Leitsatz (amtlich)

Zur Abgrenzung der gegenständlich beschränkten Bürgschaft von der Zeitbürgschaft.

a) Wird auf Wunsch des Bürgen eine als Zeitbürgschaft zu verstehende Befristung seiner Haftung vereinbart, so ist eine Klausel überraschend, mit der sich der Gläubiger formularmäßig von der Anzeigeobliegenheit freizeichnet.

b) Streiten der Gläubiger und der Bürge darüber, ob eine vereinbarte Befristung als Zeitbürgschaft oder nur als gegenständliche Beschränkung der Haftung zu verstehen ist, trägt der Gläubiger die Beweislast für den von ihm behaupteten Inhalt der Bürgschaft; sichert die Bürgschaft einen Kontokorrentkredit, stellt dies regelmäßig ein wesentliches Beweisanzeichen dafür dar, dass eine gegenständliche Beschränkung vereinbart ist.

 

Normenkette

BGB §§ 765, 777; AGBG § 3; ZPO § 286

 

Verfahrensgang

Thüringer OLG (Urteil vom 14.03.2000)

LG Erfurt

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 5. Zivilsenats des OLG Jena v. 14.3.2000 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zu ihrem Nachteil erkannt worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Die Beklagte verbürgte sich am 30.9.1993 selbstschuldnerisch bis zu einem Höchstbetrag von 140.000 DM für alle bestehenden und künftigen Ansprüche der Klägerin gegen die B. & J. GmbH, die bei der Klägerin seit dem 28.1.1991 ein debitorisch geführtes Geschäftskonto unterhielt.

Die Bürgschaftsurkunde enthält den maschinenschriftlichen Zusatz:

"Die Bürgschaft ist befristet bis zum 31.10.1993. Diese Höchstbetragsbürgschaft ersetzt die Bürgschaft v. 24.6.1993 und setzt diese ununterbrochen fort."

Der Bürgschaft v. 30.9.1993 waren Bürgschaften v. 29.4.1991 unter Befristung bis zum 29.4.1993, v. 23.4.1993 unter Befristung bis zum 30.6.1993 und v. 24.6.1993 unter Befristung bis zum 30.9.1993, jeweils mit Höchstbeträgen von 350.000 DM, vorausgegangen. Die erste der Bürgschaften wurde der Klägerin in ihrer Filiale Würselen/Aachen erteilt. Die folgenden Bürgschaften nahm die Filiale der Klägerin in Erfurt herein.

Die Beklagte war Gesellschafterin der Hauptschuldnerin, hatte ihren Geschäftsanteil jedoch mit Vertrag v. 21.12.1992 auf die J. Beteiligungsgesellschaft mbH übertragen. Die Beklagte erstrebte aus diesem Grunde die Entlassung aus der Bürgschaft und die Stellung einer Ersatzbürgschaft ihrer Nachfolgegesellschafterin.

Am 24.2.1994 wurde das Gesamtvollstreckungsverfahren über das Vermögen der Hauptschuldnerin eröffnet. Am 18.3.1994 kündigte die Klägerin gegenüber der Hauptschuldnerin den auf dem Geschäftskonto eingeräumten Kontokorrentkredit mit einem Debetsaldo des Eröffnungstages von 148.010,36 DM. Diese Forderung meldete sie zur Gesamtvollstreckungstabelle an. Mit Schreiben vom selben Tage forderte die Klägerin auch die Beklagte zur Zahlung des verbürgten Höchstbetrages von 140.000 DM auf.

Das LG hat der erhobenen Teilklage über 30.000 DM zur Hauptsache stattgegeben, weil die Urkunde v. 30.9.1993 keine Zeitbürgschaft i. S. d. § 777 BGB, sondern eine gegenständlich beschränkte Bürgschaft enthalte. Die dagegen gerichtete Berufung der Beklagten ist bis auf einen Teil der zugesprochenen Zinsen erfolglos geblieben. Auf die in zweiter Instanz erhobene Widerklage hat das Berufungsgericht nur festgestellt, dass der Klägerin aus der Bürgschaft v. 30.9.1993 keine über 118.329,95 DM hinausgehenden Ansprüche gegen die Beklagte zustehen. Gegen die Zurückweisung der Berufung und den abgewiesenen Teil der Widerklage wendet sich die Revision der Beklagten.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Da weitere Feststellungen zu treffen sind, kann nicht in der Sache selbst entschieden werden (§ 565 Abs. 3 Nr. 1 ZPO a. F.).

