Leitsatz (amtlich)

Ein nach mündlicher Verhandlung ergangener Beschluss des Notarsenats (hier im gerichtlichen Vorschaltverfahren gem. § 50 Abs. 3 S. 3 BNotO) ist "nicht mit Gründen versehen", wenn er nicht binnen fünf Monaten nach der Verhandlung vollständig schriftlich niedergelegt, von den Richtern besonders unterschrieben und der Geschäftsstelle übergeben worden ist.

Dies gilt unabhängig davon, ob die Beschlussformel verkündet oder die Entscheidung insgesamt durch Zustellung bekannt gemacht worden ist (Anschluss an BGH, Beschl. v. 18.6.2001 - AnwZ (B) 10/00, MDR 2001, 1184 = BGHReport 2001, 748 = NJW-RR 2001, 1642).

 

Normenkette

BNotO § 50 Abs. 3 S. 3, § 111 Abs. 4; BRAO § 40 Abs. 4, § 41; FGG §§ 16, 27 Abs. 1 S. 2; ZPO § 547 Nr. 6

 

Verfahrensgang

OLG Frankfurt am Main (Beschluss vom 20.05.2003; Aktenzeichen 2 Not 4/02)

 

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde des Antragstellers wird der auf den 20.5.2003 datierte Beschluss des 2. Notarsenats des OLG Frankfurt aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens, an das OLG zurückverwiesen.

Der Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 50.000 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Der 1942 geborene Antragsteller ist seit 1971 als Rechtsanwalt zugelassen und seit 1985 Notar mit dem Amtssitz in U. .

Mit Verfügung v. 27.7.2001 hat ihn der Präsident des LG Frankfurt/M. vorläufig seines Amtes als Notar enthoben, weil seine wirtschaftlichen Verhältnisse und die Art seiner Wirtschaftsführung die Interessen der Rechtsuchenden gefährdeten (§§ 54 Abs. 1 Nr. 2, 50 Abs. 1 Nr. 8 BNotO). Dieser Einschätzung hat sich die Präsidentin des OLG Frankfurt auf Grund der Vielzahl gegen ihn geführter Prozesse und Vollstreckungsmaßnahmen sowie seiner außerordentlich hohen Verschuldung und Belastungen angeschlossen und ihm mit Bescheid v. 26.4.2002 angekündigt, dass sie aus diesen Gründen seine endgültige Amtsenthebung gem. § 50 Abs. 1 Nr. 8 BNotO in Aussicht nehme. Gegen den auf den 20.5.2003 datierten Beschluss des OLG, mit dem sein Antrag auf gerichtliche Entscheidung gegen die Verfügung v. 26.4.2002 gem. § 50 Abs. 3 S. 3 BNotO zurückgewiesen worden ist, richtet sich die sofortige Beschwerde des Antragstellers.

II. Das zulässige Rechtsmittel (§§ 111 Abs. 4 BNotO, 42 Abs. 4 BRAO) hat insoweit Erfolg, als es zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das OLG führt. Der Beschluss leidet an einem erheblichen Verfahrensmangel. Eine Entscheidung in der Sache selbst hält der Senat nicht für sachdienlich.

1. a) Der genaue Verlauf des Verfahrens vor dem OLG ist den Akten nicht sicher zu entnehmen.

Nach Eingang des Antrages auf gerichtliche Entscheidung am 5.6.2002 ist Termin auf den 1.11.2002 anberaumt worden. Verhandlungs- und Verkündungsprotokolle enthalten die Akten nicht. Nach einer von der Antragsgegnerin dem Senat aus ihren Akten übermittelten Protokollabschrift hat am 15.11.2002 ein Verhandlungstermin vor dem OLG stattgefunden, in dem eine Entscheidung im schriftlichen Verfahren nicht vor dem 16.12.2002 angekündigt worden ist. Es gibt in den Akten keinen Anhalt dafür, dass unter dem Beschlussdatum v. 20.5.2003 ein Verhandlungs- oder Verkündungstermin stattgefunden hat. Im Gegenteil findet sich dort zunächst eine Verfügung des Senatsvorsitzenden v. 2.6.2002, ein Protokoll aus einem anderen Verfahren (offenbar das im selben Termin verhandelte vorläufige Amtsenthebungsverfahren) zu diesen Akten zu nehmen. Gemäß weiterer Verfügung von diesem Tag ist dem notariellen Beisitzer ein Beschlussentwurf nebst Akten zur Prüfung und - wenn kein Beratungsbedarf bestehe - zur Unterschrift zugeleitet worden.

