Leitsatz (amtlich)

›1. Ist der Mandant aufgrund anderweitiger rechtlicher Beratung noch in der Lage, ihm durch eine Pflichtverletzung seines Anwalts drohende wirtschaftliche Nachteile abzuwenden, unterläßt er jedoch die ihm geratene Maßnahme aus unvertretbaren Gründen, entfällt der Zurechnungszusammenhang zwischen dem Anwaltsfehler und dem entstandenen Schaden.

2. Trifft den Mandanten selbst aufgrund einer anderweitig erhaltenen Rechtsbelehrung die Obliegenheit, sich darum zu bemühen, Schaden infolge eines Fehlers des ersten Anwalts zu vermeiden, muß er sich ein Verschulden des zweiten Anwalts als eigenes anrechnen lassen (Abgrenzung zu BGH NJW 1993, 1779).

3. Läßt der Anwalt einen Anspruch verjähren, tritt der Schaden regelmäßig bereits mit Ablauf der Verjährungsfrist ein. Auf den Zeitpunkt, zu dem der Gegner des Mandanten die Verjährungseinrede erhebt, kommt es nicht an.‹

 

Verfahrensgang

LG Duisburg

OLG Düsseldorf

 

Tatbestand

Die Kläger verlangen vom beklagten Rechtsanwalt Schadensersatz, weil er in einem Rechtsstreit mit der Stadt M. einen Teil ihrer Entschädigungsansprüche habe verjähren lassen.

Die Kläger beabsichtigten im Jahre 1981, das auf ihrem Grundstück in M. stehende Wohnhaus abzureißen und durch einen Neubau zu ersetzen. Auf ihre Bauanzeige erhielten sie den Bescheid der Stadt, daß dem Bauvorhaben keine Bedenken entgegenstünden. Im Juni 1982 begannen die Kläger mit den Bauarbeiten. Auf Antrag einer Nachbarin ordnete das OVG Mü. am 25. November 1982 an, die Stadt habe den Klägern die Fortsetzung der Bauarbeiten bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den von der Nachbarin eingelegten Widerspruch zu untersagen. Die Stadt verfügte die Einstellung der Bauarbeiten; dagegen gerichtete Rechtsbehelfe der Kläger hatten keinen Erfolg.

Auf Antrag der Kläger erteilte die Stadt ihnen am 27. Januar 1983 die Baugenehmigung zur Errichtung des geplanten Hauses, verbunden mit der Befreiung von der Vorschrift über den Bauwich (§ 7 BauO NW). Dagegen erhob die Nachbarin erneut Widerspruch und erwirkte am 24. Februar 1983 eine einstweilige Anordnung auf vorläufige Stillegung der Bauarbeiten durch das VG D., die mit Beschluß des OVG Mü. vom 8. April 1983 bestätigt wurde. Auf erneuten Antrag der Kläger erteilte die Stadt am 15. Juli 1983 eine Nachtragsbaugenehmigung, wonach der Standort des bereits im Rohbau fertiggestellten Gebäudes um drei Meter zu versetzen war.

Die Kläger beauftragten den Beklagten, die aus diesem Sachverhalt herrührenden Ersatzansprüche gegen die Stadt M. geltend zu machen. Er reichte am 16. Juli 1985 eine Zahlungsklage über 197.147, 86 DM ein, die im wesentlichen die durch die Versetzung des Bauwerks hervorgerufenen Mehraufwendungen sowie die infolge der Verzögerung der Fertigstellung entstandenen Nachteile betraf. Das LG Duisburg erließ zunächst ein Grundurteil, daß den Klägern ein mitverschuldensfreier Entschädigungsanspruch nach dem OBG NW zustehe. Daraufhin erhöhten die Kläger im Mai/Juni 1986 mit mehreren Schriftsätzen ihre Zahlungsklage auf 354.596,07 DM und stellten einen Feststellungsantrag. Im Jahre 1988 erweiterten sie ihr Zahlungsbegehren nochmals um 40.192,02 DM.