I.

Das Berufungsgericht hat - wie das LG - eine gegenständlich beschränkte Bürgschaft statt einer Zeitbürgschaft angenommen und dazu ausgeführt:

Heranzuziehen seien die Auslegungsgrundsätze für Individualvereinbarungen. Von der Beklagten sei nicht bewiesen, dass sich die Parteien außerhalb der Urkunde auf eine Zeitbürgschaft geeinigt hätten. Die Auslegung der Bürgschaft nach dem Urkundeninhalt und den Begleitumständen lasse nicht auf eine Zeitbürgschaft schließen.

Die vorliegende Bürgschaftsreihe, in der jeder der Vorgängerbürgschaften v. 29.4.1991, 23.4.1993 und 24.6.1993 vor Fristablauf eine neue Bürgschaft gefolgt sei, spreche nicht für eine Zeitbürgschaft, da auch bei der gegenständlich beschränkten Bürgschaft der Gläubiger auf eine Anschluss-Sicherheit bedacht sein müsse. Der Hinweis des Zeugen B. an seinen Nachfolger in der Filiale Erfurt der Klägerin, die Endtermine in den Bürgschaften seien zu beachten, lege gleichfalls noch keine Zeitbürgschaft nahe. Erklärungen von Mitarbeitern der Beklagten bei Erteilung der streitigen Bürgschaft am 30.9.1993, nach welcher die Haftung mit Fristablauf habe erlöschen sollen, seien durch die Beweisaufnahme nicht bestätigt worden. Auch der Zeuge B. habe sich gegenüber der Beklagten nicht in diesem Sinne geäußert.

Auf die Behauptung der Beklagten, anlässlich der Unterzeichnung der ersten Bürgschaftsurkunde am 29.4.1991 habe der damaligen Aachener Filialleiter der Klägerin D. erklärt, dass die Bürgschaftsverpflichtung infolge der Befristung erlösche, wenn die Beklagte nicht bis zum Fristende in Anspruch genommen werde, komme es für die Auslegung der streitigen Bürgschaft v. 30.9.1993 nicht an. Diese Äußerung könne, da sie dem Zeugen B. beim Zustandekommen der Bürgschaftsvereinbarung v. 30.9.1993 unbekannt gewesen sei, seinen Empfängerhorizont nicht mitgeprägt haben.

Selbst wenn dem Zeugen B. aber die Kenntnis der behaupteten Erklärungen des Zeugen D. zuzurechnen sei, so habe die Beklagte aus der Klausel Nummer 1 Abs. 2 der Bürgschaftsurkunde entnehmen müssen, dass im Falle einer Zeitbürgschaft auch ohne Anzeige der Inanspruchnahme die Bürgenhaftung im Umfang der Hauptschuld bei Fristablauf habe fortbestehen sollen. Damit habe die Klägerin unabhängig von einer etwaigen Unwirksamkeit der Klausel ihre tatsächlich bestehende Ablehnung gegenüber einer echten Zeitbürgschaft zum Ausdruck gebracht.

Entscheidend für eine gegenständlich beschränkte Bürgschaft spreche auch der Sicherungszweck und die Interessenlage bei ihrer Erteilung am 30.9.1993. Es sei nicht anzunehmen, dass die Klägerin auf eine Sicherheit habe verzichten wollen, bevor sie den beabsichtigten Ersatz durch eine Bürgschaft der J. Beteiligungs GmbH erhalten habe. Der Annahme einer Zeitbürgschaft stehe ferner entgegen, dass hier ein Kontokorrentkredit zu sichern gewesen sei. Aus einer Zeitbürgschaft könne nur vorgegangen werden, wenn die Hauptschuld innerhalb der Bürgschaftszeit fällig gewesen sei. Es entspreche im Regelfall nicht dem Interesse der Beteiligten, dass die Sicherungsnehmerin zu ihrem Schutz das Kontokorrent kündigen müsse. Hier sei die Klägerin innerhalb der Bürgschaftsfrist zu einer Kündigung auch gar nicht in der Lage gewesen.

