Leitsatz (amtlich)

Bei der Bemessung des Unterhaltsanspruchs der geschiedenen Frau gegen ihren geschiedenen Ehemann sind wiederaufgelebte Witwenrenten, die die Frau aus ihrer vorausgegangenen Ehe erhält und auf die der Unterhaltsanspruch (hier: nach § 68 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 AVG; § 44 Abs. 5 Satz 1 BVG) anzurechnen ist, nicht anspruchsmindernd zu berücksichtigen.

 

Normenkette

EheG § 58; AngestelltenversicherungsG (AVG) § 68 Abs. 2 S. 1 Hs. 2; BVG § 44 Abs. 5 S. 1

 

Verfahrensgang

OLG Hamburg (Urteil vom 17.03.1977)

LG Hamburg (Urteil vom 28.10.1976)

 

Tenor

Auf die Rechtsmittel der Beklagten werden das Urteil des Hanseatischen Oberlandesgerichts zu Hamburg vom 17. März 1977 aufgehoben und das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 28./29. Oktober 1976 abgeändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob der Bezug wiederaufgelebter Witwenrente Einfluß auf die vom geschiedenen Manne übernommene Unterhaltsverpflichtung gegenüber der geschiedenen Frau hat.

Die Ehe des jetzt 62 Jahre alten Klägers und der 64 Jahre alten Beklagten wurde durch ein am 11. September 1975 rechtskräftig gewordenes Urteil aus dem Alleinverschulden des Mannes geschieden, Die Beklagte hatte aus verwitwetem Stand geheiratet, In einem im Ehescheidungsverfahren für den Fall rechtskräftiger Scheidung geschlossenen gerichtlichen Auseinandersetzungsvergleich verpflichtete sich der Kläger, an die Beklagte eine monatliche Unterhaltsrente von 330,– DM zu bezahlen.

Der Kläger erhielt beamtenrechtliche Versorgungsbezüge in Höhe von zunächst 1.373,– DM und erhält nunmehr 1.423,43 DM netto. Für die bereits vor Abschluß der Scheidungsvereinbarung erfolgte Unterbringung und Verpflegung in einer Seniorenpension hatte der Kläger ursprünglich 950,– DM und hat er nunmehr 1.050,– DM monatlich zu entrichten. Seine Ausgaben für Krankenversicherung beliefen sich anfangs auf 143,– DM, jetzt betragen sie monatlich 153,– DM.

Die Beklagte bezieht rückwirkend zum 1. Oktober 1975 eine wiederaufgelebte Hinterbliebenenrente gemäß § 68 Abs. 2 AVG nach ihrem Ehemann aus erster Ehe. Im Wege der Anrechnung der Unterhalts Zahlung ihres geschiedenen Ehemannes aus der Zweitehe nach § 68 Abs. 1 Satz 1) 2. Halbs. AVG in Höhe von 330,– DM setzte die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte die an sich in Höhe von 762,20 DM zu gewährende Witwenrente auf 432,20 DM herab. Durch Rentenerhöhung bekommt die Beklagte – weiterhin bei voller Anrechnung des Unterhaltsanspruchs – nunmehr 519,50 DM ausbezahlt. Zusätzlich erhält sie ebenfalls rückwirkend zum 1. Oktober 1975 eine Grundrente gemäß § 40 BVG in Höhe von zunächst 317,– DM und nunmehr 352,– DM. Auf diese Rente wird der Unterhaltsanspruch gemäß § 44 Abs. 5 BVG nicht angerechnet, da er bereits zur Kürzung der Angestelltenversicherungsrente geführt hat. Die Beklagte wendet für Miete monatlich 262,78 DM auf; inwieweit sie aus der Vermietung zweier Garagen Einkünfte erzielen kann, ist unter den Parteien streitig.

Der Kläger beansprucht im Wege der Abänderungsklage die Beseitigung der von ihm übernommenen Unterhaltsverpflichtung rückwirkend zum Zeitpunkt der Rentenzahlung an die Beklagte sowie Rückzahlung zu Unrecht bezahlten Unterhalts. Er ist der Auffassung, er sei zur Unterhaltszahlung nicht weiter verpflichtet, weil die Beklagte mit dem Bezug der Renten ein hinreichendes Einkommen habe. Durch den Wegfall des Unterhaltsanspruchs erleide die Beklagte ohnehin keinen Schaden, weil die BfA-Rente dann ungekürzt zu zahlen sei.

Landgericht und Oberlandesgericht haben der Klage stattgegeben.

Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der auf Abänderung mit dem Ziel des Fortfalls der Unterhaltsverpflichtung aus dem Ehescheidungsvergleich gerichteten Klage.

Der Bezug wiederaufgelebter Witwenrenten seitens der Beklagten gemäß §§ 68 AVG, 44 BVG bleibt rechtlich hinsichtlich der Unterhaltsbedürftigkeit der Beklagten und damit auf die Verpflichtung des Klägers zur Fortzahlung des Unterhalts ohne Einfluß. Die Renten sind weder ganz noch teilweise bei der Bemessung der Höhe der Unterhaltsverpflichtung zu berücksichtigen und damit nicht geeignet, eine wesentliche Änderung der Verhältnisse im Sinne der Abänderungsklage zu begründen. Das Berufungsgericht hat im übrigen in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise festgestellt, daß der Fortbestand der Unterhaltsverpflichtung nach der zwischen den Parteien getroffenen Vereinbarung auch nicht im Sinne einer auflösenden Bedingung von dem Bezug einer Rente seitens der Beklagten abhängt.

I.

Nach § 68 Abs. 2 Satz 1, 2. Halbs. AVG ist auf die wiederaufgelebte Witwenrente, die die Beklagte aus der Angestelltenversicherung erhält, der von der Beklagten infolge der Auflösung ihrer späteren Ehe erworbene Unterhaltsanspruch anzurechnen. Ebenso schreibt § 44 Abs. 5 Satz 1 BVG die Anrechnung des aus der neuen Ehe hergeleiteten Unterhaltsanspruchs auf die wiederaufgelebte Versorgungsrente vor, soweit der Unterhaltsanspruch nicht schon zur Kürzung anderer wiederaufgelebter öffentlich-rechtlicher Leistungen geführt hat.

Der in der Scheidungsvereinbarung geregelte Unterhaltsanspruch der Beklagten fiel unter diese Anrechnungsvorschriften, Dabei kann offen bleiben, ob auch ein ausschließlich durch Vertrag begründeter Unterhaltsanspruch, für den im Gesetz keine Grundlage bestanden hätte, zu einer Kürzung der wiederaufgelebten Renten führen könnte. Ein solcher Fall liegt hier nicht vor. Das Berufungsgericht hat in rechtlich einwandfreier Weise angenommen (BU S. 17), daß durch die Scheidungsvereinbarung nach Sachlage lediglich eine nähere Bestimmung der gesetzlichen Unterhaltsverpflichtung des Klägers getroffen wurde, die sich aus §§ 58 ff. EheG ergab (und die durch die Reform des Scheidungsrechts nicht berührt wurde, Art. 12 Nr. 3 Abs. 2 des 1. EheRG). Durch diese vertragliche Festlegung des gesetzlichen Unterhaltsanspruchs wurde die Rechtsnatur des Anspruchs als solchen nicht verändert (BGHZ 24, 269, 276; 31, 210, 218). Damit würde der in der Scheidungsvereinbarung geregelte Unterhaltsanspruch selbst dann der Anrechnung unterliegen, wenn dies bei einem ausschließlich auf Vertrag beruhendem Anspruch nicht der Fall wäre. Das wird im übrigen auch vom Berufungsgericht nicht in Zweifel gezogen.

II.

Dem Berufungsgericht kann jedoch in der Art und Weise, in der es den anzurechnenden Unterhaltsbetrag ermittelt hat, nicht gefolgt werden. Die Revision rügt zu Recht, das Berufungsgericht habe mit der Berücksichtigung der Witwenrenten bei der Festsetzung des Unterhalts gegen § 68 Abs. 2 Satz 1, 2. Halbs. AVG (und § 44 Abs. 5 Satz 1 BVG) verstossen.

1. Das Berufungsgericht ist im Anschluß an Gloede (MDR 1971, 807) davon ausgegangen, daß zwar einerseits der Unterhaltsanspruch auf die Rente angerechnet werden solle, andererseits aber die Höhe des Unterhaltsanspruchs von den eigenen Einkünften des Unterhaltsberechtigten abhänge, und daß zu diesen Einkünften auch eine wiederaufgelebte Witwenrente zähle. Das Verhältnis zwischen beiden Ansprüchen sei kein einseitiges in dem Sinne, daß auf die Witwenrente ein isoliert, ohne deren Berücksichtigung festgesetzter Unterhaltsanspruch Anrechnung finde. Es bestehe vielmehr eine wechselseitige Abhängigkeit zwischen der wiederaufgelebten Witwenrente und dem Unterhaltsanspruch, die sich mathematisch dadurch ausdrücken lasse, daß der Unterhaltsbetrag aus den Einkommen der geschiedenen Ehegatten errechnet werde, in der dabei zu bildenden Gleichung als Einkommen der Frau jedoch der Betrag der Rente abzüglich des – zunächst als unbekannte Größe einzusetzenden – Unterhaltsbetrages berücksichtigt werde (vgl. im einzelnen Gloede aaO S. 810).

2. Dieser Berechnungsmodus, der im vorliegenden Fall zum Wegfall der Unterhaltspflicht des geschiedenen Ehemannes zu Lasten des Rentenversicherungsträgers führen würde, steht nicht im Einklang mit dem Gesetz. Das Oberlandesgericht hat damit das Verhältnis verkannt und teilweise umgekehrt, in dem die Ansprüche auf wiederaufgelebte Witwenrente aus § 68 Abs. 2 AVG und § 44 Abs. 2 BVG zum Unterhaltsanspruch aus Auflösung der Zweitehe steht. Die Anrechnungsvorschriften des § 68 Abs. 2 Satz 1, 2. Halbs. AVG und des § 44 Abs. 5 Satz 1 BVG begründen die Subsidiarität der wiederaufgelebten Witwenrenten gegenüber Unterhaltsansprüchen aus Auflösung der Zweitehe. Dieser Grundsatz folgt aus dem eindeutigen Wortlaut sowie der Entstehungsgeschichte, Systematik und Zwecksetzung der genannten Vorschriften gleichermaßen. Er gebietet, den anzurechnenden, vorrangigen Unterhaltsanspruch unabhängig von der Rentenzahlung zu ermitteln.

a) § 68 Abs. 2 Satz 1, 2. Halbs. AVG und § 44 Abs. 5 Satz 1 BVG verlangen ausdrücklich, einen infolge Auflösung der Ehe erworbenen Unterhaltsanspruch auf die Witwenrente anzurechnen. Diese Anrechnungsbestimmung geht nahezu wörtlich übereinstimmend quer durch die Regelung über das Wiederaufleben von Witwenrente in der Beamtenversorgung, Sozialversicherung und Kriegsopferversorgung (§ 61 Abs. 3 BeamtVG (§ 164 Abs. 3 BBG a.F., § 88 Abs. 3 BRRG a.F.), §§ 615 Abs. 2, 1291 Abs. 2 RVO, § 83 Abs. 3 RKnappschG, § 23 Satz 2 BEG). Aus der gesetzlich vorgeschriebenen Anrechnung folgt, daß der Unterhaltsanspruch unabhängig von der Rente entsteht und besteht, denn angerechnet auf die Rente kann ein Anspruch erst dann werden, wenn er unabhängig von ihr ermittelt wurde (BSGE 19, 153, 155; LG Flensburg FamRZ 1974, 533, 534; Petermann Rpfleger 1972, 157, 158; RGRK-Wüstenberg 10./II. Aufl., § 58 EheG Anm. 42).

Das Gesetz stellt den Unterhaltsanspruch in § 68 Abs. 2 AVG und den vergleichbaren Vorschriften (teilweise abweichend nur § 23 Satz 2 BEG) gleichwertig in eine Reihe mit aus der Auflösung der Ehe erworbenen Versorgungs- und Rentenansprüchen. Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß diese anderen, auf die wiederaufgelebte Witwenrente gleichfalls anzurechnenden Ansprüche keinem Einfluß durch Rentenbezüge aus einer anderen Ehe unterliegen und deshalb isoliert festgesetzt werden. Nach dem eindeutigen Wortlaut macht der Gesetzgeber das Wiederaufleben der Witwenrente davon abhängig, ob und inwieweit die Witwe nach Auflösung der Ehe im weitesten Sinne aus dieser Ehe „versorgt” ist. Übersteigt die „Versorgung” aus der aufgelösten Ehe den Zahlbetrag der Rente aus der früheren Ehe, so lebt die Witwenrente nach dem ersten Ehegatten überhaupt nicht auf, bleibt die „Neuversorgung” hinter der „Altversorgung” zurück, so deckt der Rententräger die Differenz durch die wiederaufgelebte Witwenrente.

Dem Berufungsgericht und mit ihm Gloede ist zwar zuzugeben, daß der Unterhaltsanspruch aus § 58 EheG mit der Anspruchsvoraussetzung der Bedürftigkeit des Unterhaltsberechtigten ein Element enthält, das es nahelegen könnte, die Witwenrente als Einkünfte des Berechtigten – sei es in voller Höhe oder in dem den Unterhaltsanspruch überschießenden Teile – bei der Bemessung des Unterhalts zu berücksichtigen. Die durch die Anrechnungsbestimmung verfügte Subsidiarität der Rentenleistung führt jedoch dazu, die Renteneinkünfte bei der Bedürftigkeitsprüfung außer Ansatz zu lassen. Denn subsidiäre Sozialleistungen können auf die Unterhaltsverpflichtung keine Anrechnung finden (BSGE 19, 153, 155/156; 21, 279, 280/281; 25, 219, 220; 42, 110, 112; BSG NJV 1972, 1966; 1973, 2223; 1976, 991, 992; LG Flensburg FamRZ 1974, 533; RGRK-Wüstenberg, 10./II. Aufl., § 58 EheG Anm. 42; Palandt/Diedrichsen, 35. Aufl., § 58 EheG, Anm. 3 a; Rolland, 1. EheRG, § 1577 Rdn. 4; Brühl/Göppinger/Mutschler, Unterhaltsrecht, 3. Aufl., Rz 539, 887 Fußn. 129, 948; Ruland, Familiärer Unterhalt, S. 99–101; 196/197, 207; Tempel, Die Berücksichtigung von Sozialversicherungs- und Kindergeldleistungen im Unterhaltsrecht S. 34 ff., 140 ff.; Jung FamRZ 1974, 428, 429; Trolldemier NJV 1972, 1453; 1973, 388; Grunsky FamRZ 1969, 522, 525; Habscheid FamRZ 1959, 317, 319), weil sonst das gesetzliche Verhältnis der Ansprüche zueinander umgekehrt würde.

Eine Nichtberücksichtigung einzelner Leistungen an den Unterhaltsgläubiger im Rahmen der Bedürftigkeitsprüfung ist im übrigen dem Unterhaltsrecht auch sonst nicht völlig fremd. So bleiben insbesondere freiwillige Leistungen Dritter, die den Unterhaltspflichtigen nicht entlasten sollen, außer Ansatz (RGZ 72, 199, 200; Palandt/Diedrichsen, 35. Aufl., § 58 EheG, Anm. 3 a; Erman/Ronke, 6. Aufl., § 58 EheG Rdn. 14 a).

b) Die Entstehungsgeschichte der Institution des Wiederauflebens von Witwenrente bekräftigt die im Wortlaut des § 68 Abs. 2 AVG und den vergleichbaren Vorschriften zum Ausdruck gebrachte Subsidiarität im Sinne einer ergänzenden Leistung, die den aus der aufgelösten Ehe zu erbringenden Unterhalt unberührt läßt.

Das Wiederaufleben des Versorgungsanspruchs aus erster Ehe ist als Rechtsanspruch eine Neuerung des Beamtenrechts und Sozialversicherungsrechts nach dem Jahre 1950. Während eines längeren, Tradition bildenden Zeitraums mindestens unter der Weimarer Reichsverfassung entfiel der Pensionsanspruch der Beamtenwitwe ersatzlos. Statt eines Rechts auf Wiederaufleben von Witwengeld kannte die Weimarer Zeit lediglich „Gnadenzuwendungen” (BVerfGE 25, 142 ff.).

Sodann gewährte § 133 Abs. 3 DBG gleichfalls keinen Rechtsanspruch, sondern stellte die Bewilligung von Versorgungsbezügen nach Auflösung der Zweitehe in das Ermessen der zuständigen Behörde. Da die Bedürftigkeit der Witwe allgemeine Voraussetzung der Gewährung war (Nadler/Wittland/Ruppert DBG, 1938, § 133 Anm. 16), verlangten die Ausführungsbestimmungen des Reichsministers der Finanzen zu Abschnitt VIII des DBG vom 30. Juni 1937 (RHuBBl S. 211 zu § 133 Nr. 3) schon damals, bei der Bemessung des Unterhaltsbeitrages die Einkünfte zu berücksichtigen, die der Witwe aus der letzten. Ehe erwuchsen.

c) Systematisch knüpfen § 68 Abs. 2 AVG und die entsprechenden gesetzlichen Vorschriften über das Wiederaufleben von Witwenrente an die gesetzlichen Bestimmungen an, nach denen die Rente aus der Erstehe bei Wiederverheiratung erlischt (§ 68 Abs. 1 AVG; § 61 Abs. 1 Nr. 2 BeamtVG (§ 164 Abs. 1 Nr. 2 BBG a.F.; § 88 Abs. 1 Nr. 2 BRRG a.F.); §§ 590 Abs. 1, 1291 Abs. 1 RVO; § 83 Abs. 1 RKnappschG; § 17 Abs. 1 Nr. 1 BEG; § 44 Abs. 1 BVG). Mit dem Wegfall des Rentenanspruchs aus der Erstehe während des Bestandes der Zweitehe räumt das Gesetz dem Unterhaltsanspruch des Ehegatten einen absoluten, unbeschränkten Vorrang gegenüber der Versorgung aus der Erstehe ein und zwar unabhängig davon, ob der Unterhaltsanspruch die bisherige Versorgung erreicht oder den Unterhaltsbedarf voll abzudecken vermag. Diese gesetzliche Rangordnung findet nach Auflösung der Zweitehe abgeschwächt in der einseitigen Anrechnungsbestimmung von Versorgungs-, Unterhalts- und Rentenansprüchen aus der Zweitehe gegenüber wiederaufgelebter Witwenrente ihre Fortsetzung. Denn diese Versorgungsansprüche im weitesten Sinne, insbesondere auch Unterhaltsansprüche, haben ihren Rechtsgrund in dem gegenüber der Witwenrente vorrangigen „Versorgungstatbestand” der Zweitehe. Die wiederaufgelebte Witwenrente hat nach diesem System der gesetzlichen Regelung keine Unterhaltsersatzfunktion im Bezug auf die Zweitehe (BVerfGE 38, 187, 200).

d) Die vom Berufungsgericht vorgenommene wechselseitige Anrechnung von Unterhaltsanspruch und wiederaufgelebter Witwenrente steht auch mit Sinn und Zweck der einseitigen Anrechnungsvorschrift nicht im Einklang. Maßgebend für die Gewährung eines Rechtsanspruchs auf wiederaufgelebte Witwenrente war, der Witwe den Entschluß zur Wiederverheiratung zu erleichtern und damit sogenannten Rentnerkonkubinaten entgegenzuwirken (BT-Drucks. 1/2846, S. 26; 11/2437, S. 79/80; BSGE 19, 153, 155; 21, 279, 280/281; BVerwGE 26, 15, 19; 31, 197, 208; 42, 40, 44; BVerfGE 25, 142, 149; 38, 187, 204). Zu diesem Zwecke garantiert das Gesetz bei Auflösung der Zweitehe im Sinne einer „Mindestversorgung” grundsätzlich wieder die gleiche Versorgung wie aus der Erstehe. Die Witwe soll für diesen Fall nicht schlechter aber auch nicht besser stehen als vor der Wiederheirat. Die Mindestversorgung soll jedoch erst dann Platz greifen, wenn eine entsprechende Versorgung nicht in erster Linie aus den infolge der Auflösung der Zweitehe erworbenen Ansprüchen, Versorgungs-, Unterhalts- und Rentenansprüchen bestritten werden kann. Das Wiederaufleben der Witwenrente bezweckt, in diesem Sinne lediglich eine Versorgungslücke zu schließen, sofern die Versorgung aus der Zweitehe hinter dem früheren Versorgungsstatus der Witwe zurückbleibt (BSGE 19, 153, 155; 21, 279, 280/281; 42, 110, 111; BSG NJW 1973, 2223; 1976, 991, 992; BVerfGE 38, 187, 199 ff,). Dieser letzteren Zwecksetzung hat die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts besonderen Ausdruck verliehen, indem es im Anschluß an die Grenzen, die der Vertragsfreiheit der Scheidungsvereinbarung nach § 72 EheG gegenüber der Allgemeinheit oder einer versicherten Gemeinschaft gesetzt sind (BGHZ 20, 127, 134), einem Verzicht auf einen gesetzlichen Unterhaltsanspruch aus der Zweitehe gegenüber wiederaufgelebter Witwenrente die Wirkung versagte. Denn der Sinn der Regelung verbiete es, daß die Witwe durch einen Unterhaltsverzicht selbst eine Versorgungslücke schaffe, damit diese durch das Wiederaufleben von Witwenrente geschlossen werde (BSGE 21, 279, 280/281; 42, 110, 111; BSG NJW 1973, 2223; vgl. auch § 44 Abs. 5 Satz 2 BVG).

3. Auf die vorstehende Auslegung und die daraus folgende Subsidiarität des Anspruchs auf wiederaufgelebte Witwenrente ist es ohne Einfluß, daß Witwenrente bei Auflösung der Zweitehe nunmehr ausnahmslos (vgl. BVerfGE 38, 187 ff.) unabhängig vom Verschulden gewährt wird. Durch das Rentenreformgesetz vom 16. Oktober 1972 (BGBl I S. 1965) wurde die Verschuldensklausel, die bisher das Wiederaufleben von Witwenrente davon abhängig machte, daß die Ehe ohne alleiniges oder überwiegendes Verschulden der Witwe aufgelöst wurde, für § 68 Abs. 2 AVG und die entsprechenden sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften beseitigt. Im Beamten- und Entschädigungsrecht bestand dagegen der Anspruch bereits von Anfang an völlig unabhängig vom Scheidungsverschulden (§ 164 Abs. 3 BBG a.F.; § 88 Abs. 3 BRRG a.F.; § 23 Satz 2 BEG). Hieraus und aus der mit dem Wegfall der Verschuldensklausel erfolgten Zwecksetzung, der bevorstehenden Reform des Ehe- und Familienrechts Rechnung zu tragen (BT-Drucks. VI/2916 S. 42), folgt die Unbeachtlichkeit der Änderung für die hier zu beurteilende Rechtsfrage. Die damit vollzogene Erweiterung der Fälle des Wiederauflebens der Witwenrente steht ihrer Subsidiarität, soweit ein Unterhaltsanspruch aus der Eheauflösung besteht, nicht entgegen.

