Leitsatz (amtlich)

1. Bei Vornahme eines mit schweren Dauerfolgen verbundenen Eingriffs setzt der operierende Arzt sich dem Vorwurf erheblichen Verschuldens aus, wenn er es unterlassen hat, unter Benutzung aller Erkenntnisquellen die Frage der Notwendigkeit der Operation zu klären (hier: fehlerhafte Versteifungs-Operation bei Bechterewscher Krankheit).

2. Über die Voraussetzungen für die Einholung eines ärztlichen Obergutachtens.

3. Der Schadenersatz für Folgen einer medizinisch nicht indizierten Operation umfaßt grundsätzlich auch die Aufwendungen, die dem Geschädigten nach der Aussteuerung in der gesetzlichen Krankenversicherung für die freiwillige Weiterversicherung erwachsen.

4. Zur Schätzung des Verdienstausfallschadens nach § 287 ZPO auf Grund von Arbeitgeberauskünften.

 

Verfahrensgang

OLG Zweibrücken (Entscheidung vom 18.11.1968)

 

Tenor

  • I.

    Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des 2. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Zweibrücken vom 18. November 1968 wird zurückgewiesen.

  • II.

    Auf die Anschlußrevision des Klägers wird das vorbezeichnete Urteil aufgehoben, soweit es den Anspruch auf Verdienstausfall und den Anspruch auf Zahlung von 1.305 DM nebst Zinsen betrifft.

    Die weitergehende Anschlußrevision wird zurückgewiesen.

  • III.

    Soweit das Urteil aufgehoben worden ist, wird die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen, das auch über die Kosten des Revisionsrechtszuges zu entscheiden hat.

 

Tatbestand

Der Beklagte ist ärztlicher Direktor einer von einem Sozialversicherungsträger betriebenen Spezialklinik für Knochentuberkulose. In diese Klinik wurde am 5. April 1960 der damals 17-jährige Kläger auf Veranlassung der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte durch den bisher behandelnden Arzt wegen Verdachts einer tuberkulösen Entzündung des rechten Hüftgelenks eingewiesen. Der Kläger, damals als kaufmännischer Lehrling tätig, litt seit 1958 an Beschwerden im Bereich des rechten Hüftgelenks, deren Ursache in ambulanter und stationärer Behandlung nicht hatte geklärt werden können.

Auf Grund der in der vom Beklagten geleiteten Klinik erhobenen Befunde nahm dieser als Ursache der Entzündung eine Knochentuberkulose an und operierte am 26. April 1960 den Kläger am rechten Hüftgelenk. Zwischen den Parteien besteht Streit darüber, ob der Kläger oder dessen Eltern in diese Operation eingewilligt haben und ob der Beklagte den Kläger oder die Eltern über die möglichen Folgen der Operation aufgeklärt oder hat aufklären lassen. Bei der Operation entfernte der Beklagte den Hüftgelenkskopf, der atrophisches Knochengewebe aufwies und von entzündlichen Herden durchsetzt war. Die Hüftgelenkspfanne wurde ebenfalls von entzündlichen Geweben befreit und der große Rollhügel in das Bett der Pfanne eingestellt. Der Beklagte ließ das bei der Operation entnommene Gewebe von dem Pathologischen Institut der Universität H. mikroskopisch untersuchen. Nach dem Befundbericht handelte es sich um eine unspezifische Osteomyelitis mit Destruktion des Gelenkknorpels. Spezifisch tuberkulöse Veränderungen waren in den Gewebestreifen nicht nachweisbar. Der Beklagte nahm am 31. August 1960 eine Adduktorentenotomie wegen einer geringen Fehlstellung des rechten Beines vor. Am 21. September 1960 verließ der Kläger die Spezialklinik und ging in die Behandlung seines Hausartztes. Seit den Operationen ist sein rechtes Hüftgelenk steif und das rechte Bein um 3 cm verkürzt.

Die Stellung des rechten Oberschenkels erwies sich später als nicht zufriedenstellend. Der Kläger begab sich deshalb im April 1961 in die Orthopädische Klinik der Universität M.. Dort nahm Prof. Dr. L. im Juni 1961 eine Korrekturoperation vor, wobei er die Beuge- und Adduktionsstellung des rechten Oberschenkels veränderte. Der Kläger lag bis Anfang September 1961 im Beckenboingips. Bei einer Erneuerung des Gipsverbandes Ende Juli 1961 hatte sich ergeben, daß auch die linke, nichtoperierte Hüfte steif war. Von Oktober bis November 1961 wurde dem Kläger eine Gipshose angelegt, weil eine Lockerung der operierten Stelle zu befürchten war. Nach einer Mandeloperation war die stationäre Behandlung am 23. Dezember 1961 beendet.

