Entscheidungsstichwort (Thema)

Einschränkung der gewerblichen Nutzung eines Grundstücks durch Bauarbeiten auf dem Nachbargrundstück

 

Leitsatz (amtlich)

Muß ein Grundstückseigentümer dulden, daß die gewerbliche Nutzung seines Grundstücks (hier: Hotel) durch die auf dem Nachbargrundstück stattfindenden Bauarbeiten beeinträchtigt wird, so kann er für den ihm dadurch entstehenden Ertragsverlust nur insoweit einen Ausgleich verlangen, als dieser über das zumutbare Maß hinausgeht. Es ist Aufgabe des Tatrichters, diese Zumutbarkeitsgrenze unter Abwägung aller Umstände des Falles zu bestimmen. (Bestätigung der bisherigen Rechtsprechung)

 

Normenkette

BGB §§ 906, 906 Abs. 2 Satz 2

 

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 8. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 3. Oktober 1986 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als über die Höhe des Ausgleichsanspruchs zum Nachteil des Beklagten erkannt worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

 

Tatbestand

Der Kläger nimmt den Beklagten auf Ausgleich von Einbußen in Anspruch, die er nach seiner Behauptung durch Bauarbeiten auf einem benachbarten Grundstück erlitten hat.

Der Kläger ist Eigentümer eines Grundstücks in Ebenhausen, auf dem er ein Hotel mit Gaststätte betreibt. Anfang der siebziger Jahre planten die damaligen Eigentümer des benachbarten ca. 14.000 qm großen Grundstücks, die Bauherrengemeinschaft Dipl.-Ing. G. u.a., welcher der Beklagte angehörte, eine Wohnanlage zu errichten. Als der Kläger wegen der Befürchtung geschäftlicher Nachteile dem Bauvorhaben nicht zustimmen wollte, kam es zu einer schriftlichen Vereinbarung zwischen ihm und der mit der Baubetreuung beauftragten Dipl.-Ing. G., Gesellschaft für Baubetreuung GmbH, für die der Beklagte als Geschäftsführer handelte. Danach verpflichtete sich die "Firma G." dem Kläger einen Verlust aus Umsatzminderung, ausgehend vom Umsatz des Jahres 1971, zu ersetzen. Mit den Bauarbeiten wurde im Jahre 1972 begonnen. Nach Errichtung von vier Gebäuden wurden sie Ende 1979 abgeschlossen. Die GmbH ist laut Eintragung im Handelsregister vom 31. Januar 1978 erloschen.

Der Kläger hat vorgetragen, ihm sei wegen verschiedener Einwirkungen durch die Bauarbeiten auf dem benachbarten Grundstück bis Ende 1977 ein Gewinn von mindestens 186.034,01 DM entgangen. Er hat unter anderem beantragt, den Beklagten zur Zahlung von 186.034,01 DM nebst Zinsen zu verurteilen. Das Landgericht hat über den Anspruch auf Ersatz des entgangenen Gewinnes ein Grundurteil erlassen und, die Klage in einem hier nicht mehr interessierenden Teil abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen, auf Berufung des Beklagten das landgerichtliche Urteil im übrigen aufgehoben und die Sache zu erneuter Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zur Prüfung eines Anspruchs nach § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB zurückverwiesen. Die gegen dieses Urteil erhobene Revision des Klägers sowie die Anschlußrevision des Beklagten hat der Senat nicht angenommen (Beschl. v. 20. Mai 1981, V ZR 77/80).

Der Kläger hat unter Einbeziehung des Jahres 1978 einen entgangenen Gewinn von 237.465 DM behauptet und beantragt, den Beklagten zur Zahlung von 186.034,01 DM zu verurteilen. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen.

Mit der Berufung hat der Kläger einen Anspruch auf Zahlung von 154.326 DM nebst Zinsen weiterverfolgt. Das Oberlandesgericht hat unter Abweisung der Klage im übrigen den Beklagten zur Zahlung von 100.000 DM nebst 4 % Zinsen seit 8. April 1978 verurteilt.

Die Revision des Beklagten hat der Senat nur insoweit angenommen, als das Berufungsgericht zur Höhe des Ausgleichsanspruchs erkannt hat. Der Beklagte verfolgt seinen Antrag auf Klageabweisung weiter;

der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

1.

Das Berufungsgericht stellt fest, daß durch die mit den ortsüblichen Bauarbeiten auf dem benachbarten Grundstück verbundenen Geräusche, Gerüche, Staubentwicklung und Zugangsbeeinträchtigung die Benutzung des Grundstücks des Klägers vom Frühjahr 1972 bis Ende 1978 wesentlich beeinträchtigt worden sei. Diese Beeinträchtigung habe der Kläger dulden müssen, weil sie auch nicht durch wirtschaftlich zumutbare Maßnahmen habe verhindert werden können. Der Beklagte schulde daher - auch für das Jahr 1978 - in teils direkter, teils analoger (BGHZ 62, 362, 366) Anwendung von § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB einen angemessenen Ausgleich in Geld, weil die Ertragseinbußen des Klägers in Höhe von ca. 100.000 DM das zumutbare Maß überschritten hätten.

Da der Senat die Revision des Beklagten nur zur Anspruchshöhe angenommen hat (vgl. Senatsbeschl. v. 15. Dezember 1978, V ZR 214/77, LM ZPO § 554 b Nr. 6), ist über den Ausgleichsanspruch für die Jahre 1972 bis 1978 dem Grunde nach (§ 304 ZPO) rechtskräftig entschieden, und zwar auch insoweit, als das Berufungsgericht eine Verwirkung des Anspruchs und ein mitwirkendes Verschuldens des Klägers verneint hat.

2.

Zur Anspruchshöhe hat die Revision Erfolg.

Das Berufungsgericht stellt, sachverständig beraten, eine baubedingte Ertragsminderung von ca. 100.000 DM fest. Diese Einbuße in sieben Jahren gehe über den zumutbaren Rahmen hinaus, auch wenn sie nicht existenzbedrohend gewesen sei. Sie sei vollständig, d.h. auch insoweit auszugleichen, als sie im zumutbaren Bereich liege.

a)

Der Inhalt des nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruchs bestimmt sich - wie auch das Berufungsgericht nicht verkennt - unter Abwägung aller Umstände nach den Grundsätzen der Enteignungsentschädigung (vgl. BGHZ 85, 375, 386 m.w.N.). Bei vorübergehender Beeinträchtigung der gewerblichen Nutzung eines Grundstücks - wie sie hier geltend gemacht wird - kann unmittelbar der Ertragsverlust zugrunde gelegt werden (BGHZ 62, 361, 371 m.w.N.). Diese Grundsätze zweifelt auch die Revision nicht an.

Das Berufungsgericht hat die baubedingte Ertragseinbuße des Klägers auf der Grundlage eines schriftlichen Sachverständigengutachtens geschätzt. Zu Unrecht rügt die Revision, das Berufungsgericht hätte den Sachverständigen auf einen in der letzten mündlichen Verhandlung vom 3. Oktober 1986 gestellten Antrag mündlich anhören müssen. Das trifft nicht zu. Bei schriftlicher Begutachtung muß der Antrag, das Erscheinen des Sachverständigen vor Gericht anzuordnen, spätestens in dem - nächsten - Verhandlungstermin gestellt werden, in dem das Gutachten vorgetragen wird (BGHZ 35, 370 ff.). Das Hauptgutachten des Sachverständigen Fröber ist am 6. September 1985 bei Gericht eingegangen und am 9. September 1985 an die Parteivertreter mit der ausdrücklichen Antrage weitergeleitet worden, ob eine Anhörung des Sachverständigen beantragt werde. Aufgrund von Einwendungen des Beklagten ist ein Ergänzungsgutachten eingeholt worden, das am 23. Januar 1986 bei Gericht einging und ebenfalls den Parteivertretern alsbald zur Stellungnahme zugeleitet wurde. Die nächste mündliche Verhandlung vor dem Senat des Berufungsgerichts fand am 4. Juli 1986 statt. Erstmals im Termin vom 3. Oktober 1986 hat der Beklagte die mündliche Anhörung des Sachverständigen beantragt. Dies war verspätet.

Ohne Rechtsfehler hebt das Berufungsgericht auf das Jahr 1971 als Vergleichsjahr ab. Die Revision muß hinnehmen, daß dem Grunde nach auch schon für das Jahr 1972 ein Ausgleichsanspruch besteht (vgl. oben Ziff. 1). Der Schätzung des Verlustes, der durch die auszugleichende Beeinträchtigung verursacht ist, darf grundsätzlich der Umsatz des Jahres zugrunde gelegt werden, das dem ausgleichsfähigen Zeitraum vorausging (BGHZ 62, 361, 371). Soweit das Berufungsgericht den Umsatz des Jahres 1971 mit ca. 216.000 DM nicht als "Pendelausschlag" nach oben, sondern als im Rahmen der Variationsbreite der vorausgegangenen Jahre liegend, würdigt, ist dies als vertretbare tatrichterliche Feststellung nicht zu beanstanden.

Rechtsfehlerfrei stellt das Berufungsgericht auch auf die vom Sachverständigen errechneten Ertragseinbußen der Jahre 1972 bis 1978 und nicht auf die Umsatzentwicklung ab, die im Vergleich zum Jahr 1971 ab 1975 wieder eine steigende Tendenz aufweist und im Jahre 1978 den Umsatz des Jahres 1971 um ca. 52.000 DM übertrifft. Die Revision verkennt, daß die Umsatzentwicklung ab dem Jahre 1972 wesentlich von der Teuerung mitbedingt ist. So erhöhte sich nach der Feststellung des Sachverständigen der Index für die Preisentwicklung des Gaststättengewerbes von 1970 bis 1978 von 150 auf 155.2. Nicht die Umsatzhöhe, sondern das vom Kläger erzielte Betriebsergebnis ist maßgeblich für den auch von der Revision in den Vordergrund gerückten Verkehrswert des beeinträchtigten Betriebes. Der Sachverständige hat unter eingehender Würdigung der fixen und variablen Kosten für das Jahr 1971 einen Gewinn errechnet, ihn den tatsächlichen Gewinnen der Folgejahre gegenübergestellt und daraus unter Ausscheidung außerordentlicher Aufwendungen eine baubedingte Ertragsminderung von 104.227,- DM ermittelt. Auch die Revision zeigt nicht auf, was daran unrichtig sein soll. Der Sachverständige hatte im übrigen mit anderer Berechnungsmethode unter Hochrechnung von Umsatz, Aufwand und Betriebsgewinn des Zeitraums von 1966 bis 1971 auf 1972 bis 1978 in Anlehnung an die Entwicklung statistischer Vergleichsbetriebe sogar einen baubedingten Gewinnentgang von 155.326 DM geschätzt.

Soweit in den Jahren ab 1972 erhöhte Personalkosten die Ertragsminderung beeinflußt haben, stellt das Berufungsgericht fest, daß diese Erhöhung mittelbar von den Baumaßnahmen beeinflußt wurde, weil der Kläger mit Rücksicht auf die Betriebsstörung durch die Bauarbeiten personalintensivere Seminarveranstaltungen "hereingenommen" habe. Auch das greift die Revision erfolglos an. Die von ihr angeführte Aussage des Zeugen K., die Seminare seien ab 1973 wieder reduziert und später eingestellt worden, bezieht sich allein auf die Schulungskurse der A.-Versicherung.

Offengelassen hat das Berufungsgericht, ob und in welchem Maße sich der Kläger während der Bauzeit beim Beklagten über Störungen beklagt und Abhilfe verlangt hat. Entgegen der Auffassung der Revision spielt dieser Umstand für die Anspruchshöhe keine Rolle. Der Beklagte hatte selbst die Vereinbarung aus dem Jahre 1971 mit dem Kläger unterschrieben und wußte deshalb, daß der Kläger die Bauarbeiten dulden mußte und sich darauf verließ, er werde dafür eine vertragliche Entschädigung für die baubedingten Einbußen erhalten. Der Beklagte kann deshalb nach Treu und Glauben nicht geltend machen, er hätte die Einbußen des Klägers begrenzen oder gar ganz vermeiden können, wenn sich dieser rechtzeitig an ihn gewandt hätte. Auch als Geschäftsführer der GmbH mußte dem Beklagten daran gelegen sein, die baubedingten Ertragseinbußen des Klägers auf ein Mindestmaß zu beschränken.

Für die Höhe des gesetzlichen Ausgleichsanspruchs ist es auch ohne Bedeutung, ob der Kläger - wie die Revision einer vom Zeugen Jantzen bekundeten angeblichen Erklärung des Klägers entnehmen will - die mit der Baustelle verbundenen Beeinträchtigungen nicht als unzumutbar empfunden hat.

b)

Das Berufungsgericht hat dem Kläger aber zu Unrecht die vollen Ertragseinbußen zugesprochen. Dies beruht auf einem rechtsfehlerhaften Ausgangspunkt, weil es meint, bei Überschreitung der Zumutbarkeitsgrenze sei nicht nur der über das zumutbare Maß hinausgehende Betrag, sondern der vollständige Ertragsverlust auszugleichen. Der Kläger kann aber nur insoweit einen Ausgleich verlangen, als er in der Benutzung seines Grundstücks über das zumutbare Maß hinaus beeinträchtigt worden ist (§ 906 Abs. 2 Satz 2 BGB; BGHZ 62 361, 372; 91, 20, 31/32; BGB-RGRK/Augustin 12. Aufl. § 906 Rdn. 79; Erman/Hagen, BGB 7. Aufl. § 906 Rdn. 17; Staudinger/Roth, BGB 12. Aufl. § 906 Rdn. 227; Mattern WM 1972, 1410, 1412). Trotz abweichender Meinungen in der Literatur (vgl. MünchKomm/Säcker, BGB 2. Aufl. § 906 Rdn. 118; Palandt/Bassenge, BGB 47. Aufl. § 906 Anm. 4 f; Soergel/Baur, BGB 11. Aufl. § 906 Rdn. 73, 74; Jauernig BGB 4. Aufl § 906 Anm. 3 b cc) hält der Senat an der bisherigen Rechtsprechung fest.

Es ist zunächst Aufgabe des Tatrichters, diese Zumutbarkeitsgrenze unter Beachtung aller Umstände des Falles (vgl. BGHZ 49, 148, 155) zu bestimmen, so daß sich das angefochtene Urteil im Ausspruch zur Höhe auch nicht teilweise aufrechterhalten läßt.

 

Unterschriften

Hagen

Dr. Eckstein

Vogt

Richter am Bundesgerichtshof Dr. Räfle ist durch Urlaub an der Unterschrift verhindert.

Hagen

Wenzel

 

Fundstellen

Haufe-Index 1456160

NJW 1988, 3019

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge