § 675 f Abs. 2

 

Verfahrensgang

OLG Koblenz (Urteil vom 29.10.2020; Aktenzeichen 1 U 209/17)

LG Bad Kreuznach (Entscheidung vom 19.01.2017; Aktenzeichen 4 O 20/16)

 

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 1. Zivilsenats des OLG Koblenz vom 29.10.2020 aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an den 3. Zivilsenat des Berufungsgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Rz. 1

Der Kläger ist Zahnarzt. Auf einen Insolvenzantrag vom 29.8.2014 bestellte das Insolvenzgericht mit Beschluss vom 1.9.2014 den Beklagten zum vorläufigen Insolvenzverwalter und ordnete einen Zustimmungsvorbehalt gem. § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Fall 2 InsO an. Mit Beschluss vom 1.10.2014 eröffnete das Insolvenzgericht das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Klägers und bestellte den Beklagten zum Insolvenzverwalter.

Rz. 2

Bereits am 9.9.2014 eröffnete der Kläger bei der C. (fortan: Bank) ein neues Girokonto mit Kontokorrentabrede. Der Beklagte kannte das Girokonto des Klägers nicht. Der Kläger nutzte das Girokonto kaum; am 30.11.2014 betrug der Kontostand 157,69 EUR. Nachdem der Beklagte mit Wirkung zum 1.12.2014 die freiberufliche Tätigkeit des Klägers als Zahnarzt aus der Masse freigegeben hatte, nutzte der Kläger das Girokonto als neues Geschäftskonto. Mit Schreiben vom 22.12.2014 forderte der Beklagte die Bank auf, das Konto zu sperren. Später löste der Beklagte das Konto auf und ließ das am 31.12.2014 bestehende Kontoguthaben i.H.v. 13.270,37 EUR auf ein für die Insolvenzmasse eingerichtetes Sonderkonto überweisen. Das Guthaben ist auf Gutschriften i.H.v. 33.777,78 EUR und Abverfügungen des Klägers i.H.v. 20.507,41 EUR zurückzuführen, welche die Bank ausgeführt hat. Unter den Gutschriften befinden sich Überweisungen der K. (fortan: K.) über 11.457,49 EUR und 1.000 EUR sowie Überweisungen der D. GmbH (fortan: D.) über 11.869,22 EUR und 8.544,60 EUR.

Rz. 3

Der Kläger nimmt den Beklagten auf Auszahlung von 12.521,59 EUR in Anspruch. Das LG hat der Klage i.H.v. 11.721,59 EUR stattgegeben. Der BGH hat das die Berufung des Beklagten zurückweisende erste Urteil des Berufungsgerichts aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen (BGH, Urt. v. 21.2.2019 - IX ZR 246/17, BGHZ 221, 212 ff.). Im neuen Berufungsverfahren hat das Berufungsgericht die Klage in Höhe weiterer 239,87 EUR abgewiesen und die weitergehende Berufung des Beklagten zurückgewiesen. Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision erstrebt der Beklagte eine vollständige Klageabweisung.

 

Entscheidungsgründe

Rz. 4

Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I.

Rz. 5

Das Berufungsgericht, dessen Urteil in ZVI 2021, 104 ff. veröffentlicht ist, hat gemeint, der Kläger habe am 9.9.2014 keinen wirksamen Girovertrag mit der Bank abschließen können, weil der Kläger aufgrund der Bestellung des Beklagten zum vorläufigen Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt nicht verfügungsbefugt gewesen sei. Jedenfalls sei der Girovertrag durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 1.10.2014 erloschen. Für die Zeit nach der Freigabeerklärung liege jedoch ein konkludenter Neuabschluss des Girovertrags zwischen dem Kläger und der Bank vor. Damit stehe das Guthaben auf dem Girokonto dem Kläger zu. Der aufgrund der Einziehung des Kontoguthabens durch den Beklagten bestehende Herausgabeanspruch aus § 816 Abs. 2 BGB i.H.v. 11.721,59 EUR sei durch eine Aufrechnung des Beklagten i.H.v. 239,87 EUR erloschen. In dieser Höhe habe die D. Rechnungen für Leistungen bezahlt, die der Kläger vor dem 1.12.2014 erbracht habe.