Der Kläger kann sich jetzt nur mit zwei Krücken fortbewegen. Auch das linke, nicht operierte Hüftgelenk ist völlig steif; außerdem besteht eine weitgehende Bewegungseinschränkung der Wirbelsäule. Der Kläger leidet, wie inzwischen nicht mehr streitig ist, an der Stümpell-Bechterew'schen Erkrankung, für die eine Einsteifung der Gelenke und der Wirbelsäule symptomatisch ist. Eine berufliche Tätigkeit konnte er seit Februar 1960 nicht mehr ausüben.

Der Kläger ist der Ansicht, der Beklagte sei für die Folgen der medizinisch nicht erforderlich gewesenen Operation vom 26. April 1960 verantwortlich und hafte nach § 823 BGB für den ihm entstandenen materiellen und immateriellen Schaden. Der Kläger hat u.a. behauptet, der Beklagte habe durch die von ihm operativ vorgenommene Versteifung des rechten Hüftgelenks den Endzustand der Krankheit an diesem Gelenk vorzeitig herbeigeführt; dieser Zustand würde ohne die Operation niemals, zumindest aber erst viel später eingetreten sein. Die Operation vom 26. April 1960 und die durch diese veranlaßte Korrekturoperation vom Juni 1961 hätten außerdem den Versteifungsprozeß am linken Hüftgelenk und an der Wirbelsäule beschleunigt. Der Beklagte hätte statt der Operation Bewegungsübungen verordnen und eine medikamentöse Behandlung vornehmen müssen.

Der Kläger hat im ersten Rechtszug Zahlung von 6.014,13 DM (entgangener Verdienst, Fahrtkosten seiner Eltern, Zusatzkost, orthopädisches Schuhwerk) und eines angemessenen Schmerzensgeldes beantragt sowie die Feststellung begehrt, daß der Beklagte verpflichtet sei, ihm den aus der Operation vom 26. April 1960 weiterhin entstandenen und noch entstehenden Schaden zu ersetzen.

Der Beklagte hat jegliches Verschulden bei der Operation in Abrede gestellt.

Das Landgericht hat den Beklagten verurteilt, an den Kläger ein Schmerzensgeld von 3.000 DM, ferner 35,98 DM nebst Zinsen als Ersatz der für orthopädisches Schuhwerk aufgewendeten Kosten zu zahlen und außerdem die Ersatzverpflichtung des Beklagten für den Zukunftsschaden festgestellt, der dem Kläger durch die infolge der Operation eingetretene Verkürzung des rechten Beines um 3 cm entstehen wird; im übrigen hat es die Klage abgewiesen.

Gegen dieses Urteil haben beide Parteien Berufung eingelegt. Das Oberlandesgericht hat den Beklagten verurteilt, dem Kläger 20.761,83 DM - darin enthalten 12.000 DM Schmerzensgeld - nebst Zinsen zu zahlen, und festgestellt, daß der Beklagte verpflichtet ist, allen Schaden zu ersetzen, der dem Kläger künftig infolge der Operation vom 26. April 1960 noch entstehen wird, soweit Schadenersatzansprüche nicht auf einen Sozialversicherungsträger übergehen. Es hat das Rechtsmittel des Beklagten und die weitergehende Berufung des Klägers zurückgewiesen, mit der dieser außerdem die Verurteilung des Beklagten zur Zahlung von 1.305,00 DM für in der Zeit vom 1. Februar 1961 bis 31. Oktober 1965 gemachte Aufwendungen zur freiwilligen Weiterversicherung in der Krankenversicherung und zur Zahlung eines angemessenen Betrages für Verdienstausfall für die Zeit vom 20. April 1960 bis 31. Januar 1966, mindestens 20.000 DM, beantragt hatte.

Gegen dieses Urteil hat der Beklagte Revision eingelegt, mit der er weiterhin Abweisung der Klage in vollem Umfang erstrebt. Der Kläger bittet um Zurückweisung der Revision; er hat Anschlußrevision eingelegt, mit der er beantragt,

das Berufungsurteil aufzuheben, soweit seine Berufung zurückgewiesen und ihm ein über 12.000 DM hinausgehendes Schmerzensgeld versagt worden ist.

 

Entscheidungsgründe

I.

Die von dem Landgericht und dem Berufungsgericht verneinten Fragen, ob der Kläger oder seine Eltern die Einwilligung zu der Operation vom 26. April 1960 erteilt haben und ob der Beklagte seiner ärztlichen Aufklärungspflicht genügt hat, können dahingestellt bleiben, weil es hierauf angesichts der von dem Berufungsgericht - wie noch auszuführen sein wird - getroffenen sonstigen Feststellungen und der fehlerfrei bejahten Haftung des Beklagten wegen unrichtiger Diagnose nicht mehr ankommt. Es erübrigt sich daher, auf die insoweit von der Revision erhobenen Rüge einzugehen.

II.

1.

Das Berufungsgericht ist der Ansicht, daß den Beklagten ein erhebliches Verschulden treffe, weil er vor Beginn der Operation nicht unter Benutzung aller Erkenntnisquellen die Frage geklärt habe, ob der mit schweren Dauerfolgen verbundene Eingriff überhaupt geboten war. Das Berufungsgericht hat festgestellt, daß die Operation vom 26. April 1960 den damals und heute anerkannten Regeln der ärztlichen Wissenschaft widersprach und ärztlich nicht indiziert war, weil bei dem Kläger weder eine Knochentuberkulose noch eine Knochenmarkentzündung vorlag, sondern der Kläger an der Bechterew'schen Krankheit, begleitet von einer schmerzhaften Hüftgelenksentzündung, litt, zu deren Beseitigung es nicht der von dem Beklagten vorgenommenen Versteifungs-Operation bedurfte. Nach Feststellungen des Berufungsgerichts hätten die vorhandenen Beschwerden und Schmerzen des Klägers durch eine intensive Behandlung mit anti-rheumatischen und sonstigen Medikamenten, durch Krankengymnastik, durch Balneotherapie und durch eine rechtzeitige Fokussuche und -behandlung (Mandeloperation) gelindert oder sogar beseitigt werden können. Die richtige Therapie hätte nach der Überzeugung des Berufungsgerichts nicht nur zu einem raschen Abklingen des entzündlichen Vorgangs und des Schmerzzustandes geführt, sondern dem Kläger eine gewisse Beweglichkeit in der rechten Hüfte und die Möglichkeit einer Gelenkplastik an dieser erhalten. Die nach den heutigen Stand der Wissenschaft mögliche Gelenkplastik ist nach der Überzeugung des Berufungsgerichts dadurch unmöglich gemacht worden, daß der Beklagte die nicht notwendige Versteifungsoperation ausgeführt hat, als deren Folge auch die vorzeitige Einsteifung beider Hüftgelenke anzusehen ist; die rechte Hüfte würde infolge des schicksalmäßigen Verlaufs der Krankheit des Klägers erst ein oder zwei Jahre später knöchern eingesteift worden sein, wohingegen die Versteifung der linken Hüfte und die Bewegungseinschränkung der Wirbelsäule erst nach Jahren, möglicherweise nicht vor Ablauf von zehn Jahren eingetreten wären.

2.

Die von der Revision gegen diese Feststellungen und diese Beurteilung erhobenen Rügen greifen nicht durch.

a)

Das Berufungsgericht ist dem von ihn eingeholten Gutachten des Sachverständigen Professor Dr. K. gefolgt, der Wissenschaftlicher Rat an der Orthopädischen Klinik und Poliklinik der Universität Mü. ist. Dieses Gutachten war den Prozeßbevollmächtigten der Parteien am 30. Mai 1968 zugeleitet worden. Der Beklagte hat im Schriftsatz vom 30. Oktober 1968 Prof. Dr. K. wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Das Berufungsgericht hat jedoch durch Beschluß vom 6. November 1968 diese Ablehnung für unzulässig erklärt, weil das Ablehnungsgesuch erst fünf Monate nach Kenntnis des Sachverständigengutachtens angebracht und nicht behauptet worden sei, daß der Ablehnungsgrund nicht früher geltend gemacht werden konnte (§ 406 Abs. 2 Satz 2 ZPO).

