Leitsatz (amtlich)

Zur Abwägung der Meinungsäußerungsfreiheit gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht.

 

Normenkette

GG Art. 5 Abs. 1; BGB §§ 823, 1004; StGB § 186

 

Verfahrensgang

Brandenburgisches OLG (Urteil vom 18.06.1997)

LG Potsdam (Urteil vom 14.11.1996)

 

Nachgehend

BVerfG (Beschluss vom 25.10.2005; Aktenzeichen 1 BvR 1696/98)

 

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 1. Zivilsenats des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 18. Juni 1997 aufgehoben.

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Potsdam vom 14. November 1996 wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten beider Rechtsmittelinstanzen zu tragen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Der Kläger war in der DDR Konsistorialpräsident der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg und ist nunmehr Ministerpräsident des Bundeslandes Brandenburg. In seiner Eigenschaft als Vertreter der Kirche unterhielt der Kläger Kontakte zu hauptamtlichen Mitarbeitern des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS); er war dort als informeller Mitarbeiter (IM) unter dem Decknamen „Sekretär” registriert. Der Kläger traf sich über viele Jahre mit hauptamtlichen Mitarbeitern des MfS in Dienstzimmern oder in Privatwohnungen, die das MfS unterhielt. Im Jahre 1978 erhielt er die „Verdienstmedaille der Deutschen Demokratischen Republik”, deren Verleihung wie folgt begründet worden ist:

„Laut Befehl Nr. K (Kader) 3612/78 vom 07.10.1978 hat der Minister für Staatssicherheit den IMV „Sekretär”, Reg.-Nr. IV 1192/64, geführt in der HA XX/4 „im Namen des Vorsitzenden des Ministerrates der Deutschen Demokratischen Republik für große Verdienste, hohe persönliche Einsatzbereitschaft und exakte Durchführung übertragener komplizierter Aufgaben zur Sicherung unseres sozialistischen Vaterlandes vor feindlichen Anschlägen und zur Erhaltung des Friedens mit der Verdienstmedaille der Deutschen Demokratischen Republik” ausgezeichnet”.

Außerdem erhielt er während der Zeit seiner Kontakte zum MfS von diesem zwei wertvolle Buchgeschenke.

Die Kontakte des Klägers mit dem MfS waren zu Beginn der 90er Jahre Gegenstand verschiedener Untersuchungen. Der Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes stellte in einem Recherchebericht vom 31. März 1992 zusammenfassend fest, die aufgefundenen Unterlagen ließen den Schluß zu, daß der Kläger nach den Maßstäben des MfS über einen Zeitraum von etwa 20 Jahren ein wichtiger „IM” im Bereich der Evangelischen Kirchen der DDR gewesen sei. Die Mehrheit eines Untersuchungsausschusses des Brandenburgischen Landtages kam in einem Bericht vom 29. April 1994 zu dem Ergebnis, daß der Kläger seinen Gesprächspartnern „offenbar als gleichrangiger Verhandlungspartner” begegnet sei und keine kirchenfremden oder der Kirche schadenden Interessen vertreten habe; insbesondere sei nicht erwiesen, daß er sich schriftlich oder in anderer Form zu einer Mitarbeit beim MfS verpflichtet oder von seiner Registrierung als „IM” unter dem Decknamen „Sekretär” gewußt habe. Ein Vorprüfungsausschuß der Evangelischen Kirche in Deutschland empfahl durch Beschluß vom 20. März 1995, von disziplinarischen Maßnahmen gegen den Kläger abzusehen. Der Kläger habe zwar von 1969 bis 1989 zu Angehörigen des MfS Kontakte unterhalten, die angesichts ihrer Art und ihres Umfanges mit seinen Pflichten und Aufgaben als Kirchenbeamter nicht im Einklang gestanden hätten. Auch habe er die jeweiligen Vorsitzenden der Konferenz der Kirchenleitung und den Bischof der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg über diese Kontakte nicht unterrichtet. Andererseits sei das Gesamtwirken des Klägers für die evangelische Kirche zu berücksichtigen. Er sei ein Mann der Kirche geblieben und habe nicht die Seiten gewechselt. Von allen Gesprächspartnern auf staatlicher Ebene, auch von Angehörigen des MfS, sei er als Vertreter der Kirche angesehen worden. Diesem Votum hat sich die Kirchenleitung in ihrem Beschluß vom 31. März 1995 angeschlossen.

