Verfahrensgang

OLG Celle (Urteil vom 11.12.1970)

 

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 4. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Celle vom 11. Dezember 1970 aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen, dem auch die Entscheidung über die Kosten der Revision übertragen wird.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Die Eltern des Beklagten waren Miteigentümer eines Moorhofes in H.. Auf dem Hof lebte auch der unverheiratete Beklagte, der vor dem Erwerb des Hofes durch seine Eltern das Bäckerhandwerk erlernt hatte.

Der Hof wurde zwangsversteigert und der Klägerin, einer dinglichen und persönlichen Gläubigerin, zugeschlagen.

In dem Teilungsplan wurden dem Beklagten 5.934 DM als rückständiger Lohn für Arbeiten auf dem Hof im letzten Jahr vor der Beschlagnahme (27. April 1968) zugeteilt.

Hiergegen hat die Klägerin Widerspruch erhoben.

Sie hat u.a. vorgetragen: Dem Beklagten stehe keine Lohnforderung gegen seine Eltern zu, sondern allenfalls ein Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung, für den aber das Vorrecht des § 10 Abs. 1 Nr. 2 ZVG nicht gelte. Außerdem sei der Beklagte im letzten Jahr vor der Beschlagnahme des Grundstücks durch verschiedene Nebentätigkeiten an der Arbeit auf dem Hof gehindert gewesen. Ab 1. Juli 1967 habe er dort überhaupt nicht mehr gearbeitet.

Die Klägerin hat deshalb beantragt, ihren Widerspruch gegen den Teilungsplan für begründet zu erklären.

Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt.

Er hat erwidert: Er habe insbesondere von Januar 1965 bis April 1968 ganztägig unter vollem Einsatz seiner Arbeitskraft auf dem elterlichen Hof gearbeitet, weil beide Eltern ihm die feste Zusage gemacht hätten, ihn später eine Vergütung in Form der Einsetzung als Hof erbe zukommen zu lassen. Da dies jedoch nicht mehr möglich sei, stehe ihm nunmehr die übliche Vergütung zu. Doch selbst wenn ihm nur Bereicherungsansprüche zustehen sollten, sei auch darauf das Vorrecht des § 10 Abs. 1 Nr. 2 ZVG anzuwenden.

Die Klage hatte in den Vorinstanzen Erfolg.

Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte seinen Klageabweisungsantrag weiter. Die Klägerin beantragt Zurückweisung des Rechtsmittels.

 

Entscheidungsgründe

1. Nach § 10 Abs. 1 Nr. 2 ZVG sind bei einem landwirtschaftlichen Grundstück die Ansprüche der zur Bewirtschaftung des Grundstücks angenommenen, in einem Dienst- oder Arbeitsverhältnis stehenden Personen auf Lohn, Kostgeld und andere Bezüge wegen der laufenden und der aus dem letzten Jahr vor der Beschlagnahme rückständigen Beträge bevorrechtigt. Gegenstand des Rechtsstreits ist nun die Frage, ob zu diesen Personen auch ein Kind gehört oder doch gehören kann, das dem elterlichen Hausstand angehört und von den Eltern unterhalten wird und deshalb nach § 1619 BGB (frühen 1617 BGB) verpflichtet ist, in einer seinen Kräften und seiner Lebensstellung entsprechenden Weise den Eltern in ihrem Hauswesen und Geschäfte Dienste zu leisten.

2. Bei dieser Abgrenzung ist davon auszugehen, daß die auf familienrechtlichen Beziehungen beruhende Dienstpflicht des Hauskindes zu der Unterhaltsgewährung nicht im Verhältnis von Leistung und Gegenleistung im Sinne der §§ 320 ff BGB steht. Die Unterhaltsleistung ist nicht die geschuldete Vergütung für die geleisteten Dienste, ebensowenig wie diese Dienste die geschuldete Gegenleistung für den gewährten Unterhalt sind (LM § 1617 BGB Nr. 1 a). Vielmehr ist die Unterhaltsgewährung – auch wenn im Einzelfall irgendeine Verpflichtung hierzu nicht besteht – die Voraussetzung für den Anspruch der Eltern auf diese Dienste. Das auf diese Weise für die Eltern tätige Kind hat somit keinen dienstvertraglichen Anspruch auf Vergütung für seine Arbeit. Seine Arbeit ist ganz allein Ausfluß des bestehenden familienrechtlichen Bandes (RAG JW 1934, 1062). Soweit kein über § 1619 BGB hinausgehender Sachverhalt vorliegt, gehört deshalb das nach dieser Vorschrift zu Dienstleistungen verpflichtete Hauskind nicht zu den nach § 10 Abs. 1 Nr. 2 ZVG bevorrechtigten Personen.

3. Die Vorschrift des § 1619 BGB ist jedoch jedenfalls insoweit nicht zwingendes Recht, als es den Eltern einerseits und dem Kind andererseits freisteht, einen Dienstleistungsvertrag abzuschließen, durch den die gesetzliche Dienstpflicht durch eine vertragliche ersetzt wird (BGB RGRK 10./11. Aufl. § 1617 Anm. 14). Eine solche vertragliche Vereinbarung braucht nicht notwendig ausdrücklich, sondern kann auch stillschweigend getroffen werden (BGH NJW 1965, 1224 = FamRZ 1965, 317; RGZ 162, 116, 120; RAG JW 1934, 1598; Palandt BGB 32. Aufl. § 1619 Anm. 4). Ob eine stillschweigende Vereinbarung in diesem Sinne zu bejahen ist, ist nach den Umständen des Einzelfalls zu entscheiden (Palandt a.a.O.; vgl. auch Edel, Mitteilungen des Bayerischen Notarvereins 1932, 383) und bedarf der Feststellung von Tatsachen, in denen eine stillschweigende Einigung gefunden werden kann (RGZ a.a.O.).

4. Das Berufungsgericht geht davon aus, daß der Beklagte auch als Volljähriger nach § 1617 BGB (jetzt: § 1619 BGB) verpflichtet war, auf dem Hof seiner Eltern Dienste zu leisten. Es sei allerdings, so führt das Berufungsgericht weiter aus, möglich gewesen, ein schuldrechtliches Dienst- oder Arbeitsverhältnis zwischen ihm und seinen Eltern zu begründen. Wie in der Rechtsprechung anerkannt sei, geschehe dies jedoch in der Regel nicht, wenn ein volljähriger Haussohn im elterlichen Betrieb arbeite, zumindest in der Landwirtschaft (Hinweis auf BGH FamRZ 1958, 173 = LM § 1617 BGB Nr. 1); besondere Umstände, die hier eine von dieser Regel abweichende Beurteilung rechtfertigten, seien hier nicht gegeben. Dem Umfang der Arbeitsleistungen des Beklagten hat das Berufungsgericht dabei ebensowenig Bedeutung beigemessen, wie dem weiteren Umstand, ob und inwieweit durch den Einsatz des Beklagten ein landwirtschaftlicher Arbeiter erspart wurde; wie sich aus der Auskunft der L. H. vom 3. Juli 1970 ergebe, hätte der Hof die Kosten der ständigen Beschäftigung eines landwirtschaftlichen Arbeiters auch nicht tragen Können. Offen gelassen hat das Berufungsgericht, ob der Beklagte nur in der Erwartung seiner Einsetzung als Hoferbe auf dem Hof gearbeitet hat oder ob seine Eltern ihm fest versprechen hatten, ihn als Erben einzusetzen, und diese Zusage die Gegenleistung, die Vergütung für seine Arbeit, darstellen sollte. Das Berufungsgericht ist der Auffassung, daß auch eine Vergütungszusage der letzteren Art nicht nur im Rahmen eines Dienst- oder Arbeitsverhältnisses, sondern auch bei einer Dienstleistung lediglich auf Grund der familienrechtlichen Verpflichtung des § 1617 BGB möglich sei.

5. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

Die von dem Berufungsgericht seiner Würdigung zugrunde gelegte Regel entspricht zwar der älteren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. LM § 1617 BGB Nr. 1 und 1 a). Die bei dieser Rechtsprechung vorausgesetzten Verhältnisse haben jedoch im Verlauf insbesondere der letzten Jahrzehnte einen tiefgreifenden Wandel erfahren. Unter Hinweis auf diese Entwicklung hat der Bundesgerichtshof in seinem Urteil vom 7. Dezember 1971 – VI ZR 153/70, NJW 1972, 429, 431 zu der Auffassung geneigt, daß die Mitarbeit erwachsener Hauskinder auf rein familienrechtlicher Grundlage selten geworden sei. Ob dem in vollem Umfang zu folgen ist, kann dahingestellt bleiben. Auf jeden Fall aber kann dem Berufungsgericht nicht darin beigetreten werden, daß ein Dienst- oder Arbeitsverhältnis nur dann angenommen werden könne, wenn besondere Umstände, wie das Berufungsgericht sie ersichtlich nur ausnahmsweise für gegeben erachtet, für ein solches Verhältnis sprachen.

Durch die nicht mehr zu billigende Auffassung des Berufungsgerichts ist aber möglicherweise seine Abwägung der für oder gegen ein Dienst- oder Arbeitsverhältnis sprechenden Umstände beeinflußt. Diese Umstände bedürfen deshalb einer erneuten umfassenden Prüfung, und zwar insbesondere auch hinsichtlich der subjektiven Gegebenheiten (vgl. Urteil vom 7. Dezember 1971 a.a.O.).

Das angefochtene Urteil war daher aufzuheben und die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Bei der erneuten Verhandlung wird der Beklagte Gelegenheit haben, die für die Annahme eines Dienst- oder Arbeitsverhältnisses sprechenden Umstände vorzutragen.

6. Da nicht auszuschließen ist, daß das Berufungsgericht wiederum zu der Auffassung gelangt, zwischen dem Beklagten und seinen Eltern sei kein Dienst- oder Arbeitsverhältnis zustande gekommen, ist es angebracht, noch zu der Meinung der Revision Stellung zu nehmen, dem Beklagten stehe gegen seine Eltern jedenfalls ein Bereicherungsanspruch zu, der, da er seinem Wesen nach nichts anderes als ein Anspruch auf entgangenen Lohn sei, ebenfalls das Vorrecht des § 10 Abs. 1 Nr. 2 ZVG begründe.

Die Rüge ist unbegründet.

Einem Kind, das die Bewirtschaftung des elterlichen Anwesens in der Erwartung geführt hat, hierfür durch spätere Hofübergabe entschädigt zu werden, steht zwar, falls seine Erwartung sich nicht erfüllt, ein Anspruch auf Vergütung für die geleisteten Dienste nach den Grundsätzen der ungerechtfertigten Bereicherung (§ 812 Abs. 1 Satz 2 zweiter Halbsatz BGB) zu (LM § 1617 BGB Nr. 1 a; BGH NJW 1965, 1224; Erman BGB 5. Aufl. § 1619 Anm. 12). Da jedoch hierdurch das familienrechtliche Verhältnis als Grundlage der Dienstleistungspflicht des Haussohnes nicht in Frage gestellt wird (LM § 1617 BGB Nr. 1 a), vermag auch ein Bereicherungsanspruch der in Frage stehenden Art das Vorrecht des § 10 Abs. 1 Nr. 2 ZVG nicht zu begründen. Es ist deshalb entgegen der Meinung der Revision auch ohne Bedeutung, daß dieser Bereicherungsanspruch nach der Rechtsprechung (BGH NJV 1965, 1224) ebenso in der kurzen Frist des § 196 Abs. 1 Nr. 8 BGB verjährt, wie der Vergütungsanspruch aus einem Arbeitsverhältnis.

 

Unterschriften

Hill, Rothe, Dr. Freitag, Offterdinger, von der Mühlen

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1502180

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