Leitsatz (amtlich)

a) Wird das Kind nach Tötung seiner unterhaltspflichtigen Mutter von Dritten (z.B. Verwandten) unentgeltlich versorgt, so ist der zu ersetzende Unterhaltsschaden an Hand der üblichen Kosten einer gleichwertigen Familienunterbringung zu schätzen, nicht jedoch aufgrund wesentlich höherer Kosten, die bei Heimunterbringung oder Einstellung einer beruflichen Ersatzkraft entstehen würden.

b) Ist der Vater eines unterhaltsberechtigten Kindes unbekannten Aufenthaltes, so ist die Mutter unter dem Gesichtspunkt der Ersatzhaftung (§ 1607 Abs. 2 BGB) zur Leistung des vollen Unterhaltes verpflichtet.

c) Das unterhaltsberechtigte Kind muß sich eine bei Scheidung der Ehe seiner Eltern nach Schweizer Recht von seinem Vater bezahlte Unterhaltsabfindung auf den Unterhaltsschaden im Falle der Tötung der Mutter anrechnen lassen.

d) Die Erträgnisse der zu einer Lebensversicherung abgeschlossenen Unfallzusatzversicherung sind auf den Schadensersatzanspruch nach § 844 Abs. 2 BGB nicht anzurechnen (Ergänzung zu BGHZ 39, 249).

 

Normenkette

BGB §§ 249, 844 Abs. 2, § 1607 Abs. 2; ZPO § 287

 

Verfahrensgang

OLG Celle (Urteil vom 09.10.1969)

LG Lüneburg

 

Tenor

1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des 5. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Celle vom 9. Oktober 1969 wird zurückgewiesen.

2. Auf die Revision der Beklagten wird unter Zurückweisung dieses Rechtsmittels im übrigen das vorbezeichnete Urteil im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Beklagten für die Zeit bis zur Vollendung des 15. Lebensjahres des Klägers zur Zahlung verurteilt worden sind.

Die Sache wird insoweit zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

3. Von den Kosten des Revisionsrechtszuges hat der Kläger die Hälfte zu tragen. Die Kostenentscheidung im übrigen bleibt dem Berufungsgericht vorbehalten.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Der am … 1962 geborene Kläger ist das einzige Kind der geschiedenen Eheleute Hans Peter L. und Anke geb. F. Der Kläger besitzt wie sein Vater die schweizerische Staatsangehörigkeit. Er lebte bei seiner Mutter, der die elterliche Gewalt zustand. Der Vater ist unbekannten Aufenthaltes. Er hat zur Abfindung des Unterhaltsanspruchs des Klägers einen Betrag von 16.000 sFr. bezahlt. Die Mutter war als Prokurist in im Fabrikationsbetrieb ihres Vaters tätig. Ihr stand auf dem Fabrikgelände eine Wohnung mit Büro zur Verfügung. Dadurch war es ihr möglich, den damals 3 Jahre alten Kläger neben ihrer Berufstätigkeit im wesentlichen zu versorgen. Als sie sich am 16. Juli 1965 mit einem betriebseigenen VW auf Geschäftsreise befand, wurde sie durch das alleinige Verschulden des Zweitbeklagten tödlich verletzt. Der Kläger lebt nunmehr im Haushalt seiner Großeltern mütterlicherseits.

Die Haftung des Erst- und des Zweitbeklagten als Halter und Fahrer des am Unfall beteiligten Lastkraftwagens aus §§ 823, 831 BGB, 7, 18, 10 Abs. 2 StVG ist dem Grunde nach unstreitig. Der Rechtsstreit wird wegen der Höhe des dem Kläger nach § 844 Abs. 2 BGB zustehenden Schadensersatzanspruches geführt.

