Verfahrensgang

OLG Düsseldorf (Urteil vom 07.12.1990)

 

Tenor

Der Werkunternehmer, der ein Bauwerk arbeitsteilig herstellen läßt, muß die organisatorischen Voraussetzungen schaffen, um sachgerecht beurteilen zu können, ob das Bauwerk bei Ablieferung mangelfrei ist. Unterläßt er dies, so verjähren Gewährleistungsansprüche des Bestellers – wie bei arglistigem Verschweigen eines Mangels – erst nach dreißig Jahren, wenn der Mangel bei richtiger Organisation entdeckt worden wäre (Fortführung von BGHZ 62, 63 und 66, 43).

Zu den Anforderungen an die Darlegungslast des Bestellers in diesen Fällen.

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 22. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 7. Dezember 1990 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen.

 

Tatbestand

Die Beklagte errichtete 1968 für den Kläger eine Scheune aus Spannbeton-Fertigteilen. 1988 stürzte ein Teil des Daches ein. Die Ursache des Einsturzes lag darin, daß die Pfetten des Flachdaches nicht ausreichend auf den in die Giebelwand eingebauten Konsolen auflagen. Die in die Pfetten eingelassenen Eisenschlaufen erfaßten überdies – nach der Behauptung des Klägers von Anfang an – nicht die aus den Konsolen herausstehenden Dorne.

Der Kläger hat einen Sanierungsaufwand von 53.152,78 DM, hilfsweise Nutzungsentschädigung von 18.225,– DM verlangt. Zudem hat er die Feststellung der Verpflichtung zum Ersatz weiterer Schäden begehrt. Gegenüber der Verjährungseinrede der Beklagten hat er geltend gemacht, der Mangel sei arglistig verschwiegen worden.

Das Landgericht hat der Klage aus unerlaubter Handlung stattgegeben. Das Berufungsgericht hat sie abgewiesen. Dagegen richtet sich die Revision des Klägers.

 

Entscheidungsgründe

I.

Das Berufungsgericht verneint einen Schadensersatzanspruch des Klägers aus unerlaubter Handlung. Vertragliche Ansprüche nach § 635 BGB hält es gemäß § 638 BGB für verjährt. Der Kläger habe nicht dargelegt, daß die mangelhafte Errichtung des Daches von einem Mitarbeiter der Beklagten arglistig verschwiegen worden sei, dessen Kenntnis sich die Beklagte bei Erfüllung ihrer Offenbarungspflicht zurechnen lassen müsse. Diese Personen hätte er jedenfalls nach ihrem Aufgabenbereich benennen müssen. Der allgemeine Hinweis auf ein arglistiges Verschweigen eines der Mitarbeiter der Beklagten sei nicht ausreichend.

II.

Die Revision hat Erfolg.

1. Rechts fehlerfrei hat das Berufungsgericht allerdings Schadensersatzansprüche des Klägers aus unerlaubter Handlung verneint. Insoweit wird das Urteil von der Revision auch nicht angegriffen.

2. Vertragliche Schadensersatzansprüche des Klägers sind nach dem Vortrag des Klägers noch nicht verjährt. Das Berufungsgericht hat den Anwendungsbereich des § 638 Abs. 1 Satz 1 BGB bezüglich des arglistigen Verschweigens des Unternehmers zu eng gesehen und deshalb die Darlegungslast des Bestellers verkannt.

a) Nach der Rechtsprechung des Senats verschweigt arglistig, wer sich bewußt ist, daß ein bestimmter Umstand für die Entschließung seines Vertragsgegners von Erheblichkeit ist, nach Treu und Glauben diesen Umstand mitzuteilen verpflichtet ist und ihn trotzdem nicht offenbart (BGHZ 62, 63, 66). Im Ansatz richtig geht das Berufungsgericht davon aus, daß einem Unternehmer im Rahmen des § 638 Abs. 1 Satz 1 BGB regelmäßig nur die Arglist solcher Mitarbeiter zugerechnet wird, deren er sich bei der Erfüllung seiner Offenbarungspflicht gegenüber dem Besteller bedient. Dies entspricht der ständigen Rechtsprechung des Senats (BGHZ 62 a.a.O.; BGHZ 66, 43 ff) und der ganz überwiegend im Schrifttum vertretenen Auffassung (MünchKomm/Soergel 2. Aufl. § 638 Rdn. 36; Ingenstau/Korbion, VOB, 11. Aufl., B § 13 Rdn. 267 ff; Locher, Das private Baurecht. 4. Aufl., Rdn. 49; Werner/Pastor, Der Bauprozeß. 6. Aufl., Rdn. 2029 f; Nicklisch/Weick, VOB, 2. Aufl., § 13 Rdn. 83; Heiermann/Riedl/Rusam, VOB, 6. Aufl., B § 13 Rdn. 35e; Otto ZSW 1981, 194, 195; Siegburg. Gewährleistung beim Bauvertrag. 2. Aufl., Rdn. 339 ff). Erfüllungsgehilfe in diesem Sinn ist in der Regel derjenige, der mit der Ablieferung des Werkes an den Besteller betraut ist oder dabei mitwirkt (BGHZ 62, 63, 68). Die Kenntnis derjenigen Mitarbeiter, deren sich der Unternehmer lediglich bei der Herstellung bedient, muß sich er dagegen nicht zurechnen lassen. Etwas anderes gilt allerdings, wenn solche Mitarbeiter auch mit der Prüfung des Werkes auf Mangelfreiheit betraut sind und allein ihr Wissen und ihre Mitteilung den Unternehmer in den Stand setzen, seine Offenbarungspflicht gegenüber dem Besteller zu erfüllen (BGHZ 62, 68; BGHZ 66, 43, 45).

b) Damit wird aber der Anwendungsbereich des § 638 Abs. 1 Satz 1 BGB bezüglich des arglistigen Verschweigens nicht vollständig erfaßt. Wie der Senat bereits früher dargelegt hat, kann sich der Unternehmer seiner vertraglichen Offenbarungspflicht bei Ablieferung des fertigen Werkes nicht dadurch entziehen, daß er sich unwissend halt oder sich keiner Gehilfen bei der Pflicht bedient, Mangel zu offenbaren (BGHZ 66, 43, 46 f). Sorgt er bei der Herstellung des Werkes nicht für eine den Umständen nach angemessene Überwachung und Prüfung der Leistung und damit auch nicht dafür, daß er oder seine insoweit eingesetzten Erfüllungsgehilfen etwaige Mängel erkennen können, so handelt er vertragswidrig. Er ist gehalten, den Herstellungsprozeß angemessen zu überwachen und das Werk vor Abnahme zu überprüfen. Denn der Unternehmer muß fehlerfrei leisten. Er muß daher jedenfalls die organisatorischen Voraussetzungen schaffen, um sachgerecht beurteilen zu können, ob das fertiggestellte Werk bei Ablieferung keinen Fehler aufweist.

Es ist zwar allein Sache des Unternehmers, wie er seinen Betrieb organisiert. Der Besteller darf jedoch nicht dadurch haftungsrechtlich benachteiligt werden, daß er anstelle eines Alleinunternehmers ein Unternehmen beauftragt, das arbeitsteilig organisiert ist (Hochstein in Schäfer/Finnern Z 2.415.0; Schubert JR 1974, 282, 283; Jagenburg NJW 1971, 1425, 1427; Staudinger/Peters, BGB, 12. Aufl., § 638 Rdn. 33; Kaiser, Mängelhaftungsrecht, 6. Aufl., Rdn. 179; Gassner BauR 1990, 312, 316 f). Dies führt zwar entgegen einer in der Literatur vertretenen Auffassung (Hoffmann JR 1969, 372 ff; AK/Derleder, BGB, § 638 Rdn. 1) nicht zur Zurechnung der Kenntnisse einer jeden bei der Herstellung des Werkes mitwirkenden Hilfsperson. Das hat der Senat bereits in seinem Urteil BGHZ 62, 63, 67 f im einzelnen dargelegt. Daran ist festzuhalten.

Der Unternehmer hat jedoch dann einzustehen, wenn er die Überwachung und Prüfung des Werkes nicht oder nicht richtig organisiert hat und der Mangel bei richtiger Organisation entdeckt worden wäre. Der Besteller ist dann so zu stellen, als wäre der Mangel dem Unternehmer bei Ablieferung des Werkes bekannt gewesen. In diesem Fall verjähren seine Gewährleistungsansprüche erst nach dreißig Jahren, so daß die auf § 638 BGB gestützte Verjährungseinrede nicht begründet ist (vgl. BGHZ 71, 144, 149; BGHZ 83, 17, 27).

c) Daraus ergibt sich für die Darlegungslast folgendes:

aa) Grundsätzlich hat der Besteller die Voraussetzungen darzulegen, die zur dreißigjährigen Verjährungsfrist nach § 638 Abs. 1 Satz 1 BGB führen (Senatsurteil vom 6. Februar 1975 – VII ZR 209/72 = WM 1975, 525 = BauR 1975, 419). Er genügt seiner Darlegungslast, wenn er Tatsachen vorträgt, nach denen entweder der Unternehmer selbst oder die von diesem zur Erfüllung seiner Offenbarungspflicht eingesetzten Gehilfen den Mangel erkannt, aber nicht offenbart haben.

bb) Nach den vorstehend entwickelten Kriterien ist aber gegebenenfalls schon der Vortrag ausreichend, der Unternehmer habe die Überwachung des Herstellungsprozesses nicht oder nicht richtig organisiert, so daß der Mangel nicht erkannt worden sei. Welche Anforderungen an die Substantiierung im Hinblick auf die beim Besteller regelmäßig nicht vorhandenen Kenntnisse über die Organisation des Herstellungsprozesses zu stellen sind, wird der Tatrichter anhand der Umstände des jeweiligen Streitfalles zu beurteilen haben. Dabei kann die Art des Mangels ein so überzeugendes Indiz für eine fehlende oder nicht richtige Organisation sein, daß es weiterer Darlegung hierzu nicht bedarf (zur Arglist vgl. insoweit OLG Frankfurt Schäfer/Finnern/Hochstein § 638 BGB Nr. 13; Kaiser a.a.O. Rdn. 179; Gassner BauR 1990, 312, 317 f, Siegburg a.a.O. Rdn. 339). So kann ein gravierender Mangel an besonders wichtigen Gewerken ebenso den Schluß auf eine mangelhafte Organisation von Überwachung und Überprüfung zulassen wie ein besonders augenfälliger Mangel an weniger wichtigen Bauteilen.

Demgegenüber wird der Unternehmer vorzutragen haben, wie er seinen Betrieb im einzelnen organisiert hatte, um den Herstellungsprozeß zu überwachen und das Werk vor Ablieferung zu überprüfen.

d) Diese Grundsätze hat das Berufungsgericht nicht bedacht. Hier spricht nach der Art des Mangels alles dafür, daß die Überwachung und Überprüfung der durch die Mitarbeiter der Beklagten erbrachten Leistungen mangelhaft organisiert worden waren. Der Mangel war schon deshalb besonders augenfällig, weil die Pfetten deutlich sichtbar zu kurz waren. Das war nach den Feststellungen des Berufungsgerichts für die mit den Maurerarbeiten befaßten Zeugen Terhorst und Heidemann sogar Anlaß, die Mitarbeiter der Beklagten auf die auffällige Lücke anzusprechen. Zudem waren die Auflage und Verankerung der Pfetten für die Stabilität des Daches von wesentlicher Bedeutung. Eine mit der Überwachung und Oberprüfung betraute Hilfsperson der Beklagten, etwa ein Bauleiter, hätte diesem Teil des Gewerkes besondere Aufmerksamkeit gewidmet und die Lücke mit Sicherheit erkannt. Er hätte dabei auch bemerkt, daß die beabsichtigte Verankerung nicht erreicht worden war, weil – wovon entsprechend der vom Sachverständigen bestätigten Behauptung des Klägers in der Revision auszugehen ist – die an den Pfetten befestigten Ösen die aus den Wandkonsolen herausragenden Dorne von Anfang an nicht erfaßten.

Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist mithin nach dem Vortrag des Klägers sein Gewährleistungsanspruch noch nicht verjährt.

3. Eine abschließende Entscheidung ist dem Senat nicht möglich, weil der Beklagten Gelegenheit zu geben ist, im Hinblick auf die erstmals in der Revision entwickelten Kriterien zur Darlegungslast insbesondere zur Organisation ihres Betriebes vorzutragen. Die Sache ist deshalb zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 512643

BGHZ, 318

BB 1992, 1088

NJW 1992, 1754

ZIP 1992, 773

JZ 1992, 1019

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