Im Vorfeld der Volksabstimmung über die Vereinigung der Bundesländer Berlin und Brandenburg brachte das am 2. April 1996 vom Zweiten Deutschen Fernsehen ausgestrahlte Magazin „Frontal” einen Beitrag über den Diskussionsstand, in dem auch der Beklagte – Rechtsanwalt und Notar sowie stellvertretender Fraktionsvorsitzender der CDU im Abgeordnetenhaus von Berlin – zu Wort kam. Nach einer Stellungnahme des Klägers folgte im Anschluß an den Hinweis des Moderators, daß der Beklagte für eine Vereinigung im Jahr 2002 eintrete, folgende Äußerung des Beklagten, die dieser in seiner Rechtsanwaltsund Notarkanzlei abgegeben hatte:

„Die Tatsache, daß Herr Stolpe, wie wir alle wissen, IM-Sekretär, über 20 Jahre im Dienste des Staatssicherheitsdienstes tätig, daß der die Chance erhält, 1999 hier in Berlin, auch über Berlin Ministerpräsident zu werden, d.h., daß ich sein Landeskind werde, zusammen mit anderen, das verursacht mir doch erhebliche Kopfschmerzen.”

Dieser Erklärung lagen keine eigenen Recherchen des Beklagten über die Kontakte des Klägers mit dem MfS zugrunde; dem Beklagten war lediglich die Berichterstattung in den Medien über diese Kontakte bekannt.

Nachdem der Beklagte einer Aufforderung des Klägers, diese Äußerung zu unterlassen und eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abzugeben, nicht nachgekommen war, hat der Kläger die vorliegende Klage erhoben, mit der er die Verurteilung des Beklagten zur Unterlassung der Äußerung erstrebt, er – der Kläger – sei „IM-Sekretär, über 20 Jahre im Dienste des Staatssicherheitsdienstes tätig” gewesen. Der Kläger erblickt in dieser Äußerung den Vorwurf, konspirativ das eigene Volk durch eine Mitarbeit im Staatssicherheitsdienst hintergangen zu haben, und zwar im Rahmen dienstlicher Mitarbeit, also wissentlich, willentlich und gegen Bezahlung. Mit dieser Behauptung unterstelle ihm der Beklagte eine Parteinahme für die Ziele des MfS, eine freiwillige Zuarbeit, einen Wechsel der Loyalität von der Kirche zum MfS. Demgegenüber sei er niemals als IM im Dienste des MfS tätig gewesen, habe weder die Seiten gewechselt noch vom MfS irgendwelche Zahlungen erhalten. Alle Geschenke, die er vom MfS erhalten habe, habe er für seinen Dienstherrn – die Kirche – in Empfang genommen und in deren Verfügungsbereich überführt. Die vorgelegten Treffberichte seien vom MfS erstellt und suggerierten eine Abhängigkeit, die nicht bestanden habe.

Der Beklagte hat geltend gemacht, die MfS-Mitarbeit des Klägers sei seit Jahren gerichtlich festgestellt und durch die durchgeführten Untersuchungen bewiesen. Der Kläger sei aktiv in Pläne und Absichten des MfS einbezogen gewesen und für seine Dienste durch Geldzahlungen, zumindest durch wertvolle Geschenke entlohnt worden; die Bedeutung seiner Dienste für das MfS sei aus der Begründung zur Verleihung der Verdienstmedaille zu ersehen. Die beanstandete Erklärung sei als Tatsachenbehauptung wahr, jedenfalls als Schlußfolgerung aus den Berichten in den Medien, behördlichen Stellungnahmen, den bekannt gewordenen Stasi-Unterlagen und aus den Entscheidungsgründen von Urteilen von der Meinungsäußerungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG gedeckt. Im übrigen sei seine Äußerung zumindest durch die Wahrnehmung berechtigter Interessen in der damaligen Fusionsdebatte, in der insbesondere die Biographie des Klägers für Berlin eine nicht unwesentliche Rolle gespielt habe, gerechtfertigt.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Oberlandesgericht hat ihr stattgegeben. Mit der (zugelassenen) Revision verfolgt der Beklagte sein Klageabweisungsbegehren weiter.

 

Entscheidungsgründe

I.

Nach Auffassung des Berufungsgerichts ist der Unterlassungsanspruch des Klägers aus §§ 1004 Abs. 1, 823 Abs. 1 und 2 BGB i.V.m. §§ 186, 187 a StGB begründet. Der beanstandete Satzteil, der isoliert betrachtet werden könne, erweise sich im Ergebnis als Tatsachenbehauptung. Die Äußerung bedeute nach dem allgemeinen Sprachgebrauch, daß der Kläger aufgrund einer ausdrücklich oder konkludent abgegebenen Verpflichtungserklärung im Auftrag des Staatssicherheitsdienstes Informationen über Dritte gesammelt oder beschafft und an diesen Dienst als seinen „Dienstherrn” zu dessen Nutzen weitergegeben habe. An der Einstufung der Äußerung als Tatsachenbehauptung ändere sich auch dann nichts, wenn in die rechtliche Würdigung die vom Klageantrag nicht erfaßten Teile miteinbezogen würden; auch die Gesamtaussage lasse sich nicht als eine vom Schutz des Art. 5 Abs. 1 GG umfaßte Meinungsäußerung qualifizieren. Vielmehr behalte der beanstandete Satzteil, der grammatikalisch und insbesondere stimmlich von der übrigen Aussage abgesetzt sei, trotz seiner Verbindung mit der Bewertung einer möglichen Länderfusion durch den Beklagten seine Eigenständigkeit; er bleibe eine eigenständige Aussage, die aus sich heraus verständlich sei und gerade dadurch der Meinungsäußerung besonderes Gewicht verleihen solle. Die Tatsachenbehauptung des Beklagten sei geeignet, den Kläger verächtlich zu machen, ihn in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen und damit in seiner politischen Stellung anzugreifen. Es sei deshalb nach der über § 823 Abs. 2 BGB in das Zivilrecht transformierten Beweisregel des § 186 StGB Sache des Beklagten gewesen, die Wahrheit seiner Behauptung zu beweisen. Dieser Beweis sei ihm nicht gelungen. Daß der Kläger bei dem MfS als „IM-Sekretär” registriert gewesen sei, erlaube noch nicht den Schluß, daß er sich selbst zur Mitarbeit als „IM” bereit erklärt habe; eine schriftliche Verpflichtungserklärung sei nicht bekannt. Qualität und Umfang einer Zusammenarbeit des Klägers mit dem MfS ließen sich auf der Grundlage der erhobenen Beweise nicht hinreichend zuverlässig bestimmen. Die unstreitigen Kontakte des Klägers zu Mitarbeitern des MfS und seine Treffen mit diesen in konspirativen Wohnungen seien auch bei einer Tätigkeit ausschließlich auf Seiten der Kirche denkbar. Ebenso sei die Entgegennahme der Verdienstmedaille kein zwingendes Indiz für die Annahme, daß der Kläger im Dienst des Staatssicherheitsdienstes gestanden habe; es sei nicht nachgewiesen, daß der Kläger gewußt habe, daß er auf Veranlassung des Ministers für Staatssicherheit geehrt worden sei. Im übrigen habe die Lage der Kirchen, die in der DDR keine geklärte und gesicherte Rechtsstellung gehabt hätten, eine Fülle von Verhandlungen notwendig gemacht; mündlichen Zusagen oder Absprachen habe durch ständige Wiederholung Wirksamkeit verliehen werden müssen. Die ständigen Gesprächskontakte mit Vertretern des MfS zum Zwecke der Beeinflussung staatlicher Entscheidungen seien indes zweischneidig gewesen. Zwar belaste es den Kläger, daß er seine Kontakte geheimgehalten und die Verleihung der Verdienstmedaille der Kirchenleitung verschwiegen habe. Damit sei jedoch nicht bewiesen, daß er für das MfS tätig gewesen sei. Die Vertreter des MfS hätten dem Kläger keine Aufträge im Sinne klar formulierter, abrechenbarer Aufgaben erteilt, wohl aber die staatliche Erwartungshaltung vermittelt. Es lasse sich letztlich nicht beurteilen, in welchem Umfang der Kläger dem MfS habe entgegenkommen müssen, um im Einzelfall humanitäre Ziele zu erreichen oder Interessen der Kirche zu vertreten. Zahlungen an den Kläger seien nicht nachgewiesen. Die zwei wertvollen Bücher, die der Kläger im Verlauf von 20 Jahren erhalten habe, ließen nicht zwingend auf eine Bezahlung schließen, obwohl auffällig bleibe, daß der Kläger die Buchgeschenke erst 1989 dem Fundus der Kirche überstellt habe. Angesichts der Ambivalenz der Indizien und unter Berücksichtigung der besonderen Lebenssituation in einem diktatorischen Staat lasse sich nicht mit hinreichender Gewißheit erkennen, ob der Kläger in dem Bemühen, humanitäre Hilfe zu leisten und Handlungsspielräume der Kirche zu erweitern, in seinen Kontakten zum MfS „zu weit gegangen”, gleichwohl aber ein „Mann der Kirche” geblieben sei oder die Seiten gewechselt und für das MfS zielgerichtet die Kirche ausspioniert habe, um Handlungsspielräume der Staatsführung der DDR in die Kirche hinein zu ermöglichen oder zu erweitern. Nur im letzten Fall wäre die beanstandete Äußerung aber zulässig. Dieses Non-liquet gehe zu Lasten des beweispflichtigen Beklagten.

Der Beklagte habe seine Äußerung nicht zur Wahrnehmung berechtigter Interessen gemäß § 193 StGB i.V.m. Art. 5 Abs. 1 GG für erforderlich halten dürfen. Er habe sie nicht auf ihren Wahrheitsgehalt hin überprüft; im übrigen hätte es zur Wahrnehmung berechtigter politischer Interessen genügt, die Berichterstattung zu den Vorwürfen mit den Indizien für und gegen den Kläger zusammenzufassen, sie in Erinnerung zu rufen oder gekennzeichnet als eigene Meinung zu bewerten. Die Gefahr, daß der Beklagte die Äußerung wiederhole, bestehe fort; er sei nicht bereit, eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abzugeben.

II.

Diese Ausführungen halten der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand. Das Berufungsgericht hat zu Unrecht dem Unterlassungsbegehren des Klägers entsprochen.

1. Zutreffend hat das Berufungsgericht im Hinblick auf Art. 5 Abs. 1 GG darauf abgehoben, ob die beanstandete Aussage des Beklagten als Tatsachenbehauptung oder als Meinungsäußerung einzuordnen ist. Meinungsäußerungen stehen grundsätzlich ohne Rücksicht auf ihre Qualität, insbesondere ihre Richtigkeit unter dem Schutz des Art. 5 Abs. 1 GG und dürfen nur in eng begrenzten Ausnahmefällen, etwa wenn sie beleidigenden oder schmähenden Charakter haben, untersagt werden. Bei Tatsachenbehauptungen stellt sich die Rechtslage anders dar. Zwar fallen sie nicht von vorneherein aus dem Schutzbereich des Grundrechts der Meinungsfreiheit heraus; da sich Meinungen in der Regel auf tatsächliche Annahmen stützen oder zu tatsächlichen Verhältnissen Stellung beziehen, sind Tatsachenbehauptungen durch Art. 5 Abs. 1 GG jedenfalls geschützt, wenn und soweit sie Voraussetzung für die Bildung von Meinungen sind (BVerfGE 61, 1, 8; 90, 241, 247; BVerfG, Beschluß vom 13. Februar 1996 – 1 BvR 262/91 – ZUM 1996, 670, 672). Sie werden aber, auch wenn sie als Grundlage für eine Wertung in einer aus Tatsachenmitteilung und Stellungnahme bestehenden Äußerung enthalten sind, von dem Schutz der Meinungsfreiheit nicht mehr umfaßt, sofern sie in dem Bewußtsein ihrer Unwahrheit aufgestellt werden oder erwiesen falsch sind (BVerfGE 90, 241).