Der Kläger bemißt den Wert der ihm von seiner Mutter zu gewährenden Unterhaltsleistungen aufgrund der gedachten Aufwendungen einer nach BAT VII eingestuften, über 31 Jahre alten Hauswirtschaftsleiterin mit 809,– DM monatlich. Davon zieht er die ihm von der BfA und der Berufsgenossenschaft der C. Industrie, H., gewährten Renten von 60,70 DM und 187,20 DM, sowie die Zinsen aus dem Kapital einer von seiner Mutter abgeschlossenen Sparversicherung mit 60,– DM, zusammen 307,90 DM monatlich ab. Er begehrt von den Beklagten gesamt Schuldnerisch die Differenz von monatlich abgerundet 500,– DM. Diese macht er für die Zeit vom 17. Juli 1965 bis 16. Mai 1968 in Höhe von 17.000 DM nebst Zinsen geltend und begehrt ab 17. Mai 1968 bis zur Vollendung seines 15. Lebensjahres eine Rente von monatlich 500,– DM sowie die Feststellung künftiger Schadensersatzverpflichtung aus dem Unfall, vorbehaltlich des Quotenvorrechts der Sozialversicherungsträger.

Die Beklagten, die Klageabweisung beantragen, sind der Ansicht, der Schadensersatzberechnung müsse der Betrag zugrunde gelegt werden, der für die Unterbringung des Klägers in einer fremden Familie erforderlich wäre und halten hierfür 150 bis 200,– DM, keinesfalls mehr als die ihm zur Verfügung stehenden 307,90 DM monatlich für angemessen. Sie weisen darauf hin, daß die Mutter des Klägers neben ihrer Erwerbstätigkeit nur mit etwa einem Viertel ihrer Arbeitskraft für die persönlichen Unterhaltsleistungen zur Verfügung gestanden habe und auch nicht zu mehr verpflichtet gewesen sei.

Das Landgericht hat eine Rente von monatlich 267,– DM für den begehrten Zeitraum zuerkannt und der Feststellungsklage in dieser Höhe stattgegeben. Das Oberlandesgericht hat diesen Rentenbetrag mit einer anderen Begründung bestätigt.

Beide Parteien haben Revision eingelegt, mit der sie ihre Anträge weiter verfolgen.

 

Entscheidungsgründe

I. Revision des Klägers

1. Zutreffend beurteilt das Berufungsgericht den Unterhaltsanspruch des Klägers, der schweizer Staatsangehöriger ist, nach deutschem Recht, da er seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland hat (Art. 1 des Haager Übereinkommens über das auf Unterhaltsverpflichtungen gegenüber Kindern anzuwendende Recht vom 24. Oktober 1956 – BGBl. II 1961, 1013; Zustimmungsgesetz vom 18. Juli 1961 – BGBl. II 1961, 1012; in der Schweiz in Kraft getreten am 17. Januar 1965 – BGBl. II 1965, 40 –).

2. Das Berufungsgericht berücksichtigt bei der Bewertung des dem Kinde gesetzlich zustehenden Unterhaltsanspruchs zu Recht, daß – von der noch zu erörternden Unterhaltsabfindung durch den Vater abgesehen – hier der Mutter allein sowohl die Beschaffung der erforderlichen Barmittel als auch die Versorgung und Erziehung des Kindes als gesetzliche Verpflichtung oblag. Es stellt unangefochten insbesondere fest, daß die Mutter wegen der für sie als Prokuristen im väterlichen Betrieb besonders günstig gestalteten Arbeitsbedingungen auch zur Ausübung der persönlichen Unterhaltsleistungen (§ 1606 Abs. 3 BGB) neben ihrer Berufstätigkeit in der Lage gewesen sei.

