Leitsatz (amtlich)

§ 14 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 AsylVfG setzt nur voraus, dass eine Sicherungshaft aus den dort genannten Haftgründen tatsächlich angeordnet ist und sich der Betroffene auf dieser Grundlage in Haft befindet. Auf die Rechtmäßigkeit der Haftanordnung kommt es nicht an.

 

Normenkette

AsylVfG § 14 Abs. 3 S. 1 Nr. 5

 

Verfahrensgang

LG Mainz (Beschluss vom 16.10.2013; Aktenzeichen 8 T 127/13.B)

AG Bingen am Rhein (Beschluss vom 08.08.2013; Aktenzeichen 110 XIV 10/13)

 

Tenor

Die Verfahren V ZB 150/13, V ZB 161/13 und V ZB 171/13 werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden. Das Verfahren V ZB 171/13 führt.

Die Rechtsbeschwerden gegen die Beschlüsse der 8. Zivilkammer des LG Mainz vom 19.9.2013, vom 14.10.2013 und vom 16.10.2013 werden auf Kosten des Betroffenen zurückgewiesen.

Der Gegenstandswert der Rechtsbeschwerdeverfahren beträgt jeweils 5.000 EUR.

 

Gründe

I.

Rz. 1

Der Betroffene, ein pakistanischer Staatsangehöriger, reiste am 2.8.2013 aus Frankreich kommend in die Bundesrepublik Deutschland ein, ohne im Besitz eines Passes, Visums oder sonstigen Grenzübertrittspapiers zu sein. Eine EURODAC-Abfrage ergab, dass er in der Schweiz einen Asylantrag gestellt hatte. Am gleichen Tag verfügte die beteiligte Behörde die Zurückschiebung des Betroffenen in die Schweiz oder ein anderes Land, in das eine legale Ausreise möglich ist. Zudem beantragte sie die vorläufige Freiheitsentziehung im Wege der einstweiligen Anordnung bis zum 8.8.2013. Mit Beschluss vom 2.8.2013 ordnete das AG Saarbrücken Haft zur Sicherung der Zurückschiebung bis längstens 8.8.2013 an, wobei es den Haftgrund des § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 AufenthG (in der damals geltenden Fassung) als gegeben ansah. Der von dem Betroffenen gestellte Asylantrag ging beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ein, als er sich schon in Haft befand.

Rz. 2

Mit Beschluss vom 8.8.2013 hat das AG Bingen am Rhein auf Antrag der beteiligten Behörde die Verlängerung der Haft bis zum 5.9.2013 angeordnet. Gegen diese Entscheidung hat der Betroffene Beschwerde eingelegt.

Rz. 3

Auf Antrag der beteiligten Behörde hat das AG Bingen am Rhein mit Beschluss vom 4.9.2013 die gegen den Betroffenen angeordnete Haft bis zum 30.9.2013 verlängert. Die hiergegen eingelegte Beschwerde hat das LG mit Beschluss vom 19.9.2013 zurückgewiesen.

Rz. 4

Mit Beschluss vom 27.9.2013 hat das AG Bingen am Rhein auf Antrag der beteiligten Behörde die Zurückschiebungshaft nochmals bis zum 21.10.2013 verlängert. Das LG hat die hiergegen gerichtete Beschwerde des Betroffenen mit Beschluss vom 14.10.2013 zurückgewiesen.

Rz. 5

Mit Beschluss vom 16.10.2013 hat das LG den wegen des Ablaufs der angeordneten Haftdauer in der Beschwerdeinstanz gestellten Antrag des Betroffenen auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Haftanordnung des AG vom 8.8.2013 zurückgewiesen.

Rz. 6

Mit den Rechtsbeschwerden, deren Zurückweisung die beteiligte Behörde beantragt, will der Betroffene die Feststellung erreichen, dass er durch die Beschlüsse des LG vom 19.9.2013, vom 14.10.2013 und vom 16.10.2013 sowie durch die diesen vorangegangenen Beschlüsse des AG Bingen am Rhein in seinen Rechten verletzt worden ist.

II.

Rz. 7

Das Beschwerdegericht meint, die formellen und materiellen Voraussetzungen für die Anordnung und die Fortdauer der Sicherungshaft hätten vorgelegen. Der Haftanordnung und Haftfortdauer habe insb. nicht der von dem Betroffenen gestellte Asylantrag entgegengestanden. Dieser sei bei dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge erst eingegangen, als sich der Betroffene schon wegen Fluchtgefahr in Sicherungshaft befunden habe. Daher komme § 14 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 AsylVfG zur Anwendung.

III.

Rz. 8

Die nach § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 FamFG ohne Zulassung statthaften und nach § 71 FamFG auch im Übrigen zulässigen Rechtsbeschwerden sind unbegründet.

Rz. 9

1. Der von dem Betroffenen gestellte Asylantrag hinderte entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde nicht die Anordnung und Fortdauer der Sicherungshaft.

Rz. 10

a) Die Aufenthaltsgestattung nach § 55 Abs. 1 Satz 1 und 3 AsylVfG ist zwar lediglich von der förmlichen Asylantragstellung abhängig (BGH, Beschl. v. 1.3.2012 - V ZB 183/11, FGPrax 2012, 179, 180). Der Betroffene erwirbt aber bei der Einreise aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Union die Aufenthaltsgestattung nach § 55 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG nicht bereits mit der Protokollierung des Asylersuchens durch die Grenzbehörde, sondern erst mit der Stellung des Antrages bei dem zuständigen Bundesamt (vgl. BGH, Beschl. v. 25.2.2010 - V ZB 172/09, BGHZ 153, 18, 20; Beschl. v. 6.5.2010 - V ZB 213/09, NVwZ 2010, 1510 Rz. 11). Einen Asylantrag bei dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat der Betroffene nach den - nicht angegriffenen - Feststellungen des Beschwerdegerichts erst gestellt, als er sich schon aufgrund des Beschlusses des AG Saarbrücken vom 2.8.2013 in Haft befand.

Rz. 11

b) Befindet sich der Betroffene zum Zeitpunkt der Asylantragstellung in Haft, steht dies in den Fällen des § 14 Abs. 3 Satz 1 AsylVfG der Anordnung oder Aufrechterhaltung von Abschiebungshaft nicht entgegen. Die Norm erfasst in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise (BGH, Beschluss vom 6.5.2010 - V ZB 213/09, NVwZ 2010, 1510 Rz. 13; BVerfG, NVwZ-RR 2009, 616, 617) auch die Haft zur Sicherung der Zurückschiebung als eine Form der Abschiebungshaft (vgl. §§ 57 Abs. 3, 62 AufenthG). Die Voraussetzungen des § 14 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 AsylVfG sind erfüllt.

Rz. 12

Das AG Saarbrücken hat Sicherungshaft nach § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AufenthG a.F. angeordnet. Dass diese Haftanordnung möglicherweise rechtswidrig war, weil das AG in der Hauptsache entschieden hat, obwohl die beteiligte Behörde lediglich den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt hatte (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 18.12.2014 - V ZB 114/13, FGPrax 2015, 91 Rz. 11 ff.), berührt die Anwendbarkeit von § 14 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 AsylVfG nicht. Die Vorschrift setzt nur voraus, dass eine Sicherungshaft aus den dort genannten Haftgründen tatsächlich angeordnet ist und sich der Betroffene auf dieser Grundlage in Haft befindet. Auf die Rechtmäßigkeit der Haftanordnung kommt es nicht an. Liegen die formellen und materiellen Voraussetzungen für die Anordnung einer Sicherungshaft nach § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1a bis 5 AufenthG nicht vor, muss der Betroffene die von der Verfahrensordnung bereit gestellte Rechtsschutzmöglichkeit ergreifen, um die Aufhebung der Haft zu erreichen (vgl. BGH, Beschl. v. 28.4.2011 - V ZB 292/10, FGPrax 2011, 200 Rz. 15). Erst dann kann er sich - soweit nicht zwischenzeitlich eine weitere Haftanordnung i.S.d. § 14 Abs. 3 Satz 1 AsylVfG ergangen ist - ggf. auf eine Aufenthaltsgestattung nach § 55 Abs. 1 Satz 1 und 3 AsylVfG berufen. Vorliegend hat der Betroffene von der Möglichkeit, gegen die Haftanordnung vom 2.8.2013 Beschwerde (§ 58 Abs. 1 FamFG) zu erheben, keinen Gebrauch gemacht.

Rz. 13

2. Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 74 Abs. 7 FamFG).

 

Fundstellen

Haufe-Index 9258936

InfAuslR 2016, 294

JZ 2016, 410

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge