Entscheidungsstichwort (Thema)

Auslegung eines zwischen dem Sozialversicherungsträger und dem Haftpflichtversicherer geschlossenen Teilungsabkommens

 

Leitsatz (amtlich)

Zur Auslegung eines zwischen dem Sozialversicherungsträger und Haftpflichtversicherer geschlossenen Teilungsabkommens, das die abkommensmäßige Regulierung des Schadens auf einen Höchstbetrag beschränkt (Ergänzung zu BGH Urteil vom 26. Mai 1970 - VI ZR 4/69 - LM BGB § 202 Nr. 12 = VersR 1970, 837).

 

Normenkette

StVG §§ 7, 14 Abs. 1; BGB §§ 823, 852, 202; RVO § 1542

 

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 7. Zivilsenats des Hanseatischen Oberlandesgerichts zu Hamburg vom 15. Februar 1972 aufgehoben.

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil der Zivilkammer 6 des Landgerichts Hamburg vom 5. März 1971 wird zurückgewiesen.

Die Kosten beider Rechtsmittelzüge fallen dem Beklagten zur Last.

 

Tatbestand

Am 28. November 1964 wurde die damals 7-jährige Andrea R. von dem Pkw des Beklagten angefahren und schwer verletzt. In einem Rechtsstreit zwischen der Verletzten und dem Beklagten ist dieser vorbehaltlich des Anspruchsübergangs auf Sozialversicherungsträger rechtskräftig zum Ersatz von 70 % des Unfallschadens aus dem Gesichtspunkt der Halter- und der Deliktshaftung verurteilt worden.

Die Klägerin erbrachte aus der sozialen Krankenversicherung wegen der Unfallverletzungen des am 16. Februar 1970 an den Unfallfolgen verstorbenen Kindes bis zum 12. Juli 1967 6.271,20 DM. Durch stationäre Krankenhausbehandlungen in der Zeit vom 12. Juli bis 7. August 1967 und vom 15. August bis 27. Oktober 1967 erhöhten sich die Aufwendungen auf 10.036,90 DM. Insgesamt hat die Klägerin 15.655,70 DM aufgewendet.

Der Haftpflichtversicherer des Beklagten erstattete der Klägerin die Aufwendungen nach Maßgabe eines Rahmen-Teilungsabkommens vom 20. Januar 1960, durch das sich der Versicherer im Falle der Gefährdungshaftung zum Ersatz von 60 % der Versicherungsleistungen aus der sozialen Krankenversicherung ohne Prüfung der Haftungsfrage verpflichtet hatte, bis zu dem in § 8 Abs. 1 des Abkommens vereinbarten Betrag von 10.000 DM. Diese Bestimmung lautete:

"Das Abkommen gilt nur, soweit der Gesamtbetrag, den die "EK" nach § 4 in Rechnung stellen kann, DM 10.000 für jeden Geschädigten nicht überschreitet. Wird dieser Gesamtbetrag überschritten, so ist bis zu diesem abkommensgemäß zu verfahren; für den überschießenden Teil soll eine Regelung im Vergleichsweg unter Würdigung der Sach- und Rechtslage durchgeführt werden."

Eine weitergehende Beteiligung lehnte der Haftpflichtversicherer mit Schreiben vom 2. Februar 1968 mit der Begründung ab, der Beklagte hafte nicht für den Unfall, weil er für ihn unabwendbar gewesen sei.

Mit der am 2. Februar 1970 bei dem Landgericht eingegangenen, dem Beklagten am 5. Februar 1970 zugestellten Klage hat die Klägerin den Beklagten auf Zahlung von 70 % des von dem Versicherer nicht erstatteten Betrages, insgesamt auf 3.958,99 DM nebst Zinsen in Anspruch genommen.

Der Beklagte ist der Klage mit der Einrede der Verjährung entgegengetreten.

Das Landgericht hat der Klage bis auf einen Teil des Zinsanspruchs nach § 823 BGB, § 1542 RVO stattgegeben. Das Oberlandesgericht hat auf die Berufung des Beklagten die Klage abgewiesen.

Mit der zugelassenen Revision erstrebt die Klägerin die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet.

1.

Nach Meinung des Berufungsgerichts kann die Klägerin die auf sie übergegangene Klageforderung (§ 1542 RVO) weder auf eine Haftung des Beklagten als Halter des Unfallfahrzeugs (§ 7 StVG) noch auf eine Deliktshaftung (§ 823 BGB) stützen, da solche Schadensersatzansprüche verjährt seien.

Zutreffend geht das Gericht davon aus, daß die 2-jährige Verjährungsfrist für Ansprüche nach dem Straßenverkehrsgesetz (§ 14 Abs. 1 StVG) und die Dreijahresfrist für die Verjährung deliktischer Ansprüche (§ 852 BGB), die für die in Betracht kommenden Ansprüche mit der Kenntnis der Klägerin von dem Schaden und der Person des Ersatzpflichtigen aus dem Unfall vom 28. November 1964 in Lauf gesetzt worden (BGHZ 48, 181) und durch den Vorprozeß zwischen der Verletzten und dem Beklagten nicht unterbrochen worden sind, bei Klageerhebung abgelaufen gewesen sein würden, sofern nicht das Teilungsabkommen zwischen der Klägerin und dem Haftpflichtversicherer des Beklagten den Lauf dieser Fristen gehemmt hat.

Das Berufungsgericht verneint dies und erwägt hierzu: Zwar möge dem Teilungsabkommen ein die Verjährung hemmendes pactum de non petendo für die abkommensgemäß zu regulierenden Regreßansprüche innewohnen. Die Klägerin mache jedoch Ansprüche wegen ihrer den festgesetzten Höchstbetrag von 10.000 DM übersteigenden Aufwendungen geltend, für die nach § 8 des Teilungsabkommens gerade nicht abkommensgemäß zu verfahren sei. Dem Zweck des Abkommens lasse sich nicht entnehmen, daß mit der Geltendmachung dieser Ansprüche solange gewartet werden solle, bis Aufwendungen der Klägerin in dieser Höhe aufgelaufen seien. Vielmehr habe es im Interesse beider Vertragspartner gelegen, die nach dem Abkommen für diese Ansprüche erforderliche Prüfung der Sach- und Rechtslage im Blick auf die sich durch den Zeitablauf zunehmend verschlechternden Aufklärungsmöglichkeiten sobald wie möglich vorzunehmen und sie insbesondere nicht über die normalen Verjährungsfristen hinaus aufzuschieben. Zwar könne sich in den Fällen, in denen zunächst ungewiß sei, ob die Höchstgrenze des § 8 Abs. 1 des Abkommens überschritten werde, eine sofort vorgenommene Prüfung der Sach- und Rechtslage später als überflüssig erweisen. Auch werde die Bedeutung des Abkommens damit eingeschränkt. Doch werde der Zweck des Abkommens teilweise auch dann erreicht, wenn dem Gesichtspunkt einer möglichst baldigen Prüfung der Sach- und Rechtslage für den Fall eines Überschreitens der Höchstgrenze der Vorzug gegeben werde. Mangels einer entgegenstehenden ausdrücklichen Bestimmung müsse davon ausgegangen werden, daß die Partner des Abkommens insoweit kein pactum de non petendo und keine sonstige die Verjährung hemmende Vereinbarung hätten treffen wollen, jedenfalls keine solche Einigung zwischen ihnen zustande gekommen sei.

2.

Die Auslegung, die das Berufungsgericht dem Teilungsabkommen vom 20. Januar 1960 gibt und die in der Revisionsinstanz frei nachprüfbar ist (BGHZ 20, 385, 389), wird dem Zweck der Vereinbarung nicht gerecht.

a)

Zutreffend hebt das Berufungsgericht hervor, daß das Abkommen vom 20. Januar 1960 eine rasche, kostensparende, die Risiken einer gerichtlichen Klärung vermeidende Erledigung aller von dem Abkommen erfaßten Haftpflichtfälle bezweckte. Dieses Ziel sollte dadurch erreicht werden, daß die Haftpflichtversicherung unter Verzicht auf eine haftungsrechtliche Klärung der Klägerin die Versicherungsleistungen aus diesen Schadensfällen in Höhe einer Quote ersetzte und sie damit wegen etwaiger Regreßansprüche gegen den versicherten Schädiger abfand (§ 5 Satz 1 aaO). Insoweit umschloß die Vereinbarung den Verzicht der Klägerin auf persönliche Inanspruchnahme des Schädigers wegen der auf sie nach § 1542 RVO übergegangenen Schadensersatzansprüche. Sie übernahm in diesem Umfang zugunsten des Schädigers (§ 328 BGB) eine Stillhalteverpflichtung, die ihn der Klägerin gegenüber zur Verweigerung von Leistungen aus dem Haftpflichtfall berechtigte, soweit eine abkommensmäßige Regelung vorgesehen war, ein pactum de non petendo (vgl. BGH Urteile vom 26. Mai 1970 - VI ZR 4/69 = VersR 1970, 837, 838; vom 29. September 1970 - VI ZR 191/68 = VersR 1970, 1108, 1109).

b)

Entgegen der Annahme des Berufungsgerichts erfaßte diese Stillhalteverpflichtung der Klägerin nach dem Teilungsabkommen aber auch diejenigen Schadensfälle, in denen wie hier der Gesamtbetrag der zu berücksichtigenden Versicherungsleistungen 10.000 DM für einen Geschädigten überschritt. Zwar war nach § 8 Abs. 1 der Vereinbarung bezüglich der ab 1. Januar 1963 eingetretenen Versicherungsfälle diese Summe als Höchstbetrag für die unmittelbare abkommensmäßige Regulierung des Schadens festgesetzt; jedoch waren damit die den Höchstbetrag insgesamt überschreitenden Schäden nicht von vornherein dem Anwendungsbereich des Teilungsabkommens entzogen. Vielmehr war vereinbart, daß auch in diesen Schadensfällen bis zu dem Höchstbetrag von 10.000 DM abkommensgemäß also nach der festgesetzten Quote ohne Prüfung der Haftungsfrage verfahren werden sollte; lediglich der überschießende Teil sollte im Vergleichsweg unter Würdigung der Sach- und Rechtslage geregelt werden.