Die Höhe dieses dem Kläger gesetzlich zustehenden Unterhaltsanspruchs schätzt das Berufungsgericht – ausgehend von dem monatlichen Bareinkommen der Mutter von 1.000 DM brutto zuzüglich kostenfreier Wohnung und kostenfreier Benutzung eines betriebseigenen Personenkraftwagens – auf 170 DM für Sachaufwendungen (Bekleidung, ärztliche Betreuung, Taschengeld, Reisen usw.) und auf 450 DM für die entgangenen persönlichen Leistungen. Letztere bewertet es nicht, wie das Landgericht, nach der Zahl der Stunden, die die Mutter neben ihrer Berufstätigkeit dem Haushalt und speziell dem Kläger tatsächlich widmete, sondern aufgrund des dem Kläger gesetzlich zustehenden Anspruchs auf volle Versorgung und Betreuung. Den Bewertungsmaßstab für diese persönlichen Unterhaltsleistungen sieht es nicht – wie der Kläger – in den Aufwendungen, die bei der Einstellung einer beruflichen Ersatzkraft anfallen würden. Vielmehr hält es eine Bewertung des Schadensersatzanspruchs aufgrund der Mittel für rechtlich geboten, die erforderlich wären, tun den Kläger in einer den bisherigen Verhältnissen entsprechenden Weise in einem Heim oder einer Familie unterzubringen. Die Kosten dieser Unterbringung seien mit 450,– DM als Mittelwert zwischen den hierfür notwendigen Aufwendungen von 270 bzw. 630,– DM angemessen.

3. Diese Ausführungen enthalten keinen Rechtsirrtum zum Nachteil des klagenden Kindes.

a) Dessen Revision meint zunächst, eine Unterbringung in einem Heim oder in einer anderen Familie zu Pflegezwecken stelle keinen vollen Ersatz dessen dar, was der Kläger gehabt hätte, wenn seine Mutter weitergelebt und ihn betreut hätte. Er könne einen familiengerechten Ausgleich und damit die Einstellung einer Ersatzkraft für ihn im Hause seiner Großeltern beanspruchen. Die dafür erforderlichen Aufwendungen beliefen sich auf monatlich mindestens 809,– DM.

Dem kann nicht beigetreten werden. Zu Recht hat das Berufungsgericht die Schätzung nicht an Hand der Kosten einer berufsmäßigen Ersatzkraft vorgenommen. Der dem Kläger wegen Verlustes des Rechts auf Unterhalt zustehende Schadensersatzanspruch soll ihm denjenigen Lebensunterhalt verschaffen, auf den er nach §§ 1601 ff BGB Anspruch gehabt hätte. Dieser Unterhaltsanspruch umfaßt den gesamten Lebensbedarf einschließlich der Kosten der Erziehungund Vorbildung zu einem Beruf und bestimmt sich nach seiner Lebensstellung (§ 1610 Abs. 1 und 2 BGB).

Werden nach dem Tode des Unterhaltsverpflichteten neben den erforderlichen Sachaufwendungen auch für die Beschaffung von Ersatz für die persönlichen Leistungen tatsächlich Mittel aufgewandt, so wird der nach § 249 S. 2 BGB zur Schadensbeseitigung objektiv erforderliche Geldbetrag aufgrund dieser Aufwendungen zu bestimmen sein (BGHZ 54, 82, 84), sofern dem Unterhaltsberechtigten nicht eine Verletzung der ihm obliegenden Schadensminderungspflicht nachgewiesen ist. In diesen Fällen unterliegt die Schätzung der Höhe des Schadens keinem Zweifel; er bemißt sich „konkret”) nach der Höhe dessen, was der Unterhaltsberechtigte für die ausgefallenen persönlichen Leistungen aufwenden muß.

Werden aber, wie in dem hier zu entscheidenden Falle, keine konkret bezeichneten Mittel für die Versorgung und Erziehung des Kindes aufgewandt, da es im Haushalt seiner Großeltern ohne eine eigens für das Kind eingestellte Ersatzkraft versorgt wird, so kommt dies zwar nicht in dem Sinne dem Schädiger zugute, daß insoweit überhaupt kein Schaden gegeben sei. Nach ständiger Rechtsprechung liegt dem § 843 Abs. 4 BGB, wonach der Unterhaltsanspruch nicht dadurch ausgeschlossen wird, daß ein anderer dem Verletzten Unterhalt zu gewähren hat, ein über den Wortlaut des Gesetzes hinausgehender allgemeiner Rechtsgedanke zugrunde: Der Schädiger soll nicht deshalb freigestellt sein, weil ein anderer den Unterhalt des Geschädigten sichert (BGHZ 9, 179, 191; BGH Urteil vom 21. Oktober 1969 – VI ZR 86/68 – VersR 1970, 41 m.w.N.). Dieser Grundsatz besagt jedoch nicht, daß bei Schätzung des Wertes der persönlichen Unterhaltsleistungen von den Aufwendungen ausgegangen werden müßte, die bei Einstellung einer Ersatzkraft oder bei einer Heimunterbringung marktüblich erforderlich sein würden. Abgesehen davon, daß die für eine Ersatzbeschaffung aufzuwendenden Mittel ohnehin nur Anhaltspunkt für die Bewertung der persönlichen Unterhaltsleistungen sein können (BVerfG 17, 1, 16; BGHZ 50, 304, 306; BVerwG 13, 343, 355), bieten sich bei den vergleichsweise heranzuziehenden Mitteln für eine Ersatzbeschaffung zumeist mehrere Möglichkeiten mit sehr unterschiedlichen Kosten an: Die Einstellung einer Ersatzkraft oder die Unterbringung des Kindes in einem Heim oder in einer Familie. Wenn – wie hier – das ersatzberechtigte Kind innerhalb der Familie oder Verwandtschaft unentgeltlich versorgt wird, muß die Schätzung des Wertes der entzogenen Unterhaltsleistungen von dem Grundsatz ausgehen, daß sich das Maß des zu ersetzenden Unterhaltes nicht nach einem fiktiven, sondern nach dem tatsächlichen Lebensbedarf des Kindes bestimmt, auf dessen Erfüllung es gesetzlichen Anspruch gegen die getötete Mutter hatte (Urteil vom 18. Februar 1964 – VI ZR 32/63 – VersR 1964, 597). Soweit in dem Urteil vom 21. Oktober 1969 (– VI ZR 86/68 – VersR 1970, 41) in einer für das Ergebnis dieses Urteils nicht tragenden Bemerkung Abweichendes ausgeführt ist, wird daran nicht festgehalten. Maßgebend muß bleiben, was ein verständiger, für das Wohl des Kindes besorgter Elternteil an Vorsorge treffen und an Mitteln aufwenden würde, wenn er diese selbst zu tragen hätte und tragen könnte, wobei Einschränkungen aus Anlaß des Schadensereignisses nicht in Betracht kommen. Wenn, wie es hier geschehen ist und im Interesse des Kindes naheliegt, eine Versorgung im Kreise von Verwandten angestrebt wird und dies ohne unzumutbare Schwierigkeiten und ohne Einschränkungen möglich ist, muß schon nach § 254 BGB dieser Weg beschritten werden. Es sind dann die Kosten einer Familienunterbringung (ohne die gesondert zu berechnenden Sachleistungen für Verpflegung, Kleidung usw.) zu schätzen, und zwar wiederum an Hand der üblichen Kosten einer gleichwertigen Unterbringung in einer fremden Familie als Anhaltspunkt.

Im vorliegenden Fall spricht für den Standpunkt des Berufungsgerichts ferner, daß die Großeltern, sofern sie eine für die Versorgung des Klägers erforderliche Ersatzkraft einstellten, teilweise auch selbst davon Nutzen zögen. Dementsprechend könnte allenfalls ein Teil der für eine Ersatzkraft zu erbringenden Aufwendungen bei der Schadensschätzung zugrunde gelegt werden.

b) Die Revision des Klägers meint weit er, das Berufungsgericht habe die für eine Heim- oder Familienunterbringung anfallenden Kosten nicht ohne Einholung eines Sachverständigengutachtens schätzen dürfen und rügt insoweit Versagung des rechtlichen Gehörs. Diese Rüge ist nicht berechtigt. Die Frage, wie die persönlichen Unterhaltsleistungen zu bewerten sind, war erkennbar der wesentliche Streitpunkt dieses Rechtsstreits. Das Berufungsgericht konnte ohne Verfahrensverstoß davon ausgehen, daß den Parteien die Erörterungen in Rechtsprechung und Rechtslehre zu dieser Frage bekannt waren. Darum bedurfte es keines Hinweises nach § 139 ZPO, wenn das Berufungsgericht die Schätzung an Hand der bei einer Familien- oder Heimunterbringung anfallenden Kosten vornehmen wollte. Es war dem Berufungsgericht ferner nicht verwehrt, die dabei anfallenden Kosten aus eigener Sachkunde zu schätzen.

c) Es liegt auch kein Rechtsfehler zum Nachteil des Klägers darin, daß das Berufungsgericht als Ergebnis seiner Schadensberechnung einen monatlichen Durchschnittsbetrag zubilligt. Sofern sich ein später zu erwartender Mehrverdienst der Mutter überhaupt auf den gesetzlichen Unterhaltsanspruch des Klägers ausgewirkt haben würde und nicht durch ein Ansteigen der Rentenleistungen ausgeglichen worden wäre, steht dem Kläger bei einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse, die für die Bestimmung der Höhe der Leistungen maßgebend waren, der Weg der Abänderungsklage (§ 323 ZPO) offen.

d) Ferner wendet sich die Revision des Klägers ohne Erfolg dagegen, daß das Berufungsgericht die für das aus der Unterhaltsabfindung des Vaters stammende Kapital von 16.000 sFr. gezahlten Zinsen in Anrechnung bringt. Es kommt nicht darauf an, wie diese Zinsen zu Lebzeiten der Mutter verwendet wurden, sondern ob sie eine in Anrechnung zu bringende Unterhaltsleistung des Vaters darstellen, was zu bejahen ist.

e) Die Revision stellt schließlich die Rechtsprechung über die Vorteilsausgleichung bezüglich der Zinserträge aus von der Mutter des Klägers abgeschlossenen Spar-Lebensversicherungen zur Nachprüfung. Der Senat sieht keinen Anlaß, von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (BGHZ 39, 249, 252) abzuweichen.

II. Revision der Beklagten

Das Berufungsurteil hält den Angriffen dieser Revision nicht in allen Punkten stand.

1. Die Revision der Beklagten meint, die Mutter des Klägers sei gesetzlich nur verpflichtet gewesen, die Hälfte des Unterhalts für den Kläger zu bestreiten, während die andere Hälfte vom Vater des Klägers beizusteuern sei. Dem kann nicht zugestimmt werden.

Die Unterhaltspflicht der Eltern ist zwar keine Gesamtschuld, sondern eine Teil schuld. Insoweit wird auf das gleichzeitig verkündete, zur Veröffentlichung bestimmte Urteil – VI ZR 245/69 – verwiesen. Aus dieser Erwägung könnte die Mutter somit nicht für den gesamten Unterhaltsbedarf in Anspruch genommen werden. Es mag auch dahinstehen, ob die von den Eltern des Klägers am 17. Juni 1963 im Ehescheidungsverfahren nach Art. 156 Abs. 2 Schweizer ZGB getroffene und nach Art. 158 Ziff. 5 a.a.O. genehmigte „Vereinbarung” über die Zahlung einer Unterhaltsabfindung für den Kläger in Höhe von 16.000 sFr. eine völlige Preisteilung des Vaters des Klägers von der Unterhaltspflicht enthält. Jedenfalls ist die Mutter hier aber aus dem Gesichtspunkt der Ersatzhaftung (§ 1607 Abs. 2 BGB) zur Leistung des vollen Unterhaltes verpflichtet, soweit er nicht aus der vom Vater geleisteten Unterhaltsabfindung bestritten werden kann. Es liegt eine erhebliche Erschwerung der Rechtsverfolgung etwaiger weiterer über den Abfindungsbetrag von 16.000 sFr. hinausgehender Unterhaltsansprüche des Klägers gegen seinen Vater darin, daß dieser aus der Schweiz ausgewandert und unbekannten Aufenthaltes ist. Damit würde die Durchsetzung etwaiger Unterhaltsansprüche durch ein tatsächliches Hindernis derart hinausgezögert werden, daß eine Gefahr für die Existenz des Unterhaltsberechtigten entstünde (Staudinger/Gotthardt, BGB 10./11. Aufl. 1966, § 1607 Rdz. 17; Soergel/Lange, BGB 10. Aufl. § 1606 Rdz. 13; § 1607 Rdz. 2).