a) Wesentlich für die Einstufung als Tatsachenbehauptung ist es, ob die Aussage einer Überprüfung auf ihre Richtigkeit mit den Mitteln des Beweises zugänglich ist (vgl. BVerfGE 94, 1, 8; BGHZ 132, 13, 21 m.w.N.), was bei Meinungsäußerungen ausscheidet, weil sie durch die subjektive Beziehung des sich Äußernden zum Inhalt seiner Aussage geprägt sowie durch das Element der Stellungnahme und des Dafürhaltens gekennzeichnet werden und sich deshalb nicht als wahr oder unwahr erweisen lassen (vgl. BVerfGE 90, 241, 247 m.w.N.). Dagegen ist es für die Qualifizierung einer Äußerung als Tatsachenbehauptung oder Meinungskundgabe entgegen der Auffassung der Revision unerheblich, ob die Äußerung im politischen Meinungskampf gefallen ist. Der in einem solchen Fall in Betracht zu ziehende Grundsatz, daß im geistigen Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage die Vermutung für die Zulässigkeit der freien Rede spricht, betrifft auch in den Fällen lediglich die Reichweite des Schutzes der Meinungsfreiheit, in denen es bei zur Meinungsbildung bestimmten und geeigneten und deshalb grundsätzlich vom Schutz des Art. 5 Abs. 1 GG umfaßten Tatsachenbehauptungen zu einer Kollision zwischen Meinungsfreiheit und anderen Rechtsgütern, insbesondere der persönlichen Ehre kommt (vgl. BVerfGE 43, 130, 137).

Unabdingbare Voraussetzung für eine – diesen Grundsätzen gerecht werdende – zutreffende Einordnung einer Äußerung ist die Ermittlung des Aussagegehalts. Dabei darf nicht isoliert auf die durch den Klageantrag herausgehobene Textpassage abgestellt werden; vielmehr ist diese im Zusammenhang mit dem gesamten Aussagetext zu deuten (vgl. Senatsurteil vom 25. März 1997 – VI ZR 102/96 – VersR 1997, 842, 843 m.w.N.). Da es insoweit auf die Erfassung des objektiven Sinns der Äußerung ankommt, ist entscheidend weder die subjektive Absicht des Äußernden noch das subjektive Verständnis des von der Äußerung Betroffenen, sondern das Verständnis, das ihr – unter Berücksichtigung des allgemeinen Sprachgebrauchs – ein unvoreingenommenes Durchschnittspublikum zumißt.

b) Auf der Grundlage einer hiernach vorzunehmenden Prüfung ist dem Berufungsgericht darin beizupflichten, daß die beanstandete Passage der Äußerung des Beklagten, der Kläger sei „IM-Sekretär, über 20 Jahre im Dienste des Staatssicherheitsdienstes tätig” gewesen, auch unter Einbeziehung der im übrigen wertenden Teile der Gesamtaussage (dazu unten 3 b aa) einen Tatsachengehalt aufweist, der mit den Mitteln des Beweises auf seine inhaltliche Richtigkeit überprüft werden kann. Sie stellt, wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, nicht lediglich ein substanzarmes tatsächliches Element dar, das als solches hinter der subjektiven Wertung des Beklagten gänzlich zurücktreten müßte (vgl. dazu BGHZ 45, 296, 304; BVerfGE 61, 1, 9).

Das Berufungsgericht hat den Aussagegehalt allerdings fälschlicherweise nur in einem ganz bestimmten Sinn gedeutet, ohne andere Verständnismöglichkeiten auch nur zu erörtern. Seine Auffassung, die beanstandete Äußerung des Beklagten enthalte den Vorwurf, der Kläger habe aufgrund einer ausdrücklichen oder konkludenten Verpflichtungserklärung im Auftrag des Staatssicherheitsdienstes Informationen über Dritte gesammelt oder beschafft und an den „Dienstherrn” zu dessen Nutzen weitergegeben, ist zwar vertretbar. Dies ist aber nicht die einzig mögliche Deutung. Der Hinweis auf eine Tätigkeit „im Dienste” des Staatssicherheitsdienstes schließt nicht zwingend die Behauptung ein, der Kläger habe eine solche Tätigkeit auf der Grundlage einer Verpflichtungserklärung für den Staatssicherheitsdienst als seinen Dienstherrn ausgeübt. Vielmehr kann der fragliche Textabschnitt zwanglos auch dahin verstanden werden, der vom Staatssicherheitsdienst aktenmäßig als „IM-Sekretär” geführte Kläger habe diesem – ohne hierzu aufgrund einer Verpflichtungserklärung angehalten gewesen zu sein – Dienste geleistet, indem er im Rahmen seiner – unstreitig intensiven – Kontakte zum Staatssicherheitsdienst diesem entsprechend dessen Erwartungen, aus welchen Motiven auch immer, bewußt und gewollt Informationen über Dritte oder bestimmte Vorgänge geliefert habe; hierbei habe er in Kenntnis dessen, daß diese Informationen dem Staatssicherheitsdienst dienlich, d.h. nützlich gewesen seien, der Sache nach wie ein Beauftragter gehandelt. Jedenfalls läßt sich ein solches Verständnis nicht ausschließen. Weder der allgemeine Sprachgebrauch noch der Empfängerhorizont des angesprochenen (Fernseh-) Publikums steht ihm entgegen.