Nach diesem durch die Akten ausgewiesenen Verfahrensgang müssen nach einer mündlichen Verhandlung, auf Grund der die Entscheidung erlassen worden ist (§ 111 Abs. 4 BNotO i.V.m. § 40 Abs. 2 S. 1 BRAO), weit mehr als fünf Monate vergangen sein, bis die gem. § 111 Abs. 4 BNotO i.V.m. § 41 Abs. 1 BRAO mit Gründen versehene Entscheidung von allen Richtern unterschrieben der Geschäftsstelle zur Zustellung zugeleitet worden ist. Der Beschluss ist daher als "nicht mit Gründen versehen" zu behandeln (§ 111 Abs. 4 BNotO i.V.m. § 40 Abs. 4 BRAO, § 27 Abs. 1 S. 2 FGG, § 547 Nr. 6 ZPO).

b) Es entspricht einem mittlerweile für alle Prozessarten anerkannten Grundsatz, dass ein bei Verkündung noch nicht vollständig abgefasstes Urteil "nicht mit Gründen versehen" ist, wenn Tatbestand und Entscheidungsgründe nicht binnen fünf Monaten nach Verkündung schriftlich niedergelegt, von den Richtern unterschrieben und der Geschäftsstelle übergeben worden sind (vgl. GmS-OGB, Beschl. v. 27.4.1993 - GmS-OGB 1/92, NJW 1993, 2603; BGH, Urt. v. 29.10.1986 - IVa ZR 119/85, MDR 1987, 300 = NJW 1987, 2446; Zöller/Vollkommer, ZPO, 24. Aufl., § 310 Rz. 5; Zöller/Gummer, ZPO, 24. Aufl., § 547 Rz. 10 m.w.N.). Insbesondere hat der BGH entschieden, dass der im Zulassungsverfahren gem. § 40 BRAO ergangene Beschluss des AGH an einem wesentlichen Verfahrensmangel leidet (§ 40 BRAO i.V.m. § 27 Abs. 1 S. 2 FGG, § 551 Nr. 7 ZPO a.F.), wenn er nicht binnen fünf Monaten nach mündlicher Verhandlung vollständig schriftlich niedergelegt, von den Richtern besonders unterschrieben und der Geschäftsstelle übergeben worden ist, gleichviel ob die Beschlussformel verkündet oder die Entscheidung insgesamt durch Zustellung bekannt gemacht worden ist (BGH, Beschl. v. 18.6.2001 - AnwZ (B) 10/00, MDR 2001, 1184 = BGHReport 2001, 748 = NJW-RR 2001, 1642; Beschl. v. 30.9.1997 - AnwZ (B) 11/97, MDR 1998, 66 = NJW-RR 1998, 267).

Diese Grundsätze gelten gleichermaßen für das gerichtliche Vorschaltverfahren gem. § 50 Abs. 3 S. 3 BNotO, auf das die einschlägigen Verfahrensvorschriften der Bundesrechtsanwaltsordnung entsprechend anzuwenden sind (§ 111 Abs. 4 S. 2 BNotO, vgl. BGHZ 44, 65; Schippel, BNotO, 7. Aufl., § 50 Rz. 40). Tragender Gesichtspunkt für den übergreifenden verfahrensrechtlichen Grundsatz ist, dass infolge des abnehmenden richterlichen Erinnerungsvermögens nach mehr als fünf Monaten nicht mehr gewährleistet ist, dass der Eindruck von der mündlichen Verhandlung und das auf dieser Grundlage Beratene noch absolut zuverlässig Niederschlag in den viel später abgefassten Gründen der Entscheidung finden. Dieser Gesichtspunkt trifft genauso zu für das gerichtliche Vorschaltverfahren bei einer in Aussicht genommenen Amtsenthebung eines Notars. Es geht um die "Vermeidung von Fehlerinnerung" und damit um Gründe der Rechtssicherheit (GmS-OGB, Beschl. v. 27.4.1993 - GmS-OGB 1/92, NJW 1993, 2603), die auch in diesem Verfahren Beachtung verlangen. Dafür, dass insoweit geringere Anforderungen zu stellen sein könnten als im verfahrensrechtlich gleich ausgestalteten Zulassungsverfahren gem. § 40 BRAO, gibt es keine rechtliche Grundlage (vgl. BGH, Beschl. v. 30.9.1997 - AnwZ (B) 11/97, MDR 1998, 66 = NJW-RR 1998, 267).

2. Dem Senat erscheint es angezeigt, die Sache nach dem Rechtsgedanken des § 538 Abs. 2 S. 1 ZPO an das OLG zurückzuweisen. Angesichts des zu Grunde zu legenden Zeitablaufs seit der mündlichen Verhandlung vor dem OLG von knapp zwei Jahren und der in diesem Zeitraum vorgetragenen Änderungen der Verhältnisse beim Antragsteller, erscheint es sachdienlich, dem OLG eine neue - gleichsam erste - Beurteilung vorzubehalten. Dabei geht es zunächst ganz wesentlich um die Erfassung der nunmehr bestehenden, sich nach Aktenlage erheblich anders darstellenden wirtschaftlichen Situation des Antragstellers, als sie dem angefochtenen Beschluss zu Grunde gelegt ist, mithin um den für die Entscheidungsreife maßgeblichen Verfahrensstoff, und nicht etwa im Wesentlichen um Rechtsfragen (vgl. BGH v. 25.1.2001 - V ZR 22/00, MDR 2001, 596 = BGHReport 2001, 441 = NJW-RR 2001, 642, unter II 1b). Die Antragsgegnerin räumt in ihrer Stellungnahme v. 22.10.2004 ein, dass sich die finanzielle Situation des Antragstellers ggü. dem Zustand ihrer Verfügung v. 26.4.2002 und der angefochtenen Entscheidung stabilisiert zu haben scheint.

 

Fundstellen

NJW 2005, 3216

BGHR 2005, 461

NJW-RR 2005, 1151

MDR 2005, 359

ZNotP 2005, 116

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