Entscheidungsstichwort (Thema)

Stellung und Aufgaben eines Nachlasspflegers

 

Leitsatz (amtlich)

  1. Der Nachlasspfleger hat nicht die Aufgabe zu klären, wer von mehreren Erbanwärtern der wirkliche Erbe ist. Diese Frage muß einer Klärung im Verhältnis der Erbanwärter überlassen bleiben.
  2. Zum Zwecke einer solchen Klärung ist gegebenenfalls ein Pfleger für die unbekannten, möglicherweise zur Erbfolge berufenen Verwandten des Erblassers gem. § 1913 BGB zu berufen.
 

Normenkette

BGB §§ 1913, 1960 Abs. 2

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers und die Berufung der Beklagten werden das Urteil des 4. Zivilsenats des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig vom 15. Juli 1981 und das Grundurteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Flensburg vom 28. März 1979 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten beider Rechtsmittel - an das Landgericht zurückverwiesen.

 

Tatbestand

Die Beklagten sind Geschwister; sie stammen aus der ersten Ehe ihres Anfang 1972 verstorbenen Vaters. Dieser war in zweiter Ehe mit der 1976 verstorbenen Erblasserin verheiratet. Der Vater der Beklagten wurde aufgrund Testaments von 1943 zunächst von seiner zweiten Ehefrau und nach deren Tod von den zu Nacherben eingesetzten Beklagten beerbt. Nach dem Tode ihrer Stiefmutter nahmen die Beklagten sowohl den Nachlaß ihres Vaters als auch denjenigen ihrer Stiefmutter in Besitz. Das Nachlaßgericht sah die Erbfolge nach der Stiefmutter als ungeklärt an und bestellte den Kläger zum Nachlaßpfleger mit dem Wirkungskreis "Sicherung und Verwaltung des Nachlasses, Ermittlung der Erben". Der Kläger verlangt von den Beklagten 105.371,46 DM nebst Zinsen mit der Begründung, diesen Betrag hätten sie aus dem Nachlaß der Stiefmutter erlangt. Die Beklagten berufen sich darauf, auch Erben ihrer Stiefmutter geworden zu sein. Diese habe sie in einem Brief an die Beklagte zu 3) im Jahre 1972 zu ihren Erben eingesetzt. Diese Erbfolge ergebe sich auch aus dem Entwurf dieses Briefes, den die Erblasserin handschriftlich auf Packpapier aufgesetzt und in einer Kassette aufbewahrt habe. Außerdem haben die Beklagten den eingeklagten Anspruch der Höhe nach bestritten und die Aufrechnung mit einer angeblichen Gegenforderung erklärt.

Das Landgericht hat die Klage ohne Begründung als eine solche der unbekannten Erben, vertreten durch den Nachlaßpfleger, behandelt und hat sie dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht die Klage abgewiesen. Mit der Revision erstrebt der Kläger die Zurückweisung der Berufung; er bittet um Versäumnisurteil.

 

Entscheidungsgründe

Da die Beklagten trotz ordnungsmäßiger Ladung zur mündlichen Verhandlung vor dem Bundesgerichtshof nicht durch einen hier zugelassenen Rechtsanwalt vertreten sind, ist durch Versäumnisurteil zu entscheiden. Die Revision führt zur Aufhebung beider Vorderurteile und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.

Ebenso wie das Landgericht hat das Berufungsgericht die Klage ohne Begründung als eine solche der unbekannten Erben, vertreten durch den Nachlaßpfleger, angesehen. Dagegen hat es abweichend vom Landgericht die Klage für unbegründet gehalten, weil die Beklagten auch die Erben ihrer Stiefmutter geworden seien. Dabei hat das Berufungsgericht nicht erkannt, daß die Klage bei der von ihm angenommenen Sachlage unzulässig wäre.

Wären die Beklagten tatsächlich die Erben ihrer Stiefmutter, dann stünden sie damit aus der Sicht des Oberlandesgerichts, vertreten durch den Nachlaßpfleger, zugleich auch auf der Klägerseite. Das wäre prozessual bedenklich (BGH, Urteil vom 10. Mai 1959 - IV ZR 12/50 - LM BGB § 1960 Nr. 1) und müßte zur Abweisung der Klage als unzulässig führen (BGH, Urteil vom 22. Januar 1981 - IVa ZR 97/80 = LM BGB § 1960 Nr. 4).

