Leitsatz (amtlich)

Zum Verhältnis der Unterhaltsbeitragspflicht eines geschiedenen Ehegatten aus § 60 EheG zu der Unterhaltspflicht der Verwandten des unterhaltsbedürftigen Ehegatten.

 

Normenkette

EheG (1946) §§ 60, 63

 

Verfahrensgang

AG Mosbach

OLG Karlsruhe

 

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 16. Zivilsenats – Senat für Familiensachen – des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 13. November 1980 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Der Rechtsstreit betrifft einen Anspruch der Klägerin auf Leistung eines Unterhaltsbeitrags nach § 60 EheG.

Die Parteien waren verheiratet. Ihre Ehe wurde im Jahre 1975 aus beiderseits gleichem Verschulden geschieden.

Aus der Ehe ist eine am 4. April 1973 geborene Tochter hervorgegangen. Diese lebt bei der Klägerin, der die elterliche Sorge zusteht. Der Beklagte zahlt aufgrund eines gerichtlichen Vergleichs vom 15. Dezember 1977 monatlich 280 DM Unterhalt für das Kind.

Die Klägerin ist nicht berufstätig und hat kein eigenes Einkommen. Sie wird seit Ende 1978 – mit kurzen Unterbrechungen – vom Sozialamt der Stadt Darmstadt unterstützt. Die ihr gewährte Sozialhilfe betrug seit Januar 1980 monatlich 275,14 DM. Mit Bescheid vom 12. November 1979 leitete das Sozialamt die Unterhaltsansprüche der Klägerin gegen den Beklagten in Höhe der gewährten Sozialhilfe auf sich über.

Der Beklagte ist Inhaber eines auf Getreideanbau und Viehhaltung spezialisierten landwirtschaftlichen Betriebes von etwa 40 ha Größe. Davon stehen etwa 21,50 ha in seinem Eigentum; der Rest ist Pachtland. Der Beklagte ist nicht buchführungspflichtig. Er führte den Betrieb bisher mit Hilfe seines – inzwischen verstorbenen – über 7ojährigen Vaters und seiner Mutter; weitere Personen beschäftigte er, solange sein Vater mitarbeitete, nicht.

Der Beklagte hatte den Betrieb im Dezember 1969 von seinen Eltern übernommen. In dem notariellen Übergabevertrag war ein lebenslängliches unentgeltliches Leibgedinge – bestehend aus Wohnung, Verköstigung, Pflege und einem Unterhaltszuschuß von monatlich 100 DM – für die Eltern vereinbart worden.

Die Klägerin nimmt den Beklagten auf Leistung eines Unterhaltsbeitrages in Höhe von monatlich 600 DM (unter Beachtung der Überleitung an das Sozialamt) für die Zeit ab 1. Dezember 1978 in Anspruch. Sie hat geltend gemacht:

Der Beklagte verdiene monatlich etwa 3.000 DM bis 3.500 DM netto. Er könne den Betrieb allein bewirtschaften. Die Mitarbeit seines Vaters sei nicht erforderlich (gewesen) und auch nie entlohnt worden. Ebenso habe der Beklagte auch die Verpflichtungen des Leibgedinges nicht zu erfüllen brauchen. Seine Eltern verfügten über Renten- und Mieteinnahmen und seien sehr vermögend. Sie, die Klägerin, sei beim Arbeitsamt Darmstadt als arbeitsuchend gemeldet, habe aber bisher keine Stelle finden können. Allerdings könne sie wegen der Versorgung des ehelichen Kindes und wegen ihres Gesundheitszustandes ohnehin nur eine Halbtagstätigkeit übernehmen. Sie sei daher auf einen, Unterhaltsbeitrag des Beklagten angewiesen. Ihre eigenen Eltern seien nicht in der Lage, Unterhaltszahlungen an sie zu leisten.

Der Beklagte hat die Klägerin darauf verwiesen, selbst für ihren Unterhalt zu sorgen; jedenfalls müßten ihre Eltern für sie aufkommen. Er, der Beklagte, sei dazu nicht im Stande. Sein Einkommen aus dem landwirtschaftlichen Betrieb betrage unter Berücksichtigung der betrieblichen Belastungen einschließlich des Leibgedinges für seine Eltern allenfalls 1.200 DM bis 1.300 DM monatlich; davon verblieben ihm nach Abzug der Einkommensteuer, der Beiträge zur Lebensversicherung und des Unterhalts für die Tochter monatlich nur 770 DM, die er für seinen eigenen Lebensbedarf benötige.

Das Amtsgericht (Familiengericht) hat – nach Beweisaufnahme durch Einholung eines Sachverständigengutachtens über die Einkommensverhältnisse des Beklagten und Zeugenvernehmung – den Beklagten verurteilt, mit Wirkung vom 1. Dezember 1978 an bis zum 30. Juni 1983 einen monatlichen Unterhaltsbeitrag von 150 DM für die Klägerin – im Umfang der Überleitung: an das Sozialamt – zu zahlen. Im übrigen hat es die Klage abgewiesen.

Gegen das Urteil haben beide Parteien Berufung eingelegt. Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen und auf die Berufung des Beklagten das amtsgerichtliche Urteil abgeändert und die Klage in vollem Umfang abgewiesen. Hiergegen wendet sich die Klägerin mit der zugelassenen Revision, mit der sie ihr Klagebegehren weiterverfolgt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I.

Das Berufungsgericht hat einen Anspruch der Klägerin gegen den Beklagten nach § 60 in Verbindung mit § 63 EheG verneint, weil die Zahlung eines Unterhaltsbeitrages, an sie nicht der Billigkeit entsprechen würde. Die Klägerin sei zwar unterhaltsbedürftig, zumal sie wegen der – Betreuung des gemeinsamen Kindes zur Zeit nicht verpflichtet sei, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Der Beklagte wäre auch – bei einem anzunehmenden durchschnittlichen Monatseinkommen von 1.378 DM netto vor Abzug des Kindesunterhalts – grundsätzlich in der Lage, ohne Gefährdung seines eigenen angemessenen Unterhalts einen, allerdings geringen, Unterhaltsbeitrag an die Klägerin zu zahlen. Er hafte jedoch gemäß § 60 EheG erst nach ihren unterhaltspflichtigen Verwandten, da es sich bei dem Anspruch aus § 60 EheG nicht um einen Unterhaltsanspruch im Sinne von § 63 Abs. 1 Satz 1 EheG handele. Die Klägerin sei daher nach § 63 Abs. 1 Satz 3 EheG in erster Linie auf Unterhaltszahlungen ihrer Eltern zu verweisen. Der geschiedene Ehegatte sei trotz Leistungsfähigkeit der unterhaltspflichtigen Verwandten lediglich dann zu einem Beitrag heranzuziehen, wenn dies mit Rücksicht auf die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Verwandten im Verhältnis zu seinen eigenen Verhältnissen als billig erscheine. Das sei hier nicht der Fall. Die Einkommensverhältnisse der Eltern der Klägerin seien wesentlich günstiger als die des Beklagten. Der Vater der Klägerin beziehe eine Rente von monatlich 1.484,10 DM. Das Einkommen der Mutter der Klägerin betrage ca. 1.900 DM zuzüglich mindestens 150 DM monatlich für Urlaubs- und Weihnachtsgeld. Soweit die Klägerin behauptet habe, ihre Eltern müßten Darlehensverbindlichkeiten in Höhe von monatlich 1.500 DM tilgen, sei dies nicht zu berücksichtigen. Die zugrunde liegende angebliche Schuld von 25.000 DM sei nicht nachgewiesen. Nach vorgelegten Belegen beruhe sie im wesentlichen auf dem Kauf eines Pkw und eines Wohnwagens in der Zeit zwischen August und Oktober 1979. Wenn die Eltern aber, wovon auszugehen sei, in Kenntnis ihrer Unterhaltsverpflichtung gegenüber der Tochter derartige Anschaffungen getätigt hätten, könnten sie dies dem Unterhaltsanspruch nicht entgegenhalten. Die weitere Behauptung der Klägerin, daß ihre Eltern eine Zahlungsverpflichtung gegenüber ihrem verheirateten Sohn eingegangen seien, sei nicht bewiesen.

II.

Hiergegen wendet sich die Revision mit Erfolg.

