Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Mit seiner Revision rügt der Beschwerdeführer die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat mit der Verfahrensrüge Erfolg, das Landgericht habe den Aussetzungsantrag des Angeklagten zu Unrecht abgelehnt.

1. Der Angeklagte hatte am 3. September 1996 beantragt, Rechtsanwalt zum Verteidiger zu bestellen. Gleichwohl bestellte der Vorsitzende, ohne den Angeklagten anzuhören, Rechtsanwalt L zum Verteidiger. Sodann zeigte Rechtsanwalt U unter Vollmachtvorlage an, daß er den Angeklagten vertrete, jener indes nicht über die finanziellen Mittel verfüge, um einen Wahlverteidiger vergüten zu können, er beantrage deshalb die Beiordnung zum Verteidiger und lege für diesen Fall das Wahlmandat nieder. Mit zwei weiteren Schreiben gab der Angeklagte nochmals seinem Wunsch Ausdruck, Rechtsanwalt U zum Verteidiger zu bestellen. Entsprechende Anträge stellte Rechtsanwalt U, zuletzt mit Schreiben vom 6. Februar 1997, nachdem er am 5. Februar 1997 zu der auf den 13. Februar 1997 terminierten Hauptverhandlung geladen worden war.

Am 13. Februar 1997 hat der Vorsitzende Rechtsanwalt L mit Rücksicht darauf entpflichtet, daß sich Rechtsanwalt U als Wahlverteidiger gemeldet habe. Am 14. Februar 1997 ist Rechtsanwalt U zu dem auf den 18. Februar 1997 verlegten Hauptverhandlungstermin geladen worden, wovon er - weil er sich, wie er dem Vorsitzenden angekündigt hatte, bis Freitag, den 14. Februar 1997 im Urlaub befand - erst am Montag, den 17. Februar 1997 Kenntnis genommen hat. Mit Telefax vom selben Tage hat Rechtsanwalt U das Wahlmandat niedergelegt und namens und in Vollmacht des Angeklagten erneut beantragt, als dessen Verteidiger bestellt zu werden. Er hat geltend gemacht, daß er sich zu einer ordnungsgemäßen Verteidigung des Angeklagten am 18. Februar 1997 außerstande sehe, da eine genügende Vorbereitung wegen bisher fehlender Beiordnung nicht erfolgt sei, er ferner nicht im Besitz einer Anklageschrift sei (diese war ihm nicht mitgeteilt worden: die entsprechende Mitteilungsverfügung ist gestrichen und daher nicht ausgeführt worden); ergänzend hat er darauf hingewiesen, daß er keine Kenntnis von dem vorbereitenden psychiatrischen Sachverständigengutachten habe, weiches zur Akte gelangt sei, nachdem er Akteneinsicht genommen habe. Daraufhin hat der Vorsitzende, wiederum ohne Anhörung des Angeklagten, Rechtsanwalt Sch zum Verteidiger bestellt.

Zu Beginn der Hauptverhandlung hat der Angeklagte beantragt, Rechtsanwalt Sch zu entpflichten. Das Landgericht hat den Antrag abgelehnt (was die Revision nicht rügt). Sodann hat der Angeklagte die Aussetzung der Hauptverhandlung mit der Begründung beantragt, er könne sich nicht ordnungsgemäß verteidigen, weil er kein erschöpfendes persönliches Gespräch mit Rechtsanwalt Sch habe führen können. Der Verteidiger hat erklärt, daß er sich "grundsätzlich in der Lage fühle, in diesem Verfahren als Pflichtverteidiger aufzutreten" und daß er "nur noch etwas Zeit (benötige), um das psychiatrische Gutachten mit dem Angeklagten zu erörtern". Daraufhin hat das Landgericht den Antrag des Angeklagten mit der Begründung abgelehnt, daß der Verteidiger nach eigener Erklärung genügend Zeit erhalten habe, um sich anhand der Akten auf das Verfahren vorzubereiten; dem Angeklagten werde "im übrigen zur Vorbereitung auf das psychiatrische Gutachten Gelegenheit gegeben, nach der heutigen Hauptverhandlung und eineinhalb Stunden vor der morgigen Hauptverhandlung mit seinem Verteidiger Rücksprache zu nehmen." Sodann ist der Angeklagte zur Person und zur Sache vernommen worden. Einer schriftlichen Erklärung von Rechtsanwalt Sch ist zu entnehmen, daß er unmittelbar vor Beginn der Hauptverhandlung erstmals mit dem Angeklagten hat sprechen können und mit ihm "im Anschluß an den ersten Verhandlungstag ... bis 23.30 Uhr ... das Verfahren sowie das Gutachten besprach".

2. In der Ablehnung des Aussetzungsantrages liegt ein Fehlgebrauch des dem Gericht durch § 265 Abs. 4 StPO eingeräumten Ermessens (vgl. BGH NJW 1958, 1736). Hierdurch ist der Angeklagte in seiner Verteidigung unzulässig beschränkt worden (§ 338 Nr. 8 StPO).

a) Schon die Entscheidungen über Auswahl und Bestellung des Verteidigers stoßen auf Bedenken. Der Anspruch auf ein faires Verfahren, dem § 142 Abs. 1 Satz 3 StPO Rechnung trägt, verlangt, daß dem Beschuldigten, wenn nicht wichtige Gründe entgegenstehen, ein Verteidiger seines Vertrauens bestellt werden muß, weil das Vertrauensverhältnis zwischen Angeklagtem und Verteidiger eine wesentliche Voraussetzung für eine sachdienliche Verteidigung ist (vgl. BVerfGE 9, 36, 38; 39, 238, 243; 68, 237, 256). Als solcher Verteidiger des Vertrauens war Rechtsanwalt U benannt worden. Ein sachlicher Grund, der dessen Beiordnung widersprochen haben könnte, ist nicht ersichtlich. Ein solcher ist nicht etwa daraus herzuleiten, daß Rechtsanwalt U am 17. Februar 1998 erklärt hatte, er sei am 18. Februar 1997 zur Verteidigung außerstande. Rechtsanwalt U hat dabei die Niederlegung des Wahlmandats mit der Erneuerung des Beiordnungsantrages verbunden und geltend gemacht, die bisher fehlende Beiordnung sei der Grund dafür, daß er sich bisher nicht genügend habe vorbereiten können. Dies ist um so weniger zu beanstanden, als dem Verteidiger wichtige Unterlagen (Anklageschrift und psychiatrisches Gutachten) nicht vorlagen. Die Bestellung eines anderen Verteidigers, der zur Verteidigung bereit war, und die Ablehnung der Bestellung von Rechtsanwalt U rechtfertigten sich auch nicht aus dem Umstand, daß die in § 121 StPO bestimmte Frist am 23. Februar 1997 ablief worauf der Vorsitzende in seinem Beschluß vom 18. Februar 1997 abgestellt hat, mit dem er den Antrag auf Bestellung des Rechtsanwalts U zum Verteidiger zurückgewiesen hatte. Dem Anspruch auf beschleunigte Aburteilung des sich in Untersuchungshaft befindenden Angeklagten durfte in Anbetracht des unmittelbar bevorstehenden Fristablaufs kein entscheidendes Gewicht beigemessen werden.

b) Bei dieser Sachlage legte die mit dem Eintritt des neuen Verteidigers verbundene Änderung der Verfahrenslage (BGH NJW 1958, 1736; 1965, 2164) unter dem Gesichtspunkt des Rechts des Angeklagten auf eine wirksame Verteidigung (Art. 6 Abs. 3 lit. c MRK) und unter dem Gesichtspunkt der richterlichen Fürsorgepflicht (BGH a.a.O.) eine Aussetzung nahe: Allerdings hatte der bestellte Verteidiger erklärt, zur Verteidigung bereit zu sein. Eine solche Erklärung ist grundsätzlich ausreichend, weil der Verteidiger die Verteidigung und die Art und Weise, wie er sich auf sie vorbereitet und sie führt, selbst zu verantworten hat. Hier ergeben aber die dem Gericht bekannten Umstände, daß der Verteidiger nicht die Möglichkeit hatte, sich ausreichend auf die Hauptverhandlung vorzubereiten (vgl. BGH a.a.O.; BGH NJW 1973, 1985, 1986, BGH NStZ 1983, 281). Dies folgt ohne weiteres aus dessen Erklärung, noch etwas Zeit zu benötigen, um das vorbereitende psychiatrische Sachverständigengutachten mit dem Angeklagten zu erörtern. Diese Erklärung erwies die Richtigkeit der Behauptung des Angeklagten, bis dahin keine Gelegenheit zu angemessener Verteidigerkonsultation gehabt zu haben, Daß auch tatsächlich noch Beratungsbedarf bestand, wovon ersichtlich auch das Gericht ausging, ergibt sich daraus, daß nach dem ersten Verhandlungstag eine Besprechung zwischen Angeklagtem und Verteidiger bis in die Nacht hinein stattfand. Bei dieser Sachlage konnte es auf die bloße Erklärung des Verteidigers, sich "grundsätzlich in der Lage (zu fühlen), in diesem Verfahren als Pflichtverteidiger aufzutreten", nicht ankommen (vgl. BGH NJW 1965, 2164, 2165).

Dies hat das Landgericht verkannt. Es hat den Angeklagten zur Sache vernommen, obgleich er seinen Verteidiger zuvor nicht in ausreichendem Maße befragen konnte. Darüber hinaus hatte der Verteidiger bis dahin keine Gelegenheit, das vorbereitende psychiatrische Sachverständigengutachten, das in diesem Schwurgerichtsverfahren von besonderer Bedeutung ist, mit dem Angeklagten zu erörtern.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2993554

NStZ 1998, 530

StV 1998, 414

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