Rz. 6

Weitere Gegenforderungen habe der Beklagte nicht substantiiert dargelegt. Bei den Zahlungen der K. vom 23. und 30.12.2014 handele es sich um Abschlagszahlungen, für die es allein auf den Zeitpunkt der Zahlung ankomme. Hinsichtlich der Zahlungen der D. vom 23. und 29.12.2014 habe der Beklagte - soweit sie den Betrag von 239,87 EUR überstiegen - nicht substantiiert dargelegt, dass sie Behandlungen vor dem 1.12.2014 betroffen hätten. Der darlegungs- und beweisbelastete Beklagte habe nur pauschal behauptet, die Behandlungen der Privatpatienten hätten vor dem 1.12.2014 stattgefunden. Er habe jedoch weder einen bestimmten Tag benannt, an dem die Behandlung stattgefunden haben soll, noch mitgeteilt, aus welchem Grund die vom Kläger angegebenen Behandlungsdaten falsch sein sollten. Auf den gerichtlichen Hinweis, dass den Kläger keine sekundäre Darlegungslast treffe, habe der Beklagte keinen weiteren Sachvortrag gehalten. Insbesondere habe der Beklagte nicht aufgezeigt, dass es ihm trotz Ausschöpfung aller Befugnisse und Möglichkeiten als Insolvenzverwalter bis hin zu Anträgen nach §§ 97, 98 InsO nicht möglich gewesen sei, die erforderlichen Auskünfte zu erhalten. Da der Beklagte seiner Darlegungslast nicht nachgekommen sei, sei von einer Vernehmung der vom Beklagten als Zeugen für die Behandlungsdaten benannten 47 Privatpatienten abzusehen. Es handele sich um einen unzulässigen Ausforschungsbeweis.

Rz. 7

Im Übrigen habe der Kläger einer etwaigen sekundären Darlegungslast genügt, indem er die Nachdrucke der für die Behandlungen der Privatpatienten erstellten Rechnungen vorgelegt habe. Daraus ergäben sich die Behandlungsdaten. Das pauschale Bestreiten des Beklagten, dass diese Behandlungsdaten nicht zuträfen, sei nicht ausreichend.

II.

Rz. 8

Dies hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.

Rz. 9

1. Zu Unrecht meint das Berufungsgericht, dass der Kläger gem. § 816 Abs. 2 BGB die Rückzahlung des vom Beklagten vereinnahmten Kontoguthabens verlangen kann. Aus den Feststellungen des Berufungsgerichts ergibt sich nicht, dass das Guthaben auf dem Konto der Bank zum insolvenzfreien Vermögen des Klägers gehörte. Sie rechtfertigen es nicht, einen konkludenten Neuabschluss eines Girovertrags nach der Freigabeerklärung vom 1.12.2014 anzunehmen.

Rz. 10

a) Zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, dass der Zahlungsdiensterahmenvertrag vom 9.9.2014 durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Klägers gem. §§ 115, 116 InsO erloschen ist. Ein neuer Zahlungsdiensterahmenvertrag kann durch konkludente Willenserklärungen zustande kommen (vgl. BGH, Urt. v. 21.2.2019 - IX ZR 246/17, BGHZ 221, 212 Rz. 11 m.w.N.). Ob ein schlüssiges Verhalten als Willenserklärung zu werten ist, bestimmt sich nach den für die Auslegung von Willenserklärungen geltenden Maßstäben. Hiernach kommt es entscheidend darauf an, wie das Verhalten objektiv aus der Sicht des Erklärungsempfängers zu verstehen ist (BGH, Urt. v. 22.1.2014 - VIII ZR 391/12, NJW 2014, 1951 Rz. 14; v. 14.10.2020 - VIII ZR 318/19 NJW 2021, 464 Rz. 32; v. 16.3.2021 - VI ZR 140/20 VersR 2021, 798 Rz. 14). Die Bank muss Handlungen vorgenommen haben, derentwegen ein objektiver Empfänger ihr Verhalten nach dem 1.12.2014 als Annahme eines konkludenten Antrags des Klägers auf Neuabschluss eines Zahlungsdiensterahmenvertrags zu den bisherigen Bedingungen verstehen musste.