Sind indessen mehrere sich nicht gegenseitig ausschließende Deutungen des Inhalts einer Äußerung möglich, so ist der rechtlichen Beurteilung diejenige zugrunde zu legen, die dem auf Unterlassung in Anspruch Genommenen günstiger ist und den Betroffenen weniger beeinträchtigt. Das ist hier die dargelegte zweite Alternative.

Auch bei einem derartigen Verständnis der beanstandeten Textpassage handelt es sich jedoch um eine Behauptung tatsächlichen Inhalts. In ihr werden Geschehnisse und Zustände mitgeteilt, die einem Beweis – sei es auch, insbesondere hinsichtlich der inneren Tatsachen, nur in Form eines Indizienbeweises – zugänglich sind.

2. Daß auch diese Behauptung in erheblichem Maße geeignet ist, den Kläger in seiner Ehre und seinem Persönlichkeitsrecht zu verletzen, liegt auf der Hand. Gerade als Ministerpräsident eines demokratisch verfaßten Bundeslandes wird der Kläger in seinem sozialen und politischen Geltungsanspruch schwer getroffen, wenn ihm vorgehalten wird, als Konsistorialpräsident der evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg einer Institution wie dem Staatssicherheitsdienst gleichsam als Beauftragter dienlich gewesen zu sein. Das impliziert den Vorwurf, der Kläger verdiene auch als Landesvater kein Vertrauen.

Die inkriminierte Behauptung des Beklagten in ihrem dargestellten Sinn ist nicht erweislich wahr. Das Berufungsgericht ist unter Berücksichtigung des von ihm ermittelten Aussagegehalts rechtsfehlerfrei zu dem Ergebnis gelangt, die Wahrheit oder Unwahrheit der Äußerung sei nicht feststellbar, weil die auf ihren Beweiswert überprüften Indizien wegen ihrer Ambivalenz einen gesicherten Schluß weder in die eine noch in die andere Richtung zuließen. Gegenüber dieser Beweiswürdigung hat die Revision keine relevanten Verfahrensrügen vorgebracht. Die Erwägungen des Berufungsgerichts gelten gleichermaßen, wenn die Behauptung des Beklagten in dem hier zugrunde zu legenden Sinn verstanden wird. Insoweit könnte der Beweis der Wahrheit oder Unwahrheit ebenfalls allein mit den vom Berufungsgericht eingehend gewürdigten Indiztatsachen geführt werden, die aber auch hier zu keinem eindeutigen Ergebnis führen.

3. Die Nichterweislichkeit der Wahrheit der in Rede stehenden Behauptung wirkt sich indessen nicht zu Lasten des Beklagten aus.

a) Allerdings wäre es – wovon auch das Berufungsgericht im Ansatz zutreffend ausgegangen ist – nach der über § 823 Abs. 2 BGB in das Zivilrecht transformierten Beweisregel des § 186 StGB Sache des Beklagten gewesen, die Wahrheit seiner Behauptung nachzuweisen, was ihm nicht gelungen ist. Jedoch darf eine nicht erweislich wahre ehrenrührige Behauptung dann, wenn – wie hier – auch ihre Unwahrheit nicht bewiesen ist, zumindest in Fällen, in denen es um eine die Öffentlichkeit wesentlich berührende Angelegenheit geht, auf der Grundlage der dann nach Art. 5 Abs. 1 GG und § 193 StGB vorzunehmenden Güterabwägung demjenigen, der sie aufgestellt hat, solange nicht untersagt werden, als er sie zur Wahrnehmung berechtigter Interessen für erforderlich halten darf (vgl. BGHZ 132, 13, 23).

b) Eine solche Fallgestaltung liegt hier vor.

aa) Die Stellungnahme des Beklagten in der Fernsehsendung vom 2. April 1996 betraf eine die Öffentlichkeit wesentlich berührende Frage, nämlich die Vereinigung der Bundesländer Berlin und Brandenburg und die persönliche Eignung des Klägers als möglichen Ministerpräsidenten dieses vereinten Landes. Sie wurde auch – was das Berufungsgericht aufgrund einer unzulässigen isolierten Betrachtung der beanstandeten Textteile verkannt hat – in ihrer Gesamtheit einschließlich der als Tatsachenbehauptung zu qualifizierenden Passage vom Schutz der Meinungsäußerungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG erfaßt. Dieses Grundrecht schützt – wie bereits ausgeführt – auch Tatsachenbehauptungen, wenn und soweit sie Voraussetzung für die Bildung von Meinungen sind, die Art. 5 Abs. 1 GG umfassend gewährleistet. So verhält es sich auch hinsichtlich der beanstandeten Textpassage in der Gesamtäußerung des Beklagten. Zwischen dieser Passage und dem nachfolgenden Satzteil besteht ein funktionaler Zusammenhang. Der Textteil, den der Kläger mit seiner Unterlassungsklage angreift, schafft die tatsächliche Grundlage für die sich anschließende Aussage des Beklagten, die dahin zu verstehen ist, daß der Kläger wegen seines Verhaltens zu DDR-Zeiten als Regierungschef eines vereinigten Bundeslandes Berlin-Brandenburg ungeeignet sei. Dieser nach seiner offenkundigen Zielrichtung wesentliche Teil der Aussage des Beklagten stellt eine wertende Stellungnahme und damit eine Meinungsäußerung dar.

bb) Die sonach erforderliche Güterabwägung, bei der sowohl dem Grundrecht des Äußernden aus Art. 5 Abs. 1 GG als auch der verfassungsrechtlich geschützten Position des von der Äußerung Betroffenen aus Art. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG das gebotene Gewicht beizumessen ist, ergibt, daß das Interesse des Beklagten an der Äußerung überwiegt.

(1) Zwar kann die Meinungsäußerungsfreiheit regelmäßig dann keinen Vorrang vor den damit kollidierenden Rechtsgütern Dritter beanspruchen, wenn der sich Äußernde vor Aufstellung der in die Meinungsäußerung eingebetteten Tatsachenbehauptung keine hinreichenden Recherchen über deren Wahrheitsgehalt angestellt hat. Die an diese Recherchepflicht, deren Erfüllung zur Darlegungslast des Beklagten gestanden hätte (vgl. BVerfGE 85, 1, 21; Grimm, NJW 1995, 1697, 1702), zu knüpfenden Anforderungen dürfen aber, gerade wenn es sich – wie hier – um Tatsachen handelt, die nicht aus dem Erfahrungsbereich des Äußernden stammen, nicht überspannt, insbesondere nicht so bemessen werden, daß die Funktion der Meinungsäußerungsfreiheit beeinträchtigt würde (BVerfG 85, 1, 21). Zu einer solchen Beeinträchtigung führte es aber, wollte man dem Beklagten wegen Nichterfüllung der Recherchepflicht die Berufung auf die Wahrnehmung berechtigter Interessen und damit die fehlende Rechtswidrigkeit seiner Äußerung versagen. Was an Recherche erforderlich ist, bestimmt sich nach der jeweiligen Möglichkeit. Hier waren durch die Ermittlungen des Untersuchungsausschusses des Brandenburgischen Landtages, den Recherchebericht des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes und die Arbeit des Vorprüfungsausschusses der Evangelischen Kirche in Deutschland bereits alle verfügbaren Erkenntnisquellen für die Beurteilung der Grundlage, der Art und des Umfangs einer Zusammenarbeit des Klägers mit dem Staatssicherheitsdienst erschöpft. Dem Beklagten, dem die Ergebnisse dieser Untersuchungen bekannt waren, standen keine weiteren Möglichkeiten offen, substantiell Neues über die Rolle zu erkunden, die der Kläger in seinen Kontakten mit dem Staatssicherheitsdienst gespielt hat.

(2) Die Meinungsäußerungsfreiheit hat im konkreten Fall auch nicht aus anderen Gründen hinter das Persönlichkeitsrecht des Klägers zurückzutreten. Zwar hat die betroffene Grundrechtsposition des Klägers einen hohen Stellenwert. Die beanstandete, nicht erweislich wahre Behauptung des Beklagten trifft die Ehre des Klägers schwer. Auf der anderen Seite ist aber zu beachten, daß sie nicht etwa im privaten Bereich in Verfolgung eigennütziger Ziele, sondern im politischen Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage gefallen ist und deshalb – da sie nicht erwiesen oder evident unwahr ist – zugunsten des Beklagten die Vermutung für die Zulässigkeit der freien Rede spricht (vgl. BVerfGE 61, 1, 11; 85, 1, 16). Sie ist zudem in einer Fernsehsendung erfolgt, die plakative Aussagen nahelegt und Spontanität der Rede erfordert. Es kommt hinzu, daß sich der Kläger selbst engagiert an der politischen Auseinandersetzung beteiligt und damit aus eigenem Entschluß – unter Preisgabe eines Teils seiner schützenswerten Privatsphäre – ins Rampenlicht einer öffentlichen Diskussion gestellt hat, für die von vorneherein die Thematisierung der Rolle nicht fernlag, die der Kläger mit seinen langjährigen Kontakten zum Staatssicherheitsdienst gespielt hat. Insoweit unterscheidet sich der vorliegende Sachverhalt wesentlich von dem, der dem Stasilisten-Urteil des erkennenden Senats vom 12. Juli 1994 (VI ZR 1/94 – VersR 1994, 1116) zugrunde lag. Schließlich ist zu berücksichtigen, daß der Beklagte seine Behauptung nicht etwa ohne jeden Anhaltspunkt aufgestellt hat. Immerhin sprechen gegen den Kläger nach den unangegriffen gebliebenen Feststellungen des Berufungsgerichts zahlreiche allgemein bekannte Indizien, wie z.B. die langjährigen Kontakte des Klägers zu Mitarbeitern des Staatssicherheitsdienstes, seine Treffen mit ihnen in konspirativen Wohnungen, die Entgegennahme der Verdienstmedaille der DDR und die Tatsache, daß er unter Mißachtung seiner Amtspflichten die genannten Kontakte und die Ordensverleihung vor der Kirchenleitung geheimgehalten sowie zwei wertvolle Buchgeschenke vom Staatssicherheitsdienst entgegengenommen hat.

4. Angesichts der umfassenden Aufklärung des Sachverhalts konnte der Senat selbst abschließend entscheiden. Daran vermochte der in der mündlichen Verhandlung überreichte Beweisantrag des Klägers zu der Behauptung nichts zu ändern, der ehemalige Bundeskanzler Helmut Schmidt habe während seiner Amtszeit höchstpersönlich den Kläger darum gebeten, mit dem Staatssicherheitsdienst der damaligen DDR Kontakt aufzunehmen. Abgesehen davon, daß damit die Unwahrheit der konkreten Behauptung des Beklagten nicht zu beweisen wäre, ist ein solcher, nicht die Zulässigkeit des Rechtsmittels betreffender, Beweisantrag in der Revisionsinstanz unzulässig. Soweit der Kläger im Rahmen des Beweisantrages § 139 ZPO zitiert hat und damit offensichtlich einen auf dessen Verletzung gestützten Verfahrensfehler des Berufungsgerichts rügen wollte, ist diese Rüge nicht ausgeführt. Außerdem hatte das Berufungsgericht von seinem Standpunkt aus keine Veranlassung, auf ergänzenden Vortrag oder Beweisanträge des Klägers hinzuwirken.

 

Unterschriften

Groß, Dr. Lepa, Bischoff, Dr. v. Gerlach, Dr. Greiner

 

Fundstellen

Haufe-Index 1720584

BGHZ

BGHZ, 95

NJW 1998, 3047

GRUR 1999, 187

JR 1999, 242

Nachschlagewerk BGH

WM 1998, 2164

ZAP 1998, 843

AfP 1998, 506

MDR 1998, 1226

NJ 1998, 593

VersR 1998, 1250

WRP 1998, 969

ZUM 1998, 834

K&R 1998, 441

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