Tatbestand

Der Kläger wurde als Fahrer seines Personenkraftwagens am 11. März 1982 bei einem von dem Versicherungsnehmer F. der beklagten Haftpflichtversicherung verschuldeten Frontalzusammenstoß erheblich verletzt. Die volle Einstandspflicht der Beklagten für die Unfallfolgen ist außer Streit. Vorprozessual hat die Beklagte u.a. ein Schmerzensgeld in Höhe von 10.000 DM an den Kläger gezahlt.

Mit seiner Klage verlangt der Kläger die Zahlung eines weiteren Schmerzensgeldes in Höhe von 75.000 DM. Er behauptet, er habe bei dem Unfall neben Verletzungen u.a. der Wirbelsäule, des Thorax und der Füße vor allem ein Halswirbelsäulen-Schleudertrauma und eine hirnorganische Schädigung erlitten. Das habe zu einem posttraumatischen Psycho-Syndrom geführt, das sich u.a. in Depressionen, Sehstörungen, Schlafstörungen, Angstzuständen, ständigen Kopf- und Schulterschmerzen sowie einer schweren Gehbehinderung ausdrücke.

Die Beklagte bestreitet die Unfallursächlichkeit der andauernden Beschwerden des Klägers.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen.

Das Oberlandesgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit seiner Revision verfolgt dieser seinen Klageanspruch weiter.

 

Entscheidungsgründe

I. Das sachverständig beratene Berufungsgericht hat sich nicht davon zu überzeugen vermocht, daß über die vorwiegend auf orthopädischem Gebiet liegenden, im wesentlichen folgenlos verheilten Unfallverletzungen hinaus die vom Kläger behaupteten Beschwerden auf den Verkehrsunfall zurückzuführen sind. Eine "alleinige Kausalität" des Unfalls für den psychischen Gesundheitszustand des Klägers, so führt das Berufungsgericht aus, sei auch nicht unter den erleichternden Grundsätzen des § 287 ZPO festzustellen. Für eine am 11. März 1982 erlittene hirnorganische Schädigung gebe es aus ärztlicher Sicht keine Anhaltspunkte. Die beim Kläger jetzt festzustellende leichte hirnorganische Beeinträchtigung und die abnorme depressive Entwicklung könnten durch eine Reihe anderer Ursachen wie vorzeitige Alterung und beginnende cerebrale Gefäßprozesse bedingt sein. Der Versuch, durch die Anhörung der zu unterschiedlichen Ergebnissen gelangten gerichtlichen Sachverständigen Prof. M. , der die Unfallursächlichkeit der Beschwerden des Klägers als sehr wahrscheinlich angesehen hat, und Prof. D., der den gegenteiligen Standpunkt vertreten hat, den Sachverhalt aufzuklären, habe zu keinem Ergebnis geführt. Das gehe zu Lasten des Klägers, weil keiner der Sachverständigen über überlegene Forschungsmittel verfüge.

II. Das angefochtene Urteil hält den Verfahrensrügen der Revision nicht stand. Das Berufungsgericht hat nicht, wozu es nach dem Sachvortrag des Klägers und den Ausführungen des Sachverständigen verpflichtet gewesen wäre (§ 287 ZPO), geprüft, ob die Leiden des Klägers ganz oder teilweise auf einer durch die Unfallverletzungen hervorgerufenen psychischen Gesundheitsbeeinträchtigung beruhen, für deren Folgen die Beklagten unter bestimmten Voraussetzungen einzustehen hätten.

1. Auch psychisch bedingte Gesundheitsschäden fallen, wenn sie Folge der Verletzungshandlung des Schädigers sind, unter die Ersatzpflicht der §§ 823 Abs. 1, 847 BGB. Das ist im Grundsatz rechtlich nicht umstritten, und davon geht ersichtlich auch das Berufungsgericht aus. Eine Grenze findet der Ersatzanspruch in diesen Fällen nach der Rechtsprechung des erkennenden Senates nur dort, wo sich in dem Versagenszustand letztlich nur das allgemeine Lebensrisiko des Verletzten aktualisiert hat; es fehlt dann am Rechtswidrigkeitszusammenhang zwischen der Verletzungshandlung und der Neurose mit ihren Folgen (vgl. dazu zuletzt Senatsurteil vom 12. November 1985 - VI ZR 103/84 - VersR 1986, 240 - NJW 1986, 777 ff. m.w.N.). Mangels tatsächlicher Feststellungen dazu ist für die Revisionsinstanz davon auszugehen, daß keine unangemessene, den Ersatzanspruch ausschließende Erlebnisverarbeitung beim Kläger vorliegt.

2. Das Berufungsgericht verneint eine "alleinige Kausalität" des Unfalls für den psychischen Gesundheitszustand des Klägers. Sollte sich dahinter die Ansicht verbergen, der Ersatzanspruch des Klägers sei schon dann ausgeschlossen, wenn neben dem Unfallereignis weitere Umstände für den eingetretenen Schaden ursächlich geworden sein können, könnte dem aus Rechtsgründen nicht gefolgt werden. Es genügt, wenn die Verletzungshandlung für den Schaden mitursächlich war.

3. Jedenfalls kann das angefochtene Urteil deswegen keinen Bestand haben, weil es an der erforderlichen Auseinandersetzung mit der Frage, ob die Unfallverletzungen zu einem psychischen Schaden geführt haben, fehlt.

a) Schon in dem psychiatrischen Sachverständigengutachten von Prof. M., das eine Hirnschädigung im Zusammenhang mit dem erlittenen Halswirbelsäulen-Schleudertrauma für sehr wahrscheinlich hält, ist deutlich auf die mögliche psychische Beeinträchtigung des Klägers durch den Unfall und dessen Folgen, die zu dem jetzigen Beschwerdebild beigetragen haben sollen, hingewiesen worden. Das von Prof. D. verfaßte und von Prof. N. mitverantwortete schriftliche neurologische Sachverständigengutachten kommt zwar hinsichtlich einer hirnorganischen Schädigung zu dem gegenteiligen Ergebnis. Am Schluß dieses Gutachtens heißt es indessen wörtlich:

"Darüberhinaus ist es bei Herrn M. (Kläger) zu einer abnormen Entwicklung mit einer Vielzahl therapieresistenter Beschwerden gekommen, wobei Herr M. vor dem Unfall, folgt man den Aussagen von Herrn Dr. L. vom 5.7.1982, eine vitale lebensfrohe, aktive lustige und zu Scherzen aufgelegte Persönlichkeit gewesen sein soll und als auslösende Ursache für diese abnorme Entwicklung der Unfall vom 11.3.1982 angesehen werden kann, eine entsprechende Persönlichkeitsdisposition jedoch vorauszusetzen ist."

Für die Revisionsinstanz ist mangels entgegenstehender Feststellungen im Berufungsurteil davon auszugehen, daß die von dem Sachverständigen Prof. D. unterstellten Tatsachen zum Persönlichkeitsbild des Klägers vor dem Unfall zutreffen. An anderer Stelle seines Gutachtens hat Prof. D. ferner die Ansicht geäußert, die Beschwerden des Klägers sprächen angesichts der Krankheitsgeschichte eher für das Vorliegen einer neurotischen Entwicklung, als daß sie auf die festgestellte leichte hirnorganische Schädigung zurückzuführen seien. Prof. D. hat mithin zwar einen Kausalzusammenhang nicht hirnorganisch erklären und durch die von ihm erhobenen neurologischen Befunde nicht objektivieren können. Indes ist, wie gesagt, die Abhängigkeit der psychischen Ausfälle von einer auf den Unfall zurückzuführenden organischen Veränderung der Befindlichkeit nicht Voraussetzung für ihre Qualifizierung als Haftungsfolge; es genügt die hinreichende Gewißheit, daß die Depressionen des Kläger ohne den Unfall nicht aufgetreten wären. Unter den von ihm genannten Voraussetzungen hat somit auch Prof. D. in diesem Sinn einen Kausalzusammenhang zwischen dem Unfallereignis und den derzeitigen Beschwerden des Klägers weitgehend bejaht, mindestens aber für wahrscheinlich gehalten.

b) Damit ist, wie die Revision mit Recht rügt, die Feststellung des Berufungsgerichts nicht vereinbar, die depressive Entwicklung bei dem Kläger könne auch Folge der unfallunabhängigen hirnorganischen Schädigung sein. Jedenfalls hätte es einer näheren Auseinandersetzung mit den Ansichten der Gutachter zur psychischen Seite bedurft, insbesondere auch im Hinblick auf den zeitlichen Zusammenhang zwischen Unfallverletzungen und der Veränderung der Persönlichkeitsstruktur des Klägers.

4. Das angefochtene Urteil beruht auf dem dargelegten Verfahrensfehler. Es ist nicht auszuschließen, daß das Berufungsgericht bei seiner erneuten Entscheidungsfindung, zweckmäßigerweise noch weiterer Aufklärung des Sachverhaltes zur Frage der psychischen Beeinträchtigung des Klägers durch den erlittenen Unfall, zu dem Ergebnis kommen kann, daß die jetzigen Beschwerden des Klägers ganz oder teilweise eine der Beklagten zurechenbare Folge der am 11. März 1982 bei dem Frontalzusammenstoß erlittenen Verletzungen sind.

 

Fundstellen

Haufe-Index 3018882

NJW 1991, 747

NJW 1991, 747-748 (Volltext mit amtl. LS)

DAR 1991, 143-144 (Volltext mit amtl. LS)

MDR 1991, 325 (Volltext mit amtl. LS)

NZV 1991, 23 (Volltext mit amtl. LS)

VersR 1991, 432-433 (Volltext mit amtl. LS)

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