Entscheidungsstichwort (Thema)

Ersatz der angefallenen Reparaturkosten im Rahmen des Wiederbeschaffungswerts

 

Leitsatz (amtlich)

Der Geschädigte kann Ersatz der angefallenen Reparaturkosten verlangen, wenn es ihm entgegen der Einschätzung des vorgerichtlichen Sachverständigen gelungen ist, eine fachgerechte und den Vorgaben des Sachverständigen entsprechende Reparatur durchzuführen, deren Kosten den Wiederbeschaffungswert nicht übersteigt.

 

Normenkette

BGB § 249

 

Verfahrensgang

LG Hannover (Urteil vom 01.07.2009; Aktenzeichen 12 S 42/08)

AG Burgwedel (Urteil vom 22.05.2008; Aktenzeichen 9 C 6/08)

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil der 12. Zivilkammer des LG Hannover vom 1.7.2009 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als der Klägerin mehr als 38 EUR nebst Zinsen hieraus zugesprochen worden sind. Im Übrigen wird die Revision zurückgewiesen.

Im Umfang der Aufhebung wird die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des AG Burgwedel vom 22.5.2008 zurückgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin 95 % und die Beklagte 5 %.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Rz. 1

Die Klägerin begehrt restlichen Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall vom 9.5.2007, für den die Beklagte als Haftpflichtversicherer des Unfallverursachers dem Grunde nach unstreitig haftet.

Rz. 2

Die Klägerin beauftragte am 10.5.2007 einen Sachverständigen mit der Erstellung eines Gutachtens zum Schadensumfang. In dem Gutachten ermittelte dieser voraussichtliche Reparaturkosten i.H.v. 3.746,73 EUR brutto, einen Wiederbeschaffungswert i.H.v. 2.200 EUR und einen Restwert i.H.v. 800 EUR.

Rz. 3

Die Klägerin hat das Fahrzeug den Vorgaben des Sachverständigen entsprechend - allerdings unter Verwendung von Gebrauchtteilen - gegen Zahlung von 2.139,70 EUR brutto reparieren lassen und bis Anfang Juni 2008 weiter genutzt. Die Beklagte hat der Klägerin die Nebenkosten, die Reparaturkosten und eine Nutzungsausfallentschädigung für 15 Tage i.H.v. 38 EUR täglich erstattet. Mit ihrer Klage hat die Klägerin weitere 720,30 EUR Reparaturkosten sowie erstinstanzlich für weitere zwei Tage und zweitinstanzlich für einen weiteren Tag Nutzungsausfallentschädigung verlangt. Sie ist der Ansicht, die Beklagte habe nicht nur die tatsächlich angefallenen Reparaturkosten, sondern fiktive Reparaturkosten bis zu 130 % des Wiederbeschaffungswerts zu zahlen.

Rz. 4

Das AG hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das LG die Beklagte zur Zahlung eines weiteren Betrags i.H.v. 758,30 EUR nebst Zinsen verurteilt und die Klage hinsichtlich der Zinsen teilweise abgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr Klageabweisungsbegehren weiter.

 

Entscheidungsgründe

I.

Rz. 5

Nach Auffassung des Berufungsgerichts stehen der Beklagten weitere 720,30 EUR Reparaturkosten zu. Ein erforderlicher Reparaturaufwand bis zu 130 % des Wiederbeschaffungswerts des Fahrzeugs könne grundsätzlich verlangt werden, wenn die durch Sachverständigengutachten ermittelten Reparaturkosten diesen Betrag überstiegen und der Geschädigte durch eine fachgerechte Reparatur zum Ausdruck bringe, dass er das Fahrzeug in einen Zustand wie vor dem Unfall versetzen wolle. Diese Voraussetzungen lägen nach dem Gutachten des Gerichtssachverständigen vor. Das Fahrzeug der Klägerin sei unter Verwendung von Gebrauchtteilen fachgerecht repariert worden, da die verwendeten Ersatzteile den beschädigten Fahrzeugteilen gleichwertig seien.

Rz. 6

Der Klägerin stehe auch die beanspruchte Nutzungsentschädigung für einen weiteren Tag, insgesamt also für 16 Tage, zu.

II.

Rz. 7

Die Revision der Beklagten hat insoweit Erfolg, als das Berufungsgericht der Klägerin weitere Reparaturkosten i.H.v. 720,30 EUR zugesprochen hat. Hinsichtlich der zusätzlichen Nutzungsausfallentschädigung für einen weiteren Tag ist das Berufungsurteil nicht zu beanstanden.

Rz. 8

1. Die Auffassung des Berufungsgerichts, die Klägerin könne über die bereits ersetzten Reparaturkosten i.H.v. 2.139,70 EUR hinaus von der Beklagten die Erstattung weiterer Reparaturkosten i.H.v. 720,30 EUR verlangen, steht nicht in Einklang mit der Rechtsprechung des erkennenden Senats. Insoweit begehrt die Klägerin den Ersatz fiktiver Reparaturkosten i.H.v. bis zu 130 % des vom Sachverständigen ermittelten Wiederbeschaffungswerts, obwohl für die tatsächlich durchgeführte Reparatur nur Kosten i.H.v. 2.139,70 EUR angefallen sind. Nach der Rechtsprechung des Senats können jedoch Reparaturkosten, die über dem Wiederbeschaffungswert des Fahrzeugs liegen, bis zur sog. 130 %-Grenze nur verlangt werden, wenn sie tatsächlich angefallen sind und die Reparatur fachgerecht und zumindest wertmäßig in einem Umfang durchgeführt wird, wie ihn der Sachverständige zur Grundlage seiner Kostenschätzung gemacht hat (vgl. Senat, Urt. v. 15.2.2005 - VI ZR 70/04, BGHZ 162, 161 [167 ff.]; v. 8.12.2009 - VI ZR 119/09, VersR 2010, 363 Rz. 5 ff.). Entgegen der Auffassung der Klägerin ist damit nicht die generelle Möglichkeit einer fiktiven Schadensabrechnung bis zur 130 %-Grenze eröffnet. Die Klägerin kann mithin über die bereits gezahlten konkret angefallenen Reparaturkosten hinaus nicht den Ersatz weiterer Reparaturkosten verlangen.

Rz. 9

2. Keinen Erfolg hat die Revision, soweit sie sich dagegen wendet, dass das Berufungsgericht der Klägerin Nutzungsausfall i.H.v. 38 EUR für einen weiteren Tag zugesprochen hat.

Rz. 10

a) Die Bemessung der Höhe des Schadensersatzanspruchs ist in erster Linie Sache des nach § 287 ZPO besonders frei gestellten Tatrichters. Sie ist revisionsrechtlich nur daraufhin überprüfbar, ob der Tatrichter erhebliches Vorbringen der Parteien unberücksichtigt gelassen, Rechtsgrundsätze der Schadensbemessung verkannt, wesentliche Bemessungsfaktoren außer Betracht gelassen oder seiner Schätzung unrichtige Maßstäbe zugrunde gelegt hat (vgl. Senat, Urt. v. 18.5.2010 - VI ZR 293/08, VersR 2010, 1054 Rz. 3 m.w.N.). Im Streitfall ist die Schätzung des Tatrichters revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Das Berufungsgericht hat insb. der Klägerin nur den im Berufungsrechtszug beantragten weiteren Nutzungsausfall für einen Tag zuerkannt, also nicht einen Nutzungsausfall sowohl hinsichtlich des Unfalltags als auch hinsichtlich des Tags, an welchem das reparierte Fahrzeug aus der Werkstatt abgeholt wurde. Zudem ist nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht den Nutzungsausfall auch für die Zeit zugesprochen hat, in der die Klägerin wegen ihres Fahrradunfalls verletzt war, weil ihr Ehemann das Fahrzeug (auch) benutzt hat und davon auszugehen ist, dass er sie während dieser Zeit - etwa bei notwendigen Arztbesuchen - befördert hätte.

Rz. 11

b) Die Revision ist auch nicht deswegen begründet, weil die Beklagte gegen den Anspruch auf Zahlung weiterer Nutzungsausfallentschädigung die Aufrechnung mit überzahlten Reparaturkosten erklärt hat. Die Klägerin hat im Streitfall nämlich nicht nur einen Anspruch auf Ersatz des Wiederbeschaffungsaufwands i.H.v. 1.400 EUR; ihr steht vielmehr der Ersatz der von der Beklagten gezahlten Reparaturkosten i.H.v. 2.139,70 EUR zu.

Rz. 12

Zwar ist die Instandsetzung eines beschädigten Fahrzeugs in aller Regel wirtschaftlich unvernünftig, wenn die (voraussichtlichen) Kosten der Reparatur - wie hier - mehr als 30 % über dem Wiederbeschaffungswert liegen. In einem solchen Fall, in dem das Kraftfahrzeug nicht mehr reparaturwürdig ist, kann der Geschädigte vom Schädiger grundsätzlich nur die Wiederbeschaffungskosten verlangen. Lässt der Geschädigte sein Fahrzeug dennoch reparieren, so können die Kosten nicht in einen vom Schädiger auszugleichenden wirtschaftlich vernünftigen Teil (bis zu 130 % des Wiederbeschaffungswerts) und einen vom Geschädigten selbst zu tragenden wirtschaftlich unvernünftigen Teil aufgespalten werden (vgl. Senat, Urt. v. 15.10.1991 - VI ZR 67/91, BGHZ 115, 375 [378 ff.]; v. 10.7.2007 - VI ZR 258/06, VersR 2007, 1244 Rz. 6). In seinem Urteil vom 10.7.2007 hat der Senat offen gelassen, ob der Geschädigte gleichwohl Ersatz von Reparaturkosten verlangen kann, wenn es ihm tatsächlich gelingt, entgegen der Einschätzung des Sachverständigen die von diesem für erforderlich gehaltene Reparatur innerhalb der 130 %-Grenze fachgerecht und in einem Umfang durchzuführen, wie ihn der Sachverständige zur Grundlage seiner Kostenschätzung gemacht hat (vgl. Senat, Urt. v. 10.7.2007 - VI ZR 258/06, a.a.O., Rz. 7; Eggert, Verkehrsrecht aktuell 2009, 149, 150 ff.).

Rz. 13

Im Streitfall übersteigen die tatsächlich angefallenen Reparaturkosten i.H.v. 2.139,70 EUR selbst bei Berücksichtigung eines nach der Reparatur verbleibenden Minderwerts von 50 EUR den vom vorgerichtlichen Sachverständigen ermittelten Wiederbeschaffungswert nicht. Jedenfalls unter solchen Umständen, bei denen zwar die vom Sachverständigen geschätzten Reparaturkosten über der 130 %-Grenze liegen, es dem Geschädigten aber - auch unter Verwendung von Gebrauchtteilen - gelungen ist, eine nach Auffassung des sachverständig beratenen Berufungsgerichts fachgerechte und den Vorgaben des Gutachtens entsprechende Reparatur durchzuführen, deren Kosten den Wiederbeschaffungswert nicht übersteigen, kann ihm aus dem Gesichtspunkt des Wirtschaftlichkeitsgebots eine Abrechnung der konkret angefallenen Reparaturkosten nicht verwehrt werden. Die entsprechende Bewertung des Berufungsgerichts, welche in Einklang mit dem Gutachten des Gerichtssachverständigen und der Stellungnahme des vorgerichtlichen Sachverständigen vom 13.6.2008 steht, bewegt sich im Rahmen des tatrichterlichen Ermessens nach § 287 ZPO und lässt keine Rechtsfehler erkennen. Der Klägerin stehen mithin die konkret angefallenen Kosten der Reparatur zu, die seitens der Beklagten bereits erstattet worden sind.

Rz. 14

3. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2598293

NJW 2011, 6

NJW 2011, 669

NWB 2011, 345

EBE/BGH 2011

ZAP 2011, 127

DAR 2011, 133

DAR 2011, 307

MDR 2011, 156

NJ 2011, 165

NJ 2011, 7

NZV 2011, 126

VRS 2011, 259

VersR 2011, 282

ZfS 2011, 144

NJW-Spezial 2011, 42

NWB direkt 2011, 111

RÜ 2011, 137

SVR 2011, 178

SVR 2011, 230

SVR 2011, 3

VRA 2011, 37

VRR 2011, 102

VRR 2011, 42

r+s 2011, 222

DS 2011, 71

Verkehrsjurist 2011, 21

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