Entscheidungsstichwort (Thema)

Erbschaftsvertrag

 

Leitsatz (amtlich)

  1. Der Erbschaftsvertrag ist nicht deshalb unwirksam, weil der Verpflichtete den - gleich hohen - Erbteil aufgrund einer Verfügung von Todes wegen erlangt (Abweichung von RGZ 98, 330).
  2. Auch bei einem Vertrag, durch den ein "künftiger gesetzlicher Erbe" sich zur Übertragung seines künftigen gesetzlichen Erbteils nach einem lebenden Dritten verpflichtet (Erbschaftsvertrag), kann dessen künftiger testamentarischer Erbteil mitgemeint sein.
 

Normenkette

BGB § 312

 

Tatbestand

Die Eltern der Klägerin, nämlich der im Jahre 1956 vorverstorbene Vater und die am 23. Juli 1983 verstorbene Mutter (Erblasserin), hatten aufgrund gemeinschaftlichen Testaments vom 25. Februar 1952 einander gegenseitig zu Alleinerben und ihre drei Kinder, die Klägerin und deren Geschwister Ludwig und Erika, zu Erben des längstlebenden Elternteils zu je einem Drittel eingesetzt. Der Nachlaß der Mutter besteht im wesentlichen aus einem Hausgrundstück in H. Die Klägerin erwarb den Anteil ihrer Schwester am Nachlaß der Mutter gegen Zahlung von 9 000 DM.

In einem von dem beklagten Notar beurkundeten Vertrag vom 29. November 1966 zwischen der Klägerin und ihrem Bruder erklärte dieser, seinen gesetzlichen Erbteil an dem zukünftigen Nachlaß seiner Mutter an die Klägerin gegen eine Abfindung von 9 000 DM ›abzutreten‹. Zugleich unterschrieb die Klägerin eine von dem Beklagten gefertigte Erklärung, darüber belehrt worden zu sein, daß die Abtretung nur schuldrechtliche Wirkung habe und hinfällig werde, wenn Ludwig von der Erbfolge ausgeschlossen werde.

Nach dem Tode der Erblasserin beanspruchte die Klägerin auch den Erbteil ihres Bruders. Der für diesen bestellte Abwesenheitspfleger lehnte die Übertragung ab, weil der Vertrag vom 29. November 1966 gemäß § 312 Abs. 1 Satz 1 BGB als ein Vertrag über den Nachlaß eines noch lebenden Dritten nichtig sei. Diese Auffassung hat die Klägerin sich zu eigen gemacht. Die Ausnahmevorschrift des § 312 Abs. 2 BGB, die Verträge unter künftigen gesetzlichen Erben über den gesetzlichen Erbteil zuläßt, greife hier nicht ein, weil Ludwig keinen gesetzlichen Erbteil erlangt habe, sondern testamentarisch Miterbe nach der Mutter geworden sei. Der Beklagte habe die Nichtigkeit des von ihm beurkundeten Vertrags erkennen und auf eine rechtlich mögliche Vertragsgestaltung zur Erreichung des angestrebten Zieles hinwirken, insbesondere die Mutter hinzuziehen sollen. Da der Beklagte dies schuldhaft unterlassen habe, beantragt die Klägerin die Feststellung der Verpflichtung des Beklagten, ihr den Schaden zu ersetzen, der daraus entstehe, daß er sie bei der Beurkundung des unwirksamen Erbschaftsvertrages falsch beraten habe.

Landgericht und Oberlandesgericht halten die Klage für begründet. Die Revision des Beklagten führte zur Klageabweisung.

 

Entscheidungsgründe

Die Klage ist schon deshalb unbegründet, weil der Vertrag der Klägerin mit ihrem Bruder vom 29. November 1966 entgegen der von den Vorinstanzen gebilligten Auffassung der Klägerin nicht unwirksam ist, sondern dieser einen Anspruch gegen ihren Bruder auf Übertragung seines Erbteils nach der Mutter auf sie gibt und weil der von der Klägerin geltend gemachte Schaden daher nicht entstanden ist und nicht entstehen kann.

Der Vertrag vom 29. November 1966 ist formuliert wie ein Vertrag über die Abtretung eines Erbteils (§ 2033 Abs. 1 BGB). Ein solcher Vertrag kann nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes und des Reichsgerichts zu Lebzeiten des Erblassers nicht wirksam abgeschlossen werden (BGHZ 37, 319, 324; BGH Urteil vom 24. Oktober 1973 - IV ZR 3/72 - NJW 1974, 43, 44; RGZ 65, 364, 366; 71, 131, 136). Das Berufungsgericht geht aber mit Recht davon aus, daß es sich (jedenfalls auch) um einen Erbschaftsvertrag im Sinne von § 312 BGB handelt, durch den die Pflicht des Bruders der Klägerin begründet werden sollte, den Erbteil nach seiner damals noch lebenden Mutter gegen Abfindung auf die Klägerin zu übertragen, und daß die Wirksamkeit der Vereinbarung insoweit nach dem mutmaßlichen Parteiwillen von der etwa mitgewollten Erbteilsübertragung unabhängig (§ 139 BGB) ist. Derartige Erbschaftsverträge (schuldrechtlicher Art) sind nach § 312 Abs. 2 BGB in einem bestimmten Rahmen möglich.

Nach § 312 Abs. 1 Satz 1 BGB sind zwar Verträge über den Nachlaß eines noch lebenden Dritten (Erbschaftsverträge) nichtig. Das gleiche gilt gemäß § 312 Abs. 1 Satz 2 BGB auch für Verträge über einen Pflichtteil oder ein Vermächtnis aus dem Nachlaß eines noch lebenden Dritten. Diese ablehnende Haltung des Gesetzes gegenüber den Erbschaftsverträgen geht zurück auf das ältere römische Recht. Das Bürgerliche Gesetzbuch hat sie im Grundsatz aufrechterhalten, weil derartige Geschäfte über das Vermögen eines lebenden Dritten im Hinblick auf die Spekulationsgefahr gefährlich und sittlich anstößig seien und in den meisten Fällen zu leichtsinniger Vermögensverschleuderung und zur Ausbeutung solchen Leichtsinns führten (BGHZ 26, 320, 324, 325; 37, 319, 323; BGH Urteil vom 30. März 1960 - V ZR 176/58 - DNotZ 1960, 382, 383 = LM Nr. 3 zu § 312 BGB; Motive zum BGB Bd. II S. 182, 184 - zu § 349 E I -). Davon macht § 312 Abs. 2 Satz 1 BGB aber eine Ausnahme für solche Verträge, die ›unter künftigen gesetzlichen Erben‹ ›über den gesetzlichen Erbteil oder den Pflichtteil eines von ihnen‹ geschlossen werden. Diese Voraussetzungen sind hier nach Auffassung des Senats beide erfüllt.

Daß die Klägerin und ihr Bruder zu dem Personenkreis gehören, die wirksame Erbschaftsverträge über den Nachlaß ihrer Mutter abschließen konnten, wird von keiner Seite in Zweifel gezogen. Das Reichsgericht hat diesen Kreis in seiner grundlegenden Entscheidung RGZ 98, 330 sehr weit gezogen und hat darunter sämtliche (auch die entferntesten) Verwandten des Erblassers, seinen Ehegatten und sogar den Fiskus verstanden (RGZ 98, 332). Diese Auffassung ist im Schrifttum auf Widerspruch gestoßen (vgl. Daniels, Verträge mit Bezug auf den Nachlaß eines noch lebenden Dritten S. 80 ff., 90). Ob ihr trotzdem uneingeschränkt zu folgen ist, bedarf hier aber keiner Entscheidung, weil es sich bei den Partnern des vom Beklagten beurkundeten Erbschaftsvertrages um nächste Angehörige der Erblasserin, nämlich um deren unmittelbare Abkömmlinge handelt.

