Leitsatz (amtlich)

Zur Frage, ob in der Satzung einer politischen Partei bestimmt werden kann, daß die Kandidatur eines Mitglieds für eine kommunale Wählervereinigung nach Ablauf einer Abmahnungsfrist als Austritt aus der Partei gilt.

 

Normenkette

BGB §§ 25, 39; ParteienG § 10

 

Verfahrensgang

LG Kiel

Schleswig-Holsteinisches OLG

 

Tenor

Die Revision gegen das Urteil des 8. Zivilsenats des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig vom 5. Oktober 1976 wird auf Kosten des Beklagten zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob die Mitgliedschaft des Klägers in der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands beendet ist. Der Kläger, der 1972 in die SPD eintrat, arbeitete in der Bürgerinitiative G… Stadtsanierung mit. Im Frühjahr 1973 fand die Wahl zum Sanierungsbeirat G… statt, durch den die Bürgerschaft an den Planungsentscheidungen der Stadt K… beteiligt werden sollte. Für diese Wahl hatte auch die SPD Kandidaten aufgestellt. Der Kläger kandidierte für die Bürgerinitiative. Deswegen leitete der Ortsverein G…-Süd der SPD ein Parteiordnungsverfahren gegen ihn ein; die Schiedskommission des Unterbezirks K… erteilte dem Kläger eine Rüge. Im Berufungsverfahren vor der Landesschiedskommission verabredeten die Beteiligten in der Verhandlung am 17. Dezember 1973, eine gütliche Einigung zu versuchen. Mit Schreiben vom 28. Januar 1974 teilte der Kläger mit, daß der Einigungsversuch gescheitert sei und er auch bei der nächsten Wahl zum Sanierungsbeirat (im Frühjahr 1974) für die Bürgerinitiative kandidieren werde. Daraufhin forderte der Landesgeschäftsführer im Auftrage des Landesvorsitzenden des Landesverbandes der SPD den Kläger mit Schreiben vom 15. Februar 1974 auf, binnen einer Woche die Erklärung über die Kandidatur für die Bürgerinitiative zurückzuziehen, andernfalls gelte dies als Austritt aus der SPD. Der Kläger antwortete mit Schreiben vom 22. Februar 1974, daß er die Kandidatur, aber auch seine Mitgliedschaft in der SPD aufrechterhalte. Durch Schreiben vom 1. März 1974 teilte der Landesgeschäftsführer namens des Landesvorsitzenden dem Kläger mit, daß am 22. Februar 1974 sein Austritt aus der SPD erfolgt sei. Er stützte sich dabei auf § 20 Abs. 1 der Schiedsordnung der SPD in Verbindung mit § 6 Abs. 4 des Organisationsstatut der SPD in der Fassung vom 18. Dezember 1971. Diese Vorschriften lauten:

§ 20 Abs. 1 Schiedsordnung:

Wer als Mitglied der SPD gleichzeitig einer der in § 6 Organisationsstatut genannten Organisationen angehört oder für sie kandidiert, ist von dem zuständigen Bezirksvorsitzenden oder durch ein von ihm beauftragtes Parteimitglied schriftlich aufzufordern, binnen einer Woche seinen Austritt aus der betreffenden Organisation zu erklären bzw. seine Kandidatur aufzugeben. Die Frist beginnt mit der Zustellung der Aufforderung. Erklärt das Mitglied in der betreffenden Organisation verbleiben bzw. weiter für sie kandidieren zu wollen oder liegt bei Ablauf der Frist eine Erklärung nicht vor, so gilt dies als Austritt aus der SPD.

§ 6 Organisationsstatut:

(1) Unvereinbar mit der Mitgliedschaft in der SPD ist die gleichzeitige Mitgliedschaft in sowie die Tätigkeit oder Kandidatur für eine andere politische Partei.

(2) Entsprechendes gilt für Vereinigungen, die gegen die SPD wirken. Die Feststellung der Unvereinbarkeit trifft der Parteivorstand im Benennen mit dem Parteirat. Er kann die Feststellung wieder aufheben.

(3) Diese Feststellung bindet auch die Schiedskommissionen.

(4) Für kommunale Wählervereinigungen gilt Abs. 1 entsprechend, wenn eigene Parteilisten bestehen. Über Ausnahmen entscheidet der Bezirksvorstand.

Der Kläger hält das gegen ihn durchgeführte Verfahren für nichtig. Er hat mit der gegen den Landesverband der SPD gerichteten Klage beantragt festzustellen, daß er am 22. Februar 1974 nicht aus der SPD ausgetreten sei.

