Entscheidungsstichwort (Thema)

Antrag auf Prozesskostenhilfe. Entschädigung in Geld. Gemeinsame Unterbringung in einer Haftzelle. Amtspflichtwidrige Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und der Menschenwürde. Mangelnde Erheblichkeit des Verstoßes

 

Leitsatz (amtlich)

Zur amtspflichtwidrigen Verletzung der Menschenwürde und des allgemeinen Persönlichkeitsrechts bei der gemeinsamen Unterbringung von Strafgefangenen in einem Haftraum.

 

Normenkette

BGB § 839; GG Art. 1, 2 Abs. 1, Art. 34; StVollzG § 201 Nr. 3 S. 1

 

Verfahrensgang

OLG Naumburg (Beschluss vom 14.07.2005; Aktenzeichen 4 W 15/05)

LG Halle (Saale) (Entscheidung vom 28.04.2005; Aktenzeichen 4 O 143/04)

 

Tenor

Die Rechtsbeschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des 4. Zivilsenats des OLG Naumburg vom 14.7.2005 wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller hat die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens zu tragen.

Wert des Beschwerdegegenstandes: 5.250 EUR

 

Gründe

[1]I.

Der Antragsteller verbüßt seit dem 2.7.2001 Strafhaft. Vom 17.12.2002 bis zum 29.1.2003 und vom 5.3.2003 bis zum 6.5.2003 war er zusammen mit einem anderen Gefangenen in einem Haftraum untergebracht. Das LG - Strafvollstreckungskammer - Halle stellte durch Beschlüsse vom 3.9.2003 (30 StVK 1085/02 und 30 StVK 244/03) fest, dass die zu den vorgenannten Zeiten erfolgte gemeinschaftliche Unterbringung des Antragstellers mit einem anderen Gefangenen rechtswidrig war.

[2]Der Antragsteller macht geltend, durch die gemeinschaftliche Unterbringung seien sein Persönlichkeitsrecht und seine Menschenwürde verletzt worden. Er begehrt von dem die Strafanstalt unterhaltenden Land ein "Schmerzensgeld" und hat beantragt, ihm für die beabsichtigte Klage auf Zahlung von 50 EUR je Tag der rechtswidrigen Unterbringung in einem gemeinschaftlichen Haftraum Prozesskostenhilfe zu bewilligen.

[3]LG und Beschwerdegericht haben die Prozesskostenhilfe verweigert. Mit der von dem Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Antragsteller sein Prozesskostenhilfegesuch weiter.

[4]II.

1. Die auch sonst in förmlicher Hinsicht nicht zu beanstandende Rechtsbeschwerde ist statthaft. Denn das Beschwerdegericht hat sie zugelassen (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Fall 1 ZPO). Das war zwar nicht zulässig. Denn in dem Verfahren der Prozesskostenhilfe kommt eine Zulassung der Rechtsbeschwerde unter dem Gesichtspunkt der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO) sowie dem der Fortbildung des Rechts oder der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) nur in Betracht, wenn es um Fragen des Verfahrens der Prozesskostenhilfe oder der persönlichen Voraussetzungen ihrer Bewilligung geht (vgl. BGH, Beschl. v. 31.7.2003 - III ZB 7/03, NJW-RR 2003, 1438). Solche stehen hier indes - entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde - nicht inmitten; der Senat ist aber an die - rechtsfehlerhafte - Zulassung gebunden (vgl. BGH, Beschl. v. 31.7.2003 - III ZB 7/03, NJW-RR 2003, 1438).

[5]2. Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet. Das Beschwerdegericht hat dem Antragsteller zu Recht die Prozesskostenhilfe verweigert, weil sein Rechtsverfolgungsbegehren keine Erfolgsaussicht hat (§ 114 Satz 1 ZPO).

