Entscheidungsstichwort (Thema)

Umfang der Verpflichtung eines Richtes vor Erteilung eines Erbscheins

 

Leitsatz (amtlich)

Zu den Amtspflichten des Amtsrichters und des Notars im Erbscheinsverfahren.

 

Normenkette

BGB § 2358; FGG § 12; BGB § 839; GG Art. 34

 

Tenor

Auf die Revision der Klägerin und die Revision des Beklagten zu 2) wird das Urteil des 3. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Celle vom 12. April 1989 aufgehoben.

Die Berufung des beklagten Landes gegen das Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Stade vom 25. August 1987 wird zurückgewiesen.

Die Berufung der Klägerin gegen das vorgenannte Urteil wird insoweit zurückgewiesen, als sie sich gegen den Beklagten zu 2) richtet.

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts Stade teilweise dahin geändert, daß die weitergehende Klage gegen das beklagte Land dem Grunde nach gerechtfertigt ist.

Die gesamten außergerichtlichen Kosten des Beklagten zu 2) werden der Klägerin auferlegt.

Zur Verhandlung und Entscheidung über die Höhe der weiteren Klageforderung sowie über die Kosten aller drei Rechtszüge mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beklagten zu 2) wird der Rechtsstreit an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

 

Tatbestand

Die Klägerin nimmt das beklagte Land als Dienstherrn des Richters Reinecke (Vorsitzenden des Landwirtschaftsgerichts des Amtsgerichts Stade) und den Beklagten zu 2) als Notar auf Schadensersatz aus Amtspflichtverletzung in Anspruch,

Der im Jahr 1932 verstorbene Großvater der Klägerin, Dietrich B., besaß einen Hof in I.. Im Jahre 1939 wurde der Hof im Wege der Erbauseinandersetzung auf seinen älteren Sohn Heinrich, einen Onkel der Klägerin, übertragen. Dieser errichtete am 23. April 1942 in Rußland ein handschriftliches Testament mit folgendem Wortlaut:

"Sollte ich in diesem Kriege fallen, so soll meine Mutter Johanne B. geb. K. mein gesamtes ... vermögen von mir erben."

Die Vorsilbe des Wortes "... vermögen" ist mit Kugelschreiber unkenntlich gemacht. Heinrich B. galt seit Anfang 1943 als vermißt. Sein Bruder Alfred B., der Vater der am ... geborenen Klägerin, ist am 5. August 1944 gefallen.

Nach dem Kriege bewirtschaftete die Großmutter der Klägerin Johanne B. den Hof zusammen mit einem Ehepaar S.. Am 14. Mai 1976 bat sie den Beklagten zu 2), die Todeserklärung ihres Sohnes Heinrich, die Eröffnung des Testaments und die Erteilung eines Erbscheins und Hoffolgezeugnisses für sie zu beantragen. Der Beklagte zu 2) nahm die entsprechenden Anträge auf. Nachdem Heinrich B. für tot erklärt und das Testament eröffnet war, stellte der Vorsitzende des Landwirtschaftsgerichts Stade, Richter am Amtsgericht Reinecke, am 25. Februar 1977 einen Erbschein mit Hoffolgezeugnis aus, wonach Heinrich B. allein von seiner Mutter beerbt worden und diese auch Hoferbin ist. Mit einem vom Beklagten zu 2) beurkundeten Kaufvertrag vom 17. März 1977 verkaufte Johanne B. den Hof an die Eheleute S.. Am selben Tage ließ sie vom Beklagten zu 2) ein Testament beurkunden, in dem sie die Klägerin zu ihrer Alleinerbin einsetzte.

Johanne B. starb am 29. Januar 1981. Auf Betreiben der Klägerin hat das Landwirtschaftsgericht mit Beschluß vom 29. März 1984 den Erbschein mit Hoffolgezeugnis vom 25. Februar 1977 eingezogen und ausgesprochen, daß Heinrich B. nur hinsichtlich seines hoffreien Vermögens von seiner Mutter beerbt worden ist, während die Klägerin Hoferbin des Hofes in I. ist. Eine gegen die Eheleute S. gerichtete Klage der Klägerin auf Zustimmung zur Eintragung der Klägerin als Hofeigentümerin ist rechtskräftig abgewiesen.

Mit der vorliegenden Klage hat die Klägerin Zahlung von 527.218,26 DM nebst Zinsen als Ersatz für den Verlust des Hofes und die Kosten des Vorprozesses verlangt. Das Landgericht hat das beklagte Land zur Zahlung von 433.300 DM nebst einem Teil der verlangten Zinsen verurteilt und die Klage im übrigen abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die Klage gegen das beklagte Land insgesamt abgewiesen und die Klage gegen den Beklagten zu 2) für dem Grunde nach gerechtfertigt erklärt. Mit der Revision verfolgt die Klägerin die Klage gegen das Land weiter, während der Beklagte zu 2) die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils erstrebt.

 

Entscheidungsgründe

I.