Das Landgericht und das Oberlandesgericht haben der Klage stattgegeben. Mit der Revision, deren Zurückweisung der Kläger beantragt, verfolgt der Beklagte die Abweisung der Klage weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision hat keinen Erfolg.

1. Die Zweifel der Revision an der Parteifähigkeit des Beklagten sind nicht begründet. Gemäß § 3 des Gesetzes über die politischen Parteien (Parteiengesetz) vom 24. Juli 1967 (BGBl. I 773) kann ein Gebietsverband der jeweils höchsten Stufe einer Partei unter seinem Namen klagen und verklagt werden, sofern die Satzung der Partei nichts anderes bestimmt. Der Landesverband Schleswig-Holstein der SPD ist ein solcher Gebietsverband, da er Bezirk im Sinne des Organisationsstatuts der SPD ist (vgl. § 1 der Satzung des Beklagten in Verbindung mit § 8 Abs. 1 Organisationsstatut). Seine passive Parteifähigkeit wird durch das Organisationsstatut – die Satzung der SPD nicht eingeschränkt. Aus § 28 des Organisationsstatuts ergibt sich allenfalls eine Einschränkung der aktiven Parteifähigkeit, nicht aber der passiven (vgl. SenUrt. v. 16.3.70 – II 58/68, ZPO § 50 Nr. 23 für das Organisationsstatut der SPD nach dem Stande vom 27.11.1964).

2. Entgegen der Ansicht der Revision kann die beantragte Feststellung nicht nur gegenüber der Gesamtpartei, sondern auch gegenüber dem Beklagten getroffen werden.

Der Kläger steht als Parteimitglied nicht nur in einem mitgliedschaftlichen Verhältnis zur Gesamtpartei. Er ist auch Mitglied des Beklagten. Die SPD gliedert sich – entsprechend § 7 Parteiengesetz in Gebietsverbände. Diese regeln gemäß § 9 des Organisationsstatuts ihre Angelegenheiten durch eigene Satzungen. Sie haben eine eigene Organisation und beschließen selbständig in ihren eigenen Angelegenheiten. Der Umstand, daß eine weitgehende Abhängigkeit von der Gesamtpartei besteht und die Satzungen der Gliederungen nicht im Widerspruch zum Organisationsstatut der SPD stehen dürfen (§ 9 Organisationsstatut), entspricht dem Wesen der Gebietsverbände. Er schließt aber nicht aus, daß diese, soweit es die Abhängigkeit zuläßt, ein eigenes, selbständiges Leben führen (BGH a.a.O.). Dies aber setzt voraus, daß auch die Gebietsverbände Mitglieder haben. Deshalb gehört in einer als Mitgliederverband organisierten Partei das einzelne Mitglied nicht nur der Gesamtpartei, sondern auch dem Ortsverein und den übergeordneten Gebietsverbänden (Unterbezirk, Bezirk usw.) als Mitglied an. Diese „gestufte Mehrfachmitgliedschaft” ist vereinsrechtlich zulässig und wird bei der SPD gemäß § 3 des Organisationsstatuts durch Aufnahme in den Ortsverein erworben (vgl. Seifert, Die politischen Parteien im Recht der Bundesrepublik Deutschland S. 199, 200, 211). Gegenstand der vorliegenden Feststellungsklage ist somit ein zwischen den Parteien des Rechtsstreits bestehendes Mitgliedschaftsverhältnis. Deshalb ist der Beklagte passiv legitimiert.

3. Das Berufungsgericht hat zutreffend entschieden, daß die Parteimitgliedschaft des Klägers nicht einfach dadurch geendet hat, daß dieser für die G… Bürgerinitiative kandidiert und sich trotz Aufforderung geweigert hat, hiervon zurückzutreten. § 20 Abs. „1 der Schiedsordnung in Verbindung mit § 6 des Organisationsstatuts, worauf sich der Beklagte zu stützen versucht, ist dafür keine ausreichende Rechtsgrundlage.

Nach diesen Bestimmungen gilt es zwar als Austritt aus der Partei, wenn das Mitglied für eine kommunale Wählervereinigung kandidiert und der schriftlichen Aufforderung des Bezirksvorstands, die Kandidatur zurückzuziehen, binnen einer Woche nicht nachkommt. Als kommunale Wählervereinigung in diesem Sinne hat der Beklagte die vom Kläger unterstützte Bürgerinitiative angesehen, da sie nach dem unstreitigen Parteivortrag (ebenes wie die SPD) mit einer eigenen Liste zur Wahl des Sanierungsbeirats angetreten war, dieser Beirat nach dem Kreiswahlgesetz gewählt worden ist und seine Aufgabe darin bestehen sollte, sich an den Planungsentscheidungen der Stadt K… zur Stadtsanierung G… zu beteiligen. Dennoch ist zweifelhaft, ob die Wortfassung allein eine derart weitgreifende Auslegung rechtfertigt. Im gewöhnlichen Sprachgebrauch werden unter kommunalen Wählervereinigungen meist nur die sogenannten „Rathausparteien” verstanden, also diejenigen Zusammenschlüsse auf örtlicher Ebene, die eine umfassende kommunalpolitische Tätigkeit entfalten und sich zu diesem Zweck um die Sitze in den Gemeinde- und Kreisparlamenten sowie um die Spitzenstellen der kommunalen Verwaltungen bewerben; mit einer Kandidatur für eine solche Wählervereinigung wird dementsprechend regelmäßig auch nur die Ausübung des passiven Wahlrechte bei den allgemeinen Kommunalwahlen gemeint. Da bei der Satzung einer Massenpartei vorausgesetzt werden kann, daß ihr Sinn für die Mitglieder offen zutage liegen soll, wird schon deshalb nicht angenommen werden können, daß sie unter dem Begriff der kommunalen Wählervereinigung, wenn sie dies nicht deutlich hervorhebt, auch solche örtlichen Zusammenschlüsse erfassen will, die keine generelle kommunalpolitische Betätigung anstreben, sondern sich lediglich bilden, um einen der Sache nach begrenzten, vielfach zeitlich vorübergehenden aktuellen Zweck zu verfolgen, so wie es bei den Bürgerinitiativen häufig der Fall ist.

Dafür, daß eine engere, sich im wesentlichen auf die Rathausparteien beschränkende Auslegung gewollt ist, spricht darüber hinaus, daß in § 6 des Organisationsstatuts die Kandidatur für eine kommunale Wählervereinigung der Tätigkeit oder Kandidatur für eine andere politische Partei oder für eine Vereinigung, die „gegen die SPD wirkt”, gleichgestellt und das eine wie das andere mit der Mitgliedschaft in der SPD als unvereinbar bezeichnet wird. In diesen beiden Fällen handelt es sich um Tatbestände prinzipieller Gegnerschaft zur eigenen Partei, so daß eine gleichzeitige Betätigung hier und dort ein unüberbrückbarer Widerspruch ist. Wegen der Gleichsetzung der kommunalen Wählervereinigungen, mit diesen Fällen kann aber schwerlich als satzungsmäßig gewollt angenommen werden, von dem strengen Urteil der Unvereinbarkeit sollten auch solche weniger bedeutsamen Vereinigungen betroffen sein, für die tätig zu werden und zu kandidieren zwar meist ein mehr oder weniger schwerer Solidaritätsverstoß sein wird, nicht aber als SPD-Gegnerschaft schlechthin erscheint, weil die dort verfolgte begrenzte, oft nicht einmal als eigentlich politisch empfundene Zielsetzung für eine solche Einstellung nichts hergibt.