2. Die Beklagten wenden sich mit der Revision ferner gegen die vom Berufungsgericht vorgenommene Schätzung des Wertes der entzogenen Unterhaltsleistungen auf monatlich 620,– DM. Sie halten für die persönlichen Leistungen der Mutter einen Betrag von höchstens 300 DM (statt 450 DM) und für die sonstigen Bedürfnisse des Kindes einen Betrag von 150 DM (statt 170 DM) für angemessen.

a) Die Revision enthält keine Ausführungen darüber, nach welchen Gesichtspunkten sie den Betrag für Sachaufwendungen auf nur 150 DM schätzt. Auch erhebt sie gegen die vom Berufungsgericht vorgenommene Schätzung auf 170 DM keine Verfahrensrüge. Die Entscheidung des Berufungsgerichts hält sich im Rahmen tatrichterlichen Ermessens und ist deshalb in diesem Punkt aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.

b) Jedoch beruht die Schätzung des Wertes der im Rahmen des Unterhalts gesetzlich geschuldeten persönlichen Leistungen der Mutter auf 450 DM auf einem zum Nachteil der Beklagten fehlerhaften Bewertungsmaßstab. Zwar bietet die von der Revision der Beklagten befürwortete sog. „Pauschalierungsmethode”, d.h. eine Bewertung der persönlichen Leistungen gemäß dem Geldbedarf des Unterhaltsberechtigten, keinen geeigneten Bewertungsmaßstab. Ein Rechtsfehler liegt jedoch darin, daß das Berufungsgericht bei dieser Schätzung einen Mittelwert zwischen den Kosten einer Familienunterbringung und den Kosten einer Heimunterbringung zugrunde legt. Die Kosten der letzteren liegen erfahrungsgemäß erheblich über den bei einer Familienunterbringung zu zahlenden Pflegekosten. Wie zur Revision des Klägers unter I 3 a bereits dargelegt, bieten in dem hier zu entscheidenden Fall aber die Kosten einer Familienunterbringung den richtigen Anhaltspunkt für die Schadensschätzung.

3. Das Berufungsgericht bringt nur die aus dem Abfindunsbetrag von 16.000 sFr. zu erzielenden Zinsen mit 60,– DM (5 %) in Anrechnung, nicht jedoch das Kapital selbst. Es meint, die Beklagten könnten innerhalb des hier in Frage stehenden Zeitraumes nicht verlangen, daß der Kläger bis zur Vollendung des 15. Lebensjahres den Kapitalbetrag von 16.000 sFr. verbrauche; er hätte zu Lebzeiten seiner Mutter den Stamm des Vermögens nur angreifen müssen, wenn die Mutter ihm den Unterhalt ohne Gefährdung ihres eigenen Unterhalts sonst nicht hätte gewähren können (§ 1603 Abs. 2 BGB). Zudem wäre dieser Abfindungsbetrag bei vernünftiger Einteilung nicht schon während der Schulzeit angegriffen, sondern zur Gründung einer eigenen Existenz erst späterhin herangezogen worden.

