Leitsatz (amtlich)

a) Verwendungsbeispiele, auf die das BPatG seine Entscheidung stützt, müssen den Verfahrensbeteiligten zuvor zur Kenntnis gegeben worden sein. Ergeht die Entscheidung auf Grund mündlicher Verhandlung, müssen sie zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden sein (im Anschluss an BGH, Beschl. v. 30.1.1997 - I ZB 3/95, GRUR 1997, 637 = WRP 1997, 762 - Top Selection).

b) Eine Entscheidung beruht auf der Versagung des rechtlichen Gehörs, wenn Umstände, zu denen die Verfahrensbeteiligten sich nicht äußern konnten, zur Begründung herangezogen werden. Dabei ist unerheblich, ob die weiteren Begründungselemente, auf die sich die Entscheidung stützt, auch für sich genommen das Ergebnis hätten tragen können.

 

Normenkette

MarkenG § 83 Abs. 3 Nr. 3, § 78 Abs. 2; GG § 103 Abs. 1

 

Verfahrensgang

BPatG (Beschluss vom 10.01.2003)

 

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der Anmelderin wird der am 10.1.2003 an Verkündungs statt zugestellte Beschluss des 28. Senats (Marken-Beschwerdesenats) des BPatG aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das BPatG zurückverwiesen.

Der Gegenstandswert der Rechtsbeschwerde wird auf 50.000 Euro festgesetzt.

 

Gründe

I. Die Anmelderin hat die Eintragung des Zeichens

turkey-corn

zur Kennzeichnung der Waren

lebendes und geschlachtetes Geflügel und Geflügelteile sowie daraus hergestellte Geflügelspezialitäten, auch Convenience-Waren, insbesondere in panierter, marinierter Form, sowie als Fertiggerichte, Halbfertiggerichte und Suppen, Letztere auch in Instantform, ausgenommen Mais als Ingredienzie; Tierfuttermittel aus Geflügel und Geflügelteilen beantragt.

Die Markenstelle des Deutschen Patent- und Markenamts hat die Eintragung mit der Begründung abgelehnt, die angemeldete Wortfolge bedeute "Truthahnfleisch mit/und Korn (i. S. v. Getreide)" und sei deshalb unmittelbar beschreibend.

Die Beschwerde hatte lediglich hinsichtlich der beanspruchten Ware "lebendes Geflügel" Erfolg.

Gegen die Zurückweisung ihrer Beschwerde wendet sich die Anmelderin mit der - vom BPatG nicht zugelassenen - Rechtsbeschwerde.

II. Das BPatG hat angenommen, dass das angemeldete Zeichen "turkey-corn" - soweit seine Eintragung für andere Waren als für lebendes Geflügel begehrt werde - wegen des absoluten Schutzhindernisses des § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG nicht eingetragen werden könne. Hierzu hat es ausgeführt:

Das angemeldete Zeichen sei bezogen auf die Waren, für die die Eintragung versagt worden sei, eine unmittelbar beschreibende Angabe, die freizuhalten sei. Die lexikalisch nicht nachgewiesene englischsprachige Wortfolge bedeute "Truthahn-Mais" oder "Truthahn-Korn" und beschreibe die damit gekennzeichneten Waren als ein aus Truthahnstücken und Mais oder Korn bestehendes Gericht oder Futter, und zwar mit Begriffen, die - wie eine Umschau in Lebensmittelgeschäften und eine Internetrecherche ergeben hätten - auch deutschen Verkehrskreisen geläufig seien. So werde die infrage stehende Wortfolge beispielsweise in diversen Rezepten als Bezeichnung für Truthahngerichte verwendet. Soweit die Anmelderin im Wege eines Disclaimers im Warenverzeichnis die Verwendung von Mais ausschließen wolle, führe das entweder zum Eintragungshindernis der Irreführung oder die Eintragung scheitere daran, dass "corn" auch "Korn" oder "Getreide" bedeuten könne und daher auch in der eingeschränkten Verwendung nicht aus dem beschreibenden Bereich herausführe.