4. Die Vorschriften des § 68 Abs. 2 AVG und des § 44 Abs. 2 BVG sind sonach nicht dazu bestimmt, den unterhaltspflichtigen Ehegatten aus der Zweitehe zu Lasten der Rentenversicherungsträger zu entlasten (Ruland aaO S. 101; Jung FamRZ 1974, 428, 429). Zu einer derartigen, nicht gerechtfertigten Verlagerung der Unterhaltslast vom primär unterhaltspflichtigen geschiedenen Ehegatten auf den Rentenversicherungsträger aber würde der vom Berufungsgericht eingeschlagene Weg führen. Dies wird besonders in Fällen deutlich, wo ein hohes Manneseinkommen mit einer relativ hohen Witwenrente zusammentrifft. Aber auch andere Methoden einer wechselweisen Anrechnung, wie etwa der von Herholz (RiA 1954, 345 ff.) vorgeschlagene Weg eines zweistufigen Anrechnungsverfahrens oder die auf Fälle geringen Manneseinkommens beschränkte Anrechnung des den Unterhaltsbetrag übersteigenden Rentenanteils als Einkommen der Frau (Petermann Rpfleger 1972, 157), stehen mit dem Gesetz nicht in Einklang. Es ist insbesondere auch nicht zulässig, zunächst den Unterhaltsanspruch ohne Berücksichtigung der Rente zu ermitteln und auf die Rente anzurechnen, den danach bleibenden Rentenbetrag aber dann als Einkommen der Frau bei der Bemessung des vom geschiedenen Ehemann tatsächlich noch zu zahlenden Unterhaltsbetrages zu berücksichtigen. Diese Methode ginge zwar nicht zu Lasten des Rentenversicherungsträgers. Sie würde aber zu einer unterschiedlichen Auslegung des im Gesetz einheitlich verwendeten Begriffs des Unterhaltsanspruchs führen und überdies dem Ziel der Vorschriften über das Wiederaufleben der Witwenrente widersprechen, der Witwe eine Mindestversorgung in Höhe der Versorgung aus der ersten Ehe zu gewährleisten.

Gegen die aus der Durchführung der Subsidiarität gebotene Nichtberücksichtigung der Rente bei der Bemessung des Unterhaltsanspruchs wird vom Berufungsgericht und von Stimmen aus dem Schrifttum (Herholz RiA 1954, 345, 346; Petermann Rpfleger 1972, 157, 158) eingewandt, sie führe zu dem unterhaltsrechtlich unbilligen Ergebnis, daß der unterhaltspflichtige Ehegatte durch seine Leistung dazu beitragen müßte, der Frau eine Versorgung zu gewährleisten, die (unter Einschluß des überschiessenden Rententeils) über dem Betrag liegen kann, welcher dem Manne verbleibt. Die das gesamte Dreiecksverhältnis der Leistungspflichten umfassende und damit über die bloße unterhaltsrechtliche Beziehung hinausgehende Zwecksetzung von § 68 Abs. 2 AVG und § 44 Abs. 5 BVG schließt jedoch diese Möglichkeit ein. Denn das Bündel der Gesetzeszwecke gebietet gleichzeitig die Gewährleistung der Mindestversorgung aus erster Ehe (die sogar über dem für die Unterhaltsgewährung aus der Zweitehe zur Verfügung stehenden Einkommen liegen kann) und stellt die wiederaufgelebte Witwenrente im Sinne der Ausfüllung einer Versorgungslücke nur insoweit zur Verfügung, als Versorgungs-, Unterhalts- oder Rentenansprüche aus der Zweitehe nicht bestehen oder die Mindestversorgung nicht erreichen. Den vom Berufungsgericht angesprochenen Billigkeitsgesichtspunkten könnte daher nur durch eine Gesetzesänderung Rechnung getragen werden.

III.

