Leitsatz (amtlich)

Mehrheitsbeschlüsse der Gläubiger nach § 5 SchVG sind auch für solche Gläubiger derselben Anleihe gleichermaßen verbindlich, die die Anleihe zuvor wegen Verschlechterung der Vermögensverhältnisse der Emittentin außerordentlich gekündigt haben.

 

Normenkette

SchVG § 5 Abs. 2 S. 1

 

Verfahrensgang

OLG Frankfurt am Main (Urteil vom 17.09.2014; Aktenzeichen 4 U 97/14)

LG Frankfurt am Main (Urteil vom 25.04.2014; Aktenzeichen 2-18 O 429/13)

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 4. Zivilsenats des OLG Frankfurt vom 17.9.2014 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zu ihrem Nachteil erkannt worden ist.

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der 18. Zivilkammer des LG Frankfurt/M. vom 25.4.2014 wird insgesamt zurückgewiesen.

Die Kosten der Rechtsmittelverfahren trägt die Klägerin.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Rz. 1

Die Klägerin nimmt die Beklagte aus einer von dieser begebenen Unternehmensanleihe in Anspruch.

Rz. 2

Die Beklagte, eine börsennotierte Aktiengesellschaft, emittierte im Jahr 2011 u.a. die in einer Dauerglobalurkunde ohne Zinsscheine verbriefte 6,375 %-Schuldverschreibung 2011/2016 in einem Gesamtnennwert von 150 Mio. EUR, eingeteilt in 150.000 auf den Inhaber lautende Teilschuldverschreibungen im Nennbetrag von je 1.000 EUR. In § 9 der Anleihebedingungen ("Kündigung") heißt es u.a.:

"(1) Kündigungsgründe. Jeder Gläubiger ist berechtigt, seine Schuldverschreibung zu kündigen und deren sofortige Rückzahlung zu ihrem Nennbetrag zzgl. (etwaiger) bis zum Tage der Rückzahlung aufgelaufener Zinsen zu verlangen, falls: (a) Nichtzahlung: die Emittentin Kapital oder Zinsen oder sonstige auf die Schuldverschreibung zahlbaren Beträge nicht innerhalb von 30 Tagen nach dem betreffenden Fälligkeitsdatum zahlt; oder (b) ... (c) ... (d) Zahlungseinstellung: die Emittentin ihre Zahlungseinstellung bekannt gibt oder ihre Zahlungen allgemein einstellt; oder (e) Insolvenz u.Ä.: ein Gericht ein Insolvenzverfahren gegen die Emittentin eröffnet oder die Emittentin ein solches Verfahren einleitet oder beantragt oder eine allgemeine Schuldenregelung zugunsten ihrer Gläubiger anbietet oder trifft oder ein Dritter ein Insolvenzverfahren gegen die Emittentin beantragt und ein solches Verfahren nicht innerhalb einer Frist von 60 Tagen aufgehoben oder ausgesetzt worden ist; oder (...)."

Rz. 3

§ 11 der Anleihebedingungen ("Beschlüsse der Gläubiger") enthält u.a. folgende Regelungen:

"(1) Grundsatz. Vorbehaltlich § 11 Abs. (3) können die Gläubiger durch Mehrheitsbeschluss über alle gesetzlich zugelassenen Beschlussgegenstände Beschluss fassen. Eine Verpflichtung zur Leistung kann für die Gläubiger durch Mehrheitsbeschluss nicht begründet werden. (2) Verbindlichkeit. Die Mehrheitsbeschlüsse der Gläubiger sind für alle Gläubiger gleichermaßen verbindlich. Ein Mehrheitsbeschluss der Gläubiger, der nicht gleiche Bedingungen für alle Gläubiger vorsieht, ist unwirksam, es sei denn die benachteiligten Gläubiger stimmen ihrer Benachteiligung ausdrücklich zu. (3) Mehrheitsprinzip. Die Gläubiger entscheiden mit einer Mehrheit von 75 % (Qualifizierte Mehrheit) der an der Abstimmung teilnehmenden Stimmrechte. ... (4) Abstimmungsmethode. Die Gläubiger beschließen in einer Gläubigerversammlung. ..."