Danach dränge sich der Eindruck auf, dass die beanspruchte Wortfolge von den beteiligten Verkehrskreisen als Hinweis auf ein Truthahngericht verwendet und benötigt werde. Auch wenn es sich regelmäßig verbiete, fremdsprachige Begriffe mit der deutschen Übersetzung gleichzustellen, gelte doch etwas anderes, wenn ein Begriff von den inländischen Verkehrskreisen ohne weiteres erkannt oder von den Mitbewerbern benötigt werde. Beides sei vorliegend der Fall. Zum einen erkenne der Verkehr bei "turkey corn" unschwer die Bedeutung "Truthahn-Mais" oder "Truthahn-Getreide". Zum anderen dürfe es Mitbewerbern nicht verwehrt werden, die Wortfolge unmittelbar beschreibend einzusetzen, und zwar auch für "Tierfuttermittel aus Geflügel und Geflügelteilen", zumal im Internet bereits "Turkey Bites" für Hunde angeboten würden.

III. Die Rechtsbeschwerde der Anmelderin hat Erfolg.

1. Die form- und fristgerecht eingelegte Rechtsbeschwerde ist statthaft. Das BPatG hat sie zwar nicht zugelassen. Ihre Statthaftigkeit folgt jedoch daraus, dass im Gesetz aufgeführte, die zulassungsfreie Rechtsbeschwerde eröffnende Verfahrensmängel gerügt werden (vgl. BGH, Beschl. v. 2.10.2002 - I ZB 27/00, BGHReport 2003, 517 = GRUR 2003, 546 = WRP 2003, 655 - TURBO-TABS, m. w. N.). Hier beruft sich die Rechtsbeschwerde auf eine Versagung des rechtlichen Gehörs sowie darauf, dass der angefochtene Beschluss nicht mit Gründen versehen sei (§ 83 Abs. 3 Nr. 3 und 6 MarkenG). Dies hat sie im Einzelnen begründet. Darauf, ob die Rügen durchgreifen, kommt es für die Statthaftigkeit der Rechtsbeschwerde nicht an.

2. Die Rechtsbeschwerde ist begründet.

a) Die Rüge der Anmelderin, der angefochtene Beschluss sei nicht mit Gründen versehen (§ 83 Abs. 3 Nr. 6 MarkenG), greift allerdings nicht durch.

Die Rechtsbeschwerde steht auf dem Standpunkt, es mangele dem angefochtenen Beschluss insofern an einer Begründung, als das Verständnis des Verkehrs von "turkey-corn" als einer beschreibenden Angabe auch durch eine Umschau in Lebensmittelgeschäften begründet wird. Der Beschluss sei insoweit nicht nachvollziehbar, weil die bei der Umschau gewonnenen Erkenntnisse nicht mitgeteilt würden.

Mit diesem Vorbringen hat die Rechtsbeschwerde keinen Erfolg. Die Vorschrift des § 83 Abs. 3 Nr. 6 MarkenG soll allein den Begründungszwang sichern. Es kommt deshalb darauf an, ob erkennbar ist, welcher Grund - mag dieser tatsächlich vorgelegen haben oder nicht, mag er rechtsfehlerhaft beurteilt worden sein oder nicht - für die Entscheidung über die einzelnen Ansprüche und Verteidigungsmittel maßgebend gewesen ist; dies kann auch bei lückenhafter und unvollständiger Begründung der Fall sein. Dem Erfordernis einer Begründung ist deshalb schon dann genügt, wenn die Entscheidung zu jedem selbstständigen Angriffs- und Verteidigungsmittel Stellung nimmt, das ein Verfahrensbeteiligter vorgetragen hat (vgl. BGH v. 2.10.2002 - I ZB 27/00, BGHReport 2003, 517 = GRUR 2003, 546 [548] - TURBO-TABS, m. w. N.). Diesen Anforderungen an den Begründungszwang genügt der angefochtene Beschluss. Ihm lässt sich insbesondere entnehmen, dass der Verkehr nach der Beurteilung des BPatG "turkey-corn" als beschreibenden Begriff versteht und dass sich diese Beurteilung auf entsprechende Kennzeichnungspraktiken stützt. Dass der angefochtene Beschluss nicht im Einzelnen aufführt, welche Beobachtungen dieser Beurteilung zu Grunde liegen, ist vorliegend ohne Belang.

b) Das Verfahren vor dem BPatG verletzt die Anmelderin jedoch in ihrem Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG, § 83 Abs. 3 Nr. 3 MarkenG).