1. Das Berufungsgericht hat das Klagebegehren zutreffend nach den Vorschriften des Ehegesetzes beurteilt. Gemäß Art. 12 Nr. 3 Abs. 2 Satz 1 des 1. EheRG bestimmt sich der Unterhaltsanspruch eines Ehegatten, dessen Ehe nach den vor dem Inkrafttreten des 1. EheRG geltenden Vorschriften geschieden worden ist, auch künftig nach dem bis dahin geltenden Recht. Dies gilt auch, für den hier in Betracht kommenden, Unterhaltsbeitragsanspruch nach § 60 EheG (vgl. Rechtsanwenderbroschüre des BJM Art. 12 Nr. 3 Anm. zu Abs. 2, Seite 403, 404).

2. Bei der Auslegung und Anwendung des § 60 EheG im vorliegenden Fall kann dem Berufungsgericht indessen nicht gefolgt werden.

a) Nach § 60 EheG kann einem – aus beiderseits gleichem Verschulden – geschiedenen Ehegatten, der sich nicht selbst unterhalten kann, ein Beitrag zu seinem Unterhalt zugebilligt werden, wenn und soweit dies mit Rücksicht auf die Bedürfnisse und die Vermögens- und Erwerbsverhältnisse des anderen Ehegatten und der nach § 63 EheG unterhaltspflichtigen Verwandten des Bedürftigen der Billigkeit entspricht.

§ 60 EheG macht die Verpflichtung des anderen Ehegatten zur Gewährung eines Unterhaltsbeitrags mithin von Billigkeitserwägungen abhängig. Dabei verweist die Vorschrift im Rahmen der vorzunehmenden Billigkeitsprüfung auch auf eine Berücksichtigung der Bedürfnisse und der Erwerbs- und Vermögensverhältnisse der „nach § 63 EheG” unterhaltspflichtigen Verwandten des bedürftigen Ehegatten. Insoweit entspricht § 60 EheG der in § 61 Abs. 2 (2. Halbsatz) getroffenen Regelung für die Zubilligung und Bemessung eines Unterhaltsanspruchs im Fall einer Scheidung ohne Schuldanspruch. Für diesen Fall hat das Reichsgericht in einem Urteil vom 29. November 1944 (Deutsches Recht 1945, 78) entschieden, daß die Aufbringung des Unterhaltsbedarfs des unterhaltsberechtigten Ehegatten zwischen dessen Verwandten und dem unterhaltspflichtigen Ehegatten – insgesamt – nach Grundsätzen der Billigkeit zu verteilen sei. Das Reichsgericht hat dazu ausgeführt:

Für den Unterhaltsanspruch nach § 69 Abs. 2 EheG (EheG 1938 = § 61 Abs. 2 EheG 1946) hafte an sich der unterhaltspflichtige Ehegatte vor den Verwandten des Berechtigten; denn die Vorschrift des § 71 Abs. 1 S. 1 EheG (= § 63 Abs. 1 S. 1 EheG 1946) gelte grundsätzlich für alle Fälle, in denen neben dem unterhaltspflichtigen Ehegatten auch unterhaltspflichtige Verwandte vorhanden seien. Zu Zweifeln gebe aber § 71 Abs. 1 S. 2 EheG (= § 63 Abs. 1 S. 2 EheG 1946) Anlaß; nach dieser Vorschrift solle die Unterhaltsverpflichtung des unterhaltspflichtigen Ehegatten bis zu der Grenze gehen, wo sein eigener angemessener Unterhalt gefährdet werde; nur für den darüber hinausgehenden Unterhaltsbedarf des Berechtigten solle dann subsidiär die Unterhaltspflicht der Verwandten eintreten. Diese Regelung des § 71 Abs. 1 S. 2 (§ 63 Abs. 1 S. 2) EheG sei unvereinbar mit der in § 69 Abs. 2 (§ 61 Abs. 2) EheG vorgesehenen Begrenzung der Unterhaltspflicht; denn im Fall des § 69 Abs. 2 (§ 61 Abs. 2) EheG reiche die Unterhaltsverpflichtung nicht bis zur Grenze der Gefährdung des eigenen angemessenen Unterhalts des Verpflichteten, sondern nur bis zur Grenze der Billigkeit der ihm zuzumutenden Unterhaltsleistung. Über diese Grenze hinaus habe im Fall des § 69 Abs. 2 (§ 61 Abs. 2) EheG der unterhaltsberechtigte Ehegatte keinen Anspruch gegen den anderen Ehegatten. § 71 Abs. 1; S. 2. (§ 63 Abs. 1 S. 2) EheG könne mithin in diesem Fall keine Anwendung finden. Wohl aber gelte § 71 Abs. 1 S. 3 (§ 63 Abs. 1 S. 3) EheG. Das bedeute: Soweit dem unterhaltspflichtigen Ehegatten nach Billigkeit die Unterhaltsleistung nicht zuzumuten sei, seien die Verwandten des bedürftigen Ehegatten nach den allgemeinen Vorschriften des Unterhaltsrechts (§§ 1601 ff. BGB) verpflichtet, den Unterhalt zu gewähren. Im Ergebnis habe mithin in einem, Fall, in dem der Unterhaltsanspruch auf § 69 Abs. 2 (§ 61 Abs. 2) EheG beruhe, die Verteilung des aufzubringenden Bedarfs unter den Beteiligten nach Billigkeitserwägungen zu erfolgen.

Diese Erwägungen des Reichsgerichts haben nach Auffassung des Senats in entsprechender Weise auch für die Beurteilung und Bemessung des Unterhaltsbeitragsanspruchs – gegenüber dem aus gleicher Schuld geschiedenen Ehegatten – nach § 60 in Verbindung mit § 63 EheG zu gelten.

Das Reichsgericht hat zwar in dem genannten Urteil den von ihm behandelten „echten Unterhaltsanspruch” nach § 69 Abs. 2 (§ 61 Abs. 2) EheG von dem Unterhaltsbeitragsanspruch nach § 68 (§60) EheG abgehoben. Jedoch sieht der Senat insoweit keinen grundsätzlichen Wesensunterschied zwischen dem Unterhaltsanspruch im Fall einer Scheidung ohne Schuldausspruch (§ 61 Abs. 2 EheG) einerseits und dem Unterhaltsbeitragsanspruch nach einer Scheidung aus beiderseits gleicher Schuld (§ 60 EheG) andererseits.

Der Bundesgerichtshof hat, soweit ersichtlich, bisher nicht grundsätzlich zu der Frage Stellung genommen, ob der Anspruch aus § 60 EheG als ein „echter Unterhaltsanspruch” (so BGB-RGRK/Wüstenberg 10./11. Aufl. 1968 EheG § 60 Anm. 4; Brühl/Göppinger/Mutschler Unterhaltsrecht 3. Aufl. Rdnr. 51; von Godin EheG 2. Aufl. 1950 § 60 Anm. 1 und 2; Gernhuber Lehrbuch des Familienrechts 2. Aufl. 1971 § 30 IV Bemerkung 2 § 308) oder als Anspruch besonderer Art (so Hoffmann-Stephan EheG 2. Aufl. 1968 § 60 Rdnr. 6 und 12; Erman/Ronke BGB 2. Aufl. EheG § 60 Anm. 2; Köhler Handbuch des Unterhaltsrechts 5. Aufl. Rdnr. 454; Soergel-Siebert/Donau BGB 10. Aufl. 1971 EheG § 60 Anm. 2; Palandt/Lauterbach BGB 31. Aufl. 1972 EheG § 60 Anm. 3; KG in Deutsches Recht 1940, 2245 zu § 68 EheG 1938) zu qualifizieren ist (vgl. BGH Urteile vom 16. Februar 1955 – IV ZR 232/54 = LM § 60 EheG Nr. 1 = FamRZ 1955, 169 und vom 4. April 1979 – IV ZR 62/78 = LM § 60 EheG Nr. 3 = FamRZ 1979, 470). Jedenfalls für den – hier betroffenen – Bereich der Abgrenzung der Unterhaltsbeitragspflicht des geschiedenen Ehegatten und der Unterhaltspflicht von Verwandten des bedürftigen Ehegatten nach § 60 in Verbindung mit § 63 EheG neigt der Senat dazu, den Anspruch auf einen Unterhaltsbeitrag nach § 60 EheG als echten Unterhaltsanspruch zu behandeln. Hierfür sprechen sowohl der Entstehungsgrund als auch der Zweck des Anspruchs. Dieser hat – wie jeder eheliche Unterhaltsanspruch – seine Wurzel in der (früheren) Ehe der Parteien und in der mit der Eheschließung von den Ehegatten füreinander übernommenen Verantwortung, die auf wirtschaftlichem Gebiet nicht schlechthin mit der Scheidung der Ehe endet, sondern nach Maßgabe der gesetzlichen Ausgestaltung in der nachehelichen Unterhaltspflicht fortbesteht (vgl. Senatsurteil vom 24. September 1980, BGHZ 78, 130, 133, 134). Der Anspruch dient – wie jeder eheliche Unterhaltsanspruch – im Umfang seiner Gewährung dem Zweck, den Lebensbedarf des nach der Scheidung unterhaltsbedürftigen Ehegatten, der sich nicht selbst aus eigenen Mitteln unterhalten kann, sicherzustellen. Wenn der Anspruch auch nicht zur Deckung des gesamten Lebensbedarfs bestimmt, sondern nur auf Leistung eines Beitrags zum Unterhalt gerichtet ist, so rechtfertigt das doch nicht den Schluß, daß es sich aus diesem Grund nicht um einen echten Unterhaltsanspruch handeln könne (so etwa Soergel-Siebert/Donau a.a.O.). Nicht der Umfang qualifiziert den Anspruch, sondern sein Zweck (Gernhuber a.a.O.). Auch das neue Scheidungsfolgenrecht sieht im übrigen Unterhaltsansprüche vor, die nur zur Deckung eines Teiles des Lebensbedarfs bestimmt sind – wie beispielsweise in §§ 1581, 1573 Abs. 2, 1576, 1577 Abs. 2, 1584 BGB –, ohne daß hierdurch der Charakter dieser Ansprüche als Unterhaltsforderungen in Frage gestellt würde.

Da der Unterhaltsbeitrag nach § 60 EheG dem bedürftigen Ehegatten zuzubilligen ist, „wenn und soweit dies mit Rücksicht auf die Bedürfnisse und die Vermögens- und Erwerbsverhältnisse des anderen Ehegatten und der nach § 63 EheG unterhaltspflichtigen Verwandten der Billigkeit entspricht”, soll auch hier – ebenso wie in dem von dem Reichsgericht entschiedenen Fall – die Unterhalts(Beitrags-)pflicht nicht bis zur Grenze der Gefährdung des eigenen angemessenen Unterhalts des geschiedenen Ehegatten (§ 63 Abs. 1 S. 2 EheG) reichen, sondern nur bis zur Grenze der Billigkeit der ihm zuzumutenden Beitragsleistung. Daraus ist auch für das Verhältnis der Verpflichtungen aus § 60 EheG und § 63 EheG zu folgern: Soweit dem unterhaltsbeitragspflichtigen Ehegatten aus Billigkeitsgründen die Beitragsleistung nicht zuzumuten ist, haben die Verwandten des Unterhaltsberechtigten den Unterhalt zu gewähren. Das bedeutet, daß auch im Fall der Unterhaltsbeitragspflicht nach § 60 EheG die Verteilung des aufzubringenden Bedarfs unter den Beteiligten im Ergebnis rein nach Billigkeitserwägungen zu erfolgen hat (so wohl auch Gernhuber a.a.O.).

Die Gesichtspunkte, die bei der zu treffenden Billigkeitsentscheidung zu beachten sind, ergeben sich aus § 60 EheG (vgl. insoweit RG a.a.O.). Danach kommen als Abwägungskriterien in Betracht: die Bedürfnisse sowie die Vermögens- und die Erwerbsverhältnisse des anderen Ehegatten und der unterhaltspflichtigen Verwandten des bedürftigen Ehegatten (vgl. BGH Urteile vom 16. Februar 1955 a.a.O. und vom 4. April 1979 a.a.O.). Im Rahmen der bei der Billigkeitsabwägung hiernach zu berücksichtigenden Erwerbsverhältnisse ist, wie der Bundesgerichtshof bereits in einem ähnlichen Fall ausgesprochen hat (Urteil vom 4. April 1979 a.a.O.), auch der Umstand zu würdigen daß die Klägerin die gemeinschaftliche Tochter versorgt und aus diesem in der Ehe der Parteien wurzelnden – Grund an der Ausübung einer Erwerbstätigkeit zur Sicherstellung ihres Unterhalts gehindert ist (vgl. hierzu BVerfGE 22, 93, 98).

b) Das Berufungsgericht hat in dem angefochtenen Urteil zwar ausgeführt, der geschiedene Ehegatte sei trotz Leistungsfähigkeit der Verwandten lediglich dann zu einem Beitrag heranzuziehen, wenn dies mit Rücksicht auf die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Verwandten im Verhältnis zu seine eigenen Verhältnissen als billig erscheine. Gleichwohl ist das Berufungsgericht von einem aus § 63 Abs. 1 S. 3 EheG folgenden strikten Vorrang einer Haftung der Eltern der Klägerin ausgegangen; es hat nicht etwa den Unterhaltsbeitrag, den der Beklagte unter Billigkeitsgesichtspunkten leisten könnte, gegenüber der – aus §§ 1601 ff. BGB grundsätzlich folgenden – Verpflichtung der Eltern der Klägerin, im Rahmen ihrer Leistungsfähigkeit deren vollen Unterhaltsbedarf (in der vom Berufungsgericht angenommenen Höhe von monatlich 900 DM) aufzubringen, nach Maßgabe des § 60 EheG abgewogen.

Unter diesen Umständen kann nicht sicher davon ausgegangen werden, daß das Berufungsgericht der von ihm getroffenen Entscheidung die zutreffenden Maßstäbe für eine Billigkeitsabwägung zugrundegelegt hat. Das angefochtene Urteil ist daher aufzuheben und die Sache zu erneuten tatrichterlichen Prüfung und Entscheidung nach den aufgezeigten Billigkeitsgrundsätzen an das Oberlandesgericht zurückzuverweisen.

c) Die neue Verhandlung vor dem Oberlandesgericht gibt der Klägerin Gelegenheit, auf ihre Einwendungen gegen die von dem Berufungsgericht bisher vorgenommene Bewertung der Einkommensverhältnisse des Beklagten zurückzukommen.

Entsprechendes gilt auch für die Rügen der Klägerin gegenüber der Beurteilung der Vermögens- und Einkommensverhältnisse ihrer Eltern in dem angefochtenen Urteil. Insoweit ist darauf hinzuweisen, daß die Revision zu Recht die Auffassung des Berufungsgerichts beanstandet, die Eltern der Klägerin könnten sich auf die Darlehensverpflichtungen, die sie, wovon auszugehen sei, in Kenntnis der Unterhaltsverpflichtung für ihre Tochter eingegangen seien, gegenüber dem Unterhaltsanspruch der Klägerin nicht berufen. Für die hiermit behauptete Kenntnis der Eltern der Klägerin von einer ihnen obliegenden Unterhaltspflicht gegenüber ihrer Tochter läßt das Berufungsurteil eine tragfähige Begründung vermissen. Soweit das Berufungsgericht – hiervon abgesehen – die Darlehensschuld der Eltern in Höhe von insgesamt 25.000 DM als nicht bewiesen ansieht, macht die Revision mit Recht geltend, daß die Klägerin zum Nachweis der Verpflichtung entsprechende Unterlagen – über den Kauf eines Wohnwagens mit Zubehör und eines Pkw's – sowie eine Bescheinigung des Kreditinstituts vorgelegt hatte.

Falls das Berufungsgericht diese Unterlagen nicht für ausreichend hielt, hätte es die Klägerin gegebenenfalls zu einer Ergänzung ihres Vortrags auffordern müssen (§ 139 ZPO)

Zur Frage der unterhaltsrechtlichen Berücksichtigung der von den Eltern der Klägerin eingegangenen Verbindlichkeiten wird im übrigen auf das Senatsurteil vom 25. November 1981 (IVb ZR 611/80 = FamRZ 1982, 157, 158) verwiesen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 609560

NJW 1983, 2379

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