Rz. 11

Diese Beurteilung richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls und ist in erster Linie dem Tatrichter vorbehalten. Das Revisionsgericht prüft insoweit lediglich nach, ob gesetzliche oder allgemein anerkannte Auslegungsregeln, die Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt sind, wesentlicher Auslegungsstoff außer Acht gelassen worden ist oder die Auslegung auf mit der Revision gerügten Verfahrensfehlern beruht (st.Rspr.; vgl. BGH, Urt. v. 13.2.2014 - IX ZR 313/12 ZIP 2014, 736 Rz. 13; v. 12.10.2016 - VIII ZR 55/15, BGHZ 212, 248 Rz. 35; v. 17.9.2020 - IX ZR 174/19 ZIP 2020, 2135 Rz. 28, jeweils m.w.N.). Das gilt auch für die Auslegung einer Willenserklärung durch schlüssiges Verhalten (BGH, Urt. v. 13.2.2014, a.a.O.).

Rz. 12

Im Interesse der Rechtssicherheit können strenge Anforderungen an einen Vertragsschluss durch schlüssiges Verhalten zu stellen sein (vgl. BGH, Urt. v. 10.1.2019 - IX ZR 89/18 WM 2019, 728 Rz. 12 m.w.N.; v. 14.2.2019 - IX ZR 203/18 WM 2019, 1227 Rz. 9, jeweils zum konkludenten Abschluss eines Anwaltsvertrags). Die Qualifizierung eines Verhaltens als schlüssige Annahmeerklärung setzt das Bewusstsein voraus, dass für das Zustandekommen des Vertrages zumindest möglicherweise noch eine Erklärung erforderlich ist (BGH, Urt. v. 11.6.2010 - V ZR 85/09 NJW 2010, 2873 Rz. 18 m.w.N.). Der Erklärende muss Zweifel an dem Fortbestand des Vertrages haben (vgl. BGH, Urt. v. 11.6.2010, a.a.O., m.w.N.). Handlungen, die sich als Erfüllungsleistungen darstellen, kommt ein Erklärungswert nicht allgemein, sondern nur dann zu, wenn der Schuldner aufgrund besonderer Umstände im Einzelfall bei seiner Leistung aus der Sicht des Empfängers den Eindruck erweckt, er handle mit einem auf den Abschluss einer vertraglichen Vereinbarung gerichteten Rechtsfolgewillen (vgl. BGH, Urt. v. 16.3.2021 - VI ZR 140/20 VersR 2021, 798 Rz. 14). Sie sind grundsätzlich nicht als schlüssige Annahmeerklärung auszulegen, wenn der handelnde Teil von einem wirksamen Vertrag ausgeht (vgl. BGH, Urt. v. 26.1.2005 - VIII ZR 66/04 WM 2005, 1089, 1091; v. 11.6.2010 - V ZR 85/09 NJW 2010, 2873 Rz. 17 f.; v. 7.6.2013 - V ZR 10/12 NJW 2013, 3434 Rz. 27; v. 14.1.2016 - III ZR 107/15 NJW 2016, 3027 Rz. 30; v. 24.2.2016 - XII ZR 5/15, BGHZ 209, 105 Rz. 37).

Rz. 13

b) Nach diesen Maßstäben hat das Berufungsgericht rechtsfehlerhaft für die Zeit nach dem 1.12.2014 einen konkludenten Neuabschluss eines Zahlungsdiensterahmenvertrags i.S.d. § 675 f Abs. 2 BGB bejaht.

Rz. 14

aa) Bereits der Ausgangspunkt des Berufungsgerichts ist rechtsfehlerhaft. Zu Unrecht meint das Berufungsgericht, es könne nicht angenommen werden, dass der Kläger am 9.9.2014 bei der Bank wirksam ein Girokonto eröffnet habe. Der Kläger war am 9.9.2014 in der Lage, sich uneingeschränkt zu verpflichten. Der am 29.8.2014 gestellte Insolvenzantrag hat keinen Einfluss auf die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Klägers. Auch der Zustimmungsvorbehalt gem. § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Fall 2 InsO beschränkt die Verfügungsbefugnis des Schuldners nicht. Er bewirkt lediglich, dass der vorläufige Verwalter wirksame Verfügungen des Schuldners verhindern kann (BGH, Urt. v. 24.9.2020 - IX ZR 289/18, BGHZ 227, 123 Rz. 20 m.w.N.). Er hindert den Schuldner insb. nicht daran, rechtsgeschäftliche Verpflichtungen zu übernehmen (vgl. BGH, Urt. v. 5.2.2009 - IX ZR 78/07 ZIP 2009, 673 Rz. 21; in MünchKomm/InsO/Schildt, 4. Aufl., § 24 Rz. 12). Dies gilt auch für eine schuldrechtliche Kontokorrentabrede (vgl. BGH, Urt. v. 5.2.2009, a.a.O.; v. 15.3.2012 - IX ZR 249/09 ZIP 2012, 737 Rz. 21; vgl. zu den im Kontokorrent enthaltenen Verträgen in MünchKomm/HGBnbucher, 5. Aufl., § 355 Rz. 7 ff.). Diese erlischt vielmehr gem. §§ 115, 116 InsO erst mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens (BGH, Urt. v. 25.6.2009 - IX ZR 98/08, BGHZ 181, 362 Rz. 10). Dass sich die mit dem Zustimmungsvorbehalt nach § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Fall 2 InsO angeordneten Verfügungsbeschränkungen auf die im Kontokorrentvertrag enthaltenen antizipierten Verrechnungsvereinbarungen auswirken (grundlegend BGH, Urt. v. 4.5.1979 - I ZR 127/77, BGHZ 74, 253, 254 f.; vgl. BGH, Urt. v. 15.3.2012, a.a.O.), schränkt den Schuldner nicht ein, eine schuldrechtliche Kontokorrentabrede zu treffen.

Rz. 15

bb) Das Berufungsgericht hat weiter den von ihm zugrunde gelegten Sachverhalt unvollständig gewürdigt und dabei den Grundsatz der beiderseits interessengerechten Auslegung von Willenserklärungen außer Acht gelassen. Das Berufungsgericht hat unterstellt, dass der Bank weder die Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters am 1.9.2014 noch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Klägers bekannt gewesen seien. Damit stellen sich die Handlungen der Bank - wie die Revision zutreffend rügt - aus der Sicht eines objektiven Empfängers als vertragsgemäßes Verhalten im Rahmen des bereits am 9.9.2014 abgeschlossenen Zahlungsdiensterahmenvertrags dar. Schon deshalb kommt ihnen kein weitergehender rechtsgeschäftlicher Erklärungswert zu. Dies gilt umso mehr, als das Berufungsgericht nichts dazu feststellt, dass der Bank am 1.12.2014 die Freigabe der selbständigen Tätigkeit des Klägers und der Wille des Klägers, einen neuen Zahlungsdiensterahmenvertrag für den Zahlungsverkehr aufgrund der freigegebenen Tätigkeit abschließen zu wollen, bekannt oder auch nur erkennbar gewesen sind.

Rz. 16

Den vom Berufungsgericht herangezogenen Umständen kommt im Streitfall kein Erklärungswert zu. Die vom Kläger am 9.9.2014 bei Abschluss des Zahlungsdiensterahmenvertrags gemachten Angaben geben keinen Anhaltspunkt dafür, dass die verstärkte Nutzung des Kontos nach der Freigabe der selbständigen Tätigkeit einen besonderen Erklärungsinhalt haben könnte. Ebenso wenig folgt aus der Art der Nutzung des Kontos ein besonderer Erklärungsinhalt. Der Kläger nutzte das Konto nach den Feststellungen des Berufungsgerichts - wenn auch nur in geringem Umfang und ohne erkennbaren Bezug zu einer zahnärztlichen Tätigkeit - bereits vor der Freigabe der selbständigen Tätigkeit. Dann kann die verstärkte Nutzung nach der Freigabe der selbständigen Tätigkeit als solche keinen Erklärungsinhalt haben. Zudem wickelte die Bank durchgängig lediglich den Zahlungsverkehr entsprechend den am 9.9.2014 getroffenen Vereinbarungen ab. Schließlich berücksichtigt das Berufungsgericht nicht, dass die Bank das Konto auf die Aufforderung des Beklagten ohne Weiteres sperrte und das Guthaben auf ein Konto des Beklagten überwies. Ein solches Verhalten spricht dafür, dass die Bank davon ausging, kein Vertragsverhältnis mit dem Kläger im Rahmen der freigegebenen selbständigen Tätigkeit eingegangen zu sein.

Rz. 17

2. Soweit das Berufungsgericht annimmt, dass dem Beklagten keine über 239,87 EUR hinausgehenden Gegenansprüche zustehen, hält dies rechtlicher Überprüfung in wesentlichen Punkten ebenfalls nicht stand.

Rz. 18

a) Hinsichtlich der Zahlungen der D. hat das Berufungsgericht rechtsfehlerhaft den vom Beklagten angebotenen Beweis nicht erhoben.

Rz. 19

aa) Nach ständiger Rechtsprechung des BGH genügt eine Partei ihrer Darlegungslast, wenn sie Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet sind, das geltend gemachte Recht als in ihrer Person entstanden erscheinen zu lassen. Genügt das Parteivorbringen diesen Anforderungen an die Substantiierung, so kann der Vortrag weiterer Einzeltatsachen nicht verlangt werden (BGH, Urt. v. 31.10.2019 - IX ZR 170/18 ZIP 2020, 83 Rz. 17 m.w.N.; v. 4.2.2021 - III ZR 7/20 ZIP 2021, 1278 Rz. 18 m.w.N.). Die Angabe näherer Einzelheiten ist nicht erforderlich, soweit diese für die Rechtsfolgen nicht von Bedeutung sind (st.Rspr.; vgl. BGH, Beschl. v. 28.2.2012 - VIII ZR 124/11, WuM 2012, 311 Rz. 6 m.w.N.; Urt. v. 17.12.2014 - VIII ZR 88/13 NJW 2015, 934 Rz. 43; Beschl. v. 26.3.2019 - VI ZR 163/17 VersR 2019, 835 Rz. 11 m.w.N.). Hierbei ist auch zu berücksichtigen, welche Angaben einer Partei zumutbar und möglich sind. Falls sie keinen Einblick in die Geschehensabläufe hat und ihr die Beweisführung deshalb erschwert ist, darf sie auch vermutete Tatsachen unter Beweis stellen. Sie ist grundsätzlich nicht gehindert, Tatsachen zu behaupten, über die sie keine genauen Kenntnisse hat, die sie aber nach Lage der Dinge für wahrscheinlich hält (BGH, Urt. v. 19.10.2017 - III ZR 565/16, BGHZ 216, 245 Rz. 33 m.w.N.; vom 4.2.2021, a.a.O.).

Rz. 20

Einer Partei darf nicht verwehrt werden, eine tatsächliche Aufklärung auch hinsichtlich solcher Punkte zu verlangen, über die sie selbst kein zuverlässiges Wissen besitzt und auch nicht erlangen kann. Sie kann deshalb genötigt sein, eine von ihr nur vermutete Tatsache zu behaupten und unter Beweis zu stellen (BGH, Urt. v. 27.5.2003 - IX ZR 283/99 ZIP 2003, 1596, 1597 unter II. 1. m.w.N.). Unzulässig wird ein solches prozessuales Vorgehen erst dort, wo die Partei ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürlich Behauptungen aufs Geratewohl oder ins Blaue hinein aufstellt (BGH, Urt. v. 27.5.2003, a.a.O., m.w.N.; vom 26.1.2016 - II ZR 394/13 ZIP 2016, 1119 Rz. 20 m.w.N.). Bei der Annahme von Willkür in diesem Sinne ist Zurückhaltung geboten; in der Regel wird sie nur beim Fehlen jeglicher tatsächlichen Anhaltspunkte gerechtfertigt werden können (BGH, Urt. v. 27.5.2003, a.a.O., m.w.N.; v. 8.5.2012 - XI ZR 262/10, BGHZ 193, 160 Rz. 40 m.w.N.).

Rz. 21

bb) Nach diesen Grundsätzen hat der Beklagte seiner Darlegungslast genügt. Der Beklagte hat behauptet, der Kläger habe die von der D. mit den Zahlungen von Dezember 2014 abgerechneten Behandlungen bereits im November 2014 ausgeführt. Auf der Grundlage dieses Sachvortrags stehen die Zahlungen der D. der Insolvenzmasse und damit dem Beklagten zu. Der Beklagte hat zum Beweis für diese Behauptung bestimmte Patienten des Klägers namentlich als Zeugen benannt und hinreichende Anhaltspunkte dafür vorgetragen, warum deren Behandlungen nach seiner Auffassung vor dem 1.12.2014 durchgeführt worden seien.

Rz. 22

Zu Unrecht meint das Berufungsgericht, von einer Beweiserhebung absehen zu dürfen. Seine Auffassung, es handele sich um einen unzulässigen Ausforschungsbeweis, widerspricht den höchstrichterlichen Anforderungen an ein substantiiertes Vorbringen. Zwischen den Parteien ist allein streitig, ob das vom Kläger der D. mitgeteilte und in den vorgelegten Rechnungen angegebene Behandlungsdatum zutreffend ist. Hingegen sind die behandelten Patienten sowie Art und Umfang der Behandlung unstreitig. Vor diesem Hintergrund muss der Beklagte - anders als das Berufungsgericht meint - weder angeben, an welchem konkreten Tag vor dem 1.12.2014 die Behandlungen stattgefunden haben sollen, noch aus welchem konkreten Grund ein vom Kläger angegebenes Behandlungsdatum falsch sein soll. Damit kommt es auf die Frage, ob und in welchem Umfang den Kläger eine sekundäre Darlegungslast zu den Umständen der einzelnen Behandlungen treffen könnte, nicht an. Soweit das Berufungsgericht keine Zweifel an der Richtigkeit der in den Rechnungen zu den Behandlungsdaten enthaltenen Angaben hat, handelt es sich um eine unzulässige vorweggenommene Beweiswürdigung.

Rz. 23

b) Ohne Rechtsfehler verneint das Berufungsgericht einen Gegenanspruch des Beklagten hinsichtlich der Zahlungen der K. . Das Berufungsgericht hat die Zahlungen in tatrichterlicher Würdigung als Abschlagszahlungen für künftige Honorarzahlungen der K. eingeordnet. Für die Zuordnung von Abschlagszahlungen der Kassenzahnärztlichen Vereinigung kommt es auf den Zeitpunkt ihrer Zahlung an (BGH, Urt. v. 21.2.2019 - IX ZR 246/17, BGHZ 221, 212 Rz. 37; BSGE 118, 30 Rz. 34). Die Revision setzt lediglich ihre eigene Würdigung an die Stelle der tatrichterlichen Würdigung. Revisionsrechtlich erhebliche Fehler zeigt sie nicht auf.

III.

Rz. 24

Die Sache ist nicht zur Endentscheidung reif. Der Senat macht von der Möglichkeit des § 563 Abs. 1 Satz 2 ZPO Gebrauch.

Rz. 25

Das Berufungsgericht wird zunächst zu prüfen haben, ob ein Neuabschluss des Girovertrags erfolgt ist. Sofern es sich von einem Neuabschluss überzeugen sollte, wird es die vom Beklagten zu den Gegenansprüchen (vgl. BGH, Urt. v. 21.2.2019 - IX ZR 246/17, BGHZ 221, 212 Rz. 44) angebotenen Beweise zu erheben haben.

Rz. 26

Sofern das Berufungsgericht sich nicht davon überzeugen kann, dass ein Neuabschluss des Girovertrags unter Zuordnung zum insolvenzfreien Vermögen des Klägers erfolgt ist, wird es den vom Kläger hinsichtlich der einzelnen Einzahlungen auf dem Konto hilfsweise geltend gemachten Anspruch prüfen müssen. Insoweit muss der Kläger substantiiert darlegen und beweisen, dass die in Rede stehenden Forderungen gegen die D. und die K. seinem insolvenzfreien Vermögen zuzuordnen waren (vgl. BGH, Urt. v. 21.2.2019, a.a.O., Rz. 29, 45 f.). Dabei wird das Berufungsgericht zu berücksichtigen haben, dass eine Bereicherung der Masse ausscheidet, soweit der Kläger über das Kontoguthaben zu seinen Gunsten bereits verfügt hat (vgl. BGH, Urt. v. 21.2.2019, a.a.O., Rz. 46).

 

Fundstellen

Haufe-Index 14844482

BB 2021, 2514

DB 2021, 2544

DStR 2021, 10

NJW 2021, 9

NJW 2022, 67

EWiR 2021, 754

WM 2021, 2079

WuB 2022, 36

ZIP 2021, 2242

ZIP 2021, 81

DZWir 2022, 162

MDR 2021, 1478

MDR 2021, 347

NZI 2021, 1015

NZI 2021, 9

ZInsO 2021, 2368

BKR 2022, 59

GWR 2021, 437

GesR 2022, 150

InsbürO 2021, 492

NJW-Spezial 2021, 726

ZBB 2022, 63

ZVI 2021, 431

RdZ 2022, 62

VIA 2022, 3

ZRI 2021, 882

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