Entscheidungsstichwort (Thema)

Berechnung des Pflichtteils bei Lebensversicherung

 

Leitsatz (amtlich)

Tritt ein Versicherungsnehmer seine Ansprüche aus einer Lebensversicherung als Sicherheit an einen Kreditgeber ab und widerruft er zu diesem Zweck ein (widerruflich eingeräumtes) Bezugsrecht, gehört der Anspruch auf die Versicherungssumme beim Tod des Versicherungsnehmers in Höhe der gesicherten Schuld zu seinem Nachlaß; er ist ebenso wie die gesicherte Schuld für die Berechnung des Pflichtteils gemäß § 2311 BGB zu berücksichtigen (Fortführung von BGHZ 109, 67).

 

Normenkette

VVG § 166; BGB § 2311

 

Verfahrensgang

OLG Zweibrücken

LG Frankenthal (Pfalz)

 

Tenor

Die Revision gegen das Urteil des 4. Zivilsenats des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken vom 30. März 1995 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Die Kläger sind die Eltern des am 7. September 1990 verstorbenen Erblassers, der mit der Beklagten verheiratet war. Die Beklagte ist aufgrund Ehe- und Erbvertrages Alleinerbin. Kinder sind aus der Ehe nicht hervorgegangen. Die Kläger machen Pflichtteilsansprüche gegen die Beklagte geltend.

Hauptposition des Nachlasses, dessen Wert die Kläger auf knapp 400.000 DM veranschlagt haben, ist die Zahnarztpraxis des Erblassers, die die Beklagte für 340.000 DM verkauft hat. Sie meint, der Nachlaß sei überschuldet. Die Kläger hätten zu Unrecht die Sollstände zweier Bankdarlehen in Höhe von rund 430.000 DM nicht berücksichtigt, die zur Finanzierung der Zahnarztpraxis aufgenommen worden waren.

Als Sicherheit hatte der Erblasser der Bank unter anderem seine Ansprüche aus einer Lebensversicherung abgetreten, in der er die Beklagte widerruflich als Bezugsberechtigte bezeichnet hatte. Die Abtretungserklärung lautet auszugsweise:

1.3. Sie dürfen ohne meine Mitwirkung jederzeit alle Ansprüche und Rechte aus den vorgenannten Lebensversicherungen geltend machen, insbesondere die Versicherungen bei Fälligkeit einziehen, das Rückkaufsrecht ausüben und die Versicherungen in prämienfreie umwandeln. Für die Dauer der Abtretung widerrufe ich etwaige Bezugsrechte, soweit sie Ihren Rechten entgegenstehen.

1.4. Sind Ihre sämtlichen mit dieser Abtretung gesicherten Forderungen befriedigt, werden Sie die abgetretenen Ansprüche unter Rückgabe der Versicherungsscheine an den Sicherungsgeber und im Falle seines Ablebens an den bisherigen Bezugsberechtigten übertragen.

Diese Abtretung wurde der Versicherungsgesellschaft angezeigt. Sie zahlte beim Tod des Erblassers die Versicherungssumme in Höhe von 500.000 DM an die Bank. Diese verrechnete damit ihre noch offenen Darlehensansprüche und stellte den nicht benötigten Rest der Beklagten zur Verfügung.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Beklagte verurteilt, an die Kläger je 42.993,27 DM nebst Zinsen zu zahlen. Mit der Revision erstrebt die Beklagte die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

 

Entscheidungsgründe

Das Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg.

1. Nach Ansicht des Berufungsgerichts fällt der zur Tilgung des Bankdarlehens verwendete Teil der Versicherungssumme in den Nachlaß. Der Erblasser habe den Anspruch aus der Lebensversicherung wirksam an die Bank abgetreten. Das Bezugsrecht der Beklagten sei widerrufen worden, soweit es den Rechten der Bank entgegenstehe. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGHZ 109, 67) bleibe die Beklagte zwar nachrangig an dem nicht benötigten Überschuß bezugsberechtigt. Soweit die Bank die Versicherungssumme aber im Todesfall zur Deckung der Schulden des Erblassers verwendet habe, gehe es um die Erfüllung des vom Erblasser bestimmten, gegenüber dem Bezugsrecht der Beklagten vorrangigen Sicherungszwecks. Insoweit könne nichts anderes gelten, als wenn der Erblasser das Darlehen zu Lebzeiten selbst getilgt hätte.

2. Demgegenüber meint die Revision, mit dem Landgericht sei der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu entnehmen, daß die Sicherungsabtretung gerade nicht als Widerruf der Bezugsberechtigung zu werten sei. Vielmehr sei das Bezugsrecht zugunsten der Bank belastet worden. Der Nachrang des Bezugsrechts ändere nichts daran, daß die Versicherungssumme insgesamt dem Vermögen der Bezugsberechtigten zuzurechnen sei. Es könne auch nicht darauf ankommen, ob die Bank die Versicherungssumme wie hier tatsächlich mit dem Darlehen verrechne oder es der Bezugsberechtigten gelinge, das Darlehen vorher aus anderen Mitteln zurückzuführen, um die volle Versicherungssumme zu erhalten. Der Wille des Erblassers sei dahin gegangen, die bezugsberechtigte Beklagte in Höhe der ganzen Versicherungssumme außerhalb des Nachlasses zu begünstigen und damit diesen Betrag den Pflichtteilsberechtigten vorzuenthalten.

3. Das Berufungsgericht ist zum richtigen Ergebnis gelangt.

a) Die hier vom Erblasser im Rahmen der Sicherungsabtretung unterzeichnete Widerrufsklausel entspricht derjenigen, die der Entscheidung BGHZ 109, 67 zugrunde lag. Dort hat der Senat ausgesprochen, daß im Hinblick auf die Sicherungsabtretung im allgemeinen kein ausreichender Grund für die Annahme bestehe, der Versicherungsnehmer wolle das Bezugsrecht vollständig widerrufen. Sein Interesse beschränke sich lediglich auf den Vorrang des Sicherungsgläubigers und richte sich daher nicht auch auf die Ausräumung nachrangiger Bezugsrechte. Mithin sei von einem eingeschränkten Widerruf auszugehen, der die vom Kreditgläubiger nicht benötigten Teile der Versicherungssumme nicht erfasse. Der Widerruf setze die früher ausgesprochene Bezugsberechtigung nur insoweit außer Kraft, wie es für den Sicherungszweck erforderlich sei (aaO 5. 69 f., 71 f.). Diese Rechtsprechung hat der Senat in seinen Urteilen vom 31. Oktober 1990 (IV ZR 290/89 – VVGE § 15 ALB Nr. 3) und 3. März 1993 (IV ZR 267/91 – VersR 1993, 553 = VVGE § 12 VVG Nr. 18) bestätigt.

b) Soweit danach der Anspruch auf die Versicherungssumme nicht von der Sicherungsabtretung erfaßt wird, sondem der Bezugsberechtigten nach Eintritt des Versicherungsfalles unmittelbar zusteht, fällt er auch nicht in den Nachlaß des Versicherungsnehmers (vgl. BGHZ 32, 44, 47). Anders steht es dagegen, soweit die Versicherungssumme aufgrund des vom Versicherungsnehmer ausgesprochenen Widerrufs und seiner Sicherungsabtretung im Zeitpunkt seines Todes seinem Kreditgeber zusteht. In diesem Umfang hat der Versicherungsnehmer das Bezugsrecht außer Kraft gesetzt und den Anspruch auf die Versicherungssumme zur Deckung seiner Verbindlichkeiten im Sicherungsfall verwendet. Damit hat er die Versicherungssumme seinem Vermögen zugeordnet. Er ist als Sicherungsgeber gegenüber der Bank aufgetreten (und nicht die Bezugsberechtigte). Sicherungsgut ist wirtschaftlich dem Sicherungsgeber zuzurechnen und deshalb gemäß § 246 Abs. 1 Satz 2 HGB in seine Bilanz aufzunehmen (Baumbach/Hopt, HGB 29. Aufl. § 246 Rdn. 12).

Damit fällt die Versicherungssumme in dem vom Sicherungszweck bestimmten Umfang im Zeitpunkt des Versicherungsfalles, der zugleich der Erbfall und daher gemäß § 2311 Abs. 1 Satz 1 BGB auch der für die Berechnung des Pflichtteils maßgebende Stichtag ist, in den Nachlaß. Dies gilt unabhängig davon, ob der Kreditgläubiger nach den Sicherungsvereinbarungen berechtigt oder verpflichtet ist, den zur Sicherheit abgetretenen Anspruch auf die Versicherungssumme schon zu diesem Zeitpunkt zur Deckung der Erblasserschulden zu verwenden. Unerheblich ist auch, ob die Erblasserschulden aus anderen, möglicherweise auch von einem Bezugsberechtigten angebotenen Mitteln getilgt werden. Das kann zwar zur Folge haben, daß die Bank die Versicherungssumme etwa gemäß Nr. 1.4 der vom Erblasser hier mit der Bank vereinbarten Bedingungen in vollem Umfang an die Bezugsberechtigte auszuzahlen hat (vgl. OLG Oldenburg VersR 1990, 1378 m. Anm. Bayer). Dies ändert aber nichts daran, daß die Versicherungssumme im Zeitpunkt des Erbfalls in Höhe der dann bestehenden Schulden des Erblassers zu deren Deckung im Sicherungsfall diente und deshalb in den Nachlaß fällt. Dieses Vermögen haftet den Nachlaßgläubigern, wobei im Falle einer Überschuldung die Rangfolge der §§ 226 KO, 39, 327 InsO zu beachten ist. Auch ein Bezugsberechtigter, der Erblasserschulden nach dem Erbfall tilgt, um die ihrer Sicherung dienende Versicherungssumme zu erlangen, ist insoweit Nachlaßgläubiger.

Die gegenteilige Auffassung der Revision würde zu dem unbefriedigenden Ergebnis führen, daß der Nachlaß mit Schulden belastet bliebe, die wirtschaftlich mit dem Tod des Erblassers nicht mehr bestehen. Diese in der Literatur kritisierte Konsequenz (vgl. Klingelhöffer, ZEV 1995, 180, 181 m.w.N.) tritt jedoch in einem Fall wie dem vorliegenden in Wahrheit nicht auf. Sie entspricht auch nicht dem Sinn und Zweck der Rechtsprechung des Senats zur eingeschränkten Wirkung des Widerrufs einer Bezugsberechtigung, den der Versicherungsnehmer zum Zweck einer Sicherungsabtretung ausspricht.

 

Unterschriften

Dr. Schmitz, Römer, Dr. Schlichting, Terno, Seiffert

 

Veröffentlichung

Veröffentlicht am 08.05.1996 durch Dietz Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

 

Fundstellen

Haufe-Index 604898

BB 1996, 1688

NJW 1996, 2230

Nachschlagewerk BGH

ZEV 1996, 263

ZBB 1996, 379

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