Fraglich ist dagegen, ob es sich hier um einen Vertrag ›über den gesetzlichen Erbteil‹ des Bruders im Sinne von § 312 Abs. 2 BGB handelt. Der Revision ist zuzugeben, daß es dem Wortlaut nach ausschließlich um einen - an sich unbedenklich wirksamen - Erbschaftsvertrag über einen ›gesetzlichen‹ Erbteil geht, so wie es § 312 Abs. 2 BGB gerade vorsieht. Dennoch hat das Berufungsgericht recht, wenn es den Vertrag dahin versteht, daß er - auch - die Verpflichtung des Bruders der Klägerin begründen sollte, dieser den testamentarischen Erbteil nach der Mutter zu übertragen, den er tatsächlich erlangt hat. Nach dem unstreitigen Parteivorbringen ging es den Partnern des Erbschaftsvertrages darum, daß die Klägerin den konkreten Nachlaß der Mutter insbesondere im Hinblick auf den darin enthaltenen wesentlichen Nachlaßgegenstand, nämlich das elterliche Hausgrundstück, vollständig erhalten sollte. Danach ist anzunehmen, daß der testamentarische Erbteil des Bruders nach dem mutmaßlichen Parteiwillen in dem Erbschaftsvertrag mitgemeint ist, so daß es sich hier - jedenfalls auch - um einen Vertrag über einen testamentarischen Erbteil handelt.

Ob ein Erbschaftsvertrag auch über einen derartigen Erbteil unter § 312 Abs. 2 BGB fällt und daher wirksam geschlossen werden kann, ist in Rechtsprechung und Schrifttum umstritten.

Das Reichsgericht hat sich in der bereits angeführten Entscheidung RGZ 98, 330 - nicht tragend - dahin geäußert, § 312 Abs. 2 BGB setze voraus, daß derjenige Vertragsteil, der sich zu einer Verfügung über einen künftigen Erbteil verpflichte, diesen Erbteil durch Berufung kraft Gesetzes erlange. Der Grund dafür sei der, daß der voraussichtliche Erbe sich bei Lebzeiten des Erblassers nicht mit dessen Willen in Widerspruch setzen solle (RGZ 98, 332, 333), wobei einschränkend hinzugefügt ist, auf den Widerspruch zum Erblasserwillen komme es aber nur an, soweit eine Verpflichtung in Ansehung des Nachlasses (›über den Nachlaß‹) in Frage stehe. Der Bundesgerichtshof hat sich dieser Auffassung bisher nicht angeschlossen. Er hat sich auch nicht zu eigen gemacht, daß es in diesem Bereich um die Achtung vor dem Willen des Erblassers gehe. Vielmehr hat er die Nichtanwendung von § 312 Abs. 2 BGB in BGHZ 37, 319, 328 lediglich darauf gestützt, daß die Vertragschließenden nicht zum Kreis der gesetzlichen Erben des Erblassers gehörten, und nicht auch darauf, daß es sich um eine Erbfolge kraft Testaments handelte. Mit der hier zu entscheidenden Frage hat sich im wissenschaftlichen Schrifttum Daniels (aaO S. 102 ff. im Anschluß an Wiedemann NJW 1968, 769) am eingehendsten befaßt.

Die Entstehungsgeschichte der Vorschrift ist insoweit dunkel (vgl. dazu näher Daniels aaO S. 84 f., 94; sowie von Kübel in: Die Vorlagen der Redaktoren für die erste Kommission zur Ausarbeitung des Entwurfs eines bürgerlichen Gesetzbuches, Recht der Schuldverhältnisse, Teil 1 Allgemeiner Teil, herausgegeben von Schubert, Vorlage Nr. 11 zu § 6 S. 22 ff., abgedruckt S. 252 ff.). Soviel aber ist klar (Protokolle 1456), daß für bestimmte Fälle, die man nicht als anstößig empfand, von § 312 Abs. 1 BGB eine Ausnahme gemacht werden sollte. Mißstände, die zumal durch Übervorteilung des Abgefundenen eintreten könnten, ließen sich nicht völlig vermeiden, aber durch Beschränkung auf den Kreis der gesetzlichen Erben erheblich vermindern. Eine Pietätlosigkeit gegenüber dem Erblasser könne in derartigen Verträgen nicht ohne weiteres gefunden werden. Die Besorgnis, es könne zu unlauteren Einwirkungen auf den Erblasser oder sogar zu einer Gefährdung seines Lebens kommen (so die Motive II, 182), sei unbegründet. Dabei war an das praktische Bedürfnis insbesondere des Auswanderungswilligen gedacht (der sich durch den Verkauf seiner Erbaussichten womöglich erst die Kosten für die Überfahrt beschaffen will). Nimmt man diesen Beispielsfall, dann erscheint die Auffassung des Reichsgerichts nicht ausreichend tragfähig. Denn die Erbaussichten (auch) eines Auswanderungswilligen, der Verwandte auf eine Abfindung anspricht, sind schwerlich zu einem angemessenen Preis zu verwerten, wenn die Möglichkeit besteht, daß der angebotene Erbschaftsvertrag durch ein Testament des zukünftigen Erblassers wertlos wird. Noch weniger einleuchtend wäre es, wenn der ›Abgefundene‹ es - etwa in den Fällen des § 1948 oder des § 2306 BGB - selbst in der Hand hätte, ob der Erbschaftsvertrag ihn nun bindet oder nicht. Es kann nicht angenommen werden, daß mit § 312 Abs. 2 BGB derart ungereimte Ergebnisse sollten herbeigeführt werden können.

Hinzu kommt, daß auch der vom Reichsgericht angeführte Grund für die gegenständliche Beschränkung der Möglichkeit von Erbschaftsverträgen auf die Fälle der Intestaterbfolge, wie Daniels (aaO S. 104 ff.) gezeigt hat, den Gesetzesmaterialien nicht eindeutig zu entnehmen ist. Vielmehr lassen die Motive zum Bürgerlichen Gesetzbuch erkennen, daß die Zustimmung des Erblassers zu einem Erbschaftsvertrag - abweichend vom römischen Recht - für dessen Wirksamkeit ohne Bedeutung sein sollte, und zwar deshalb, weil unlauteren Einflußnahmen auf den Erblasser vorgebeugt werden sollte (Motive II, 185). Demgemäß ist heute ein Erbschaftsvertrag in den Fällen des § 312 Abs. 1 BGB auch dann nichtig, wenn der Erblasser zustimmt, und in den Fällen des § 312 Abs. 2 BGB auch dann wirksam, wenn der Erblasser seine Zustimmung dazu verweigert. Überdies wäre es nicht gerechtfertigt anzunehmen, Erbschaftsverträge widersprächen dem Willen des Erblassers nicht, sofern und solange dieser keine Verfügung von Todes wegen errichtet habe. Vielmehr unterbleiben Verfügungen von Todes wegen erfahrungsgemäß vielfach nur deshalb, weil der Erblasser die gesetzliche Ordnung der Erbfolge für seinen Erbfall inhaltlich als angemessen ansieht und deshalb gerade angewendet wissen will.

Dementsprechend hält es der Senat für richtiger, die Anwendung des § 312 Abs. 2 BGB nicht darauf abzustellen, ob derjenige, der sich zu einer Verfügung über seinen künftigen Erbteil verpflichtet, diesen Erbteil gerade kraft Gesetzes erlangt. Das Merkmal ›über den gesetzlichen Erbteil‹ gewinnt danach lediglich die Bedeutung einer quantitativen Begrenzung dessen, über das die ›künftigen gesetzlichen Erben‹ wirksame Erbschaftsverträge schließen können, und erscheint eher als Ausdruck einer nicht näher begründeten Kompromißentscheidung unter den widerstreitenden Tendenzen im Gesetzgebungsverfahren. Jedenfalls wenn der Erblasser - wie im vorliegenden Fall - seine Erbfolge gerade so ordnet, wie sie auch kraft Gesetzes wäre, muß ein Erbschaftsvertrag ebenso möglich sein wie bei gesetzlicher Erbfolge. Vernünftige Gründe für eine unterschiedliche Behandlung beider Fälle sind für den Senat nicht zu erkennen. Diese Auffassung des Senats wird im Ergebnis vielfach auch im Schrifttum geteilt (vgl. z. B. MünchKomm/Söllner 2. Aufl. § 312 Rdn. 13; Oertmann, BGB 2. Aufl. § 312 Anm. 4; Blomeyer FamRZ 1974, 421, 424; Scheibner ZBlFG 1912, 338 ff.; Schiff, Verträge nach § 312 Abs. 2 BGB S. 22; Meister, Kann ein gesetzlicher Erbe einem anderen gesetzlichen Erben bei Lebzeiten des Erblassers seinen Erbteil übertragen? S. 105 f.; Daniels aaO S. 102 ff.).

 

Fundstellen

Haufe-Index 1456216

BGHZ, 279

NJW 1988, 2726

DNotZ 1989, 169

JZ 1990, 599

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