Leitsatz (amtlich)

Das Verkehrsflächenbereinigungsgesetz ist nicht anzuwenden, wenn das private Grundstück bereits vor dem 9.5.1945 für die Erfüllung einer Verwaltungsaufgabe in Anspruch genommen worden ist.

 

Normenkette

VerkFlBerG § 1

 

Verfahrensgang

Brandenburgisches OLG (Urteil vom 24.01.2002)

LG Potsdam

 

Tenor

Auf die Revision der Kläger wird das Urteil des 5. Zivilsenats des Brandenburgischen OLG v. 24.1.2002 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Die Kläger sind Eigentümer des Grundstücks Flur 4 Flurstück 925, das einen unbefestigten, aber befahrbaren Teil der B. straße in S. bildet. Das Grundstück ist aus einem, weitere Flächen umfassenden, Grundbesitz hervorgegangen, den die Rechtsvorgänger der Kläger im Jahre 1929 mit einer Vormerkung zur Sicherung des Anspruchs auf Übereignung des "zum Straßenbau in bauplanmäßiger Breite erforderlichen Geländes" belastet haben. Die Vormerkung wurde zwischenzeitlich auf Grund eines von den Klägern gegen die Gemeinde erstrittenen Urteils gelöscht. Im Jahre 1996 verlegte die Beklagte zu 2 in das Grundstück Flurstück 925 eine Trinkwasserleitung (Länge 61 m, Durchmesser 100 mm, Tiefe 1,20 m) und eine Schmutzwasserleitung (Länge 54,45 m, Durchmesser 200 mm, Tiefe 1,80 m). Sie beauftragte die Beklagte zu 1 mit dem Betrieb, der Unterhaltung und der Bauüberwachung der Anlagen.

Die Kläger haben die Beklagten auf Entfernung der Leitungen und auf die Unterlassung künftiger Störungen, im Berufungsrechtszug hilfsweise auf Unterlassung des Betriebs der Leitungen, höchst hilfsweise gesamtschuldnerisch auf Zahlung in Anspruch genommen. Die Klage ist in den Tatsacheninstanzen erfolglos geblieben.

Mit der Revision verfolgen die Kläger die Berufungsanträge weiter. Die Beklagten beantragen die Zurückweisung des Rechtsmittels.

 

Entscheidungsgründe

I.

Das Berufungsgericht meint, die Kläger seien zur Duldung der Leitungen verpflichtet. Bei dem Grundstück Flurstück 925 handele es sich um eine Verkehrsfläche, an der der öffentliche Nutzer ein Recht zum Besitz nach dem Sachenrechtsmoratorium gehabt habe, das sich nach §§ 3, 9 des Grundstücksrechtsbereinigungsgesetzes bis längstens 30.6.2007 fortsetze. Das Grundstück sei von alters her faktisch als öffentliche Straße genutzt worden. Offen könne bleiben, ob das auch bereits vor dem 8. (gemeint 9.) Mai 1945 der Fall gewesen sei. Das Gesetz sei anwendbar, wenn die Nutzung innerhalb des Zeitraums v. 9.5.1945 bis 30.10.1990 stattgefunden habe. Auf das Recht zum Besitz könne sich die Beklagte zu 2 als Wasser- und Abwasserzweckverband berufen.

Dies hält der rechtlichen Überprüfung nicht stand.

II.

1. Maßgeblich für die Beurteilung der Frage, ob die Kläger die Eigentumsstörungen, von denen das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei ausgegangen ist, zu dulden haben (§ 1004 Abs. 2 BGB), ist das am 1.10.2001 als Art. 1 des Grundstücksrechtsbereinigungsgesetzes in Kraft getretene Verkehrsflächenbereinigungsgesetz (VerkFlBerG).

2. Nach § 1 Abs. 1 VerkFlBerG gilt dieses Gesetz für die im Beitrittsgebiet belegenen Grundstücke privater Eigentümer, sofern sie frühestens seit dem 9.5.1945 und vor dem 3.10.1990 für die Erfüllung einer Verwaltungsaufgabe tatsächlich in Anspruch genommen wurden, einer Verwaltungsaufgabe noch dienen und (u. a.) Verkehrsflächen (§ 2 Abs. 2 VerkFlBerG) sind. Das Berufungsgericht missversteht den nach dieser Vorschrift u. a. geregelten zeitlichen Anwendungsbereich des Gesetzes, wenn es davon ausgeht, das private Grundstück müsse innerhalb des (gesamten) Zeitraumes zwischen den Stichtagen für die Erfüllung einer Verwaltungsaufgabe in Anspruch genommen worden sein. Dies ist weder eine notwendige noch eine hinreichende Voraussetzung der Geltung des Gesetzes. Das Verkehrsflächenbereinigungsgesetz stellt eine nach dem Leitbild des Sachenrechtsbereinigungsgesetzes ergangene, die dort für Verwaltungsgrundstücke und Grundstücke im Gemeingebrauch offen gelassene Lücke (§ 2 Abs. 1 Nr. 4 SachenRBerG) schließende, Regelung dar (BGH, Urt. v. 18.1.2002 - V ZR 104/01, BGHReport 2002, 450 = VIZ 2002, 422 [424 f.]). Die zeitliche Begrenzung knüpft an das Konzept des § 8 SachenRBerG an, die auf den Besonderheiten des sozialistischen Bodenrechts beruhenden Sachverhalte in Rechtsgestaltungen des Zivilrechts der Bundesrepublik überzuleiten (Amtl. Begr. BT-Drucks. 14/6204, 10; zu § 8 SachenRBerG: Urt. v. 20.2.1998 - V ZR 390/96, MDR 1998, 642 = WM 1998, 1072 f.; vgl. auch Urt. v. 9.7.1999 - V ZR 148/98, MDR 1999, 1314 = WM 1999, 2035 [2037]). Maßgeblich ist mithin, ob das zu Grunde liegende Nutzungsverhältnis nach der Schaffung sozialistischer Bodenverhältnisse im Gebiet der (späteren) DDR und vor deren Ende begründet worden ist. Auf die Dauer des Nutzungsverhältnisses zwischen den beiden Zeitpunkten kommt es dagegen nicht an, vor und nach den Stichtagen begründete Nutzungen scheiden aus dem Anwendungsbereich des Gesetzes aus (Eickmann/Purps, Sachenrechtsbereinigung, § 1 VerkFlBerG Rz. 11; RVI - Zimmermann, § 1 VerkFlBerG Rz. 4).

Allerdings war im Vorfeld des Gesetzes in einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe unter Vorsitz der Justizminister des Bundes und des Landes Brandenburg eine Anwendung der gesetzlichen Regelung auf die Zeit vor dem 8.5.1945 erörtert worden. Sie hat aber, auch mit Rücksicht auf die Regelungen des Allgemeinen Kriegsfolgengesetzes, keine Aufnahme in das Gesetz gefunden (Trimbach/Matthiessen, VIZ 2002, 1 [2]). Der Umstand, dass das für die öffentliche Hand geltende Besitzmoratorium des Art. 233 § 2 a Abs. 9 EGBGB die Stichtage des § 1 Abs. 1 VerkFlBerG nicht kannte, ist für die Zeit nach dessen Ablauf am 30.9.2001 ohne Bedeutung. Das Verkehrsflächenbereinigungsgesetz löst das besondere Moratorium, das der öffentlich-rechtliche Nutzer genoss, durch das Besitzrecht nach § 9 Abs. 1 S. 4 VerkFlBerG ab. Ebenso wie die Anspruchstatbestände des Sachenrechtsbereinigungsgesetzes (zum Teil) hinter dem Moratorium des Art. 233 § 2 a Abs. 1 EGBGB zurückgeblieben sind (BGH v. 4.7.1997 - V ZR 54/96, BGHZ 136, 212 = MDR 1997, 917), führt § 1 Abs. 1 VerkFlBerG nicht sämtliche, der einstweiligen Regelung des Art. 233 § 2 a Abs. 9 EGBGB unterfallende, Sachverhalte in die endgültige Regelung über.

3. Das Berufungsgericht wird mithin festzustellen haben, ob die Nutzung des Grundstücks der Kläger als Verkehrsfläche, was es bisher offen gelassen hat, auf die Zeit vor dem 9.5.1945 zurückgeht. Ist dies, etwa auf der Grundlage des schuldrechtlich begründeten Erwerbsanspruchs der Gemeinde, ohne dass es zum Erwerb selbst gekommen ist, der Fall, scheidet § 9 Abs. 1 S. 4 VerkFlBerG als Grundlage einer Duldungspflicht der Kläger aus. Das Berufungsgericht wird dann zu prüfen haben, ob § 8 AVBWasserV oder § 116 BbgWG i. V. m. § 242 BGB als Grundlage einer solchen Pflicht in Frage kommen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 969395

BGHR 2003, 1193

VIZ 2003, 486

WM 2004, 192

MDR 2003, 1285

NJ 2003, 654

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