Im Schrifttum wird von Tempel (aaO S. 143 ff.) die Auffassung vertreten, daß die Subsidiarität der wiederaufgelebten Witwenrente gegenüber der Unterhalts Verpflichtung des geschiedenen Ehegatten dann entfalle, wenn die Verwandten des Unterhaltsberechtigten vor dem geschiedenen Ehegatten haften. Dies war gemäß § 63 Abs. 1 Satz 2 EheG u. a. unter den Voraussetzungen des § 59 EheG der Fall (vgl. nunmehr die Nachfolgevorschriften der §§ 1581, 1584 BGB). Tempel begründet seine Ansicht damit, daß sich die Rangfolge zwischen Witwenrente und Unterhaltspflicht von Verwandten nach allgemeinen Grundsätzen bestimme, der Rentenanspruch also die Bedürftigkeit und damit den Unterhaltsanspruch mindere oder beseitige; dies müsse dann auch für den Unterhaltsanspruch gegen den geschiedenen Ehemann gelten, wenn dieser in der gesetzlichen Haftungsreihenfolge gemäß § 63 EheG erst nach den Verwandten herangezogen werden könne. Das Bundessozialgericht ist demgegenüber bisher von der Subsidiarität der Witwenrente gegenüber der Unterhaltspflicht des geschiedenen Ehegatten auch in den Fällen des § 59 EheG ausgegangen (BSGE 21, 279, 280).

Die Frage bedarf keiner abschließenden Klärung, weil ein Fall der nachrangigen Haftung des Klägers nicht vorliegt. Der Kläger hat sich in der Scheidungsvereinbarung, durch die der kraft Gesetzes bestehende Unterhaltsanspruch konkretisiert worden ist, ohne jede Einschränkung zur Zahlung des vereinbarten Betrages verpflichtet. Eine vorrangige Haftung der Verwandten der Beklagten für diesen Unterhaltsbetrag kommt daher nicht in Betracht und wird vom Kläger auch nicht geltend gemacht.

IV.

Die wiederaufgelebte Witwenrente, die die Beklagte nach dem Bundesversorgungsgesetz erhält, hat das Berufungsgericht bei der Bemessung des Unterhaltsanspruchs in voller Höhe als Einkommen der Frau berücksichtigt. Es hat aus der Vorschrift des § 44 Abs. 5 Satz 1 BVG abgeleitet, daß sich hinsichtlich dieser Rente keine Anrechnungsprobleme ergeben könnten, weil der Unterhaltsanspruch bereits in vollem Umfang auf die Witwenrente aus der Angestelltenversicherung angerechnet worden sei.

Auch dem kann nicht beigetreten werden. Es trifft allerdings zu, daß § 44 Abs. 5 Satz 1 BVG die Anrechnung des Unterhaltsanspruchs auf die Versorgungsrente nur insoweit vorschreibt, als der Anspruch nicht schon zur Kürzung anderer wiederaufgelebter öffentlich-rechtlicher Leistungen geführt hat. Diese Regelung besagt jedoch nur, daß der Unterhaltsanspruch im Falle mehrerer wiederaufgelebter Witwenrenten nicht mehrfach, sondern nur einmal angerechnet werden darf. Sie ändert dagegen nichts daran, daß auch die wiederaufgelebte Witwenrente nach dem Bundesversorgungsgesetz nur der Auffüllung einer durch die Auflösung der zweiten Ehe eintretenden Versorgungslücke dient und damit ebenso wie die Witwenrente aus der Angestelltenversicherung gegenüber dem Unterhaltsanspruch subsidiär ist (BSGE 42, 110, 112). Bei der Prüfung, ob und in welcher Höhe ein auf die Renten anzurechnender Unterhaltsanspruch der Beklagten gegen den Kläger besteht, müssen daher beide Renten unberücksichtigt bleiben, wenn auch der sich danach ergebende Unterhaltsanspruch dann nur auf eine der wiederaufgelebten Renten angerechnet wird.

V.

Ohne Berücksichtigung der wiederaufgelebten Witwenrenten liegt keine wesentliche Veränderung der Verhältnisse vor, die nach § 323 ZPO zu einer Abänderung der Unterhaltsvereinbarung zu Gunsten des Klägers führen könnte. Die Klage ist daher mit der Kostenfolge des § 91 ZPO als unbegründet abzuweisen (§ 565 Abs. 3 Nr. 1 ZPO).

 

Unterschriften

Dr. Grell, Knüfer, Dr. Hoegen, Dr. Seidl, Blumenröhr

 

Fundstellen

Haufe-Index 779769

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