Rz. 4

§ 12 der Anleihebedingungen ("Gemeinsamer Vertreter der Gläubiger") sieht die Möglichkeit der Bestellung eines "Gemeinsamen Vertreters" für alle Gläubiger durch Mehrheitsbeschluss der Gläubiger vor und regelt dessen Aufgaben und Befugnisse sowie dessen Haftung. Der gemeinsame Vertreter muss in persönlicher Hinsicht den Anforderungen des § 8 Abs. 1 SchVG genügen. Wegen des für Gläubigerversammlungen oder Abstimmungen der Gläubiger ohne Versammlung zu wahrenden Verfahrens nimmt § 1 Abs. 7 der Anleihebedingungen auf die Bestimmungen gemäß Annex 2 des Emissions- und Zahlungsvertrags vom 11.7.2011 zwischen der Emittentin und der Deutschen Bank Aktiengesellschaft als Hauptzahlstelle unter Hinweis auf deren Veröffentlichung im Internet Bezug.

Rz. 5

Am 24.1.2013 gab die Beklagte in einer Ad-hoc-Mitteilung bekannt, dass eine finanzwirtschaftliche Restrukturierung erforderlich sei. Es seien "gravierende Einschnitte bei den Verbindlichkeiten der Gesellschaft, insb. den Anleihen ... erforderlich", wobei auch die streitgegenständliche Anleihe in Bezug genommen wurde. Am 17.4.2013 zeigte die Beklagte durch eine weitere Ad-hoc-Mitteilung an, dass ein Verlust in Höhe der Hälfte des Grundkapitals eingetreten sei. Mit einer Ad-hoc-Mitteilung vom 29.4.2013 wurde ein erheblicher Wertberichtigungsbedarf bekannt gegeben. Mit einer Ad-hoc-Mitteilung vom 30.4.2013 teilte die Beklagte mit, dass sie mit wesentlichen Schuldscheingläubigern eine vorläufige Einigung über die wirtschaftlichen Eckpunkte zur Restrukturierung ihrer Finanzverbindlichkeiten erzielt habe. Zugleich leitete sie die notwendigen gesellschaftsrechtlichen Schritte zur Umsetzung des Restrukturierungskonzepts ein. Mit einer Ad-hoc-Mitteilung vom 18.6.2013 vermeldete die Beklagte eine Einigung mit den Schuldscheingläubigern und dem Inhaber eines gesicherten Darlehens über die Umsetzung zur Restrukturierung ihrer Finanzverbindlichkeiten.

Rz. 6

Am 12.7.2013 lud die Beklagte zwecks Durchführung eines Verfahrens nach den §§ 5 ff. SchVG die Gläubiger der streitgegenständlichen Anleihe für den 5.8.2013 zu einer (zweiten) Gläubigerversammlung ein, in der mehr als 99 % der teilnehmenden Stimmrechte der von der Beklagten vorgeschlagenen Restrukturierung zustimmten. Die Zustimmung bezog sich auf den Umtausch der Anleihe in Erwerbsrechte auf neue Anleihen mit einem reduzierten Nennwert und in Erwerbsrechte auf neue Aktien an der Beklagten. Darüber hinaus stimmten die Gläubiger auch einem zeitlich bis Ende 2014 befristeten Kündigungsverzicht zu. Im wirtschaftlichen Ergebnis stellte dies für die Anleihegläubiger einen Forderungsverzicht von ca. 55 % dar. Das Sanierungskonzept wurde auf einer außerordentlichen Hauptversammlung der Beklagten am 7.8.2013 mit mehr als 99 % der anwesenden Stimmrechte gebilligt und in der Folgezeit umgesetzt. Dabei wurde - so auch in dem Depot der Klägerin - die streitgegenständliche Anleihe gegen Einbuchung von Erwerbsrechten auf neue Aktien sowie neue besicherte Anleihen ausgebucht.