aa) Mit Recht wendet sich die Rechtsbeschwerde dagegen, dass der Anmelderin keine Gelegenheit gegeben worden ist, zu den Beobachtungen Stellung zu nehmen, die die Richter des BPatG in Lebensmittelgeschäften gemacht haben. Das Gericht kann seine Entscheidung auf derartige offenkundige Tatsachen stützen. Handelt es sich dabei nicht um Umstände, die allen Beteiligten ohne weiteres gegenwärtig sind, ist Voraussetzung aber stets, dass die Beteiligten erfahren, welche Erkenntnisse die Richter außerhalb des Verfahrens gewonnen haben und ins Verfahren einführen möchten (BGH, Beschl. v. 30.1.1997 - I ZB 3/95, GRUR 1997, 637 [638] = WRP 1997, 762 - Top Selection). Da die Niederschrift über die mündliche Verhandlung in der Beschwerdeinstanz ebenso wie die Gründe des angefochtenen Beschlusses insoweit schweigen, muss für das Rechtsbeschwerdeverfahren davon ausgegangen werden, dass ein entsprechender Hinweis im Streitfall unterblieben ist.

bb) Das BPatG hat sich ferner zur Begründung und zum Beleg dafür, dass die Begriffe "turkey" und "corn" auch deutschen Verkehrskreisen als Sachhinweis auf Truthahn und Mais oder Getreide geläufig sind, auf die aus dem Internet gezogene Speisekarte von "A. Schlosswirtschaft in N. " gestützt. Auch hinsichtlich dieser Belegstelle muss - wie die Rechtsbeschwerde ebenfalls rügt - davon ausgegangen werden, dass sie der Anmelderin nicht zur Kenntnis gegeben worden ist. Sie findet sich nicht unter den Verwendungsbeispielen aus dem englischen Sprachraum, die das BPatG der Anmelderin rechtzeitig vor der mündlichen Verhandlung in Kopie überlassen hat, sondern in einer Hülle, in der sich in erster Linie zwei von der Anmelderin im Verhandlungstermin vorgelegte Unterlagen befinden, mit denen für die Anmelderin günstige Tatsachen belegt werden sollten ("turkey corn" als englische Bezeichnung von Lerchensporn; Nachweis der Eintragung von "turkey-corn" als Gemeinschaftsmarke). Allein der Umstand, dass sich die fragliche Speisekarte in einer mit "Anlagen zum Protokoll v. 18.9.2002" gekennzeichneten Hülle befindet, besagt nicht, dass sie Gegenstand der mündlichen Verhandlung war. Denn es ist kaum anzunehmen, dass die Anmelderin dem Gericht diese für sie ungünstige Belegstelle vorgelegt hat. Dies gilt nicht zuletzt für den hier in Rede stehenden Beleg aus "A. Schlosswirtschaft", der - nach dem Datum in der Fußzeile zu urteilen - erst am 2.12.2002, also zweieinhalb Monate nach dem Verhandlungstermin, ausgedruckt worden ist.

cc) Die angefochtene Entscheidung beruht auf der Versagung des rechtlichen Gehörs (vgl. dazu BGH, Beschl. v. 30.1.1997 - I ZB 3/95, GRUR 1997, 637 [638 f.] - Top Selection). Das BPatG hat sich gerade auch auf Beobachtungen in Lebensmittelgeschäften berufen, zu denen sich die Anmelderin nicht äußern konnte. Auch die Verwendungsbeispiele aus dem Internet, die nach dem im Rechtsbeschwerdeverfahren zu unterstellenden Verfahrensablauf nicht Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren und auf die daher die Entscheidung nicht hätte gestützt werden dürfen (§ 78 Abs. 2 MarkenG), sind vom BPatG ausdrücklich zur Begründung der Entscheidung herangezogen worden. Ob die gegebene Begründung das Ergebnis auch ohne diese Hinweise auf das Verkehrsverständnis tragen könnte, bedarf unter diesen Umständen keiner Erörterung.

IV. Die Begründetheit der Rüge nach § 83 Abs. 3 Nr. 3 MarkenG führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das BPatG (§ 89 Abs. 4 MarkenG).

Eine Nachprüfung des angefochtenen Beschlusses auf sonstige Verstöße gegen das formelle oder gegen das materielle Recht findet - anders als bei der zugelassenen Rechtsbeschwerde (§ 83 Abs. 2 MarkenG) - bei Begründetheit einer zulassungsfreien Rechtsbeschwerde nicht statt (vgl. BGH, Beschl. v. 30.1.1997 - I ZB 3/95, GRUR 1997, 637 [639] - Top Selection, m. w. N.).

 

Fundstellen

Haufe-Index 1059029

BGHR 2004, 40

GRUR 2004, 76

WRP 2004, 103

BPatGE 2003, 282

Mitt. 2004, 87

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