Diese Erwägungen halten rechtlicher Nachprüfung nicht in allen Punkten stand.

II.

Das Berufungsgericht hätte die streitige Vereinbarung nicht als gegenständlich beschränkte Bürgschaft auslegen dürfen, ohne den von der Beklagten benannten Zeugen D. zu dessen angeblicher Erklärung bei Erteilung der ersten Bürgschaft am 29.4.1991 zu vernehmen. Wegen dieses Rechtsfehlers ist die Auslegung der Bürgschaft durch das Berufungsgericht für die Revision nicht bindend und kann das angefochtene Urteil keinen Bestand haben.

1. Wird einer Bürgschaft durch Individualvereinbarung eine zeitliche Begrenzung hinzugefügt, so kann das zweierlei bedeuten: Die zeitliche Begrenzung kann den Sinn eines Endtermins (§ 163 BGB) haben, nach dessen Ablauf die Verpflichtung des Bürgen erlöschen soll. Sie kann aber auch die Verbindlichkeit, für die der Bürge sich verbürgt, dahin näher bestimmen, dass der Bürge nur für die innerhalb einer bestimmten Zeit begründeten Verbindlichkeiten - für diese aber unbefristet - einstehen soll (BGH, Urt. v. 17.12.1987 - IX ZR 93/87, MDR 1988, 404 = NJW 1988, 908 m. w. N.). Welche Art von Bürgschaft gewollt ist, muss auf Grund einer Auslegung der Bürgschaftsverpflichtung ermittelt werden. Da die Befristung der Bürgschaft im vorliegenden Fall in einer maschinenschriftlich hinzugefügten individuellen Vereinbarung enthalten ist, sind dabei nicht die Grundsätze für die Auslegung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen, sondern für die Auslegung einer Individualvereinbarung zu Grunde zu legen (vgl. BGH, Urt. v. 17.12.1987 - IX ZR 93/87, MDR 1988, 404 = NJW 1988, 908 m. w. N.).

2. Wie die hinzugesetzte Befristung der streitigen Bürgschaft v. 30.9.1993 auszulegen ist, muss unter Einbeziehung aller Umstände des Einzelfalls tatrichterlich gewürdigt werden (vgl. BGH, Urt. v. 17.12.1987 - IX ZR 93/87, MDR 1988, 404 = NJW 1988, 908; Urt. v. 30.1.1997 - IX ZR 133/96, MDR 1997, 466 = WM 1997, 625 [628]). Diese Auslegung kann im Revisionsverfahren nur beschränkt nachgeprüft werden.

a) Rechtsfrage ist, ob der Tatrichter gesetzliche Auslegungsregeln, anerkannte Auslegungsgrundsätze, Denkgesetze und Erfahrungssätze beachtet hat. Berücksichtigt der Tatrichter auslegungserhebliche Umstände nicht, so verstößt er gegen anerkannte Auslegungsgrundsätze (BGH, Urt. v. 13.12.1990 - IX ZR 33/90, WM 1991, 495 [496]). Eine entsprechende rechtliche Nachprüfung der Auslegung bedarf revisionsrechtlich keiner Rüge.

b) Zu den auslegungserheblichen und aufklärungsbedürftigen Begleitumständen eines Vertragsschlusses kann auch seine Entstehungsgeschichte gehören, insbesondere wenn dazu Vorbesprechungen geführt worden sind (BGH BGHZ 63, 359 [362]; Urt. v. 12.2.1981 - IVa ZR 103/80, MDR 1981, 826 = NJW 1981, 2295 - Festpreisgarantie im Blickwinkel eines Verkaufsprospekts; v. 23.2.1987 - II ZR 183/86, MDR 1987, 738 = NJW 1987, 2437 [2438]).

c) Die Feststellung außerhalb der Bürgschaftsurkunde liegender Auslegungstatsachen ist von dem Revisionsgericht grundsätzlich nur auf die Verfahrensrüge hin überprüfbar (vgl. allgemein: BGH, Urt. v. 8.12.1989 - V ZR 53/88, MDR 1990, 706 = WM 1990, 423 [424]). Auf eine solche Rüge kommt es jedoch hier nicht an, weil das Berufungsgericht die behauptete Auslegungstatsache aus Gründen des sachlichen Rechts für unerheblich gehalten hat. Dieser Rechtsfehler verletzt die §§ 133, 157 BGB, nicht § 286 ZPO.