Rz. 7

Die Klägerin hatte nach Bekanntwerden der Notwendigkeit einer Restrukturierung im Januar 2013 von der streitgegenständlichen Anleihe Teilschuldverschreibungen im Nennwert von insgesamt 202.000 EUR zu einem Marktpreis von 22 % des Nennwerts erworben. Mit anwaltlichem Schreiben vom 31.5.2013 kündigte sie gegenüber der Beklagten die Anleihe unter Hinweis auf § 9 Abs. 1 Buchst. d und e der Anleihebedingungen wegen wesentlicher Verschlechterung der wirtschaftlichen Verhältnisse und verlangte die Rückzahlung der Anleihe zum Nennwert. Mit Schreiben vom 18.7.2013 wiederholte sie die Kündigung, wobei sie diese zusätzlich mit einer ausgebliebenen Zinszahlung begründete. Mit anwaltlichen Schreiben vom 8. und 13.8.2013 erfolgten weitere Kündigungserklärungen der Klägerin, die sie u.a. mit dem beabsichtigten Ausschluss des Kündigungsrechts und dem Angebot einer allgemeinen Schuldenregelung rechtfertigte. Die Zinszahlungen auf die Anleihe für den Zeitraum vom 14.7.2012 bis 13.7.2013 erfolgten seitens der Beklagten am 9.8.2013 an das nach § 1 Abs. 4 der Anleihebedingungen eingerichtete Clearing System und wurden der Klägerin - nach ihrer Behauptung - am 14.8.2013 gutgeschrieben. Diese Zinszahlungen waren nach dem Beschluss der Gläubigerversammlung vom 5.8.2013 auf die Tilgung der neuen Anleihen anzurechnen.

Rz. 8

Die Klägerin begehrt im Wege der Teilklage die Rückzahlung der Anleihe zum Nennwert i.H.v. 50.000 EUR nebst Zinsen abzgl. am 5.3.2014 gezahlter 2.892 EUR und am 12.3.2014 gezahlter 641,46 EUR sowie die Erstattung vorgerichtlicher Anwaltskosten. Sie ist der Auffassung, dass sie die Anleihe wirksam gekündigt habe und dass ihr die - erst nach Wirksamwerden ihrer Kündigung gefassten - Beschlüsse der Gläubigerversammlung vom 5.8.2013 nicht entgegengehalten werden könnten. Das LG hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Berufungsgericht der Klage bis auf einen Teil der geltend gemachten Nebenforderungen stattgegeben, allerdings nur gegen Aushändigung von 48 Bonds der neuen Anleihe und 365 Aktien an der Beklagten. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

 

Entscheidungsgründe

Rz. 9

Die Revision ist begründet. Sie führt zur vollständigen Zurückweisung der Berufung der Klägerin gegen das landgerichtliche Urteil.

I.

Rz. 10

Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung, die u.a. in ZIP 2014, 2176 veröffentlicht ist, ausgeführt:

Rz. 11

Der Klägerin stehe der geltend gemachte Zahlungsanspruch aus § 9 Abs. 1 der Anleihebedingungen gegen Aushändigung der anstelle der streitgegenständlichen Teilschuldverschreibungen in ihr Depot eingebuchten Wertpapiere zu. Die Klägerin habe die Anleihe jedenfalls mit ihrem Schreiben vom 18.7.2013 wirksam gekündigt. Ihr habe zwar kein Kündigungsrecht nach § 9 Abs. 1 Buchst. d der Anleihebedingungen wegen Zahlungseinstellung oder nach § 9 Abs. 1 Buchst. e der Anleihebedingungen wegen einer Vermögensverschlechterung der Beklagten oder der Gefährdung des Leistungsanspruchs der Anleihegläubiger zugestanden. Die Klägerin habe die Teilschuldverschreibungen aber nach § 9 Abs. 1 Buchst. e der Anleihebedingungen vorzeitig kündigen können, weil danach ein Kündigungsrecht auch dann bestehe, wenn die Emittentin eine allgemeine Schuldenregelung zugunsten ihrer Gläubiger anbiete. Diese Voraussetzung sei auch dann gegeben, wenn die Emittentin den Gläubigern - wie hier - einen Beschlussvorschlag i.S.d. §§ 5 ff. SchVG unterbreite. Das Restrukturierungskonzept der Beklagten stelle eine "allgemeine Schuldenregelung" dar. Die Kündigungserklärung sei nicht wegen eines Verstoßes gegen § 9 Abs. 2 Satz 2 der Anleihebedingungen nach § 125 Satz 2 BGB formunwirksam, weil die Klägerin dem Kündigungsschreiben keine Bescheinigung ihrer Depotbank über ihre Anleiheinhaberschaft beigefügt habe. Diese Bescheinigung habe die Klägerin bereits mit dem vorangegangenen Kündigungsschreiben vom 31.5.2013 übersandt.

Rz. 12

Das Kündigungsrecht der Klägerin sei nicht unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben ausgeschlossen. Aufgrund der Kündigung habe sie gegenüber den anderen Anleihegläubigern keinen unzulässigen Sondervorteil erlangt, sondern lediglich von den ihr nach den Anleihebedingungen zustehenden Rechten Gebrauch gemacht. Eine wie auch immer geartete Treue- oder Sanierungspflicht der Anleihegläubiger untereinander oder gegenüber der Emittentin bestehe nicht. Es widerspreche auch nicht der Intention des Schuldverschreibungsgesetzes, Gläubigern in bestimmten Phasen von Restrukturierungsmaßnahmen die Möglichkeit zu gewähren, der Emittentin ihr Kapital durch Kündigung zu entziehen. Das in § 9 Abs. 1 Buchst. e der Anleihebedingungen für solche Konstellationen vorgesehene Kündigungsrecht sei gerade das Korrelat dazu, dass Mehrheitsbeschlüsse der Gläubigerversammlung für alle Anleihegläubiger verbindlich seien. Der Zeitpunkt des Erwerbs der Anleihen durch die Klägerin erst nach Bekanntgabe finanzieller Schwierigkeiten der Beklagten sei für die Ausübung des Kündigungsrechts unerheblich.

Rz. 13

Schließlich werde durch den Vollzug des Beschlusses der Gläubigerversammlung vom 5.8.2013 die Aktivlegitimation der Klägerin nicht berührt. Insbesondere sei der Zahlungsanspruch der Klägerin als Hauptleistungspflicht der Beklagten nicht durch den Umtausch der Anleihen unmöglich geworden. Dieser Umtausch wirke sich nicht auf die Hauptleistungspflicht der Beklagten zur Zahlung aus, sondern betreffe allein die Gegenleistungspflicht der Klägerin auf Aushändigung der Anleihen. Aufgrund dessen stehe der Klägerin der Zahlungsanspruch nur gegen Aushändigung der substituierten Wertpapiere zu.

II.

Rz. 14

Diese Beurteilung hält der rechtlichen Überprüfung in einem wesentlichen Punkt nicht stand. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts steht der Klägerin ein Anspruch gegen die Beklagte auf Rückzahlung der streitgegenständlichen Teilschuldverschreibungen nicht zu, weil dieser Anspruch in Vollziehung des Beschlusses der Gläubigerversammlung vom 5.8.2013 auf die als Abwicklungsstelle eingeschaltete Bank übergegangen und anschließend der Beklagten erlassen worden ist.

Rz. 15

1. Es kann dahinstehen, ob der Klägerin aufgrund der Verschlechterung der Vermögenslage der Beklagten und der von ihr beabsichtigten Restrukturierungsmaßnahmen hinsichtlich ihrer Finanzverbindlichkeiten ein außerordentliches Kündigungsrecht nach § 9 Abs. 1 der Anleihebedingungen oder - was die Klägerin meint - nach §§ 314, 490 Abs. 1 BGB zugestanden und sie die von ihr erworbenen Schuldverschreibungen wirksam gekündigt hat. Dies kann für das Revisionsverfahren zugunsten der Klägerin unterstellt werden. Denn auch in diesem Fall kann die Beklagte der Klägerin gem. § 11 Abs. 2 Satz 1 der Anleihebedingungen den Beschluss der Gläubigerversammlung vom 5.8.2013 mit der Folge entgegenhalten, dass die Teilschuldverschreibungen der Klägerin auf die Abwicklungsstelle übertragen und der Beklagten das darin verbriefte Zahlungsversprechen erlassen worden ist, während die Klägerin im Gegenzug in entsprechender Anzahl Erwerbsrechte auf neue Aktien an der Beklagten und auf eine neu zu begebende Schuldverschreibung erhalten hat.

Rz. 16

2. Der Beschluss der Gläubigerversammlung vom 5.8.2013 gilt für alle Gläubiger, d.h. auch für diejenigen Gläubiger, die - wie hier zugunsten der Klägerin unterstellt - die von ihnen gehaltenen Teilschuldverschreibungen zuvor gekündigt haben.

Rz. 17

a) Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des § 11 Abs. 2 Satz 1 der Anleihebedingungen, die der Senat selbständig und ohne Bindung an die Auslegung des Berufungsgerichts auslegen kann (vgl. BGH, Urt. v. 30.6.2009 - XI ZR 364/08, WM 2009, 1500 Rz. 20 m.w.N.). Nach dieser Regelung, die § 5 Abs. 2 Satz 1 SchVG entspricht, sind Mehrheitsbeschlüsse der Gläubiger für alle Gläubiger derselben Anleihe gleichermaßen verbindlich. Dies stimmt mit der Regelung in § 4 Satz 2 SchVG überein, wonach der Schuldner die Gläubiger gleich behandeln muss.

Rz. 18

An der Gläubigerstellung der Klägerin ändert sich durch ihre Kündigung nichts. Im Fall der außerordentlichen Kündigung der Schuldverschreibung bleibt dessen Inhaber Gläubiger des Emittenten, bis dieser die Forderung vollständig erfüllt hat. Erst dann ist das Schuldverhältnis endgültig beendet. Die Kündigung der Schuldverschreibung dient nur dazu, die Fälligkeit der darin verbrieften Forderung herbeizuführen und dadurch den Leistungszeitpunkt festzulegen oder vorzuverlegen. Inhalt und Umfang der in der Schuldverschreibung verbrieften Forderung im Übrigen bleiben dagegen durch die Kündigung unberührt.

Rz. 19

b) Weder aus den Anleihebedingungen noch aus den Vorschriften des Schuldverschreibungsgesetzes ergeben sich Anhaltspunkte dafür, dass der Fälligkeitszeitpunkt für deren Anwendbarkeit relevant wäre. Ganz im Gegenteil spricht die Regelung in § 5 Abs. 5 SchVG für eine Anwendbarkeit des Gesetzes auch nach einer Kündigung der Anleihe. Dies entspricht der ganz überwiegenden Auffassung in der Instanzrechtsprechung und in der Literatur (vgl. OLG München ZIP 2015, 2174, 2175, 2176; LG Bonn, Urt. v. 12.1.2015 - 9 O 153/14; Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, Kap. 17, § 4 SchVG Rz. 10; Friedl/Schmidtbleicher in FraKommSchVG, § 5 Rz. 30; BK-InsO/Paul, Stand: Juli 2015, § 4 SchVG Rz. 9; Röh/Dörfler in Preuße, SchVG, § 4 Rz. 60; Veranneman/Veranneman, SchVG, § 5 Rz. 15; Cagalj, Restrukturierung von Anleihen nach dem neuen Schuldverschreibungsgesetz, 2013, S. 129; Grell/Splittgerber/Schneider, DB 2015, 111, 112; Horn, BKR 2009, 446, 448; Ostermann, DZWiR 2015, 313, 316 f.; Paulus, EWiR 2014, 481, 482; Seibt/Schwarz, ZIP 2015, 401, 411 ff.; a.A. OLG Köln DB 2015, 2379, 2381; LG Bonn ZIP 2014, 1073, 1075).

Rz. 20

Dafür spricht auch, dass für den vergleichbaren Fall einer Beschlussfassung der Gläubiger nach Ablauf der Laufzeit einer Anleihe auch der II. Zivilsenat des BGH ohne Weiteres davon ausgegangen ist (vgl. BGH, Urt. v. 1.7.2014 - II ZR 381/13, BGHZ 202, 7 Rz. 13).

Rz. 21

Etwas anderes folgt auch nicht aus dem Merkmal "während der Laufzeit" in § 4 Satz 1 SchVG. Diesem Kriterium, das im Übrigen vorliegend erfüllt wäre, weil die Beschlussfassung der Gläubigerversammlung vor Ablauf der regulären Fälligkeit der Anleihe im Jahr 2016 erfolgt ist, kommt bis zur vollständigen Erfüllung der Anleihe keine eigenständige Bedeutung zu (vgl. BGH, Urt. v. 1.7.2014 - II ZR 381/13, BGHZ 202, 7 Rz. 13; Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, Kap. 17, § 4 SchVG Rz. 10; Friedl/Schmidtbleicher in FraKommSchVG, § 4 Rz. 37; Veranneman/Oulds, SchVG, § 4 Rz. 34; Horn, BKR 2009, 446, 448).

Rz. 22

Soweit die Revisionserwiderung ihre gegenteilige Auffassung damit begründet, dass Nr. 2.9 des Beschlusses der Gläubigerversammlung vom 5.8.2013 einen (zeitlichen) Kündigungsverzicht erst mit Wirkung ex nunc beinhalte und deshalb die Kündigung der Klägerin unberührt lasse, bleibt dies ohne Erfolg. Die Beschlussfassung zur Änderung des Kündigungsrechts ist von der Beschlussfassung über den Umtausch der Anleihe in neue Aktien und neue besicherte Schuldverschreibungen in Nr. 2.3 des Beschlusses der Gläubigerversammlung zu unterscheiden. Letzterer schließt alle Anleihegläubiger ein.

Rz. 23

c) Dieses Auslegungsergebnis wird durch die Gesetzesmaterialien unterstrichen. Darin heißt es, dass die konkrete Reichweite der kollektiven Bindung der Änderungen der Anleihebedingungen durch den Gesetzgeber nicht abschließend bestimmt werden kann. Sie soll jedenfalls so weit reichen, wie es der mit ihr verfolgte Zweck gebiete. Im Regelfall sei von der kollektiven Bindung auszugehen (BT-Drucks. 16/12814, 17). Der Gesetzgeber ist damit im Grundsatz von der Verbindlichkeit eines Beschlusses der Gläubiger für alle Gläubiger, also auch für diejenigen, die die Anleihe gekündigt haben, ausgegangen.

Rz. 24

d) Dafür sprechen schließlich entscheidend der Sinn und Zweck des § 5 Abs. 2 Satz 1 SchVG, dem § 11 Abs. 2 Satz 1 der Anleihebedingungen nachgebildet ist. Das Schuldverschreibungsgesetz, insb. seine beiden Kernvorschriften der §§ 4, 5 SchVG, dient dem Ziel, die Gläubiger einer Anleihe in der Krise des Schuldners auf der Grundlage vollständiger und richtiger Informationen sowie in einem geordneten, fairen und transparenten Verfahren an dessen vorinsolvenzrechtlicher Sanierung gleichmäßig zu beteiligen (vgl. BT-Drucks. 16/12814, 13 f.). Den Gläubigern der Anleihe muss diese Möglichkeit, mit der zugleich eine "Beschränkung ihrer individuellen Rechtsmacht" (BT-Drucks. 16/12814, 17) verbunden ist, dadurch deutlich vor Augen geführt werden, dass sich diese - wie vorliegend - aus den Anleihebedingungen ergibt (§§ 2 Satz 1, 5 Abs. 1 Satz 1 SchVG).

Rz. 25

Mit diesem Gesetzeszweck wäre es nicht zu vereinbaren, wenn Gläubiger, die die Schuldverschreibung vor der Beschlussfassung durch die Gläubiger oder sogar noch bis zum Vollzug eines solchen Beschlusses nach § 21 Abs. 1 Satz 1 SchVG (sog. Skripturakt) gekündigt haben, die Verbindlichkeit dieses Beschlusses nach § 5 Abs. 2 Satz 1 SchVG bzw. hier § 11 Abs. 2 Satz 1 der Anleihebedingungen nicht gegen sich gelten lassen müssten. Ohne eine Beteiligung aller Gläubiger und einen kollektiven Forderungsverzicht würden der Erfolg der Sanierungsbemühungen nachhaltig gefährdet und - sollte eine solche "Ausstiegsmöglichkeit" eröffnet sein - das Schuldverschreibungsgesetz seine praktische Bedeutung verlieren. Aufgrund dessen räumen die Kündigungstatbestände des § 9 Abs. 1 der Anleihebedingungen dem einzelnen Gläubiger nicht die Möglichkeit ein, seine Einzelforderung einer Mehrheitsentscheidung aller Gläubiger zu entziehen.

Rz. 26

e) Gegen dieses Auslegungsergebnis spricht nicht die Vorschrift in § 5 Abs. 5 SchVG, der die Rücknahme einer "Gesamtkündigung" durch einen Mehrheitsbeschluss regelt. Dieser Bestimmung lässt sich nicht entnehmen, dass die Rechtswirkungen einer Individualkündigung von einem Mehrheitsbeschluss nach § 5 Abs. 2 Satz 1 SchVG unberührt bleiben sollen. Vielmehr soll § 5 Abs. 5 SchVG lediglich der Mehrheit der Gläubiger ermöglichen, einen von einer Minderheit verursachten erheblichen Liquiditätsabfluss bei dem Emittenten zu unterbinden (vgl. Friedl/Schmidtbleicher in FraKommSchVG, § 5 Rz. 99). Es handelt sich dabei um eine spezielle Regelung einer Restrukturierungsmaßnahme, die von den übrigen in § 5 Abs. 3 SchVG genannten Maßnahmen, die eine Änderung der Anleihebedingungen zum Gegenstand haben, unabhängig ist und auch isoliert beschlossen werden kann, so dass sie einen eigenständigen Regelungsbereich aufweist.

Rz. 27

f) Eine unzulässige Rückwirkung, die bei der rückwirkenden Anwendung von Gesetzen auf einen abgeschlossenen Sachverhalt die Frage nach ihrer Zulässigkeit aufwirft (vgl. dazu BGH, Urt. v. 1.7.2014 - II ZR 381/13, BGHZ 202, 7 Rz. 12), ist damit nicht verbunden. Die Möglichkeit einer Umwandlung der Teilschuldverschreibungen in Gesellschaftsanteile, andere Wertpapiere oder andere Leistungsversprechen war in § 11 Abs. 1 Satz 1 der Anleihebedingungen i.V.m. § 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 SchVG von vornherein vorgesehen.

Rz. 28

g) Da § 11 Abs. 2 Satz 1 der Anleihebedingungen auch gekündigte Schuldverschreibungen erfasst, bedarf es - was teilweise im Schrifttum erörtert wird (vgl. Ostermann, DZWiR 2015, 313, 315; Seibt/Schwarz, ZIP 2015, 401, 412) - keiner wie auch immer gestalteten Rücknahme der Kündigung. Vielmehr ist vorliegend mit Wirksamwerden des Beschlusses der Gläubigerversammlung vom 5.8.2013 auch der Rückzahlungsanspruch der Klägerin nach den Maßgaben dieses Beschlusses auf die Abwicklungsstelle übertragen worden. Die von der Klägerin ausgesprochene(n) Kündigung(en) sind damit gegenstandslos geworden. Dies gilt auch im Hinblick auf die Kündigung vom 18.7.2013, die sie mit einer verzögert erfolgten Zinszahlung begründete. Denn auch diese Zinszahlung war Gegenstand von Nr. 2.9 des Beschlusses der Gläubigerversammlung vom 5.8.2013.

Rz. 29

3. Gegen die Wirksamkeit des § 11 Abs. 2 Satz 1 der Anleihebedingungen und des Beschlusses der Gläubigerversammlung vom 5.8.2013 bestehen keine rechtlichen Bedenken. § 11 der Anleihebedingungen entspricht § 5 SchVG, so dass die Regelung - was zwischen den Parteien auch nicht in Streit steht - einer Inhaltskontrolle nach §§ 307 bis 309 BGB (vgl. dazu BGH, Urt. v. 30.6.2009 - XI ZR 364/08, WM 2009, 1500 Rz. 23 m.w.N.) jedenfalls standhält (vgl. BT-Drucks. 16/12814, 13 f.). Anhaltspunkte für eine Nichtigkeit des Beschlusses der Gläubigerversammlung (vgl. dazu BGH, Urt. v. 1.7.2014 - II ZR 381/13, BGHZ 202, 7 Rz. 15 ff.) sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich; insb. sieht der Beschluss keine "nicht gleichen Bedingungen für alle Gläubiger" i.S.d. § 11 Abs. 2 Satz 2 der Anleihebedingungen, § 5 Abs. 2 Satz 2 SchVG vor. Vielmehr werden alle Gläubiger gleich behandelt.

III.

Rz. 30

Das angefochtene Urteil war demnach aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Da keine weiteren Feststellungen zu treffen sind, konnte der Senat in der Sache selbst entscheiden (§ 563 Abs. 3 ZPO) und die Berufung der Klägerin gegen das landgerichtliche Urteil insgesamt zurückweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 9064178

BGHZ 2016, 171

DB 2016, 408

DB 2016, 7

DStR 2016, 12

NJW 2016, 1175

EWiR 2016, 197

WM 2016, 305

WuB 2016, 390

ZIP 2016, 11

ZIP 2016, 308

AG 2016, 244

DZWir 2016, 300

JZ 2016, 175

MDR 2016, 336

NZI 2016, 467

ZInsO 2016, 390

BKR 2016, 171

GWR 2016, 78

NJW-Spezial 2016, 111

ZBB 2016, 138

ZBB 2016, 206

RdF 2016, 167

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