Leitsatz (amtlich)

Zur Anwendung der Grundsätze der sogenannten Steigerungsrechtsprechung, wenn die gezahlte Enteignungsentschädigung den Entschädigungsanspruch nicht voll abgedeckt hat.

Zur Frage, unter welchen Voraussetzungen eine Wertminderung zu entschädigen ist, die durch die Enteignung eines Teils eines räumlich oder wirtschaftlich zusammenhängenden Grundbesitzes bei der dem Betroffenen verbliebenen Restfläche entsteht.

 

Normenkette

BauGB §§ 95, 96 Abs. 1 S. 2 Nr. 2

 

Verfahrensgang

OLG Oldenburg (Oldenburg) (Teilurteil vom 14.03.1996)

LG Oldenburg

 

Tenor

Auf die Revision der Beteiligten zu 1 wird das Teilurteil des Senats für Baulandsachen des Oberlandesgerichts Oldenburg (7. Zivilsenat) vom 14. März 1996 aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsrechtszuges, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Die Beteiligte zu 1 war Eigentümerin eines im Zentrum der Stadt B. (der Beteiligten zu 2) belegenen zusammenhängenden Areals in einer Gesamtgröße von 5.415 m². Durch notariellen Kaufvertrag vom 24. März 1987 veräußerte sie aus dieser Fläche drei Flurstücke in einer Gesamtgröße von 2.057 m² an die Beteiligte zu 2, die diese Grundstücke zur Anlegung öffentlicher Erschließungsanlagen, Parkplätze und eines Kinderspielplatzes zur Verwirklichung ihres Bebauungsplans Nr. 26.1 „Im Breuel” benötigte. Als Zeitpunkt der Besitzübergabe wurde der 1. Mai 1987 vereinbart. Über den Kaufpreis erzielten die Beteiligten zu 1 und 2 lediglich eine Teileinigung von 105 DM pro m². Hinsichtlich des Restkaufpreises und der Vergütung von Nebenentschädigungen wurde vereinbarungsgemäß ein Entschädigungsfestsetzungsverfahren eingeleitet.

Die Bezirksregierung Weser-Ems (Beteiligte zu 3) setzte durch Entschädigungsfestsetzungsbeschluß vom 11. Januar 1991 die Entschädigung auf insgesamt 226.170 DM nebst 2 v.H. Zinsen über dem jeweils geltenden Diskontsatz der Deutschen Bundesbank ab 1. Mai 1987 fest. Diesen Betrag zahlte die Beteiligte zu 2 an die Beteiligte zu 1 aus. Die Beteiligte zu 1 stellte gegen den Entschädigungsfestsetzungsbeschluß Antrag auf gerichtliche Entscheidung, um eine Heraufsetzung der Entschädigung um 307.770 DM zu erreichen. Das Landgericht setzte die Entschädigung auf insgesamt 417.400 DM fest. Gegen dieses Urteil haben sowohl die Beteiligte zu 1 als auch die Beteiligte zu 2 Berufung eingelegt, die Beteiligte zu 1 mit dem Ziel einer weiteren Heraufsetzung der Entschädigung, die Beteiligte zu 2 mit dem Ziel einer Wiederherstellung des ursprünglichen Entschädigungsfestsetzungsbeschlusses. Durch das angefochtene Teilurteil hat das Berufungsgericht die Berufung der Beteiligten zu 1 zurückgewiesen und der Berufung der Beteiligten zu 2 insoweit stattgegeben, als es den Antrag der Beteiligten zu 1 auf Festsetzung einer 44.450 DM nebst 2 v.H. Zinsen über dem jeweiligen Diskontsatz der Deutschen Bundesbank seit dem 16. Dezember 1994 übersteigenden weiteren Entschädigung zurückgewiesen hat. Hinsichtlich des durch das Teilurteil noch nicht erledigten Betrages von 44.450 DM nebst Zinsen wurde eine Beweiserhebung angeordnet.

