Verfahrensgang

LG Ingolstadt

 

Gründe

Die Jugendkammer hat den Angeklagten wegen Diebstahls in Tateinheit mit Körperverletzung sowie wegen erpresserischen Menschenraubs in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten verurteilt.

Seine auf die nicht näher ausgeführte Sachrüge und eine den Strafausspruch betreffende Verfahrensrüge gestutzte Revision bleibt erfolglos.

Rechtsfehler zum Schuldspruch sind nicht ersichtlich. Lediglich der Strafausspruch bedarf der Erörterung.

Die Jugendkammer hat auf den zur Zeit der Taten 20 Jahre und sieben Monate sowie 20 Jahre und acht Monate alten Angeklagten allgemeines Strafrecht angewendet.

Der Angeklagte sei weder einem Jugendlichen gleichzusetzen (§ 105 Abs. 2 Nr. 1 JGG), noch seien seine Taten Jugendverfehlungen (§ 105 Abs. 2 Nr. 2 JGG). Keine dieser Annahmen ist sachlich-rechtlich zu beanstanden. Auch die gegen die Ablehnung von § 105 Abs. 2 Nr. 1 JGG gerichtete Verfahrensrüge versagt.

I. 1. Ein Heranwachsender ist einem Jugendlichen gleichzustellen, wenn in ihm noch in größerem Umfang Entwicklungskräfte wirken. Der Tatrichter, der sich einen persönlichen Eindruck vom Angeklagten verschaffen kann, hat dabei einen erheblichen Beurteilungsspielraum (BGHSt 36, 37, 38 m.w.Nachw.).

a) Die Jugendkammer hat hier die Persönlichkeit des Angeklagten unter Berücksichtigung seines Lebenslaufs gewürdigt und dabei auch die Feststellungen einbezogen, die durch die Anhörung eines Sachverständigen angefallen sind, der die uneingeschränkte Schuldfähigkeit des Angeklagten bejaht hat. Bei dieser Würdigung hat sie einen zutreffenden Maßstab angelegt.

b) Das Revisionsvorbringen zeigt weder auf, daß die Würdigung der Jugendkammer auf lückenhaften Grundlagen beruhte, noch daß sie unvollständig oder sonst rechtlich zu beanstanden wäre.

aa) Es ist kein sachlich-rechtlicher Mangel, daß die Auffassung der Jugendgerichtshilfe zum Reifegrad des Angeklagten nicht ausdrücklich mitgeteilt ist. Allein die Nichterwähnung eines erhobenen Beweises belegt nicht, daß das Ergebnis dieser Beweiserhebung nicht in die Überzeugungsbildung eingeflossen sei (st. Rspr., vgl. die Nachw. bei Hürxthal in KK 3. Aufl. § 261 Rdn. 20). Dies gilt hier entsprechend.

bb) Daß der Angeklagte als Türke mit zwei Jahren in die Bundesrepublik kam, ist jedenfalls nicht so gewichtig, als daß es unter Berücksichtigung aller Umstände ausdrücklich zu erörtern gewesen wäre.

cc) Im übrigen erschöpft sich das Revisionsvorbringen weitgehend in dem Versuch, die Feststellungen der Jugendkammer und die von ihr hieraus gezogenen Schlußfolgerungen durch eigene zu ersetzen. Dies ist im Revisionsverfahren unbeachtlich.

2. Da nach alledem Zweifel an einer normalen Reifeentwicklung des Angeklagten, insbesondere wegen Auffälligkeiten in seiner sittlichen und geistigen Entwicklung (vgl. BGH NStZ 1984, 467 Nr. 24), nicht ersichtlich sind, durfte die Jugendkammer auch den nicht näher begründeten Hilfsbeweisantrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens zum Reifegrad des Angeklagten in den Urteilsgründen wegen eigener Sachkunde (§ 244 Abs. 4 Satz 1 StPO) ablehnen (BGH aaO. Nr. 25; vergleichbar auch Beschluß vom 15. Oktober 1996 - 1 StR 591/96).

3. Zugleich macht die Revision geltend, mit der Ablehnung des Hilfsbeweisantrags habe die Jugendkammer auch ihre Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO; vgl. auch § 43 Abs. 2 Satz 2 JGG) verletzt. Jedenfalls wegen des Inhalts des Gutachtens zur Schuldfähigkeit des Angeklagten in Verbindung mit dem Inhalt des Jugendgerichtshilfeberichts hätte sie das beantragte Gutachten erheben müssen.

