Entscheidungsstichwort (Thema)

Betrug

 

Verfahrensgang

LG Frankenthal (Pfalz) (Urteil vom 07.06.1993)

 

Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Frankenthal vom 7. Juni 1993 im Strafausspruch mit den Feststellungen aufgehoben.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine Strafkammer des Landgerichts Kaiserslautern zurückverwiesen.

3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

 

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Betruges in zehn Fällen, davon in sechs Fällen in Tateinheit mit Urkundenfälschung, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Mit seiner hiergegen gerichteten Revision beanstandet der Angeklagte das Verfahren und rügt die Verletzung sachlichen Rechts. Das Rechtsmittel hat nur teilweise Erfolg.

1. Zum Schuldspruch hat die Nachprüfung des Urteils keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten aufgedeckt (§ 349 Abs. 2 StPO). Insbesondere ist nicht zu beanstanden, daß das Landgericht die Abrechnung von Leistungen im Zusammenhang mit der Durchführung von intravenösen Injektionen, Infusionen und Blutentnahmen (Gebührenziffern 5418, 5507 und 5508), die der Angeklagte als Kassenarzt aufgrund genereller Anweisungen von seinem Praxispersonal hat durchführen lassen, ohne sich zuvor selbst vom Gesundheitszustand des Patienten zu überzeugen, als Betrug gegenüber den Krankenkassen gewertet hat. Entscheidend für die Abrechnungsfähigkeit solcher Leistungen war, daß sie den zur Präzisierung von § 122 Abs. 1 Satz 2 RVO beziehungsweise § 1 E-GO am 8. Dezember 1979 herausgegebenen Richtlinien der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) für Radiologie und Nuklearmedizin entsprachen. § 15 Abs. 3 dieser im Tatzeitraum von 1983 bis 1985 gültigen Regelung sah vor, daß Leistungen von Hilfskräften nur dann der nach dem jeweiligen Stand der ärztlichen Wissenschaft zu fordernden Qualität genügten und damit abrechnungsfähig waren, wenn der Arzt „die im Einzelfall erforderliche Anweisung gibt”. Obwohl dem Angeklagten nach den aufgrund zutreffender Beweiserwägungen vom Landgericht getroffenen Feststellungen diese für die kassenärztliche Abrechnung bedeutsamen Richtlinien bekannt waren, hat er in den ihm zur Last gelegten Fällen Einzelanordnungen unterlassen. Ein Leistungsanspruch gegen die Krankenkassen stand ihm damit nicht zu.

Ob auch in anderen radiologischen Praxen eine derartige Übung bestand und ob Einzelanweisungen aus heutiger medizinischer Sicht zur Ausschaltung etwaiger Risiken für den Patienten erforderlich erscheinen, ist demgegenüber ohne Bedeutung. Soweit das Landgericht hierauf gerichtete Beweisanträge zu Unrecht als unzulässig anstatt als bedeutungslos abgelehnt hat, kann das Urteil auf der fehlerhaften Bezeichnung des Ablehnungsgrundes – jedenfalls im Schuldspruch – nicht beruhen.

2. Die Sachrüge führt jedoch zur Aufhebung des Strafausspruchs.

Bei der Berechnung des Schadensumfanges geht das Landgericht zunächst zu Recht davon aus, daß auch für den Bereich nichtärztlicher Leistungen der den Krankenkassen entstandene Schaden in voller Höhe den dem Angeklagten erstatteten Beträgen entspricht. Dem steht nicht entgegen, daß Leistungen sowohl von dem Angeklagten (Auswertung der Laborbefunde, Diagnosestellung) als auch von dem von ihm beauftragten Hilfspersonal (Infusionen, Durchführung von Blutentnahmen) in weitem Umfang erbracht worden sind. Dies beruht auf einer für den Bereich des Sozialversicherungsrechts geltenden streng formalen Betrachtungsweise, nach der eine Leistung insgesamt nicht erstattungsfähig ist, wenn sie in Teilbereichen nicht den gestellten Anforderungen genügt (vgl. BSG 39, 288, 290 für Leistungen ärztlichen Hilfspersonals; § 15 Abs. 3 der Richtlinien der KBV vom 8. Dezember 1979 für radiologische ärztliche Leistungen allgemein).

Auch eine Kompensation in der Form, daß die Krankenkassen infolge der von dem Angeklagten beziehungsweise seinen Helferinnen erbrachten Leistungen Aufwendungen erspart haben, die ihnen bei Inanspruchnahme eines anderen Arztes durch die vom Angeklagten behandelten Patienten entstanden wären, findet im Rahmen der Schadensberechnung nicht statt. Dieser beachtliche Umstand muß jedoch im Rahmen der Strafzumessung in angemessener Weise zugunsten des Angeklagten berücksichtigt werden. Daran fehlt es hier.

Zwar hat die Strafkammer dem Angeklagten zugute gehalten, daß es sich bei den von ihm zu Unrecht berechneten Schilddrüsenszintigrammen und Hormonbestimmungen nicht lediglich um „Luftleistungen” gehandelt hat. Gleichwohl hat sie aber strafschärfend die Höhe des Schadens gewertet, der letztlich zu Lasten der Solidargemeinschaft der beitragszahlenden Krankenversicherten gehe. Letzteres trifft hier nur in sehr eingeschränktem Maße zu; denn die von dem Angeklagten im Wege genereller Anweisungen veranlaßten Untersuchungen der Patienten waren – anderes ist den Urteilsfeststellungen nicht zu entnehmen – medizinisch indiziert und im Ergebnis nicht zu beanstanden. Ein in den Behandlungsmethoden des Angeklagten liegendes etwaiges Restrisiko für den Patienten hat sich – soweit ersichtlich – in keinem Fall verwirklicht. Die Krankenkassen haben daher die ihnen zur Verfügung stehenden, zum Großteil durch Mitgliederbeiträge aufgebrachten Geldmittel weder für überflüssige medizinische Maßnahmen noch dafür einsetzen müssen, daß Versicherte die in der Praxis des Angeklagten erbrachten Leistungen wegen unsachgemäßer Ausführung erneut durch einen weiteren Arzt in Anspruch genommen haben. Unter diesen Umständen kann das Verhalten des Angeklagten, jedenfalls soweit es die Abrechnung nichtärztlicher Leistungen betrifft, nicht als negativer Beitrag zur Kostensteigerung im Gesundheitswesen gewertet werden.

Ebensowenig kann dem Angeklagten zum Vorwurf gemacht werden, er habe sich aus übersteigertem Gewinnstreben „eine zusätzliche Einnahmequelle” verschafft, „deren Ergiebigkeit an den Verdienst eines Durchschnittsverdieners auch nicht annähernd heranreicht”. Zusätzliche Einnahmen hatte der Angeklagte allenfalls insoweit, als ihm der Verzicht auf Einzelanweisungen an sein Hilfspersonal nach vorheriger Untersuchung des Patienten ermöglicht hat, während der ihm zur Verfügung stehenden Zeit mehr Patienten zu behandeln, als ihm dies bei Einhaltung der kassenärztlichen Richtlinien möglich gewesen wäre. Seine kriminelle Energie ist mithin wesentlich geringer als vom Landgericht angenommen.

Da die Strafzumessungserwägungen des Landgerichts für den Bereich der Delegation ärztlicher Leistungen an Hilfspersonal, auf den weit über 90 % des rein rechnerischen Schadens entfallen, den Besonderheiten der Fallgestaltung nicht gerecht werden, sind sowohl die verhängten Einzelstrafen als auch die daraus gebildete Gesamtstrafe überhöht. Sie müssen neu zugemessen werden.

 

Unterschriften

Salger, Tolksdorf, Tepperwien, Kuckein, Kuffer

 

Fundstellen

Haufe-Index 1683269

NStZ 1995, 232

NStZ 1995, 85

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