Durch die Festsetzung des Höchstbetrages sollte offensichtlich das Risiko, das mit einer solchen vergleichsweisen Schadensregulierung für die Vertragsschließenden verbunden war, summenmäßig beschränkt werden, die von dem Teilungsabkommen erwartete Zeit- und Kostenersparnis im übrigen aber möglichst erhalten bleiben. Daher mag das Abkommen durch die betragsmäßige Begrenzung zwar für diejenigen Fälle von geringerem Nutzen sein, in denen von vorne herein feststand, daß die Versicherungsleistungen der Klägerin den Höchstbetrag überstiegen. Trotzdem blieb die Regelung nach Höchstbeträgen wegen derjenigen Fälle sinnvoll, in denen - wie im vorliegenden schon wegen der nicht überschaubaren Lebenserwartung des Kindes - zunächst ungewiß war, ob der Höchstbetrag, für den nach § 4 des Abkommens weitgehend die von der Klägerin erbrachten Aufwendungen maßgebend sein sollten, erreicht oder überschritten werden würde. Der mit dem Teilungsabkommen verfolgten Absicht wird daher nur die Auslegung gerecht, daß auch in diesen Schadensfällen die von der Klägerin zugunsten des Schädigers und Versicherungsnehmers eingegangene Stillhalteverpflichtung zumindest solange wirkte, bis die nach dem Abkommen zu berücksichtigenden Aufwendungen der Klägerin den Betrag von 10.000 DM für einen Geschädigten erreicht hatten.

Auf dieser Auslegung eines limitierten Teilungsabkommens beruhte entgegen der Annahme des Berufungsgerichts bereits das Urteil des Senats vom 26. Mai 1970 - VI ZR 4/69 = VersR 1970, 837. Die ablehnende Kritik von Möller in seinem von der Revision vorgelegten Rechtsgutachten vom 24. Juni 1971 an dieser Entscheidung gibt dem Senat keinen Anlaß zur Aufgabe seines Standpunktes.

Würde mit dem Berufungsgericht in allen Schadensfällen, in denen die Überschreitung des Höchstbetrages von vornherein feststand oder noch ungewiß war, eine Stillhalteverpflichtung der Klägerin verneint, so wären diese Fälle entgegen dem von den Vertragsschließenden verfolgten Zweck einer Erledigung ohne Prüfung der Haftungsfrage weitgehend entzogen worden, womit auch die Abwicklung des limitierten Schadensbetrages nach der Quote ihren Sinn verloren hätte. Das Interesse an einer möglichst frühzeitigen Prüfung der Sach- und Rechtslage, soweit sie doch nötig werden sollte, rechtfertigt eine solche Vertragsauslegung nicht. Es tritt gegenüber dem wirtschaftlich vernünftigen Streben, einen möglichst großen Teil der Schaden nach einfachen Regeln abzuwickeln, von dem das Abkommen gekennzeichnet ist, zurück.

3.

Das bedeutet, daß die Klägerin nach dem Teilungsabkommen den Beklagten wegen der geltend gemachten Aufwendungen jedenfalls so lange nicht in Anspruch nehmen konnte, als diese nicht den Höchstbetrag von 10.000 DM erreicht hatten. Diese Voraussetzungen für ein Vorgehen gegen den Beklagten waren nicht vor dem Beginn der stationären Krankenhausbehandlung der Verletzten im Juli 1967 erfüllt. Damals hatten die Aufwendungen der Klägerin erst 6.271,20 DM erreicht. Jedenfalls bis zu diesem Zeitpunkt war die Verjährung der Rückgriffsansprüche der Klägerin für ihre Aufwendungen gegen den Beklagten nach § 202 Abs. 1 BGB gehemmt. Ob die Stillhalteverpflichtung einer persönlichen Inanspruchnahme des Schädigers für den Mehrbetrag darüberhinaus auch dann noch so lange entgegenstehen sollte, bis der vorgesehene Versuch einer vergleichsweisen Regelung mit dem Haftpflichtversicherer fehlgeschlagen war, kann für den vorliegenden Fall dahinstehen. Denn jedenfalls war die 3-jährige Verjährungsfrist des § 852 BGB für die deliktischen Ansprüche bei Klageerhebung noch nicht verstrichen. Diese mit der Klage geltend gemachten Ansprüche sind mithin bei richtigem Verständnis des Abkommens nicht verjährt.

4.

Das Berufungsurteil hat deshalb keinen Bestand. Da der Beklagte der Klage allein mit der Einrede der Verjährung entgegengetreten ist, muß vielmehr das der Klage stattgebende Urteil des Landgerichts wieder hergestellt werden. Auf die Revision der Klägerin war deshalb das Urteil des Berufungsgerichts abzuändern und die Berufung des Beklagten mit der Kostenfolge aus § 97 ZPO für beide Rechtsmittelzüge zurückzuweisen.

 

Unterschriften

Dunz, Richter

Scheffen, Richter

Dr. Krohn, Richter

Dr. Steffen, Richter

Dr. Kulimann, Richter

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1456188

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