[6]a) Dem Antragsteller steht eine Entschädigung in Geld wegen amtspflichtwidriger Verletzung seiner Menschenwürde und seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts (§ 839 BGB i.V.m. Art. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 34 GG; vgl. Senatsurteil BGH, Urt. v. 4.11.2004 - III ZR 361/03, BGHZ 161, 33 [35 f.] = BGHReport 2005, 232 = MDR 2005, 447) durch Bedienstete des Antragsgegners nicht zu. Denn eine solche Verletzung ist mit dem Beschwerdegericht zu verneinen; die Frage, ob der Verstoß gegen Art. 1, Art. 2 Abs. 1 GG eine Entschädigung in Geld gebietende Erheblichkeit erreichte (vgl. BGH, Urt. v. 4.11.2004 - III ZR 361/03, BGHZ 161, 33 [36 ff.] = BGHReport 2005, 232 = MDR 2005, 447; s. dazu ferner BVerfG, Beschl. v. 27.12.2005 - 1 BvR 1359/05, juris Rz. 14 ff.), stellt sich im Streitfall nicht.

[7]aa) Aufgrund der Beschlüsse der Strafvollstreckungskammer vom 3.9.2003 steht zwar mit Bindungswirkung auch für den Amtshaftungsprozess (vgl. BGH, Urt. v. 4.11.2004 - III ZR 361/03, BGHZ 161, 33 [34] = BGHReport 2005, 232 = MDR 2005, 447) fest, dass der Antragsteller vom 17.12.2002 bis zum 29.1.2003 und vom 5.3.2003 bis zum 6.5.2003 rechtswidrig, nämlich unter Verstoß gegen seinen Anspruch auf Einzelunterbringung gem. § 18 Abs. 1 Satz 1 StVollzG, mit einem anderen Gefangenen in einem Haftraum untergebracht war.

[8]Der Strafvollstreckungskammer sind bei der Rechtswidrigkeitsfeststellung allerdings Rechtsfehler unterlaufen. Sie hat die Übergangsbestimmung des § 201 Nr. 3 Satz 1 StVollzG, die abweichend von § 18 StVollzG bei bestehenden Anstalten die gemeinsame Unterbringung von Gefangenen unter gewissen Voraussetzungen erlaubt, nicht angewandt; der Gebäudekomplex, in dem der Antragsteller untergebracht gewesen sei, könne wegen grundlegender Umgestaltung nach 1990 nicht mehr als Altbau i.S.d. § 201 Nr. 3 StVollzG eingestuft werden. Diese Auffassung geht indes fehl, wie der BGH (BGHSt 50, 234 [241 ff.]) inzwischen - gerade bezüglich der Justizvollzugsanstalt, in der der Antragsteller untergebracht war - entschieden hat: Bei einem nach Inkrafttreten des Strafvollzugsgesetzes umgebauten Einzelbauwerk einer aus mehreren Bauwerken bestehenden - wie der hier vor Inkrafttreten des Strafvollzugsgesetzes erbauten - Justizvollzugsanstalt ist im Rahmen des § 201 Nr. 3 Satz 1 StVollzG auf den Gesamtzustand der Justizvollzugsanstalt abzustellen mit der Folge, dass eine gemeinsame Unterbringung von Gefangenen nicht ohne Weiteres rechtswidrig ist.

[9]Der rechtliche Fehler ändert zwar nichts an der Bindungswirkung der Rechtswidrigkeitsfeststellung durch die Strafvollstreckungskammer. Die - von der Strafvollstreckungskammer verkannte - Anwendbarkeit des § 201 Nr. 3 Satz 1 StVollzG kann aber bei der Prüfung zu berücksichtigen sein, wie schwer der (festgestellte) Verstoß gegen § 18 Abs. 1 Satz 1 StVollzG wiegt und ob den Bediensteten des Landes ein Verschulden vorzuwerfen ist.

[10]bb) Ungeachtet dessen steht mit der bindend ausgesprochenen Feststellung eines Verstoßes gegen den Anspruch auf Einzelunterbringung gem. § 18 Abs. 1 Satz 1 StVollzG noch nicht zugleich fest, dass die gemeinsame Unterbringung auch das Gebot, Strafgefangene menschenwürdig zu behandeln (Art. 1 Abs. 1 Satz 1, Art. 2 Abs. 1 GG; s. ferner BVerfG, Beschl. v. 27.12.2005 - 1 BvR 1359/05, juris Rz. 15), verletzte. Die bloße gemeinsame Unterbringung entgegen § 18 Abs. 1 Satz 1 StVollzG kann ohne Hinzutreten erschwerender, den Gefangenen benachteiligender Umstände nicht als Verstoß gegen die Menschenwürde angesehen werden (vgl. BGHSt 50, 234, 239 f.). Das Beschwerdegericht hat demnach zutreffend auf die Umstände des Einzelfalls abgestellt und nach den konkreten Unterbringungsverhältnissen einen Verstoß gegen Art. 1, Art. 2 Abs. 1 GG verneint. Diese tatrichterliche Würdigung ist im Rechtsbeschwerdeverfahren hinzunehmen. Hier kommt im Übrigen hinzu, dass der mit der Doppelbelegung verbundene Eingriff in die Privatsphäre des Antragstellers durch die Gestaltung des Vollzugs gemildert wurde (vgl. BGHSt 50, 234, 240): Der Antragsteller befand sich in einer teil-gelockerten Station mit einem offenen Bereich von 13.00 bis 16.00 Uhr. Er wurde in der Küche eingesetzt, so dass er nicht die gesamte Zeit in der Zelle verbringen musste. Darüber hinaus hatte ihm die Anstalt ermöglicht, bei der Auswahl des mit ihm untergebrachten Strafgefangenen mitzuwirken.

[11]cc) Es ist weiter von Rechts wegen nicht zu beanstanden, dass das Beschwerdegericht gesundheitliche Beeinträchtigungen als Folge der gemeinsamen Unterbringung nicht festzustellen vermocht hat. Die Rechtsbeschwerde zeigt diese Würdigung in Frage stellenden substantiierten Parteivortrag nicht auf. Soweit der Antragsteller geltend gemacht hat, aufgrund der (rechtswidrigen) Unterbringungsbedingungen gesundheitliche Beeinträchtigungen erlitten zu haben (Platzangst, Schweißausbrüche usw.), hat er noch nicht einmal behauptet, derartige Beschwerden ggü. der Anstaltsleitung geäußert zu haben. Erst recht ist nicht ersichtlich, dass der Antragsteller im fraglichen Zeitraum ärztlichen Rat gesucht haben oder gar ärztlich behandelt worden sein könnte. Bei dieser Sachlage bestünde im ordentlichen Klageverfahren keine hinreichende Grundlage für die - von dem Antragsteller beantragte - Einholung eines Sachverständigengutachtens, noch weniger Anlass dafür, ihn als Partei zu vernehmen (§§ 447, 448 ZPO).

[12]b) Die beabsichtigte Rechtsverfolgung hat schließlich nicht deshalb Aussicht auf Erfolg i.S.d. § 114 ZPO, weil die Entscheidung von der Beantwortung schwieriger Rechts- oder Tatfragen abhinge, die in das ordentliche Klageverfahren gehören. Aus der Tatsache, dass das Beschwerdegericht die Rechtsbeschwerde - ohne Begründung - zugelassen hat, ergibt sich das nicht. Es geht im Streitfall um tatrichterliche Bewertungen (vgl. auch BGH, Beschl. v. 21.12.2005 - III ZR 33/05, NJW 2006, 1289 f.). Das Beschwerdegericht hat auf die "Umstände(n) dieses konkreten Einzelfalles" abgehoben. Grundsatzfragen stehen nach dem vorgenannten Senatsurteil und dem zitierten Beschluss des 5. Strafsenats nicht offen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1609091

NJW 2006, 3572

BGHR 2006, 1528

JurBüro 2007, 104

NStZ 2007, 172

NStZ 2008, 680

MDR 2007, 337

Rpfleger 2007, 45

VersR 2007, 106

NJW-Spezial 2007, 40

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