Das Vorbringen hierzu genügt jedoch nicht den Anforderungen von § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO.

a) Teilweise trifft der Vortrag von Auszügen aus dem Gutachten und dem Bericht der Jugendgerichtshilfe - ohne daß hinsichtlich der Zuordnung deutlich getrennt wird - nicht zu. So ist etwa die Behauptung, der Sachverständige habe dem Angeklagten Reifeverzögerungen attestiert, dem Gutachten weder ausdrücklich noch sinngemäß zu entnehmen.

b) Im übrigen werden die gerade gegen eine solche Reifeverzögerung sprechenden Bewertungen des Gutachtens nicht mitgeteilt, etwa daß der Angeklagte, bei dein nach dem Urteil eine "extreme Simulationstendenz" vorliegt, "ausreichend intelligent ist,... um zu versuchen die Untersucher über Vortäuschung und Übertreibung in seinem Sinne zu beeinflussen".

Solch unvollständiger Vortrag ist ebenfalls unzulässig, da er dazu führt, daß sich die Revision nicht mit Umständen auseinandersetzen muß, die gegen ihr Vorbringen sprechen (BGHSt 40, 218, 240).

II. Es liegen auch keine Jugendverfehlungen vor.

1. Entscheidend hierfür ist, ob unabhängig vom generellen Reifegrad des Angeklagten die konkrete Tat auf jugendlichen Leichtsinn, Unüberlegtheit oder soziale Unreife zurückgeht (BGH NStZ 1987, 366 m.w.Nachw.).

2. Diesen Maßstab hat die Jugendkammer angelegt. Daß sie ihren auch bei dieser Prüfung bestehenden erheblichen Beurteilungsspielraum (BGH StV 1991, 424) überschritten hätte, ist nicht ersichtlich.

3. Ebensowenig hat die Jugendkammer wesentliche Umstände unbeachtet gelassen.

Die Revision macht demgegenüber geltend, der Angeklagte habe bei beiden Taten nur zusammen mit Freunden und darüber hinaus bei der zweiten Tat nur auf Anweisung seines älteren Bruders gehandelt.

Dies wird von den Urteilsfeststellungen nicht getragen.

a) Bei der ersten Tat - der Angeklagte forderte vom Geschädigten S. wider besseres Wissen "sein Geld zurück", schlug ihn und nahm ihm letztlich 100 DM ab - ging die Initiative allein vom Angeklagten und nicht vom mitanwesenden (erwachsenen) Mitangeklagten I. aus, der auch von dem weggenommenen Geld nicht profitierte.

Schon früher hatte der Angeklagte den Geschädigten S. allein aus einem Zug geholt, als sich dieser wegen ständiger unberechtigter Geldforderungen vom Angeklagten und dessen Bruder lösen wollte.

b) Bei der zweiten Tat hatten sich der Angeklagte, dessen Bruder und I. des Geschädigten S. auf offener Straße bemächtigt, ihn mehrfach zusammengeschlagen, ihm in einem Pkw die Geldbörse abgenommen und ihn grundlos einen Schuldschein über 20.000 DM wegen angeblicher Beschädigung von Mobiliar unterschreiben lassen.

Daß der Angeklagte dabei vor allem auf Anweisung seines Bruders gehandelt hätte, ist weder festgestellt noch liegt dies angesichts der übrigen Feststellungen nahe.

c) Auch der Versuch, Geldforderungen durch einen Schuldschein zu begründen, weist keine jugendtümlichen Züge auf. In gleiche Richtung deutet, daß der Angeklagte und sein Bruder schon früher einmal versuchten, eine Lebensversicherung des S. als Grundlage eines Kredits, der ihnen zufließen sollte, zu verwenden. Daß die entsprechenden Ideen etwa ausschließlich auf den - im Gegensatz zum Angeklagten (auch) wegen Intelligenzdefiziten nur eingeschränkt schuldfähigen - älteren Bruder zurückgegangen wären, ist weder ausdrücklich festgestellt noch sonst naheliegend.

III. Auch im übrigen ist der Strafausspruch rechtsfehlerfrei.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2993557

NStZ-RR 1999, 26

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