Gegen dieses Teilurteil hat die Beteiligte zu 1 Revision eingelegt, mit der sie ihren Antrag auf Heraufsetzung der Entschädigung weiterverfolgt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

1. Der vom Landgericht ermittelte Entschädigungsbetrag von 417.400 DM beruhte auf folgender Berechnung: Das Landgericht hat den Wertermittlungsstichtag auf den 31. Oktober 1988, den Zeitpunkt, in dem der Entschädigungsbetrag von 226.170 DM seitens der Beteiligten zu 2 anerkannt worden war, festgesetzt. Es hat sodann – dem im ersten Rechtszug eingeholten Gutachten des Oberen Gutachterausschusses folgend – angenommen, daß der damalige Wert der veräußerten Flächen tatsächlich 246.840 DM (120 DM pro m²) betragen habe und bis zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung erster Instanz auf 411.400 DM (200 DM pro m²) gestiegen sei. Hinzu komme ein unstreitiger Betrag von 6.000 DM für eine Bruchsteinmauer.

Das Berufungsgericht ist demgegenüber der Auffassung, daß bei den Preissteigerungen nicht der volle Grundstücksverkehrswert berücksichtigt werden dürfe, sondern lediglich der Mehrbetrag, um den der Verkehrswert zum Stichtag (31. Oktober 1988) den anerkannten und gezahlten Entschädigungsbetrag von 226.170 DM überstiegen habe. Diese Differenz mache (unter Einbeziehung des Wertes der Bruchsteinmauer) lediglich (252.840 – 226.170 =) 26.670 DM aus. Bei der ermittelten Preissteigerung um 66,6 % ergebe sich somit zugunsten der Beteiligten zu 1 eine Mehrforderung von höchstens 44.450 DM nebst Zinsen.

Dieses Rechenwerk des Berufungsgerichts läßt Rechtsfehler nicht erkennen und wird von der Revision auch nur im allgemeinen („vorsorglich”), ohne konkreten Angriff, zur Nachprüfung gestellt. Das vom Berufungsgericht gefundene Ergebnis, daß lediglich die (allerdings noch nicht endgültig festgestellte) Differenz von 26.670 DM an der Preissteigerung teilnehmen kann, entspricht – vorbehaltlich der im folgenden zu erörternden Frage, ob der Beteiligten zu 1 nicht aus anderen Rechtsgründen eine höhere Entschädigung zusteht – der Rechtsprechung des Senats. Insbesondere in BGHZ 44, 52, 58 f hat der Senat entschieden, daß dann, wenn die ursprüngliche Festsetzung zu niedrig war, der Stichtag wenigstens hinsichtlich desjenigen Wertanteils festgelegt wird, der durch die gezahlte oder angebotene Summe gedeckt ist, und eine Verschiebung nur noch für den nicht gedeckten Rest in Betracht kommt; in solchen Fällen können sich mehrere Bewertungsstichtage ergeben. Auch die weitere Voraussetzung ist erfüllt, daß die Beteiligte zu 1 die angebotene und festgesetzte Entschädigung im vorliegenden Fall auch dann annehmen mußte, wenn sie sie für zu niedrig hielt (vgl. Senatsurteil a.a.O.). Nach der Rechtsprechung des Senats kann der Enteignete das Angebot zur Zahlung der behördlich festgesetzten Entschädigung nicht mit dem Hinweis ablehnen, die Entschädigung sei zu niedrig und deshalb handele es sich um eine nach § 266 BGB unzulässige Teilleistung. Das gilt auch dann, wenn der Enteignete die Festsetzung anficht und die Entschädigung später im gerichtlichen Verfahren erhöht wird. Der Enteignete kann sich, wenn er ein solches Zahlungsangebot ablehnt, auf spätere Preissteigerungen insoweit nicht berufen, als die abgelehnte Zahlung die in jenem Zeitpunkt geschuldete Entschädigung abgegolten hätte (Senatsurteil BGHZ 61, 240, 245). Erst recht gilt dies, wenn er – wie hier – jene Zahlung angenommen und sich wirtschaftlich zunutze gemacht hat.

2. Das Berufungsgericht hält den noch offenen Betrag von 44.450 DM für das Maximum desjenigen, was der Beteiligten zu 1 selbst bei einem für sie günstigen Ausgang der zukünftigen Beweisaufnahme noch zuerkannt werden könnte, und meint, daß Mehrforderungen unter jedem denkbaren Gesichtspunkt ausgeschlossen seien (dementsprechend soll Gegenstand der in Aussicht genommenen Beweisaufnahme nur die Frage sein, ob der vom Landgericht zum 31. Oktober 1988 festgestellte Grundstückswert nicht noch weiter, nämlich auf den gezahlten Betrag von 226.170 DM, reduziert werden müsse). Der Hauptangriff der Revision richtet sich dagegen, daß das Berufungsgericht der Beteiligten zu 1 lediglich eine Entschädigung für die verkauften Flächen selbst zuerkennen und einen möglichen weitergehenden Anspruch nach §§ 96 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BauGB, 14 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 a) NEG ausschließen will. Insoweit greifen die Rügen der Revision durch.

a) Wenn nur ein Teil eines Grundstücks enteignet wird, kann der für das Restgrundstück noch verbleibende Wert wesentlich geringer sein, als es rechnerisch dem Verhältnis beider Teile zueinander entspricht. Der Grund kann insbesondere darin liegen, daß der verbleibende Teil baulich oder landwirtschaftlich nicht mehr angemessen zu nutzen ist (vgl. BerlKomm/Krohn, BauGB, 2. Aufl. 1995 § 96 Rn. 8). Dem trägt das Gesetz Rechnung, indem es die Wertminderung, die durch die Enteignung eines Grundstückteils oder eines Teils eines räumlich oder wirtschaftlich zusammenhängenden Grundbesitzes bei dem anderen Teil entsteht, ausdrücklich für entschädigungsfähig erklärt (§§ 96 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BauGB; 14 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 a) NEG). Dies gilt allerdings nur, soweit die Vermögenseinbuße eine durch Art. 14 GG geschützte Rechtsposition betrifft.

b) Der Obere Gutachterausschuß hatte in seinem vom Landgericht eingeholten Wertgutachten wörtlich folgendes ausgeführt:

„Die Größe, der Zuschnitt und die Lage des Areals zwischen den vorgenannten Straßen hätte möglicherweise eine intensivere und höherwertige Nutzung zugelassen als die verbleibende Fläche von 3.358 m². Laut Beweisbeschluß ist hier jedoch nicht der Gesamtwert der im Eigentum von Frau K. [sc. der Beteiligten zu 1] stehenden Fläche, sondern nur der Bodenwert der Flurstücke 87/7, 87/10 und 38/5 zu ermitteln”.

Auch der Vorsitzende des Oberen Gutachterausschusses hat bei seiner Vernehmung vor dem Landgericht vom 21. August 1995 ausdrücklich auf diese Beschränkung des Gutachterauftrages hingewiesen.