Mit Teilurteil vom 26. Januar 1989 entschied das LG Duisburg über die bis Juni 1986 gestellten Anträge. Den Klägern wurde ein Entschädigungsbetrag von 243.109,49 DM - abzüglich einer von der Stadt inzwischen geleisteten Zahlung von 153.000 DM - zugesprochen; im übrigen wurden die Anträge abgewiesen. Gegen dieses Teilurteil legten die Kläger im Umfang ihrer Beschwer Berufung ein. Die Stadt erhob daraufhin unselbständige Anschlußberufung und machte zugleich erstmals die Einrede der Verjährung geltend. Mit Urteil vom 12. Oktober 1989 wies das OLG Düsseldorf die Berufung der Kläger zurück und setzte auf die Anschlußberufung der Stadt den Entschädigungsbetrag auf 197.147, 86 DM herab. Das Oberlandesgericht billigte die Entschädigungsberechnung des Landgerichts, sah jedoch alle über die ursprüngliche Klagesumme hinausgehenden Ansprüche als verjährt an.

Die Kläger nehmen den Beklagten deshalb auf Ersatz des abgewiesenen Betrages von 45.961,53 DM sowie der ihnen daraus entstandenen Zinsnachteile in Anspruch. Die in Höhe von 88.986,82 DM zuzüglich Zinsen seit Rechtshängigkeit erhobene Klage hat das Landgericht abgewiesen. Den im zweiten Rechtszug weiterverfolgten Betrag von 64.346,28 DM hat das Berufungsgericht den Klägern zuerkannt. Der Beklagte begehrt mit der Revision die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I.1. Das Berufungsgericht ist der Auffassung, der Beklagte habe es schuldhaft versäumt, vor Ablauf der Verjährung den Zahlungsantrag der Kläger auf mindestens 243.109,49 DM zu erhöhen. Die Verjährung der Ansprüche gegen die Stadt sei im April 1986 eingetreten. Die Kläger selbst hätten den Beklagten mit Schreiben vom 2. November 1985 auf die Verjährungsfrage hingewiesen und bereits in ihrem Brief vom 14. Oktober 1985 verschiedene konkrete Angaben zu weiteren, bis dahin nicht berücksichtigten Schadenspositionen gemacht. Der im ersten Klageerhöhungsschriftsatz vom 12. Mai 1986 enthaltene Vortrag hätte bereits Ende März/Anfang April 1986 erfolgen können.

2. Gegen diese Erwägungen wendet sich die Revision ohne Erfolg. Sie meint, die Verjährung der Ansprüche gegen die Stadt sei bereits im Laufe des November 1985 eingetreten; deshalb habe der Beklagte die weiteren Ansprüche nicht rechtzeitig für die Kläger geltend machen können.

Indessen ist die Frage, wann Verjährung eintrat, an dieser Stelle nicht rechtserheblich. Das Berufungsgericht hat verfahrensfehlerfrei festgestellt, daß der Beklagte aus dem Schreiben der Kläger vom 14. Oktober 1985 hinreichende Hinweise auf mögliche weitere Ansprüche entnehmen konnte. Der Beklagte hätte die Frage der Verjährung schon prüfen müssen, bevor er die Klage einreichte. Er war gehalten, den Klägern insoweit rechtzeitig die notwendigen Schritte anzuraten und den sichersten Weg zu wählen (vgl. zu den Pflichten des Anwalts bei drohender Verjährung BGH, Urt. v. 17. Juni 1993 - IX ZR 206/92, NJW 1993, 2797). Daher hätte er jedenfalls unverzüglich nach Erhalt des genannten Schreibens vom 14. Oktober 1985 Feststellungsklage einreichen müssen, was zur Unterbrechung der Verjährung ausreichend gewesen wäre.

II. Das Berufungsgericht meint weiter, der Schaden der Kläger beruhe auf der Pflichtverletzung des Beklagten. Der Ursachenzusammenhang sei nicht dadurch unterbrochen worden, daß die Kläger den durch das Teilurteil des Landgerichts abgewiesenen Teil ihrer Anträge mit der Berufung weiterverfolgt hätten. Auf die Frage, ob der Beklagte ihnen zur Berufung geraten habe, komme es nicht an. Das hält den Angriffen der Revision nicht stand; das Berufungsgericht hat den entscheidungserheblichen Sachverhalt nicht hinreichend ausgeschöpft.

1. Der erforderliche haftungsrechtliche Zurechnungszusammenhang kann fehlen, wenn der Geschädigte selbst in völlig ungewöhnlicher oder unsachgemäßer Weise in den Geschehensablauf eingreift und damit eine weitere Ursache setzt, die den Schaden erst endgültig herbeiführt (BGH, Urt. v. 14. März 1985 - IX ZR 26/84, NJW 1986, 1329, 1331; v. 7. Januar 1988 - IX ZR 7/87, NJW 1988, 1262, 1263; v. 3. Dezember 1992 - IX ZR 61/92, NJW 1993, 1139, 1141; v. 7. Januar 1993 - IX ZR 199/91, NJW 1993, 1587, 1589). Einen entsprechenden Sachverhalt hat der Beklagte im Streitfall vorgetragen. Die Kläger haben dem Beklagten unstreitig bereits am 2. November 1985 folgendes geschrieben:

Das Thema Verjährung ist vor der Klageerhebung mit Herrn B. (Berufungsanwalt) ausführlich erörtert worden. Nach Ansicht des Herrn B. dürfte die Verjährungsfrist erst am 18.11.85 ablaufen.

Der Beklagte behauptet, sie hätten ihn nach Erlaß des Teilurteils nicht wegen der Frage konsultiert, ob er ihnen die Berufung empfehle. Insoweit seien sie allein von dem beim Oberlandesgericht zugelassenen Rechtsanwalt B. beraten worden. Dieser habe sie schon zu Beginn des Berufungsverfahrens - und nochmals nach Erhebung der Anschlußberufung durch die Stadt - darauf hingewiesen, sie müßten damit rechnen, daß alle nicht mit der ursprünglichen Klage geltend gemachten Ansprüche verjährt seien. Er habe den Klägern auch erläutert, daß sie den voraussichtlichen Erfolg der Anschlußberufung nur durch die Rücknahme ihrer eigenen Berufung verhindern könnten. Trotzdem seien die Kläger dazu nicht bereit gewesen.

2. Für den Revisionsrechtszug ist mangels abweichender tatrichterlicher Feststellungen von diesem Vorbringen auszugehen. Hat der Berufungsanwalt hinsichtlich der Verjährung die Kläger zutreffend beraten und ihnen eindeutig von der Durchführung des Rechtsmittels abgeraten, ist ihr Verhalten nach Einlegung der Anschlußberufung als gänzlich unsachgemäß zu werten, sofern keine vernünftigen nachvollziehbaren Gründe ersichtlich waren, gleichwohl gegen den Rat des Anwalts die Berufung durchzuführen. Solche vertretbaren Erwägungen vermag das Berufungsurteil nicht aufzuzeigen. Die Verjährung der Ansprüche gegen die Stadt begann mit Zugang der Entscheidung des OVG Mü. vom 8. April 1983 (vgl. unten III 1 b). Die Klageerweiterungen sind daher in verjährter Zeit vorgenommen worden. Das Berufungsurteil legt keine Umstände dar, die geeignet wären, eine von der klaren Rechtsauskunft des beratenden Anwalts abweichende Meinung vertretbar erscheinen zu lassen. Das Berufungsgericht meint, die Kläger hätten sich mit einer gewissen Erfolgsaussicht auf den Standpunkt stellen können, der ursprüngliche Klageantrag sei in der Weise auszulegen, daß die Kläger damit bereits den gesamten.Entschädigungsanspruch hätten geltend machen wollen, oder spätere Erhöhungen von einzelnen Klagepositionen seien als schon in der Klageschrift selbst angelegt zu behandeln. Das rügt die Revision zutreffend als rechtsfehlerhaft; denn das Berufungsurteil nennt keine Umstände, die eine solche Auslegung möglich erscheinen lassen. Der Senat kann die erforderliche Auslegung der Klage selbst vornehmen. Diese enthält keinerlei Anhaltspunkte für eine den Klägern günstigere Ansicht zur Verjährung ihrer Amtshaftungsansprüche.

Folglich haben die Kläger in einer Weise in den Geschehensablauf eingegriffen, die den Zurechnungszusammenhang mit der Pflichtverletzung unterbricht, wenn sie unter den vom Beklagten behaupteten Voraussetzungen auf der Durchführung der Berufung gegen das Teilurteil des LG Duisburg vom 26. Januar 1989 bestanden haben. Wegen dieses Rechtsfehlers ist das angefochtene Urteil aufzuheben (§ 564 Abs. 1 ZPO).

III. Eine Sachentscheidung im Sinne der Revision ist nicht möglich; denn die vom Beklagten erhobene Verjährungseinrede greift nicht durch.