Revision der Klägerin

Das Berufungsgericht hat die Abweisung der Klage gegen das beklagte Land im wesentlichen wie folgt begründet: Der Richter am Amtsgericht Reinecke habe bei der Erteilung des Erbscheins mit Hoffolgezeugnis vom 25. Februar 1977 seine Amtspflichten nicht verletzt. Er hätte zwar die Manipulation des vorgelegten Testaments erkennen können und müssen. Der Erbscheinsantrag habe aber auch die erforderlichen Angaben enthalten, um den Erbschein und das Hoffolgezeugnis auf gesetzliches Erbrecht zu stützen. Dem Nachweis der gesetzlichen Erbfolge habe die vom Beklagten zu 2) entgegengenommene eidesstattliche Versicherung der Johanne B. gedient, wonach andere in Betracht kommende Erben nicht vorhanden seien. Die Manipulation an dem Testament hätte den Richter zwar veranlassen können, weitere Ermittlungen zu möglichen Abkömmlingen anzustellen. Er habe jedoch an der Gründlichkeit der Ermittlungen des Beklagten zu 2) im Zusammenhang mit der eidesstattlichen Versicherung nicht zu zweifeln brauchen. Im übrigen sei nicht ersichtlich, mit welchen Ermittlungen der Richter auf die Existenz der Klägerin als Erbin gestoßen wäre.

Das hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

1.

Wie bereits das Landgericht zutreffend festgestellt hat, hat der Amtsrichter bei der Erteilung des Erbscheins und Hoffolgezeugnisses seine Amtspflicht verletzt. Der Richter - und nicht der Notar - ist nach § 2358 BGB vor Erteilung des Erbscheins verpflichtet, von Amts wegen die zur Feststellung der Tatsachen erforderlichen Ermittlungen zu veranstalten und die geeignet erscheinenden Beweise aufzunehmen. Art und Umfang der Ermittlungen im Verfahren der Freiwilligen Gerichtsbarkeit richten sich nach der Lage des Einzelfalles. Der Grundsatz der Amtsermittlung (§ 12 FGG) verpflichtet das Gericht, alle zur Aufklärung des Sachverhalts dienlichen Beweise zu erheben (BGHZ 40, 54, 57).

a)

Aufgrund des Testaments durfte der Amtsrichter den Erbschein nicht ohne weitere Nachprüfung erteilen. Denn das Testament wies mit der Unkenntlichmachung der Vorsilbe des Wortes "... vermögen" eine derart auffällige Veränderung auf, daß der Verdacht einer Fälschung nahelag. Ohne eine Klärung der Frage, ob die Durchstreichung von der Hand des Erblassers stammte, war das Testament keine ausreichende Grundlage für eine Erteilung des Erbscheins zugunsten der darin benannten Großmutter der Klägerin. Das räumt letztlich auch das beklagte Land ein, wenn es geltend macht, der Richter habe von einer Untersuchung bezüglich der Testamentsverfälschung abgesehen, weil nach seiner Prüfung Johanne B. auch die gesetzliche Erbin des Hofes und des hoffreien Vermögens gewesen sei.

b)

Auch aufgrund gesetzlicher Erbfolge durfte der Erbschein jedoch nicht ohne weitere Nachprüfung erteilt werden. Bezüglich der gesetzlichen Erben lautet die eidesstattliche Erklärung:

"Andere - mit Ausnahme der nachstehend unter Angabe der Gründe des Wegfalls angegebenen - Personen, durch welche die vorgenannte Erbin von der Erbfolge ausgeschlossen oder ihr Erbteil gemindert werden würde, sind und waren nicht vorhanden."

Eine eidesstattliche Erklärung des Antragstellers genügt in der Regel nicht als Nachweis der für die Erteilung eines Erbscheins erforderlichen Tatsachen (BGHZ 8, 183, 188). Hier kommt hinzu, daß die eidesstattliche Erklärung lediglich formelhaft den Wortlaut des Gesetzes wiedergibt. Eine solche Erklärung ist keine ausreichende Grundlage für eine Erteilung des Erbscheins aufgrund gesetzlicher Erbfolge (vgl. MünchKomm/Promberger, BGB 2. Aufl. § 2354 Rdnr. 17; Prausnitz in FormKomm 22. Aufl. Rdnr, 6701 Anm. 5).

Im vorliegenden Fall wäre zumindest eine konkrete Versicherung dahingehend erforderlich gewesen, daß die beiden Brüder Heinrich und Alfred B. kinderlos verstorben sind. Schon wegen des Fehlens einer entsprechenden eindeutigen eidesstattlichen Erklärung der Großmutter hätte der Amtsrichter den Erbschein nicht erteilen dürfen. Außerdem mußte die auffällige Unkenntlichmachung der Vorsilbe des Wortes "... vermögen" den Richter veranlassen, eigene Ermittlungen darüber anzustellen, ob noch gesetzliche Erben vorhanden waren. Die Veränderung an dem Text des Testaments mußte den Verdacht erwecken, daß hier gesetzliche Erben oder Hoferben benachteiligt werden sollten. Schon eine Antrage bei dem zuständigen Standesamt hätte zu der Erkenntnis geführt, daß der Bruder Alfred des Erblassers verheiratet war und ein Kind, nämlich die Klägerin, hatte.

2.

Auch die weiteren Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs nach § 839 BGB in Verbindung mit Art. 34 GG gegen das beklagte Land sind gegeben. Die Amtspflicht zur sorgfältigen Prüfung des Erbscheinsantrages bestand gerade auch gegenüber der Klägerin als gesetzlicher Erbin und Hoferbin. Durch die Ausstellung des unrichtigen Hoffolgezeugnisses hat die Klägerin das Eigentum an dem Hof ihres Onkels verloren. Nur wegen des öffentlichen Glaubens des am 25. Februar 1977 erteilten Hoffolgezeugnisses konnten die Eheleute S. das Eigentum an dem Hof von der nichtberechtigten Johanne B. erwerben. Daß nicht Johanne B., sondern die Klägerin Hoferbin war, wird gemäß § 2365 BGB vermutet, nachdem am 29. März 1983 ein Hoffolgezeugnis zugunsten der Klägerin erteilt worden ist. Diese Vermutung hat das beklagte Land nicht widerlegt. Es hat weder behauptet, daß die Durchstreichung in dem Testament von der Hand des Erblassers stammt, noch hat es behauptet und unter Beweis gestellt, daß der ursprüngliche Text des Testaments eine Einsetzung von Johanne B. als Hoferbin enthielt. Nach Darstellung des beklagten Landes läßt sich vielmehr der ursprüngliche Text nicht mehr ermitteln, nachdem der Sachverständige O. den von der Kugelschreiberpaste verdeckten mit Tinte geschriebenen Text ausgewaschen hat. Ob dort "Barvermögen" gestanden hat, wie das Berufungsgericht meint, ist unerheblich. Da das Testament jedenfalls keine gültige Einsetzung der Großmutter als Hoferbin enthält, ist die Klägerin gesetzliche Hoferbin,

Das Landgericht hat der Klägerin den von dem Sachverständigen W. mit 433.900 DM ermittelten Wert des Hofes bis auf einen Betrag von 600 DM zugesprochen. Das beklagte Land hat gegen die Berechnung des Sachverständigen weder in erster noch in zweiter Instanz Einwendungen erhoben. Deshalb ist das Urteil des Landgerichts insoweit wiederherzustellen.

Hinsichtlich der restlichen Klageforderung ist die Klage gegen das beklagte Land dem Grunde nach gerechtfertigt. Die weitere Klage ist mit Sicherheit teilweise begründet. Denn die Klägerin kann auch Erstattung der Kosten des gegen die Eheleute S. geführten Prozesses verlangen. Insoweit und wegen des von der Klägerin behaupteten höheren Wertes des Hofes sowie der beanspruchten höheren Zinsen muß das Berufungsgericht noch die erforderlichen Feststellungen treffen.

II.

Revision des Beklagten zu 2)

Die einzige Amtspflichtverletzung des Beklagten zu 2) sieht das Berufungsgericht darin, daß der Notar sich bei der Beurkundung des Veräußerungsvertrages und des Testaments am 17. März 1977 nicht daran erinnert hat, daß die Großmutter der Klägerin ihm am 14. Mai 1976 bei der Aufnahme der eidesstattlichen Erklärung die Existenz der Klägerin verschwiegen hatte, während sie diese nunmehr zu ihrer Alleinerbin einsetzte. Ihm hätte sofort klar sein müssen, daß der Erbschein mit Hoffolgezeugnis auf unrichtigen Personenstandsangaben beruht habe. Deshalb hätte er seine Betreuungstätigkeit in dieser Sache umgehend einstellen und das Landwirtschaftsgericht von der Existenz der Klägerin unterrichten müssen.

Dagegen wendet sich die Revision des Beklagten zu 2) mit Recht.

Das Berufungsgericht überspannt die Anforderungen an das Gedächtnis eines Notars bei weitem. Die Aufnahme des Erbscheinsantrages vom 14. Mai 1976 war eine Routineangelegenheit. Auffallend war lediglich die an dem Testament vorgenommene Durchstreichung, nicht aber die Erklärung der Antragstellerin über die gesetzlichen Erben. Als der Beklagte zu 2) später erneut mit der Angelegenheit befaßt wurde und nunmehr davon erfuhr, daß Johanne B. eine Enkelin hatte, mußte er sich nicht mehr daran erinnern, welche Angaben Johanne B. am 14. Mai 1976 über das Vorhandensein gesetzlicher Erben gemacht hatte. Es bestand für ihn auch keine Veranlassung, sich den früheren Aktenvorgang noch einmal anzusehen.

Damit erweist sich auch hinsichtlich der gegen den Beklagten zu 2) gerichteten Klage das Urteil des Landgerichts als zutreffend.

 

Unterschriften

Fuchs

Blumenröhr

Schmitz

Kreft

Fischer

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1456229

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