Entscheidungsstichwort (Thema)

Rechtliche Bestimmung der Mitursächlichkeit eines Bearbeitungsfehler für den Bruch einer Welle

 

Normenkette

BGB § 276 Abs. 1 S. 2, § 823 Abs. 1

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 3. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 9. März 1970 aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

 

Tatbestand

Die Klägerinnen erbringen Sozialversicherungsleistungen an die Hinterbliebenen von drei Bergleuten, welche am 22. Dezember 1964 in der Zeche B. bei einem Seilfahrtunfall getötet wurden. Die Bergleute waren bei der Auffahrt von der Abteufsohle eines Blindschachts. Sie hatten zusammen mit einigem Arbeitsgerät den Förderkübel zu dritt bestiegen und die Mitfahrt von Personen dem Haspelführer nicht angezeigt. Letzteres und die Mitfahrt von mehr als zwei Personen in einem Kübel war vorschriftswidrig, doch wurde dadurch die zulässige Höchstgesamtbelastung des Kübels nicht annähernd erreicht.

Zu dem Unfall, bei dem das Seil plötzlich wieder zurücklief und der Kübel auf der Abteufsohle aufschlug, kam es durch einen Bruch der ersten Vorgelegewelle des Haspels. Der Haspel war im Jahre 1950 von der beklagten Maschinenfabrik geliefert und von ihr unter anderem im August oder Oktober 1964 einer Instandsetzung unterzogen worden, bei der auch die später zu Bruch gegangene Welle erneuert wurde. An der Stelle des späteren Bruches befand sich ein konstruktionsbedingter Übergang von einem Querschnitt von 85 mm auf einen solchen von 80 mm. Dieser Übergang war beim Drehen der Welle im Betrieb der Beklagten nicht glatt ausgerundet, sondern scharfkantig belassen worden.

Die Klägerinnen machen im Umfang eines Teils der von ihnen erbrachten Versicherungsleistungen angeblich gem. § 1542 RVO auf sie übergegangene Schadensersatzansprüche der Hinterbliebenen gegen die Beklagte geltend. Sie führen den Unfall auf einen durch die Kerbwirkung des unausgerundeten Übergangs entstandenen Dauerbruch zurück, wobei die Bruchanfälligkeit noch durch eine nicht einwandfreie Wärmebehandlung des verwendeten Landgericht und Oberlandesgericht haben der - im zweiten Rechtszug im Wege einer Anschlußberufung erhöhten - Klage stattgegeben. Die Revision erstrebt ihre Abweisung.

 

Entscheidungsgründe

I.

Daß etwaige Ersatzansprüche der Hinterbliebenen gegen die Beklagte mindestens teilweise nach § 1542 RVO auf die Klägerinnen übergegangen wären, wird von der Beklagten nicht in Frage gezogen. Das Berufungsgericht hat die Entstehung solcher Ersatzansprüche aus unerlaubter Handlung gem. §§ 831, 844 BGB bejaht.

1.

Sachverständig beraten stellt das Berufungsgericht fest: Der Bearbeitungs- und Vergütungszustand der gebrochenen Welle sei nicht optimal gewesen. Das Belassen des scharfkantigen Übergangs an der schwingungsbeanspruchten Welle habe einen Verstoß gegen die technischen Regeln dargestellt. Dieser fehlerhafte Zustand habe bei der Beanspruchung der Welle zu der Entstehung einer Kerbe geführt. Deshalb hätten gerade an dieser Stelle die Anrisse auftreten müssen, die zu einem Dauerbruch und dann unmittelbar vor oder während der Seilfahrt zum Durchbrechen der Welle geführt hätten.

Das Berufungsgericht erwägt: Dadurch, daß zu dem Bearbeitungsfehler der Welle noch deren Überbeanspruchung hinzugekommen sein müsse, entfalle nicht die Ursächlichkeit des Bearbeitungsmangels für den Unfall. Mit einer Überschreitung der normalen Betriebsbeanspruchung eines Förderhaspels müsse im Bergbau gerechnet werden. Auch würde jedenfalls eine sachgemäß bearbeitete Welle eine wesentlich höhere Überbeanspruchung ertragen haben. Dafür, daß die Überbeanspruchung der Welle so groß gewesen wäre, daß auch eine fehlerfreie Welle gerade während der Unglücksfahrt gebrochen wäre, sei nichts ersichtlich.

2.

Diese Ausführungen halten dem Angriff der Revision nicht stand.

a)

Der gerichtliche Sachverständige Dr. Kötzschke ist ständig (zuletzt Bl. 243 d. A.) dabei verblieben, daß er auch eine Mitursächlichkeit der Bearbeitungsfehler für den Bruch der Welle für eher unwahrscheinlich (unter 50 %) halte. Die Revision rügt zu Recht, daß das Berufungsgericht über diese Bekundung nicht ohne ausreichende Begründung und ohne Ausweis eigener besserer Sachkunde hinweggehen konnte. Es ist auch nicht ersichtlich, daß der Sachverständige hier von einem im Rechtssinne verfehlten Ursächlichkeitsbegriff ausgegangen wäre. Eine rechtlich zurechenbare Verursachung des Bruchs durch den unausgerundeten Übergang ergibt sich noch nicht allein aus dem Umstand, daß infolge der Kerbwirkung der Bruch, den der Sachverständige auf Überlastung zurückführt, gerade an dieser als der schwächsten Stelle auftreten mußte.

Die Zurechenbarkeit läßt sich bei dem bisher festgestellten Sachverhalt auch nicht daraus herleiten, daß ohne die Kerbwirkung der Bruch vielleicht noch nicht in diesem Zeitpunkt eingetreten wäre. Dies ließe sich vielleicht vertreten, wenn feststünde, daß die Kerbe den Bruch jedenfalls wesentlich beschleunigt hat. Eine solche Feststellung konnte das Berufungsgericht aber aufgrund des bisherigen Beweisergebnisses nicht treffen. Dies gilt umso mehr, als sich nach Meinung des Sachverständigen zunächst im Bereich der Kerbe der Ansatz zu einem Dauerbruch gebildet hatte, der, langsam fortschreitend, die Belastbarkeit der Welle im Unfallzeitpunkt schon weitgehend aufgehoben hatte. Die bisherigen Feststellungen des Berufungsgerichts lassen nicht erkennen, daß ohne die Kerbe die von dem Sachverständigen angenommene Überlastung nicht an irgend einer anderen Stelle der Welle zum Ansatz eines Bruchs geführt hätte. Die Kerbe konnte als Unfallursache aber nur festgestellt werden, wenn dieser andere Verlauf auszuschließen war; inwieweit dabei ein erster Anschein für die Ursächlichkeit des unstreitigen Bearbeitungsfehlers sprechen könnte, muß und kann bei dem bisherigen Stand der tatsächlichen Aufklärung noch nicht beurteilt werden.

b)

Die Revision beanstandet weiter zu Recht, daß das Berufungsgericht auf einen "optimalen" Verarbeitungs- und Vergütungszustand der Welle abstellen will.

Die im Verkehr erforderliche Sorgfalt (§ 276 Abs. 1 S. 2 BGB), deren Verletzung zur deliktischen Haftung für die Tötung eines Menschen führen kann (§ 823 Abs. 1 BGB), umfaßt nicht jede denkmögliche Sicherheitsmaßnahme. Ihr ist vielmehr genügt, wenn im Ergebnis derjenige Sicherheitsgrad erreicht ist, den die in dem entsprechenden Bereich herrschende Verkehrsauffassung für erforderlich erachtet. Wenn das der Fall ist, fehlt es schon an der Rechtswidrigkeit der Schädigung (vgl. BGHZ (GSZ) 24, 21). Handelt es sich, wie im vorliegenden Fall, um eine werkvertragliche Leistung, dann können zwar besondere Vertragsbedingungen, vor allem wenn sie eine Minderung der Haftung des Unternehmers bezwecken, die deliktische Verantwortung nicht unmittelbar beeinflussen. Regelmäßig aber ist doch den objektiven Sorgfaltsanforderungen schon dann genügt, wenn das Werk für den gewöhnlichen oder nach dem Vertrag vorausgesetzten Gebrauch tauglich ist (vgl. § 633 Abs. 1 BGB). Der vorliegende Fall weist insoweit keine Besonderheiten auf.

Zutreffend allerdings stellt das Berufungsgericht fest, daß in einem Bergwerksbetrieb mit Überschreitungen der normalen Betriebsbeanspruchung eines Förderhaspels gerechnet werden muß. Das von ihm verwertete Gutachten weist aber aus, daß in der Tat eine mehr als dem doppelten der normalen Beanspruchung genügende Belastbarkeit vorhanden war. Ob dieser Sicherheitszuschlag nach allgemeiner technischer Erfahrung ausreichend erscheinen mußte, ist eine Fachfrage, mit der sich das Berufungsgericht nicht, jedenfalls nicht unter Nachweis entsprechender Sachkunde oder Beratung, auseinandersetzt. Daß sich das Berufungsgericht nicht von einer Überbeanspruchung bei der Unglücksfahrt , etwa durch Verfangen mitgeführten Geräts in festen Installationen des Schachts, zu überzeugen vermag, ist in diesem Zusammenhang unerheblich, weil der Sachverständige die Überbeanspruchung in erster Linie in Dauerbelastungen schon vor dem Unglückstag, etwa in Form von Verspannungen, vermutet.