1. Die Primärverjährung der Ansprüche gegen den Rechtsanwalt begann mit der Entstehung des Schadens (§ 51 1. Alt. BRAO). Das Berufungsgericht setzt als maßgeblichen Zeitpunkt den 8. April 1983 (Beschwerdeentscheidung des OVG Mü.) an. Dagegen wendet sich die Revision ohne Erfolg.

a) Der Schaden der Kläger war entstanden, sobald ihre Entschädigungsansprüche gegen die Stadt M. verjährt waren. Nach ständiger Rechtsprechung ist bei einer Pflichtverletzung, die sich allgemein gegen das Vermögen richtet, ein Schaden zu bejahen, sobald die Vermögenslage des Betroffenen infolge der Handlung im Vergleich mit dem früheren Vermögensstand schlechter geworden ist. Hierzu genügt es, daß die Verschlechterung sich wenigstens dem Grunde nach verwirklicht hat, mag ihre Höhe auch noch nicht beziffert werden können (BGHZ 100, 228, 231; 114, 150, 152 f; BGH, Urt. v. 15. Oktober 1992 - IX ZR 43/92, NJW 1993, 648, 650; v. 9. Juli 1992 - IX ZR 50/91, NJW 1992, 2828, 2829; v. 5. November 1992 - IX ZR 200/91, NJW 1993, 1320).

Obwohl die Verjährung nur auf Einrede berücksichtigt wird, ist zumindest bei streitigen Ansprüchen ein Schaden schon infolge des Fristablaufs zu bejahen, weil nach der Lebenserfahrung damit gerechnet werden muß, daß der Schuldner zur Abwehr des erhobenen Anspruchs von der Verjährungseinrede Gebrauch machen wird. Der Bundesgerichtshof ist daher schon bisher davon ausgegangen, daß der Ablauf der Verjährungsfrist bereits zur Entstehung des Schadens führt (BGH, Urt. v. 11. Juli 1967 - VI ZR 41/66, VersR 1967, 979; v. 20. Mai 1975 - VI ZR 138/74, NJW 1975, 1655, 1656; v. 3. November 1988 - IX ZR 203/87, WM 1988, 1855, 1858). Das ist hier nicht deshalb anders zu beurteilen, weil die Stadt sich zunächst nicht auf Verjährung berufen hat und die Kläger infolgedessen in erster Instanz obsiegt haben. Dieses Urteil hat den schon entstandenen Schaden lediglich vorübergehend entfallen lassen. Das beeinflußt indes den Lauf der Verjährungsfrist nicht; denn es kommt nicht darauf an, ob der Nachteil auf Dauer bestehen bleibt und damit endgültig wird (BGHZ 100, 228, 231; 114, 150, 153; Senatsurt. v. 9. Juli 1992, 15. Oktober 1992 u. 5. November 1992, jeweils aaO.).

b) Entschädigungsansprüche gegen die Stadt waren erst im April 1986 verjährt.

Ansprüche nach §§ 39, 40 OBG NW verjähren ebenso wie Amtshaftungsansprüche in drei Jahren (§ 41 OBG NW). Der für den Verjährungsbeginn maßgebliche Zeitpunkt - die Kenntnis des Verletzten von dem Schaden und der Person des Ersatzpflichtigen - wird nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung genauso wie in § 852 Abs. 1 BGB bestimmt (BGH, Urt. v. 12. Oktober 1978 - III ZR 162/76, WM 1978, 1328, 1330; v. 6. Mai 1993 - III ZR 2/92, NJW 1993, 2303, 2305, z.V. in BGHZ vorgesehen). Demnach ist die entsprechende Kenntnis vorhanden, sobald der Geschädigte aufgrund der ihm bekannten Tatsachen gegen eine bestimmte Person eine Schadensersatzklage - sei es auch nur eine Feststellungsklage - erheben kann, die bei verständiger Würdigung soviel Erfolgsaussichten hat, daß sie ihm zumutbar ist. Die entsprechende Kenntnis hatten die Kläger nicht schon aufgrund der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ergangenen Beschwerdeentscheidung des OVG Mü. vom 25. November 1982. Diesem Beschluß lag lediglich eine summarische Prüfung der Rechtslage zugrunde. Zwar deutete danach viel darauf hin, daß der am 4. August 1981 erteilte Bescheid wegen Verstoßes gegen die Vorschrift über den zum Nachbargrundstück einzuhaltenen Bauwich (§ 7 BauO NW) rechtswidrig war. Für die Kläger stand damit aber nicht hinreichend sicher fest, daß ihr Wohnhaus nicht dort verbleiben durfte, wo sie mit dessen Errichtung begonnen hatten. Die erste Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts ließ offen, ob es möglich war, im Wege einer Ermessensentscheidung nach § 9 BauO NW (Erstreckung des Bauwichs auf andere Grundstücke) doch noch innerhalb kurzer Zeit die Baugenehmigung für das Wohnhaus an der vorgesehenen Stelle zu erhalten. Die Kläger haben diesen Versuch tatsächlich unverzüglich unternommen und damit bei der Behörde zunächst auch Erfolg gehabt.