Selbst wenn aber die Satzung der SPD die Unvereinbarkeit der Mitgliedschaft und damit den fingierten Austritt des Mitglieds auf eine Kandidatur, zu der sich der Kläger für die G… Bürgerinitiative entschlossen hatte, hätte erstrecken sollen, wäre sie – insoweit jedenfalls – nichtig, weil das gegen § 10 Abs. 4 und 5, § 14 Parteiengesetz verstoßen würde. Das Berufungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, daß der Gesetzgeber mit diesen Vorschriften zum Schutze der Mitglieder eine grundsätzlich abschließende Regelung getroffen hat, wie die Mitgliedschaft in einer politischen Partei nur enden soll: Sachlich-rechtlich nur, wenn das Mitglied vorsätzlich gegen die Satzung oder erheblich gegen Grundsätze oder Ordnung der Partei verstößt und dieser damit schweren Schaden zufügt (§ 10 Abs. 4), und förmlich durch Entscheidung von Parteischiedsgerichten in einen durch eine Schiedsgerichtsordnung zu regelnden Verfahren mit zwei Rechtszügen (Abs. 5). Von diesen beiden gesetzlichen Geboten können die politischen Parteien nicht ohne weiteres abweichen; sie können – auch im Wege der Satzung – weder den Verlust der Mitgliedschaft erleichtern noch an bestimmte Tatbestände, selbst wenn sich diese im Rahmen des § 10 Abs. 4 Parteiengesetz halten, die schlichte Beendigung der Mitgliedschaft anknüpfen und so das Schiedsgerichtsverfahren umgehen. Es mag allerdings sein, daß der Gesetzeswortlaut, der an sich Ausnahmen nicht zuläßt, in engen Grenzen – etwa mit Rücksicht auf Art. 21 GG – im Auslegungswege gewisser Korrekturen bedarf. Es spricht auch manches dafür, daß die Ansicht des Berufungsgerichts, § 20 Abs. 4 der Schiedsordnung in Verbindung mit § 6 des Organisationsstatuts sei insgesamt nichtig, zu weitgehend und eine Beendigungsautomatik für die Mitgliedschaft in ebenfalls sehr engen Grenzen mit dem Sinn und Zweck des § 10 Parteiengesetzes in Einklang zu bringen ist. Denn es kann wohl nicht im Sinn des verfahrensrechtlichen Gesetzesgebots des § 10 Abs. 5 liegen, umständliche Ausschließungsverfahren auch dann durch zwei Parteiinstanzen hindurch zu betreiben, wenn das eine reine Förmelei wäre, weil dem Parteimitglied ein Verhalten zur Last fällt, das tatbeständlich leicht erfaßt werden kann, die weitere Mitgliedschaft in der Partei für jedermann einleuchtend ausschließt und eine andere Wertung durch das Schiedsgericht auch unter Berücksichtigung von § 10 Abs. 4 Parteiengesetz praktisch nicht möglich ist. Man wird daher annehmen können, daß eine Unvereinbarkeitsklausel mit Beendigungeautomatik etwa für den Fall der Kandidatur eines Mitglieds für eine andere politische Partei wie das § 6 Abs. 1 des Organisationsstatuts der SPD vorsieht, zulässig ist. Es kann dahingestellt bleiben, ob eine Kandidatur für eine Rathauspartei bei den allgemeinen Kommunalwahlen ebenso als schlichter Beendigungstatbestand ausgestaltet werden kann; immerhin sind hier Zweifel nicht unmöglich, zumal § 6 des Organisationsstatuts selbst Ausnahmen anerkennt. Das braucht aber nicht entschieden zu werden. Bei Wahlen unterhalb der Schwelle der allgemeinen Kommunalwahlen und der Kandidatur zu Wählervereinigungen mit entsprechend begrenzter Zielsetzung ist jedenfalls das satzungsmäßige Pauschalurteil der Unvereinbarkeit und die Ausschaltung des förmlichen Schiedsgerichts – („Parteiordnungs-”) Verfahrens durch eine bloße Beendigungsklausel im Hinblick auf § 10 Abs. 4 und 5 Parteiengesetz rechtlich nicht zu vertreten (§ 134 BGB). Der Anlaß für die Bildung, Zweck und politisches Gewicht einer solchen Vereinigung, die Bedeutung der Wahl für das Gemeinwesen, örtliche Besonderheiten innerhalb der Partei selbst und in der Bürgerschaft, persönliche Motive des Mitglieds und andere Umstände können hier höchst unterschiedlich sein. Die in § 10 Abs. 4 Parteiengesetz verlangten Ausschließungsgründe – erheblicher Verstoß gegen Grundsätze und Ordnung in der Partei und schwerer Schaden für diese – können daher nicht von vornherein für alle möglichen Fälle dieser Art als erfüllt angesehen werden. Infolgedessen kommt auch nicht mit Selbstverständlichkeit die Beendigung der Mitgliedschaft als einzige Ordnungsmaßnahme in Betracht; vielmehr erscheint gerade hier die individuelle Bewertung des Verhaltens des Mitglieds durch ein Schiedsgericht als geboten, wie sie das Parteiengesetz für die politischen Parteien grundsätzlich vorschreibt.

Den vorinstanzlichen Gerichten ist nach alledem zuzustimmen, daß der Kläger nicht so zu behandeln ist, als ob er mit Ablauf der ihm vom Landesvorsitzender des Beklagten gesetzten Frist am 22. Februar 1974 aus der SPD ausgetreten wäre.

 

Fundstellen

Haufe-Index 609340

BGHZ 73, 275

BGHZ, 275

DVBl. 1980, 559

DVBl. 1980, 89

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge