Tatbestand

Die Klägerin, ein französisches Stahlbauunternehmen, beteiligte sich an einer von der Beklagten im Jahre 1979 vorgenommenen Ausschreibung zur Errichtung zweier Straßenbrücken über Gleisanlagen der Deutschen Bundesbahn. Die ausgeschriebenen Brückenbauarbeiten umfaßten den Abbruch der vorhandenen Brücken, die Stahlbrückenkonstruktion sowie die zugehörigen Erd-, Beton-, Straßenbau- und Anstricharbeiten.

Bei Eröffnung der Angebote am 20. November 1979 lagen insgesamt vier Angebote vor. Die Klägerin lag mit ihrem Angebot (13.242.897,32 DM) um rund 1,46 Millionen DM unter dem zweitniedrigsten Angebot.

Auf schriftliche Anforderung der Beklagten vom 26. November 1979 und nach telefonischer Rücksprache vom 5. Dezember 1979 teilte die Klägerin mit Schreiben vom 7. Dezember 1979 der Beklagten die von ihr vorgesehenen Subunternehmer mit; darunter befand sich das Ingenieurbüro Dr. Ing. K in R, dessen schriftliches Angebot vom 27. November 1979 für die Ausführung der "statischen Berechnung" die Klägerin beifügte. Mit Schreiben vom 15. Januar 1980, dem die Klägerin durch Unterschrift zustimmte, erklärte sich die für die Abbrucharbeiten benannte Nachunternehmerin u.a. bereit, auf Wunsch der Beklagten die Gesamtkoordination der Bauarbeiten zu übernehmen und eine auch über 5% hinausgehende Vertragserfüllungsbürgschaft zu erbringen. Außerdem versicherte die Subunternehmerin, "daß das Statikerbüro der Firma D sich in R befindet (Dr. K)" und daß dadurch im Hinblick auf die ausländische Fertigungsstätte keinerlei Schwierigkeiten auftreten würden.

Am 17. Januar 1980 entschied der Vergabeausschuß der Beklagten, das preislich an zweiter Stelle liegende Angebot anzunehmen, für das sich auch die von der Beklagten angehörte Deutsche Bundesbahn ausgesprochen hatte. Am 15. Februar 1980 teilte die Beklagte der Klägerin mit, daß das Angebot eines anderen Bieters als das annehmbarste vorgezogen worden sei.

Die Klägerin sieht in dieser Entscheidung eine sachlich nicht gerechtfertigte Benachteiligung und verlangt von der Beklagten wegen Verschuldens bei Vertragsverhandlungen Zahlung der ihr im Zusammenhang mit der Ausschreibung entstandenen Aufwendungen von 21.340,78 DM nebst Zinsen.

Landgericht und Oberlandesgericht haben die Klage abgewiesen. Mit der - zugelassenen - Revision, um deren Zurückweisung die Beklagte bittet, verfolgt die Klägerin ihren Zahlungsanspruch weiter.

 

Entscheidungsgründe

I.

Das Berufungsgericht hält den Vorwurf eines Verschuldens bei Vertragsverhandlungen für unbegründet.

1. Es stellt zunächst - sachverständig beraten fest, daß die von der Beklagten ausgeschriebenen Brückenbauwerke insbesondere wegen der erforderlichen Bauausführung über "dem rollenden Rad" der Deutschen Bundesbahn und der erforderlichen Verschubtechnik von hohem Schwierigkeitsgrad wären und sowohl die Planung als auch die Herstellung der Brückenbauteile im Werk sowie die Montage auf der Baustelle eine ständige Zusammenarbeit zwischen dem Statiker einerseits und der Hersteller- und Montagefirma andererseits erfordert habe. Eine derart enge und dauernde Zusammenarbeit mit dem von der Klägerin auf zusätzliche Anfrage benannten Statiker sei bei objektiver Würdigung der schriftlichen Erklärungen der Klägerin und des Statikers aber durchaus zweifelhaft gewesen.

Dr. K habe sich zwar in seinem schriftlichen Angebot bereit erklärt, "die statische Berechnung (einschließlich Materialverteilungsplan, Schweißnahtplan, Werkstattform, Einstufung in Militärlastklassen)" zu übernehmen. Er habe aber seine Honorarvorstellungen (25.000,- DM je Brücke) dahingehend ergänzt, daß eine gesonderte Kostenrechnung erteilt werde, "falls ... Reisen zu Ihnen (= der Klägerin) erforderlich sein sollten." Daraus ergebe sich, daß die Klägerin und der Statiker eine ständige Zusammenarbeit bereits bei der Planung und der Herstellung der Brückenbauteile im Werk der Klägerin nicht vorgesehen, sondern es für möglich gehalten hätten, daß gelegentliche Reisen des Statikers zum Werk der Klägerin außer den im Angebotspreis enthaltenen Besprechungen beim Bauherrn, beim Prüfingenieur und an der Baustelle ausreichen würden. Damit aber hätten aus der Sicht der Beklagten Zweifel daran bestanden, daß die in Aussicht gestellte Abwicklung der Planung, Herstellung und Montage der Brücken in dem festgelegten Zeitraum und technisch einwandfrei gelingen werde.

Soweit sich die Klägerin im Berufungsrechtszug darauf berufe, Dr. K habe lediglich die von den Ingenieuren der Klägerin erbrachte technische Bearbeitung einschließlich der statischen Berechnung den Anforderungen der deutschen Aufsichtsbehörden und Auftraggeberin sprachlich und technisch anpassen sollen, ändere das nichts daran, daß die Beklagte aufgrund der eigenen Angebotserklärungen der Klägerin habe davon ausgehen können, die statische Berechnung und die konstruktive Detaildurchbildung hätten im wesentlichen in den Händen Dr. K liegen sollen.

2. Bei dieser Sachlage sei die Beklagte aber auch nicht verpflichtet gewesen, von der Klägerin vor der Auftragsvergabe nähere Erläuterungen zu der Art der geplanten Zusammenarbeit zwischen Statiker und der Klägerin anzufordern. Sie habe vielmehr darauf vertrauen dürfen, daß das Angebot der Klägerin auch hinsichtlich der zu erbringenden Statikerleistungen und der notwendigen Kooperation mit dem Statiker ausreichend erwogen und durchdacht gewesen sei. Wenn die Klägerin trotz ihrer mehrfachen Erklärungen, daß Dr. K die statische Berechnung und die konstruktive Detaildurchbildung übernehme, die wesentlichen Statikerleistungen von ihren eigenen Technikern habe erbringen lassen wollen, so daß eine ständige Zusammenarbeit mit dem Statiker Dr. K nicht erforderlich gewesen wäre, hätte sie diesen wesentlichen und von ihr als bedeutsam erkannten Punkt der Beklagten eingehender darlegen und begründen müssen.

II.

Das hält der rechtlichen Nachprüfung stand.

1. Wie der Senat bereits mehrfach entschieden hat, kommt durch eine den Regeln der VOB/A folgende Ausschreibung und die Beteiligung eines Bieters am Ausschreibungsverfahren zwischen den Verhandlungspartnern ein vertragsähnliches Vertrauensverhältnis zustände, das zu gegenseitiger Rücksichtnahme verpflichtet und auf beiden Seiten Sorgfaltspflichten begründet, deren schuldhafte Verletzung Schadensersatzansprüche (insbesondere auf Erstattung der Ausschreibungsaufwendungen) begründen kann (BGHZ 49, 77, 79; 60, 221, 223 f; BGH NJW 1980, 180; NJW 1981, 1673 Nr. 10; vgl. auch Senatsurteil vom 12. Juli 1984 - VII ZR 111/83 = WM 1984, 1340; BGH Urteil vom 8. April 1965 - III ZR 230/63 = VersR 1965, 764 und vom 3. März 1966 - III ZR 123/64 = VersR 1966, 630; ferner Ingenstau-Korbion, VOB, 10. Aufl., Einl., Rdn. 14/15 m.w.N.).

2. Davon geht auch das Berufungsgericht aus. Seine Ansicht, die Beklagte habe im hier zu entscheidenden Fall die sie treffenden Sorgfaltspflichten nicht verletzt, liegt im wesentlichen auf tatrichterlichem Gebiet und hält den Angriffen der Revision stand.

a) Daß die Klägerin das niedrigste Angebot abgegeben hatte, verpflichtete die Beklagte - wie auch die Revision einräumt - noch nicht, ihr den Auftrag zu erteilen. Vielmehr soll der Zuschlag nach § 25 Nr. 2 Abs. 2 Satz 3 VOB/A auf das Angebot erteilt werden, das unter Berücksichtigung aller technischen und wirtschaftlichen, gegebenenfalls auch gestalterischen und funktionsbedingten Gesichtspunkte als das "annehmbarste" erscheint.

Wie sich bereits aus Wortlaut und Überschrift dieser Bestimmung ergibt, geht es hier um eine Gesamtschau zahlreicher die Entscheidung beeinflussender Einzelumstände und somit um eine Wertung, die - im Gegensatz zur Anwendung bloßer Verfahrensregeln der VOB/A - einen angemessenen Beurteilungsspielraum voraussetzt. Die ihr insofern gesetzten Grenzen hat die Beklagte nach den tatrichterlichen Feststellungen des Berufungsgerichts nicht überschritten, so daß es schon an den objektiven Voraussetzungen für einen Schadensersatzanspruch fehlt.

b) Soweit die Revision meint, das Berufungsgericht habe auf den Fragenbereich der Zusammenarbeit zwischen dem Statikerbüro Dr. Kollmeier und der Klägerin schon deshalb nicht abstellen dürfen, weil dieses Thema bei der Zurückweisung des Angebots der Klägerin nach dem Inhalt des schriftlichen Vergabeberichtes keine Rolle gespielt habe, geht das fehl. Entscheidend ist insoweit nicht der Wortlaut dieser internen Aktennotiz, sondern allein, ob die bis zur letzten mündlichen Verhandlung benannten Wertungsgesichtspunkte die getroffene Vergabeentscheidung sachlich rechtfertigen.

c) Da das Berufungsgericht seine Entscheidung vor allem auf die Erwägung stützt, daß es aus der Sicht der Beklagten zweifelhaft gewesen sei, ob die bei den hier gegebenen Schwierigkeiten besonders wichtige ständige Zusammenarbeit zwischen Klägerin und Statiker gewährleistet war, stellt es nicht auf die Leistungsfähigkeit des Büros Dr. K an sich, sondern vielmehr allein auf die Frage ab, welches Maß an vorgesehener organisatorischer Zusammenarbeit die Beklagte den Ausschreibungsunterlagen der Klägerin entnehmen konnte.

Wenn die Revision demgegenüber geltend macht, die Beklagte habe zu Unrecht das Büro Dr. K ohne jede Rückfrage für einen "Einmannbetrieb" gehalten, so geht das an der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung vorbei.

d) Nachdem die von der Klägerin vorgelegten Unterlagen die Erbringung der statischen Berechnung (einschließlich Materialverteilungsplan, Schweißnahtplan, Werkstattform, Einstufung in Militärlastklassen) durch Dr. K vorsahen, bestand für die Beklagte - darin tritt der Senat dem Berufungsgericht bei - kein Anlaß zu weiteren Rückfragen. Auf den Gedanken, daß - wie die Klägerin jetzt vorträgt die technische Bearbeitung einschließlich der statischen Berechnung in Wahrheit von ihren eigenen Ingenieuren erbracht werden sollte, während Dr. K nur für eine entsprechende sprachliche und technische Anpassung an die Anforderungen der deutschen Auftraggeberin und Aufsichtsbehörden sorgen sollte, konnte sie nicht kommen. Das umso weniger, als die Klägerin schon in der ihrem Angebotsschreiben vom 19. November 1979 beigefügten Anlage F 2 ohne jede Einschränkung erklärt hat, die "statische Berechnung und konstruktive Detaildurchbildung liegt in den Händen eines deutschen Ingenieurbüros".

Soweit die Revision meint, die Benennung des Statikers besage noch nichts darüber, in welcher Weise die Klägerin die Statik bearbeiten lassen wolle, verkennt sie, daß die Klägerin auch das schriftliche Angebot Dr. K vom 27. November 1979 für die Ausführung der statischen Berechnung vorlegte, das den Umfang der durch ihren Subunternehmer zu erbringenden Arbeiten im einzelnen darstellte. Da die Klägerin auch später darauf verweisen ließ, daß ihr Statikerbüro (Dr. K) sich in R befinde, konnte bei der Beklagten kein Zweifel daran aufkommen, daß die Klägerin nach dem Erklärungsgehalt ihrer eigenen Äußerungen alle notwendigen Statikerleistungen durch das Büro Dr. K erbringen lassen wollte. Wenn die Revision das anders darstellen möchte, versucht sie lediglich, die rechtsfehlerfreie Überzeugungsbildung des Tatrichters durch die eigene Wertung zu ersetzen.

e) Daß das Berufungsgericht es nicht für gerechtfertigt hält, aus den erheblichen Preisunterschieden einzelner Positionen Bedenken gegen die Zuverlässigkeit der Klägerin herzuleiten, ist der Klägerin günstig, wird deshalb von der Revision auch nicht in Frage gestellt und kann somit unerörtert bleiben.

III.

Nach alledem ist die Revision mit der Kostenfolge aus § 97 ZPO zurückzuweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2992751

NJW 1985, 1466

BauR 1985, 75

DRsp I(138)482a

WM 1985, 202

MDR 1985, 663

ZfBR 1985, 74

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