Hiergegen macht die Revision zu Recht geltend, es handele sich bei diesem Abfindungsbetrag von 16.000 sFr. nicht um „Kindesvermögen” im Sinne der §§ 1602, 1603 BGB, sondern um eine Unterhaltsvorauszahlung des Vaters. Wie sich aus dem Urteil des Bezirksgerichts Bremgarten vom 19. Dezember 1963 ergibt, hatte der Vater des Klägers sich durch die gerichtlich genehmigte Ehescheidungskonvention verpflichtet, nach Rechtskraft des Scheidungsurteils als Abfindung des Unterhaltsanspruchs des Klägers gegen ihn einen Betrag von 16.000 sFr. zu zahlen. Dies ist ein Unterhaltsbeitrag, um den sich die der Mutter gesetzlich obliegende Unterhaltsverpflichtung mindert. Deshalb muß sich der Kläger diesen Betrag auch auf den Unterhaltsschaden bei Tötung der Mutter anrechnen lassen. Er kann nicht verlangen, daß dieser Betrag bis zum Beginn seiner Ausbildungszeit als Vermögensstamm erhalten bleibt. Zwar ist dem Berufungsgericht darin zuzustimmen, daß der davon in Anrechnung zu bringende monatliche Unterhaltsbeitrag nicht so berechnet werden kann, daß das Kapital bereits bei Vollendung des 15. Lebensjahres des Klägers verbraucht ist. Vielmehr wird er entsprechend den Bedürfnissen des Klägers unter Berücksichtigung möglicher erhöhter Ausbildungskosten so aufzuteilen (zu „verrenten”) sein, daß das Kapital am noch festzustellenden voraussichtlichen Ende der Ausbildungszeit aufgebraucht ist. Da die tatsächlichen Voraussetzungen hierfür noch aufzuklären sind, war die Berechnung dem Berufungsgericht vorzubehalten.

4. Zutreffend verneint das Berufungsgericht eine Anrechnung der Zinsen aus der von der Mutter des Klägers zu einer Lebensversicherung abgeschlossenen Unfallzusatzversicherung. Dies stellt die Revision zur Überprüfung.

Diese Unfallzusatzversicherung gewährt nur dann die Ausbezahlung eines besonderen Betrages, wenn der Todesfall, der durch die Lebensversicherung versichert ist, Folge eines Unfalles ist (§ 1 der Besonderen Bedingungen für die Unfallzusatzversicherung VA 1958, 22). Da ein „Unfall” im Sinne dieser Bestimmung dann vorliegt, wenn der Versicherte durch ein plötzlich von außen auf seinen Körper wirkendes Ereignis unfreiwillig eine Gesundheitsschädigung erleidet (§ 2 a.a.O.), handelt es sich bei diesem Zusatz trotz der engen Verknüpfung mit der Lebensversicherung insoweit nicht um eine Sparversicherung, sondern um eine Risikoversicherung. Der Eintritt dieses Versicherungsfalles war nicht gewiß. Es wird insoweit auf BGHZ 39, 249, 252 Bezug genommen. Der Senat sieht keine Veranlassung, von dieser Rechtsprechung abzuweichen.

III. Unter Zurückweisung der Revision des Klägers war hiernach auf die Revision der Beklagten das Berufungsurteil im Kostenpunkt und insoweit aufzuheben, als die Beklagten bis zur Vollendung des 15. Lebensjahres des Klägers zur Zahlung verurteilt worden sind, da nicht abschließend festgestellt werden kann, daß ein bestimmter Mindestbetrag jedenfalls zuzusprechen ist. Dagegen war der Feststellungsanspruch aufrechtzuerhalten, da die Entstehung von Ersatzansprüchen für die spätere Zeit möglich ist.

Die erneute Verhandlung vor dem Berufungsgericht gibt den Beklagten auch Gelegenheit, ihr Vorbringen, daß ein Kind im Alter des Klägers im Räume W. für monatlich 150 bis 200 DM angemessen untergebracht werden könne, erneut geltend zu machen.

 

Unterschriften

Pehle, Dr. Bode, Nüßgens, Dunz, Scheffen

 

Fundstellen

Haufe-Index 1502217

NJW 1971, 2069

Nachschlagewerk BGH

MDR 1971, 921

IPRspr. 1971, 70

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