Infolge der im November 1982 verfügten vorläufigen Baueinstellung war den Klägern ebenfalls noch keine Feststellungsklage gegen die Stadt M. zumutbar. Da sie es trotz der ihnen ungünstigen Entscheidung des OVG Mü. vom 25. November 1982 zunächst für möglich halten durften, alsbald eine Baugenehmigung zu erhalten, war für sie damals noch nicht hinreichend absehbar, ob die vorläufige Baueinstellung letztlich zu einer wesentlichen Verzögerung der Fertigstellung des Wohnhauses führen wurde. Die danach notwendige Gewißheit ergab sich für sie erst mit Beendigung des von der Nachbarin gegen die Baugenehmigung vom 27. Januar 1983 eingeleiteten einstweiligen Rechtsschutzverfahrens durch den Beschluß des OVG Mü. vom 8. April 1983. Vorher war den Klägern auch deshalb keine Klage zumutbar, weil sie ein großes Interesse daran hatten, daß die gerichtlichen Verfahren zwischen der Nachbarin und der Stadt, in denen sie als Bauherren notwendig beigeladen waren (§ 65 Abs. 2 VwGO), zugunsten der Stadt ausgingen, sich im Schadensersatzprozeß gegen diese aber auf den Rechtsstandpunkt hätten stellen müssen, die zu ihren Gunsten ergangenen Bescheide seien rechtswidrig (vgl. BGH, Urt. v. 6. Mai 1993, aaO.).

2. Das Berufungsgericht bejaht im Ergebnis zu Recht einen Sekundäranspruch der Kläger.

Für den Anwalt kann sich bei der weiteren Wahrnehmung des Mandats ein begründeter Anlaß ergeben zu prüfen, ob er dem Mandanten durch einen Fehler Schaden zugefügt hat. Muß ein sorgfältig arbeitender Rechtsanwalt dabei die Möglichkeit der Regreßhaftung erkennen, so hat er seinen Auftraggeber hierauf sowie auf die kurze Verjährungsfrist des § 51 BRAO hinzuweisen. Versäumt der haftpflichtige Anstalt dies schuldhaft, begründet dies den Sekundäranspruch des Geschädigten, der sich darauf richtet, so gestellt zu werden, als wäre die Verjährung des primären Schadensersatzanspruchs nicht eingetreten (BGHZ 94, 380, 386; BGH, Urt. v. 18. September 1986 - IX ZR 204/85, NJW 1987, 326; v. 14. November 1991 - IX ZR 31/91, NJW 1992, 836, 837).

Der Beklagte hatte, bevor der Primäranspruch gegen ihn verjährt war, mehrfach Veranlassung, sein eigenes Verhalten zu überprüfen und die Kläger auf die Möglichkeit von Regreßansprüchen hinzuweisen. Er hat die Klage ab Mai 1986, als die Entschädigungsansprüche gegen die Stadt verjährt waren, mehrfach erweitert. Vor Einreichung dieser Schriftsätze hätte er überlegen müssen, ob die Stadt sich gegenüber weiteren Ansprüchen zu Recht würde auf Verjährung berufen können. Der Beklagte behauptet sogar, den Klägern jeweils einen entsprechenden Hinweis gegeben zu haben. Dann hätte er aber auch erkennen müssen, daß er es in der Vergangenheit pflichtwidrig versäumt hatte, durch rechtzeitige Einreichung eines Feststellungsantrags alle Ansprüche der Kläger vor der Verjährung zu schützen.

Der Primäranspruch gegen den Beklagten verjährte im April 1989, der Sekundäranspruch somit drei Jahre später; denn im April 1989 bestand das Mandat noch fort (vgl. BGHZ 94, 380). Zu diesem Zeitpunkt war noch ein Restanspruch in erster Instanz anhängig, die Tätigkeit des Beklagten als Prozeßbevollmächtigter der Klägerin somit nicht beendet. Die Verjährung des Schadensersatzanspruchs wurde durch die am 27. März 1992 erfolgte Klagezustellung rechtzeitig unterbrochen (§ 209 Abs. 1 BGB).

IV. Die Sache ist daher zur weiteren Tatsachenaufklärung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 565 Abs. 1 ZPO). Sollte das Berufungsgericht danach erneut zu der Auffassung gelangen, daß ein Zurechnungszusammenhang zwischen der Pflichtverletzung des Beklagten und dem den Klägern erwachsenen Schaden besteht, wird es zu prüfen haben, ob die Kläger wegen eines Beratungsfehlers ihres Berufungsanwalts ein Mitverschulden trifft (§§ 254 Abs. 2 Satz 2, 278 BGB).

1. Mit der im angefochtenen Urteil gegebenen Begründung kann ein Mitverschulden des Berufungsanwalts nicht verneint werden; denn nach den bisher getroffenen Feststellungen mußte dieser damit rechnen, daß die mit der Anschlußberufung erhobene Verjährungseinrede durchgreifen werde. Das hat der Senat bereits oben II 2 ausgeführt; darauf wird Bezug genommen.

2. Nach dem Hilfsvorbringen des Beklagten hat der zweitinstanzliche Prozeßbevollmächtigte es versäumt, den Klägern die Rücknahme der Berufung zu empfehlen. Einen entsprechenden Fehler ihres Berufungsanwalts haben die Kläger dem Beklagten gegenüber als Mitverschulden zu vertreten. Allerdings braucht sich der Auftraggeber das Verschulden eines zweiten Anwalts, der das Mandat des ersten fortführt, nicht zurechnen zu lassen, wenn dieser denselben schadensursächlichen Fehler begangen hat wie der zuerst tätig gewordene Kollege und der Auftraggeber sich darauf verlassen durfte, daß der erste Anwalt seine Vertragspflichten sachgerecht erfüllt hatte (BGH, Urt. v. 18. März 1993 - IX ZR 120/92, NJW 1993, 1779, 1781). In einem solchen Fall hat der Mandant von sich aus keine Veranlassung, etwas zu unternehmen, um eine im eigenen Interesse gebotene Obliegenheit zur Abwendung des Schadens zu erfüllen. Er braucht sich dann den Rechtsirrtum des zweiten Anwalts nicht als eigenes Verschulden zurechnen zu lassen.

Im Streitfall sind indessen die Merkmale der Vorschrift des § 254 Abs. 2 Satz 2 BGB zu bejahen. Die Kläger hatten die Verjährungsproblematik mit ihrem späteren Berufungsanwalt schon vor Prozeßbeginn eingehend erörtert. Aufgrund der damals erhaltenen Beratung war ihnen bekannt, daß er die Auffassung vertreten hatte, die Verjährung laufe bereits am 18. November 1985 ab. Nach Klageerhebung hatten die Kläger dem Beklagten am 2. November 1985 das oben II 1 bereits zitierte Schreiben gesandt. In Anbetracht ihres daraus zu entnehmenden Wissens hatten die Kläger nach Erhalt der Anschlußberufung selbst Veranlassung, sich darum zu bemühen, daß ihnen durch die Erhebung der Verjährungseinrede kein Nachteil entstand. Das dem Berufungsanwalt erteilte Mandat diente nunmehr auch diesem Zweck. Damit wurde der Anwalt zugleich zur Erfüllung der Obliegenheit des Mandanten zur Schadensabwehr tätig. Bei einem Vertragsverhältnis muß sich der Geschädigte das Verschulden einer Hilfsperson nach § 254 BGB anrechnen lassen, wenn er sich ihrer zur Wahrung eigener Belange bedient hat und das Verhalten der Hilfsperson in unmittelbarem Zusammenhang mit dem ihr anvertrauten Pflichtenkreis steht (BGHZ 3, 46). Diese Voraussetzungen waren mit der Beauftragung des Berufungsanwalts gegeben; die Kläger haben daher dessen Verschulden im Verhältnis zu ihrem ersten Anwalt als eigenes zu vertreten.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2993288

BB 1994, 1961

NJW 1994, 2822

BRAK-Mitt 1995, 42

BGHR BGB § 249 Zurechnungszusammenhang 14

BGHR BGB § 254 Abs. 2 Satz 2 Zweitanwalt 3

BGHR BGB § 852 Amtshaftung 7

BGHR BRAO § 51 Anspruchsentstehung 4

DRsp I(125)423a-b

WM 1994, 2162

MDR 1994, 1249

VersR 1994, 1472

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