c) Nach diesen Darlegungen kam eine Wertminderung in Betracht, die durch die Veräußerung der drei Flurstücke bei dem ursprünglich mit ihnen räumlich und wirtschaftlich zusammenhängenden Restbesitz der Beteiligten zu 1 entstanden war und nicht schon durch die für die entzogenen Flächen selbst zuerkannte Entschädigung abgegolten wurde. Das Berufungsgericht hätte sich daher mit dieser Frage auseinandersetzen müssen, zumal die beiden von der Beteiligten zu 1 eingeholten Privatgutachten ebenfalls eine weitergehende Wertminderung bejaht hatten. Eine Vermögenseinbuße konnte nicht schon mit der Erwägung verneint werden, daß eine etwaige intensivere Nutzung des Gesamtareals in dem für die Bestimmung der Grundstücksqualität maßgeblichen Zeitpunkt noch nicht in greifbare Nähe gerückt war. Zwar geht der Senat in ständiger Rechtsprechung davon aus, daß „eine Nutzungsmöglichkeit, deren Verwirklichung nicht in greifbarer Nähe liegt”, den Verkehrswert des Geländes nicht beeinflusse (vgl. schon Senatsurteil BGHZ 39, 198, 204 m.w.N.). Daraus läßt sich jedoch nicht folgern, eine Bebauung sei deshalb „nicht in absehbarer Zeit” zu verwirklichen, weil mit ihr innerhalb absehbarer Zeit nicht mit Sicherheit gerechnet werden könne. Das Entschädigungsverlangen der Beteiligten zu 1 hinsichtlich des Restbesitzes kann daher nicht schon daran scheitern, daß diese ihre konkrete Absicht nicht hinreichend dargelegt habe, ihre früheren Neubaupläne zu verwirklichen. Die abweichende Auffassung des Berufungsgerichts verkennt den Begriff der eigentumsmäßig geschützten Rechtsposition. Für deren Bestimmung ist nicht auf die (konkrete) Nutzungsabsicht des Betroffenen, sondern auf die objektive Nutzbarkeit des Grundstücks abzustellen. Dem stehen die im Senatsurteil BGHZ 83, 61, 67 f aufgestellten Grundsätze nicht entgegen. Dort sollten nur ganz fernliegende Nutzungen als den Verkehrswert beeinflussende Faktoren ausgeschieden werden. Daß hier die in Rede stehende Nutzbarkeit des Gesamtareals in vergleichbarer Weise ferngelegen habe, kann nicht von vornherein angenommen werden. Unter diesen Gesichtspunkten vermag der Senat keine durchgreifenden Bedenken gegen die hinreichende Substantiierung des Sachvortrags der Beteiligten zu 1 zu erkennen. Ein entschädigungsfähiger Vermögensnachteil wäre schon dann zu bejahen, wenn – was der vorstehend wiedergegebene Auszug aus dem Gutachten durchaus nahelegt – der Quadratmeterpreis für die bei der Beteiligten zu 1 verbliebene Restfläche sich infolge der Abtrennung der Teilflächen vermindert hat.

3. Da das Berufungsurteil nach alledem schon aus materiell-rechtlichen Gründen keinen Bestand haben kann, braucht nicht entschieden zu werden, ob es verfahrensrechtlich überhaupt zulässig gewesen wäre, ein Teilurteil zu erlassen. Dagegen bestehen hier deshalb Bedenken, weil der öffentlich-rechtliche Anspruch auf die dem Betroffenen für den Eingriff in das jeweilige Enteignungsobjekt ingesamt zustehende Entschädigung ein einheitlicher Anspruch ist, bei dem die einzelnen der Ausgleichung unterliegenden Entschädigungsposten lediglich unselbständige Berechnungsposten begründen und darstellen, die untereinander ausgetauscht werden können. Der Grundsatz der Einheitlichkeit des Entschädigungsanspruchs hat zur Folge, daß für eine Bindungswirkung hinsichtlich der einzelnen Entschädigungsposten kein Raum ist. Feststellungen zu den Einzelposten erwachsen nicht in Rechtskraft (Senatsurteil BGHZ 119, 62, 64). Deshalb ist das Berufungsgericht auch nicht gehindert, nach der Zurückverweisung den insbesondere in der mündlichen Revisionsverhandlung angesprochenen Gesichtspunkt zu berücksichtigen, ob die Gesamtfläche (verkaufte und nicht verkaufte Parzellen) einer höherwertigen Nutzung hätte zugeführt werden können. Trifft dies zu, so kann die Beteiligte zu 1 in doppelter Hinsicht in ihrer Rechtsposition betroffen sein:

a) Die veräußerte Fläche hätte höher bewertet werden müssen, wenn sie als Teil der (arrondierten) Gesamtfläche an deren – höherer – Nutzbarkeit teilgehabt hätte (Rechtsverlust nach § 95 Abs. 1 BauGB).

b) Daneben ist die der Beteiligten zu 1 verbliebene Restfläche in ihrem Wert gemindert (§ 96 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BauGB).

Beide Nachteile sind zusammenzuzählen, was möglicherweise im rechnerischen Ergebnis darauf hinausläuft, den Wert der ungeteilten Ursprungsfläche demjenigen des bei der Beteiligten zu 1 verbliebenen Restbesitzes gegenüberzustellen und die Differenz als Grundlage für den Entschädigungsanspruch heranzuziehen.

 

Unterschriften

Rinne, Werp, Wurm, Streck, Dörr

 

Fundstellen

Haufe-Index 1383827

NJW 1997, 2119

BGHR

NVwZ 1997, 932

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