Leitsatz (amtlich)

Auch der Alleingesellschafter einer GmbH kann vom Haftpflichtigen Erstattung seines während der unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit weiterbezahlten Geschäftsführergehalts verlangen, sofern es sich um eine echte Tätigkeitsvergütung handelt.

 

Normenkette

BGB § 842

 

Verfahrensgang

OLG Köln (Urteil vom 22.05.1969)

LG Köln

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des 12. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 22. Mai 1969 wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Revision fallen der Beklagten zur Last.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Die Kläger sind die Erben der früheren Klägerin Maria H. (künftig: Erblasserin), die während des Rechtsstreits verstorben ist.

Die Erblasserin erlitt am 30. Dezember 1965 bei einem Unfall, für dessen Folgen die Beklagte haftpflichtig ist, Knochenbrüche im Bereich der linken Ferse. Infolge des Unfalls war sie von Januar bis Juni 1966 voll, von Juli bis Oktober 1966 nach ärztlichem Urteil zur Hälfte erwerbsunfähig. Der Streit der Parteien geht im zweiten und dritten Rechtszug nur darum, inwieweit die Beklagte hierfür Ersatz zu leisten hat.

Die Erblasserin war seit Jahrzehnten Geschäftsführerin und Gesellschafterin – und zwar seit dem Tode ihres Ehemannes im Jahre 1957 Alleingesellschafterin – der „H. Maschinen- und Apparatebauanstalt mbH R.” (künftig: GmbH). Zweiter Geschäftsführer war im Unfallzeitpunkt ihr 1967 verstorbener Bruder. Für ihre Geschäftsführertätigkeit erhielt die Erblasserin von der GmbH ein – steuerlich anerkanntes – vom Gewinn unabhängiges Gehalt, das zum 1. Januar 1966 von monatlich DM 4.000,– auf monatlich DM 4.400,– brutto erhöht wurde. Dieses Gehalt hat die Erblasserin während der Zeit ihrer unfallbedingten Arbeitsbehinderung von der GmbH weiterbezahlt erhalten.

Mit der Klage hat die Erblasserin Zahlung von sechs vollen und vier halben monatlichen Bruttogehältern von 4.400,– DM nebst Zinsen an die GmbH verlangt. Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Die Berufung der Beklagten war im wesentlichen ohne Erfolg; ihre Revision erstrebt weiterhin Klagabweisung.

 

Entscheidungsgründe

I.

Das Berufungsgericht stellt fest, daß zwischen der Erblasserin und der GmbH wirksam, wenngleich ohne schriftliche Festlegung, ein ernstlicher Dienstvertrag zustandegekommen war. Die Erblasserin habe auch tatsächlich sich in der Regel von 8 Uhr früh bis abends 18 Uhr im Betrieb betätigt. Während ihrer Erkrankung habe ihr Ausfall durch erhöhte Tätigkeit anderer im Betrieb beschäftigter Personen ausgeglichen werden müssen. Die Vergütung der Erblasserin sei im Hinblick auf in vergleichbaren Positionen bezahlte Gehälter und auch auf das noch höhere Gehalt, das damals dem zweiten Geschäftsführer bezahlt worden sei, angemessen gewesen.

Gegen diese Ausführungen, die im wesentlichen im Bereich der tatrichterlichen Feststellung liegen, hat die Revision nichts erinnert. Sachlich-rechtlich sind sie nicht zu beanstanden.

II.

1. Entsprechend den von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes entwickelten Grundsätzen für die Berechnung des Erwerbsschadens eines Arbeitnehmers, der ungeachtet seiner unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit sein Gehalt fortbezahlt erhält, hat das Berufungsgericht daher die Beklagte im Umfange des Arbeitsausfalls zum Ersatz des ohne Arbeitsleistung bezahlten Bruttogehalts verurteilt.

2. Die Revision greift dies nur insofern an, als sie meint, daß die vom Berufungsgericht herangezogenen Grundsätze keine Geltung beanspruchen könnten, wenn es sich, wie hier, um die Geschäftsführer-Vergütung des Alleingesellschafters einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung handele.

Dazu macht die Revision im einzelnen geltend:

Die vom Berufungsgericht angewandten Grundsätze gälten zwar selbst dann, wenn der verletzte Mitinhaber einer GmbH sein Geschäftsführergehalt – sogar ohne vertragliche Verpflichtung der Gesellschaft – weiter erhalte (Senatsurteil vom 25. Februar 1964 – VI ZR 16/63 – VersR 1964, 626). Dagegen müsse der auf eigene Rechnung Erwerbstätige konkret nachweisen, daß sein Verdienst ohne den Schadensfall höher gewesen sein würde (BGH Urt. vom 6. Oktober 1964 – VI ZR 156/63 – VRS 28, 1, 2; vom 5. Juli 1966 – VI ZR 275/64 – VersR 1966, 957, 958).

Der vorliegende Fall sei bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise dieser Fallgruppe zuzuordnen. Es bestehe kein innerer Grund, den Alleingesellschafter einer GmbH anders zu behandeln als den voll haftenden Einzelkaufmann. Der Gewinn des Unternehmens der Klägerin sei nicht geschmälert worden. Sie habe auch ihren als Tätigkeitsvergütung deklarierten Ertragsanteil weiterhin ungekürzt entnommen. Auf die rechtliche Selbständigkeit der GmbH hebe das Berufungsurteil zu Unrecht ab. Es könne im Verhältnis zwischen GmbH und Alleingesellschafter nicht von einer Drittleistung gesprochen werden. Der Klägerin sei in ihrem Vermögensbereich ein Erwerbsschaden gar nicht entstanden, so daß sie eine unberechtigte Begünstigung erfahren würde. Durch die Fortzahlung des Gehalts werde die Klägerin entgegen der Meinung des Berufungsgerichts nicht in Wirklichkeit selbst belastet. Das Gehalt stelle in Wahrheit nur einen Teil des durch den Unfall nicht geschmälerten Gesamtertrags des Unternehmens dar und wäre der Klägerin auch ohne den Unfall zu Lasten ihres Gewinns zugeflossen.

3. Diesen Erwägungen der Revision vermag der Senat nicht zu folgen.

a) Allerdings kann nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ein selbständiger Unternehmer den Ausfall seiner Arbeitskraft nicht abstrakt – etwa in Höhe des Entgelts für einen ähnlich befähigten Arbeitnehmer – als Vermögensschaden in Rechnung stellen (zuletzt Senatsurteil vom 5. Mai 1970 – VI ZR 212/68 – BGHZ 54, 45 = VersR 1970, 766). Bei ihm setzt sich der Wegfall der Arbeitskraft erst dadurch in einen Vermögensschaden um, daß der Gewerbeertrag hinter dem zurückbleibt, was nach bisheriger Erfahrung oder besonderen Vorkehrungen zu erwarten war.

Dem gegen Entgelt tätigen Geschäftsführer einer Kapitalgesellschaft entgeht jedoch im Regelfall während der Aufhebung seiner Arbeitsfähigkeit das für seine Tätigkeit bezahlte Gehalt; ihm entsteht damit ein unmittelbarer Vermögensschaden.

b) Es entspricht ferner ständiger Rechtsprechung, daß es dem für die Aufhebung der Arbeitsfähigkeit Haftenden nicht zugutekommen darf, wenn der Arbeitgeber des Geschädigten das Arbeitsentgelt bei unfallbedingtem Ausbleiben der Gegenleistung fortzahlt, gleich ob dies aufgrund einer besonderen arbeitsvertraglichen Gestaltung oder freiwillig geschieht. Der Geschädigte kann vielmehr in solchen Fällen den Schädiger auf Zahlung des (Brutto)-Arbeitsentgelts an den Arbeitgeber, gegebenenfalls also auch – wie hier – an die Gesellschaft, deren Geschäftsführer und gesetzlicher Vertreter er ist, in Anspruch nehmen, wenn jedenfalls im Wege der Schätzung (§ 287 ZPO) davon ausgegangen werden kann, daß dem Arbeitgeber ein Ausfall in Höhe des weiterbezahlten Arbeitsentgelts entstanden ist (vgl. Senatsurteil vom 14. Oktober 1969 – VI ZR 55/68 – LM BGB § 823 [Eb] Nr. 18; ferner Marschall von Bieberstein, Reflexschäden und Reflexrechte S. 249 zu Nr. 19). Dagegen berührt es die Ersatzpflicht des Schädigers nicht, in welcher Weise der Arbeitgeber dem zeitweiligen Ausbleiben der geldwerten Arbeitsleistung Rechnung getragen hat, wobei unter anderem die Einstellung einer Ersatzkraft, unentgeltliche Mehrleistungen anderer Betriebsangehöriger oder die Hinnahme eines entsprechend geminderten Gewerbeertrages in Frage kommen.

c) Der Revision kann nicht gefolgt werden, wenn sie meint, daß dies allgemein nicht gelten könne, wenn der Geschäftsführer – wie die Erblasserin – zugleich Inhaber des Gesellschaftskapitals ist. Sie verkennt nicht, daß der Bundesgerichtshof bereits für Fälle gegenteilig entschieden hat, in denen der geschädigte Geschäftsführer einen (mehr oder minder großen) Anteil am Vermögen der GmbH innehat (Senatsurteil vom 25. Februar 1964 a.a.O.).

Für den sog. „Einmanngesellschafter” kann aber jedenfalls insoweit, als nicht die durch eine solche Gestaltung aufgeworfenen besonderen Gesichtspunkte ins Spiel kommen, nichts anderes gelten. Auch hier ist von der rechtlichen Verschiedenheit von Gesellschaft und Alleingesellschafter auszugehen. Eine mißbräuchliche Ausnutzung dieser rechtlichen Gestaltung zum Nachteil der Beklagten ist nicht gegeben. Nach den nicht angegriffenen tatrichterlichen Feststellungen ist durch die Verletzung der Erblasserin ein echter Erwerbsschaden entstanden, der sich durch die Fortzahlung des Geschäftsführergehalts auf die GmbH verlagert hat; denn bei dieser mußte die Arbeitsleistung der Erblasserin, deren Wert der dafür bezahlten Vergütung entsprach, vorübergehend durch erhöhten Einsatz anderer, teils angestellter, teils freier Mitarbeiter ausgeglichen werden. Daher führte die wirtschaftliche Verflechtung zwischen GmbH und Alleingesellschafter hier nicht zu einer unbilligen Benachteiligung der Beklagten; auch den Ausführungen der Revision kann ein Hinweis auf eine solche Auswirkung nicht entnommen werden.

Vielmehr geht die Revision, wenn sie ausführt, durch die Fortzahlung werde die Erblasserin in Wirklichkeit nicht selbst belastet, weil der Gesamtertrag ihres Unternehmens nicht geschmälert sei und ihr das Gehalt auch ohne den Unfall zu Lasten ihres Gewinns zugefallen wäre, von einem Sachverhalt aus, der zwar im Zusammenhang mit der Entlohnung von Gesellschafter-Geschäftsführern nicht selten gegeben sein mag, aber gerade im vorliegenden Fall vom Tatrichter fehlerfrei ausgeschlossen worden ist. In der Tat entspricht das einem Mit- oder Alleingesellschafter als Geschäftsführer gezahlte Gehalt zwar oft nicht dem Wert seiner Tätigkeit. Vor allem steuerliche Gründe können einen Anreiz für sachlich nicht begründete oder doch überhöhte Vergütungen bilden, so daß weder die Tatsache der Zahlung noch auch die mitunter nach anderen Beweisgrundsätzen erfolgte steuerliche Anerkennung notwendig dafür spricht, daß dem Gehalt eine angemessene Arbeitsleistung gegenübersteht (vgl. etwa das Senatsurteil vom 28. April 1970 – VI ZR 193/68 – VersR 1970, 690, 641). Auf all dies kann es aber hier nicht ankommen, weil das Berufungsgericht unangefochten feststellt, daß der Geschäftsführervergütung der Erblasserin eine sie wirtschaftlich rechtfertigende Arbeitsleistung im Interesse der Gesellschaft gegenüberstand. Damit müssen alle Erwägungen ausscheiden, die sich auf eine mißbräuchliche Überhöhung von Geschäftsführergehaltern stützen.

III.

Schließlich rügt die Revision, das Berufungsgericht habe sich bei der Bemessung der Arbeitsbehinderung der Klägerin schematisch an ärztlich festgestellten Graden der allgemeinen Erwerbsfähigkeit ausgerichtet.

Die Klägerin hatte allerdings in der Klageschrift ausgeführt, sie sei für sechs Monate 100 %ig und für weitere vier Monate 50 %ig von den behandelnden Ärzten „krankgeschrieben worden”. Die wörtliche Übernahme dieses Vertrags in die tatbestandlichen Feststellungen der beiden Vorderurteile mag mißverständlich sein. Gleichwohl ist die Rüge der Revision nicht begründet.

Nachdem die Beklagte im ersten Rechtszug (Schriftsatz vom 12. Oktober 1967 S. 2) kurz auf die „Unzuverlässigkeit einer schematischen Anwendung der Grade der Erwerbsminderung auf den Verdienstentgang” hingewiesen hatte, ist sie im Schriftsatz vom 9. Mai 1968 S. 2 darauf zurückgekommen und hat ausgeführt, daß sowohl die abstrakte wie auch die tatsächliche Einschränkung der Arbeitsfähigkeit der Erblasserin gegebenenfalls noch zu prüfen sei. Daraufhin hat die Erblasserin (Schriftsatz vom 20. Mai und auch vom 18. Juni 1968) im einzelnen darlegen lassen, inwiefern sie während der Zeit der beschränkten Erwerbsfähigkeit teils durch Kur- und Heilmaßnahmen, teils durch ihre körperliche Behinderung der Erfüllung ihrer Geschäftsführerpflichten nicht voll nachkommen konnte. Die Beklagte hat dies im einzelnen nicht bestritten. Sie hat insbesondere im Berufungsrechtszug diese Fragen überhaupt nicht mehr berührt.

Damit ist davon auszugehen, daß das Landgericht die Minderleistung der Klägerin während des zweiten Zeitraums aufgrund der Darlegungen der Klägerin und übereinstimmend mit dieser auf 50 % geschätzt hat (§ 287 ZPO). Das Berufungsgericht war, wenn es diese Schätzung übernahm, jedenfalls mangels eines Berufungsangriffs zu weiteren Ausführungen nicht genötigt. Ein Verfahrensverstoß fällt ihm insoweit nicht zur Last.

Daß die Klägerin während des ersten Zeitraums von sechs Monaten, für den ärztlich volle Arbeitsunfähigkeit angenommen wurde, auch tatsächlich keine Tätigkeit ausgeübt hat, hat die Beklagte nicht bestritten.

Damit bleibt die Revision insgesamt ohne Erfolg.

 

Unterschriften

Pehle, Dr. Weber, Sonnabend, Dunz, Scheffen

 

Fundstellen

Haufe-Index 1502200

NJW 1971, 1136

Nachschlagewerk BGH

MDR 1971, 569

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