Die Revision greift diese Entscheidung des Berufungsgerichts ohne Erfolg an. Sie übersieht, daß dieser Beschluß vom Revisionsgericht nicht nachgeprüft worden kann; seiner Beurteilung unterliegen zwar auch Entscheidungen, die dem Endurteil vorausgegangen sind, jedoch nur insoweit, als sie nicht unanfechtbar sind (§ 548 ZPO). Nach § 406 Abs. 5 ZPO ist zwar gegen den Beschluß, durch den ein Ablehnungsgesuch für unbegründet erklärt worden ist, an sich sofortige Beschwerde statthaft. Da es sich jedoch um den Beschluß eines Oberlandesgerichts handelt, war dieser gemäß § 567 Abs. 3 Satz 1 ZPOunanfechtbar (BGH-Urteile vom 4. Dezember 1958 - III ZR 169/57 - LM ZPO § 404 Nr. 3; vom 8. Januar 1964 - VIII ZR 123/62 - LM ZPO § 46 Nr. 1).

b)

Die Revision beanstandet, daß das Berufungsgericht die Einholung eines Obergutachtens zu dem Gutachten des Sachverständigen Professor Dr. med. K. abgelehnt hat. Dabei übersieht die Revision, daß dieses Gutachten bereits ein Obergutachten gegenüber den im ersten Rechtszug erstatteten Gutachten war. Es steht im Ermessen des Tatrichters, ob er die Einholung eines Obergutachtens für erforderlich halt. Die Partei hat hierauf grundsätzlich keinen Anspruch; eine Ausnahme gilt nur dann, wenn wegen ungewöhnlicher Schwierigkeiten der Beweisfrage und wegen grober Mängel ihrer Begutachtung eine Verfahrensrechtliche Pflicht zur Einholung eines Obergutachtens besteht (Urteil des erkennenden Senats vom 11. Juni 1968 - VI ZR 119/67 -, VersR 1968, 900, 901 mit Hinweisen auf die frühere Rechtsprechung). Das Berufungsgericht hat sich mit dem Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. K., das dieser in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht noch erläutert hat, eingehend auseinandergesetzt und die Überzeugung gewonnen, daß der Sachverständige auf Grund seiner speziellen Kenntnisse und seiner außergewöhnlich reichen Erfahrung auf dem Gebiet der Bechterew'schen Krankheit in besonderem Maße qualifiziert sei, die entscheidende Frage zu klären. In Würdigung dieses Gutachtens ist das Berufungsgericht zu dem Ergebnis gelangt, daß entgegen der Auffassung des Beklagten ein Widerspruch zu dem ebenfalls von dem Berufungsgericht eingeholten pathologischen Gutachten des Prof. Dr. med. W. nicht besteht.

Das Berufungsgericht hat mithin seine Erwägungen, weshalb gegenüber dem Obergutachten des Prof. Dr. med. K. kein weiteres Obergutachten eingeholt zu werden brauchte, ohne ersichtlichen Rechtsirrtum dahingehend begründet, daß keiner der Ausnahmefälle vorliegt, in denen ein weiteres Gutachten einzuholen ist. Zwar ist die Beweisfrage schwierig; das Berufungsgericht ist jedoch auf Grund der allein ihm zukommenden tatrichterlichen Würdigung des Gutachtens des Prof. Dr. med. K. zu dem Ergebnis gelangt, daß keine Mängel in der Begutachtung vorliegen.

Soweit die Revision das Gutachten des Sachverständigen Dr. K. und die von dem Berufungsgericht hieraus gezogenen Folgerungen angreift, kann sie kein Gehör finden, weil die Beweiswürdigung grundsätzlich dem Tatrichter vorbehalten ist; insoweit sind irgendwelche Rechtsfehler nicht erkennbar.

3.

Zu Unrecht wendet sich die Revision gegen die Höhe des dem Kläger zugesprochenen Schmerzensgeldes von 12.000 DM. Die Bemessung des Schmerzensgeldes ist Aufgabe des Tatrichters; insoweit sind keine den Beklagten beschwerenden Ermessensfehler ersichtlich.

Das Berufungsgericht hat zwar bei seinen zur Höhe des Schmerzensgeldes angestellten Erwägungen das Verschulden des Beklagten berücksichtigt und hierbei erwähnt, der Beklagte habe bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt erkennen können, daß die für die Ausführung der Operation erforderliche Einwilligung der Eltern des Klägers nicht vorlag. Das nötigt indes nicht zu einer Prüfung der hinsichtlich der Einwilligung und Aufklärung erhobenen Rügen. Dieser Gesichtspunkt hat erkennbar bei der Bewertung des Verschuldens des Beklagten keine nennenswerte Rollo gespielt. Das Berufungsgericht hat vielmehr dem Beklagten entscheidend zur Last gelegt, daß er eine nicht erforderliche Operation vorgenommen hat, die zu schweren Dauerschäden geführt hat.

III.

Die Anschlußrevision des Klägers mußte teilweise Erfolg haben.

1.

Das Berufungsgericht hat den auf Zahlung von 1.305,00 DM gerichteten Anspruch wegen der von dem Kläger nach der Aussteuerung in der gesetzlichen Krankenversicherung für die freiwillige Weiterversicherung in der Krankenversicherung gemachten Aufwendungen für nicht bestehend erachtet, weil der Kläger nicht wegen der von dem Beklagten vorgenommenen Operation und deren Folgen ausgesteuert worden sei, sondern mit Rücksicht auf die lange Dauer seiner Krankheit.

Zu Recht erhebt die Anschlußrevision gegen diese Auffassung Bedenken. Die Ausführungen des Berufungsgerichts stehen in Widerspruch zu den Feststellungen, die es für den Fall getroffen hat, daß der Beklagte die Operation nicht vorgenommen hätte und die Möglichkeit für eine Gelenkplastik im rechten Hüftgelenk bestehen geblieben wäre. Das Berufungsgericht hat festgestellt, daß ohne die Operation zwar die Versteifung der rechten Hüfte infolge des schicksalmäßigen Verlaufs der Bechterew'schen Krankheit nur ein bis zwei Jahre aufgeschoben, die linke Hüfte aber erst nach Jahren, möglicherweise nicht vor Ablauf von zehn Jahren, steif geworden wäre. Damit hat das Berufungsgericht gerade selbst festgestellt, daß die Operation vom 26. April 1960 auch ursächlich gewesen ist für die seitdem bestehende dauernde Arbeitsunfähigkeit des Klägers, die sonst gar nicht oder erst bedeutend später eingetreten wäre. Da die Tatsache der Arbeitsunfähigkeit, d.h. die Nichtausübung einer Versicherungspflichtigen Tätigkeit, zu einen Verlust der Ansprüche aus der gesetzlichen Krankenversicherung führt, erweisen sich die Überlegungen des Berufungsgerichts, mit denen es insoweit zur Zurückweisung der Berufung gelangt ist, als unzutreffend.

Das Berufungsgericht wird das in der Berufungsbegründungsschrift unter Beweis gestellte Vorbringen des Klägers über seine Aufwendungen für die freiwillige Weiterversicherung für die Zeit vom 1. Februar 1961 bis 31. Oktober 1965 dementsprechend zu prüfen haben.

2.

Der Kläger hat eine angemessene Entschädigung für den in der Zeit vom 20. April 1960 bis 31. Januar 1966 erlittenen Verdienstausfall, mindestens 20.000,- DM, verlangt. Er hat keinen bezifferten Antrag gestellt, sondern die Höhe des ihm zu ersetzenden Verdienstausfalls dem Ermessen des Gerichts überlassen, weil, wie er erklärt hat, es von der Beurteilung eines Sachverständigen abhängen könne, ob seine Erwerbsbeschränkung nicht teilweise auch ohne die von dem Beklagten vorgenommene Operation eingetreten wäre.

a)

Das Berufungsgericht hat ihm einen solchen Anspruch völlig versagt, weil er den behaupteten Verdienstausfall jedenfalls bis zur letzten mündlichen Verhandlung nicht substantiiert habe, obwohl der Beklagte dies bereits in der Berufungserwiderung gerügt habe. Das Berufungsgericht hat es dahinstehen lassen, ob der in der letzten mündlichen Verhandlung übergebene Schriftsatz des Klägers vom 6. November 1968 eine ausreichende Substantiierung enthält; es ist der Ansicht, daß dieses Vorbringen als verspätet habe zurückgewiesen werden müssen, weil seine Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits verzögern würde und der Kläger grob nachlässig gehandelt habe.

b)

Diese Ausführungen werden von der Revision zu Recht angegriffen.