Sollte die Welle bei Lieferung trotz dem Bearbeitungsfehler (der technisch verfehlten Nichtausrundung des unmittelbaren Übergangs zum kleineren Wellendurchmesser) noch die im Verkehr allgemein für ausreichend erachtete Belastbarkeit aufgewiesen haben, dann hätte eine gewissenhafte Auslieferungskontrolle im Betrieb der Beklagten das Werkstück nicht zurückhalten müssen. Es könnte dann dahinstehen, ob diese Kontrolle tatsächlich erfolgt ist (vgl. § 831 Abs. 1 S. 2, 2. Altern. BGB).

II.

Das Berufungsurteil kann schon aus den bisher erörterten Gründen keinen Bestand haben. Bei der anderweiten Entscheidung wird das Berufungsgericht insbesondere noch zu beachten haben:

1.

Die mangelhafte Wärmebehandlung des verwendeten Stahls kann der Beklagten nur zur Last gelegt werden, wenn sich ergibt, daß sie auch dafür die deliktische Verantwortung trägt. Sie hat dieses Stahlstück unstreitig von einem Stahlwerk bezogen und nur "spanabhebend" bearbeitet. Ihre Verantwortung für eine etwa mangelhafte Stahlqualität könnte sich also nur daraus ergeben, daß sie entweder die Verläßlichkeit des Zulieferers oder aber - beschränkt auf den Rahmen des nach guter Verkehrsübung Erforderlichen und wirtschaftlich Zumutbaren - die Güte des Materials nicht hinreichend geprüft hat. Das Berufungsgericht wird gegebenenfalls hierzu die erforderlichen Feststellungen nachholen müssen.

2.

a)

Mit der Behauptung der Beklagten, den getöteten Bergmann Br. treffe insofern ein Mitverschulden, als er, auch wenn er nicht "Anschläger" gewesen sein sollte, die Pflicht gehabt hätte, für die Signalisierung des Personentransports zu sorgen, wird sich das Berufungsgericht in der anderweiten Verhandlung und Entscheidung auseinandersetzen und gegebenenfalls prüfen müssen, inwieweit ein etwaiges Versäumnis des Br. schadensursächlich geworden ist, wie die Revision meint.

b)

Da das Berufungsgericht für das Vorbringen der Beklagten tatbestandlich auf das erstinstanzliche Urteil Bezug nimmt, ist davon auszugehen, daß die Beklagte auch noch vor dem Berufungsgericht ein mitwirkendes Verschulden der Zeche geltend gemacht hat.

Wenn sich das Berufungsgericht in seinen Entscheidungsgründen damit nicht auseinandersetzt, dann mag das dahin verstanden werden, daß es sich insoweit die Ausführungen des Landgerichts zu eigen macht. Dieses hatte unter Hinweis auf das Urteil des Reichsgerichts RGZ 153, 38 ein solches Mitverschulden für grundsätzlich unerheblich erachtet.

Dieser vom Berufungsgericht offenbar geteilten Auffassung steht jedenfalls im Ergebnis das Urteil des erkennenden Senats vom 29. Oktober 1968 - VI ZR 137/67 = BGHZ 51, 37 entgegen, wonach sich der übergegangene Anspruch des Sozialversicherungsträgers um den Verursachungsanteil dessen mindert, der nach den Vorschriften der RVO von der Haftung für Arbeitsunfälle freigestellt ist. Dies gilt nach einem späteren Urteil des erkennenden Senats (vom 10. November 1970 - VI ZR 104/69 = BGHZ 55, 11) nicht nur für die Mitverursachung durch den Unternehmer, sondern auch für diejenige durch "Arbeitskollegen". Damit könnte es auch von Bedeutung sein, wenn zwar nicht Br. selbst, wohl aber einer der beiden anderen Bergleute es schuldhaft versäumt hätte, die Personenbeförderung zu signalisieren. Auch dies könnte gegebenenfalls dazu führen, daß sich der auf die Klägerinnen übergegangene Anspruch mindert.

 

Unterschriften

Pehle

Bundesrichter Dr. Weber ist beurlaubt und deshalb verhindert zu unterschreiben, Pehle

Sonnabend

Dunz

Scheffen

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1456299

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