3. Aus der revisionsrechtlich zu unterstellenden Äußerung des Zeugen D. , dass die Bürgschaftsverpflichtung v. 29.4.1991 mit Ablauf der Befristung erlösche, falls keine Inanspruchnahme erfolgt sei, würde sich ergeben, dass die Beklagte damals nur eine Zeitbürgschaft (§ 777 BGB) übernommen hat. Der nur auf eine Zeitbürgschaft gerichtete Verpflichtungswille der Beklagten ist nach ihrem Vortrag von dem Zeugen D. am 29.4.1991 zur Kenntnis genommen und durch den maschinenschriftlichen Zusatz akzeptiert worden.

a) Hat die Klägerin nach dieser Behauptung den Willen der Beklagten, nur eine Zeitbürgschaft zu übernehmen, erkannt und akzeptiert, ist demgegenüber die in Nummer 1 Abs. 2 der Bürgschaftsurkunde enthaltene Klausel unerheblich.

Die Klausel lautet:

"Im Falle einer Zeitbürgschaft ist die Bank nicht verpflichtet, dem Bürgen bei Fristablauf anzuzeigen, dass sie ihn in Anspruch nimmt; auch ohne Anzeige besteht die Haftung fort, jedoch beschränkt auf den Umfang der verbürgten Ansprüche bei Fristablauf."

Der Klauselinhalt setzt mithin eine Zeitbürgschaft voraus und enthält für die hier erteilte selbstschuldnerische Bürgschaft einen Ausschluss von § 777 Abs. 1 S. 2 BGB sowie eine Änderung von § 777 Abs. 2 BGB. Die Klausel ist i. S. d. § 3 AGBG überraschend; denn sie brachte mit der Haftungsfortdauer des selbstschuldnerischen Kontokorrentbürgen trotz Fristablaufs ohne Anzeige der Inanspruchnahme das Gegenteil von dem zum Ausdruck, was die Beklagte erkennbar wollte. Mit einer solchen "typengehaltändernden" Klausel braucht der Kunde bei Vereinbarung einer Zeitbürgschaft nicht zu rechnen (vgl. auch BGH, Urt. v. 19.3.1998 - IX ZR 120/97, MDR 1998, 729 = WM 1998, 976 [979 f.]).

Entgegen der Annahme des Berufungsgerichtes musste die Beklagte aus der überraschenden Klausel auch nicht entnehmen, dass die Klägerin eine Zeitbürgschaft ablehnte und das erteilte Bürgschaftsversprechen als gegenständlich beschränkte Bürgschaft verstand. Denn eine Auslegung des Befristungszusatzes nach Maßgabe der unwirksamen Überraschungsklausel ist ausgeschlossen.

b) Hat der Zeuge D. die von der Beklagten behaupteten Erklärung am 29.4.1991 abgegeben, so hat sich ihre Wirkung in die textlich unveränderten Folgebürgschaften fortgepflanzt, weil die Klägerin unstreitig nicht davon abgerückt ist. Einer entsprechenden Nachfrage der Beklagten bedurfte es entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts hierzu nicht, weil sich die Klägerin entsprechend § 166 BGB (Wissenszurechnung) so behandeln lassen muss, als sei die Erklärung des Filialleiters D. aus Aachen der später tätigen Filiale in Erfurt bekannt gewesen. Dies durfte auch die Beklagte voraussetzen.