Das Berufungsgericht hat übersehen, daß der Kläger bereits im Armenrechtsprüfungsverfahren eine Bescheinigung seines Arbeitgebers vom 13. Juni 1961 vorgelegt hatte über die Höhe des Verdienstes, den er bei Arbeitsfähigkeit in der Zeit von April 1960 an hätte erzielen können. Der Kläger hat diese Bescheinigung später zum Gegenstand des Klagevorbringens gemacht und in der Klageschrift hierauf Bezug genommen; diesen Beweisantritt hat er sodann in der Berufungsbegründungsschrift als Antrag auf Einholung einer "Auskunft" des Arbeitgebers wiederholt. Zumindest hätte dieses Beweisanerbieten, dessen Zulässigkeit der Beklagte in der Berufungsbeantwortung nicht beanstandet hat, die Grundlage für eine von dem Berufungsgericht gemäß § 287 ZPO vorzunehmende Schätzung sein können, zumal es nahe lag, daß dem Kläger ein irgendwie gearteter Verdienstausfallschaden entstünden sein konnte. Wenn dem Berufungsgericht die von dem Kläger in der Berufungsbegründungsschrift vom 14. Februar 1966 gemachten und unter Beweis gestellten Behauptungen über den Umfang des entgangenen Verdienstes nicht ausreichten, so hätte es im Verlauf des sich dann noch fast zweieinhalb Jahre hinziehenden Rechtsstreits Gelegenheit nehmen müssen, ihm eine entsprechende Auflage zu machen, zumal er in der Berufungsbegründungsschrift sich eine Ergänzung seines Vorbringens "zum Stichtag der letzten mündlichen Verhandlung" vorbehalten hatte (§ 139 ZPO).

Im Hinblick darauf, daß der Kläger nach den von dem Berufungsgericht getroffenen Feststellungen durch den schicksalsmäßigen Verlauf seiner Krankheit zu einem späteren Zeitpunkt zumindest teilweise in seiner Erwerbsfähigkeit beeinträchtigt worden wäre, hängt die Frage, inwieweit der ihm durch entgangenen Vordienst entstandene Schaden durch den Beklagten verschuldet worden ist, weitgehend von einer richterlichen Schätzung nach § 287 ZPO ab. Diese wird das Berufungsgericht nachzuholen haben, wobei freilich berücksichtigt worden muß, daß der Kläger auch ohne die Operation und bei Anwendung der nach den Feststellungen des Berufungsgerichts zweckmäßigen Therapie längere Zeit nicht hätte beruflich tätig sein können.

3.

Das Berufungsgericht hat dem Kläger ein Schmerzensgeld von 12.000 DM zuerkannt. Die Bemessung des Schmerzensgeldes unterliegt dem Ermessen des Tatrichters und kann vom Revisionsgericht nur auf Ermessensfehler nachgeprüft werden.

Die Ausführungen des Berufungsgerichts zur Höhe des Schmerzensgeldes mögen - das ist der Anschlußrevision zuzugeben - auf den ersten Blick mißverständlich und widerspruchsvoll erscheinen. Indes ergibt die Gesamtheit der Urteilsgründe, daß das Berufungsgericht alle für die Ausübung seines Ermessens beachtlichen Umstände berücksichtigt hat.

Das Berufungsgericht hat erkennbar nicht nur die vorzeitige Versteifung der Hüftgelenke, die, schicksalsmäßig bedingt, zu einem späteren Zeitpunkt ohnedies eingetreten wäre, sondern auch die Tatsache in seine Erwägungen einbezogen, daß durch das Verschulden des Beklagten eine nach dem heutigen Stand der Wissenschaft mögliche Gelenkplastik unmöglich gemacht worden ist (BU S. 26/27), die ihrerseits eine gewisse Beweglichkeit der Hüftgelenke ermöglicht hätte. Das Berufungsgericht hat also den eingetretenen Dauerschaden durchaus gesehen, so daß insoweit die Angriffe der Anschlußrevision fehlgehen.

Da sich Rechtsfehler bei der Ausübung des tatrichterlichen Ermessens hinsichtlich der Höhe des Schmerzensgeldes nicht feststellen lassen, so erweist sich die Anschlußrevision, soweit sie sich gegen die Bemessung des Schmerzensgeldes richtet, als unbegründet und mußte der Zurückweisung unterliegen.

4.

Soweit das Berufungsgericht den Anspruch des Klägers auf Verdienstausfall und auf Zahlung von 1.305 DM nebst Zinsen abgewiesen hat, war das angefochtene Urteil auf die Anschlußrevision hin aufzuheben und die Sache in diesem Umfang an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, dem auch die Entscheidung über die Kosten des Revisionsrechtszuges zu übertragen war.

 

Fundstellen

Haufe-Index 3018655

VersR 1970, 256-258 (Volltext mit amtl. LS)

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