Indessen sind nicht die unbekannten Erben Kläger des vorliegenden Rechtsstreits, sondern der Nachlaßpfleger persönlich. Die Klage ist ausdrücklich in seinem Namen erhoben. Ein Parteiwechsel auf der Klägerseite, der nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (BGHZ 65, 264, 268; 71, 216, 219) an sich möglich gewesen wäre, ist ausweislich der Verfahrensakten weder für den Kläger persönlich noch für an seine Stelle tretende "unbekannte Erben" erklärt worden. Ohne derartige Erklärungen (Prozeßhandlungen) blieb es dabei, daß über die von dem ursprünglichen Kläger erhobene Klage zu entscheiden war. Daran ändert es nichts, daß Landgericht und Oberlandesgericht die Klage ohne Begründung und ohne ersichtliche Erörterung als eine solche der unbekannten Erben behandelt und demgemäß über eine nicht erhobene Klage entschieden haben. Prozessuale Bedenken gegen die Zulässigkeit der Klage des Nachlaßpflegers persönlich bestehen nicht.

Die Hauptaufgabe des Nachlaßpflegers (§ 1960 Abs. 2 BGB) ist die Sicherung und Erhaltung des Nachlasses. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ist er insoweit der gesetzliche Vertreter des oder der Erben (BGHZ 49, 1, 4; Urteile vom 10. Mai 1951 - IV ZR 12/50, 21. Juni 1972 - IV ZR 110/72, 22. Januar 1981 - IVa ZR 97/80, 5. Februar 1958 - IV ZR 204/57 = LM BGB § 1960 Nr. 1, 3, 4 und ZPO § 325 Nr. 10). Diese Stellung des Nachlaßpflegers als des gesetzlichen Vertreters des oder der (unbekannten) Erben schließt aber nicht aus, daß der Pfleger persönlich die Rolle einer Prozeßpartei wahrnimmt (vgl. §§ 780 Abs. 2 ZPO, 40 Abs. 1 GBO) und als Kläger zum Nachlaß gehörige Rechte einklagt. Kommt die in Anspruch genommene Gegenpartei selbst als Erbe in Betracht, dann ist ein solches Vorgehen zur Vermeidung eines unzulässigen In-sich-Prozesses sogar prozessual geboten.

Dem entspricht es, daß der Nachlaßpfleger nach materiellem Recht nicht etwa darauf beschränkt ist, die Rechte der Erben als deren Vertreter geltend zu machen. Vielmehr hat er kraft Amtes darüber hinausgehende Rechte.

Der Nachlaßpfleger hat den Nachlaß an sich zu nehmen und kann von jedem, der Nachlaßgegenstände in Besitz hat, deren Herausgabe verlangen. Dieser Anspruch leitet sich nicht vom Erben ab, sondern ergibt sich unmittelbar aus seiner Rechtsstellung als Nachlaßpfleger; ohne ihn könnte er die ihm übertragenen Aufgaben nicht erfüllen (BGH LM BGB § 1960 Nr. 3, 4; RGRK-Johannsen, 12. Aufl. § 1960 BGB Rdn. 22; RGRK-Kregel, 12. Aufl. § 2018 BGB Rdn. 3; MK-Leipold, BGB § 1960 Rdn. 47). Demgemäß kann der Nachlaßpfleger auch gegen denjenigen vorgehen, der vorgibt, der Erbe zu sein, dessen Erbrecht aber noch nicht endgültig geklärt ist.

Wie der erkennende Senat in seinem Urteil vom 22. Januar 1981 = LM BGB § 1960 Nr. 4 ausgeführt hat, werden erfahrungsgemäß die Interessen der wahren Erben in besonderem Maße von Seiten der mit ihnen konkurrierenden übrigen Erbprätendenten gefährdet. Die dem Nachlaßgericht bei ungewisser Erbfolge (§ 1960 Abs. 1 Satz 2 BGB) obliegende Fürsorge für den Nachlaß ist daher ihrer Tendenz nach bis zur Feststellung der wahren Erben in deren Interesse (vorläufig) gegen alle Erbprätendenten gerichtet. Diese Richtung bestimmt auch die Stellung des Nachlaßpflegers, dessen sich das Nachlaßgericht zur Erfüllung seiner Fürsorgeaufgaben bedient; dementsprechend ist der Nachlaßpfleger berechtigt und verpflichtet, den Nachlaß zunächst einmal vor sämtlichen Prätendenten "in Schutz" zu nehmen. Demgegenüber kann der in Anspruch genommene Erbprätendent sich grundsätzlich nicht auf sein Erbrecht berufen. Sein (mögliches) Erbrecht muß hier hinter das Fürsorgeinteresse vorläufig zurücktreten.

Wer von den mehreren Erbanwärtern der wirkliche Erbe ist (oder wird), hat für die Entscheidung über das Herausgabeverlangen des Nachlaßpflegers grundsätzlich keine Bedeutung, Diese Frage kann unter Umständen zwar auch zum Gegenstand einer Feststellungsklage des Anwärters gegen den Pfleger gemacht werden (BGH LM BGB § 1960 Nr. 1, 3, 4; RGZ 106, 46 f.; OGHZ 4, 219 f.). Eine in diesem Verhältnis ergehende Entscheidung klärt die Rechtslage im Verhältnis der mehreren Prätendenten untereinander aber schon im Hinblick auf die subjektiven Grenzen der Rechtskraft nicht endgültig. Der Nachlaßpfleger (§ 1960 BGB) hat jedenfalls nicht die Aufgabe, insoweit eine Klärung herbeizuführen, und zwar selbst dann nicht, wenn ihm die Ermittlung der Erben ausdrücklich übertragen worden ist (vgl. Mot. zum Entw. eines BGB, Bd. V S. 550 f.). Diese Frage muß vielmehr einer Klärung im Verhältnis der in Betracht kommenden Erbanwärter überlassen werden (RGZ 106, 46, 47). Stützen sich Erbanwärter auf ein Schriftstück des Erblassers, das - wie hier - nicht ohne weiteres als Testament anzusehen ist, und sind die als gesetzliche Erben in Betracht kommenden Personen nicht bekannt, dann kann eine solche Klärung allerdings erschwert sein. Derartige Schwierigkeiten sind jedoch nicht unüberwindlich. Sie können und müssen ohne Sprengung des Aufgabenkreises des Nachlaßpflegers (§ 1960 BGB) gegebenenfalls mit Hilfe einer Pflegschaft für die unbekannten, möglicherweise zur gesetzlichen Erbfolge berufenen Verwandten des Erblassers (§ 1913 BGB) behoben werden.

Unter diesen Umständen muß das angefochtene Urteil aufgehoben werden. Aber auch das Grundurteil des Landgerichts kann nicht bestehen bleiben.

Das Landgericht hat die Klage dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt, ohne zu prüfen, ob der Klageanspruch in irgendeiner Höhe besteht. Zu dieser Prüfung bestand Anlaß, weil die Beklagten die Klageforderung der Höhe nach bestritten und auch eine Aufrechnung erklärt haben. Nur wenn nach mindestens summarischer Prüfung eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür bestand, daß der Klageanspruch in irgendeiner Höhe besteht, durfte das Landgericht ein Grundurteil erlassen (BGHZ 53, 17, 23). Bei zutreffender Rechtsauffassung hätte das Berufungsgericht das Urteil des Landgerichts daher gemäß § 539 ZPO aufheben und die Sache zurückverweisen sollen; einer Aufhebung des Verfahrens des Landgerichts bedurfte es dabei nicht, weil dieses durch den Mangel des Urteils nicht betroffen wurde. Der erkennende Senat holt die entsprechende Urteilsaufhebung nach (§ 565 Abs. 3 Nr. 1 ZPO).

Für das weitere Verfahren vor dem Landgericht wird darauf hingewiesen, daß sich der eigene Herausgabeanspruch des Nachlaßpflegers entgegen einer im Schrifttum vertretenen Auffassung (vgl. Soergel/Siebert/Dieckmann, BGB 10. Aufl. § 2018 Rdn. 1) auch auf die Surrogate (§ 2019 BGB analog) erstrecken dürfte (MK-Leipold, BGB § 1960 Rdn. 47, 48).

 

Unterschriften

Dr. Hoegen

Rottmüller

Dr. Schmidt-Kessel

Rassow

Dr. Zopfs

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1456119

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