Diese Zurechnung der Erklärung und des Wissens des Zeugen D. war hier zu Lasten der Klägerin jedenfalls deshalb gerechtfertigt, weil die Bürgschaften das gleiche Kontokorrentdarlehen der Hauptschuldnerin besicherten, dies der Filiale Erfurt bekannt und ein Informationsaustausch mit der Filiale Aachen daher möglich und nahe liegend war (vgl. BGH, Urt. v. 1.6.1989 - III ZR 261/87, MDR 1990, 29 = NJW 1989, 2879 [2881]; siehe ferner BGH v. 24.1.1992 - V ZR 262/90, BGHZ 117, 104 [106 ff.] = MDR 1992, 480; v. 15.4.1997 - XI ZR 105/96, BGHZ 135, 202 [206] = MDR 1997, 766). Eine Erklärung, wie sie der Zeuge D. bei Erteilung der ersten befristeten Kontokorrentbürgschaft abgegeben haben soll, war auch für die Rechtsposition der Klägerin gegenüber der Beklagten von solcher Wichtigkeit, dass sie bankseitig bei dem Kredit- oder dem Bürgschaftsvorgang aktenmäßig festgehalten werden musste. Die Klägerin muss sich daher nach dem Vorbringen der Beklagten in der Auslegung der Folgebürgschaften so behandeln lassen, als habe sie die Informationen der Aachener Filiale abgerufen.

III.

Sollte die Vernehmung des Zeugen D. die ihm zugeschriebene Äußerung nicht bestätigen, sondern keine weiteren Erkenntnisse vermitteln, wird das Berufungsgericht gleichwohl in eine umfassende erneute Auslegung des streitigen Bürgschaftsversprechens eintreten müssen und dabei auch das Revisionsvorbringen der Parteien zu berücksichtigen haben. Soweit noch Feststellungen zu treffen sind, wird zu beachten sein, dass die Klägerin für die behauptete Vereinbarung einer gegenständlich beschränkten Bürgschaft die Beweislast trägt.

1. Der Umstand, dass die Bürgschaft einen Kontokorrentkredit des Hauptschuldners sichert, stellt allerdings regelmäßig ein erhebliches Beweisanzeichen dafür dar, dass die Parteien mit der zeitlichen Befristung eine gegenständliche Begrenzung der Bürgenhaftung auf die innerhalb einer bestimmten Zeit begründeten Verbindlichkeiten gemeint haben (vgl. BGH, Urt. v. 17.12.1987 - IX ZR 93/87, MDR 1988, 404 = NJW 1988, 908). Eine Zeitbürgschaft i. S. d. § 777 BGB ist wirtschaftlich nur dann sinnvoll, wenn der Gläubiger den Hauptschuldner innerhalb der Laufzeit der Bürgschaft in Anspruch nehmen kann. Denn auch die fristgerechte Anzeige des Gläubigers, er nehme den Bürgen in Anspruch, erhält dem Gläubiger die Rechte aus der Bürgschaft grundsätzlich nur, wenn die Fälligkeit der Hauptschuld innerhalb der Bürgschaftszeit eintritt (BGH v. 14.6.1984 - IX ZR 83/83, BGHZ 91, 349 [355 f.] = MDR 1984, 839; v. 24.9.1998 - IX ZR 371/97, BGHZ 139, 325 [329] = MDR 1999, 48; Urt. v. 21.3.1989 - IX ZR 82/88, MDR 1989, 734 = ZIP 1989, 627 [628]). Wollte man bei einer zeitlich begrenzten Bürgschaft für einen Kontokorrentkredit eine Zeitbürgschaft annehmen, so wäre der Gläubiger genötigt, jeweils vor Ablauf der bestimmten Zeit den Kredit zu kündigen, um sich die Rechte aus der Bürgschaft zumindest für die bereits entstandenen Verbindlichkeiten zu erhalten. Dies dürfte i. d. R. nicht dem Interesse der Bank und insbesondere des Hauptschuldners an einer ungestörten Fortsetzung ihrer Geschäftsverbindung entsprechen (BGH, Urt. v. 17.12.1987 - IX ZR 93/87, MDR 1988, 404 = NJW 1988, 908 m. w. N.). Von diesem Grundsatz hat sich - insoweit zutreffend - auch das Berufungsgericht bei seiner Auslegung der streitigen Bürgschaft leiten lassen. Der BGH hat in seinem Urteil v. 30.1.1997 (BGH v. 30.1.1997 - IX ZR 133/96, MDR 1997, 466 = WM 1997, 625 [628]) jedoch verdeutlicht, dass sich die im Urteil v. 17.12.1987 als maßgebend bezeichneten Erwägungen nicht schematisch auf alle Kontokorrentbürgschaften übertragen lassen, sondern es vielmehr darauf ankommt, wie es zu der zeitlichen Begrenzung gekommen und weshalb sie vereinbart worden ist (vgl. auch OLG Köln v. 20.5.1985 - 8 U 10/84, WM 1986, 14 [15]).

2. Der Würdigung solcher, den Regelfall in Frage stellender Anhaltspunkte hat das Berufungsgericht zu geringe Beachtung geschenkt; zum Teil ist es von einer rechtlich fehlerhaften Annahme ausgegangen.

Die Revision beruft sich darauf, dass die Befristung im Streitfall auf Betreiben der Beklagten in die Bürgschaftsurkunde aufgenommen worden sei. Die Beklagte habe damit zum Ausdruck gebracht, sie wolle mit dem Fristablauf aus der Haftung frei werden, wenn die Bürgschaft von der Klägerin nicht rechtzeitig "gezogen" wurde. Die Beklagte konnte nach dem erwarteten Verlauf des gesicherten Kontokorrentkredits aber möglicherweise mit einer gegenständlich beschränkten Bürgschaft für ein solches Haftungsbegrenzungsinteresse gar nichts gewinnen.

Bei gegenständlich beschränkter Kontokorrentbürgschaft zum Fristende wäre durch die späteren Rechnungsabschlüsse nach § 356 HGB keine Enthaftung eingetreten, sondern eine zusätzliche Haftungsbeschränkung. Der Bürge haftet bei der gegenständlich beschränkten Kontokorrentbürgschaft grundsätzlich nach § 356 HGB in dem bei Fristende erreichten Umfang weiter, wenn das debitorische Kontokorrent - wie hier - bis zur Inanspruchnahme des Bürgen ungekündigt fortbesteht, soweit es nicht zuvor bereits durch die Insolvenz des Hauptschuldners gelöst ist. Die gegenständlich beschränkte Bürgenhaftung ermäßigt sich dann nur bei nachfolgenden Rechnungsabschlüssen mit einem niedrigeren Schuldsaldo; auf einen niedrigeren Tagessaldo zwischen den Rechnungsabschlüssen kommt es bei fortbestehendem Kontokorrent nicht an (RGZ 76, 330 [334]; BGH BGHZ 26, 142 [150]; BGHZ 50, 277 [283] a. E.; Urt. v. 13.12.1990 - IX ZR 33/90, WM 1991, 495 [497]). Dies liegt bei der nach einem Endtermin (§ 163 BGB) befristeten Kontokorrentzeitbürgschaft anders (vgl. Schröter, WM 1986, 16, 18). Die rechtzeitige Kündigung des Kontokorrentkredits bei Sicherung durch eine Zeitbürgschaft kann zur Folge haben, dass sich der Haftungsumfang des Bürgen nach § 777 Abs. 2 BGB bei jedem Eingang auf dem Konto verringert; denn die Einrede der Aufrechenbarkeit (§ 770 Abs. 2 BGB) ist für den Bürgen nach Kündigung des Kontokorrents nicht mehr durch periodische Verrechnung und Ausschluss der Einzelaufrechnung gehindert. Die diese Einrede abbedingende Klausel im Bürgschaftsformular ist unwirksam (BGH, Urt. v. 16.1.2003 - IX ZR 171/00, MDR 2003, 585 = BGHReport 2003, 548 = WM 2003, 669 [671]). Auch § 356 HGB kann nicht angewendet werden, wenn infolge wirksamer Kündigung kein Kontokorrent mehr fortbesteht.

Bei Erteilung der Bürgschaft v. 30.9.1993 wollte die Beklagte aus der übernommenen Bürgschaftsverpflichtung entlassen werden, sobald die J. Beteiligungs GmbH, welche - wie die Klägerin ebenfalls wusste - die Beteiligung der Beklagten an der Hauptschuldnerin übernommen hatte, kapitalmäßig hinreichend ausgestattet war und eine Anschlussbürgschaft gestellt hatte. Damit wurde für den Bürgschaftszeitraum Oktober 1993 gerechnet. Diese Enthaftung konnte die Beklagte mit einer gegenständlich beschränkten Bürgschaft nicht durchsetzen, es sei denn, die Klägerin hätte sich bei Erteilung der letzten Bürgschaft gegenüber der Beklagten verpflichtet, sie nach dem Erhalt der Anschlussbürgschaft von der Weiterhaftung gem. § 356 HGB freizustellen. Eine solche Verpflichtung der Klägerin haben die Parteien nicht behauptet.

3. Nicht aufrechterhalten werden kann ferner die Annahme des Berufungsgerichts, die Klägerin habe sich schon deshalb auf keine Zeitbürgschaft einlassen dürfen, weil sie den gesicherten Kontokorrentkredit nicht innerhalb der einmonatigen Bürgschaftszeit habe kündigen, damit die Fälligkeit des Kreditsaldos herstellen und aus der Bürgschaft nach § 777 Abs. 1 S. 2 BGB habe vorgehen können. Die Klägerin konnte nach § 355 Abs. 3 HGB, AGB-Banken Nr. 19 Abs. 2 jederzeit den (unbefristeten) Kontokorrentkredit ohne Einhaltung einer Frist kündigen. Sie verletzte dabei auch keine berechtigten Belange des Kontokorrentinhabers (vgl. AGB-Banken Nr. 19 Abs. 2 S. 2), wenn eine vorhandene Zeitbürgschaft auslief und angemessene Ersatzsicherheiten nicht rechtzeitig vor dem Verlust der Sicherheit gestellt wurden. Zwar mag auch die Kürze der Bürgschaftszeit zwischen der Erteilung am 30.9.1993 und dem Bürgschaftsende einen Monat später nach allgemeiner Erfahrung mehr für eine nach dem Endzeitpunkt gegenständlich beschränkte Bürgschaft sprechen (vgl. RGZ 82, 382 [384]). Im Streitfall gibt es für die Kürze der Bürgschaftsverlängerung jedoch möglicherweise besondere Gründe. Der Zeuge B. hat bestätigt, es sei angestrebt gewesen, die Beklagte mit Gründung des neuen Unternehmens aus der Bürgschaft zu entlassen.

IV.

Sollte die weitere Sachaufklärung und erneute Vertragsauslegung des Berufungsgerichts dazu führen, dass die Beklagte nur eine Zeitbürgschaft übernommen hat, muss der Widerklage vollen Umfangs entsprochen und die Klage abgewiesen werden. Denn der verbürgte Kontokorrentkredit der Hauptschuldnerin ist unstreitig nicht vor dem 24.2.1994 fällig geworden.

Sollte sich aus der Vernehmung des Zeugen D. ergeben, dass in den Verhandlungen der Parteien bei Übernahme der ersten Bürgschaft am 29.4.1991 die Beklagte das Zugeständnis einer gegenständlich beschränkten Bürgschaft gemacht hat, so würde auch diese Auslegungstatsache bis in die streitige Bürgschaft v. 30.9.1993 hinein - insoweit zu Lasten der Beklagten - fortwirken, so dass es auf andere Auslegungsgesichtspunkte nicht mehr ankäme.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1131034

BB 2004, 850

DB 2004, 1363

DStR 2004, 1185

DStZ 2004, 543

NJW 2004, 2232

BGHR 2004, 892

BauR 2004, 882

EBE/BGH 2004, 4

EWiR 2004, 797

IBR 2004, 247

WM 2004, 720

WuB 2004, 481

ZAP 2004, 694

ZIP 2004, 843

MDR 2004, 891

NJ 2004, 420

BKR 2004, 230

ZBB 2004, 248

SJ 2004, 39

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