Entscheidungsstichwort (Thema)

Schadensersatzanspruch eines Schülers, der sich beim Spielen während der Unterrichtspause auf dem Schulhof verletzt hat

 

Leitsatz (amtlich)

Über die Voraussetzungen des Ausschlusses von Schadensersatzansprüchen gegen den Schulträger bei Schulunfällen.

 

Normenkette

RVO § 539 Abs. 1 Nr. 14b, §§ 636-637

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des 1. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 11. Februar 1988 - 1 U 31/87 - wird nicht angenommen.

Der Kläger trägt die Kosten des Revisionsverfahrens (§ 97 Abs. 1 ZPO).

Streitwert: 170.000 DM

 

Gründe

Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung (§ 554 b ZPO). Die Revision hat auch im Ergebnis keine Aussicht auf Erfolg (BVerfGE 54, 277).

1.

Ansprüche des Klägers gegen sowohl den beklagten Landkreis als auch die beklagte Gemeinde sind nach §§ 636, 637 RVO ausgeschlossen.

Der Kläger macht einen Anspruch auf Schadensersatz wegen eines Unfalls geltend, den er als Schüler beim Spielen während der Unterrichtspause auf dem Schulhof erlitten hat.

Nach § 539 Abs. 1 Nr. 14 b RVO in der Fassung des Gesetzes über die Unfallversicherung für Schüler und Studenten sowie Kinder in Kindergärten vom 18.3.1971 (BGBl. I S. 237) sind Schüler während des Besuches allgemeinbildender Schulen in der Unfallversicherung gegen "Arbeitsunfälle" versichert. Darunter fallen auch Unfälle, die sich auf dem Schulgelände in Schulpausen ereignen (BGHZ 67, 279, 280). Daraus folgt, daß wegen der Körperschäden, die ein Schüler durch einen Schulunfall erleidet, Schadensersatzansprüche gegen den Schulträger ausgeschlossen sind, soweit der Unfall nicht vorsätzlich herbeigeführt worden oder bei der Teilnahme am allgemeinen Verkehr eingetreten ist (§§ 636, 637 Abs. 4 RVO).

Beide Voraussetzungen, unter denen ein Schulunfall ausnahmsweise einen Amtshaftungsanspruch gegen den Schulträger begründen kann, hat das Berufungsgericht verneint. Ohne Erfolg wendet die Revision sich gegen die Auffassung des Oberlandesgerichts, der Unfall des Klägers habe sich nicht bei der Teilnahme am allgemeinen Verkehr ereignet.

2.

Eine weitergehende Haftung des beklagten Landkreises ergibt sich nicht - wie die Revision meint - daraus, daß dieser auch Träger der Bauaufsichtsbehörde ist.

Im Hinblick auf diese Zuständigkeit und die Schulträgerschaft ist der Landkreis als einheitlicher Unternehmer im Sinne der §§ 636, 637 RVO anzusehen.

Für die Frage, ob ein Schulunfall bei einem innerbetrieblichen Vorgang oder bei der Teilnahme am allgemeinen Verkehr im Sinne des § 636 Abs. 1 Satz 1 RVO eingetreten ist, sind die für den Dienst- und Arbeitsunfall entwickelten Grundsätze anzuwenden, die für den Schulbereich "gedanklich umzuformen" sind (vgl. BGHZ 67, 279, 282 mit Anm. Weber LM RVO § 636 Nr. 6; Senatsurteil v. 27. April 1981 - III ZR 47/80 - VersR 1981, 849).

Danach reicht es für eine Teilnahme am allgemeinen Verkehr nicht aus, daß der Unfall sich auf öffentlicher Straße ereignet hat. Es ist vielmehr zu unterscheiden, ob der Schüler den Unfall als normaler Verkehrsteilnehmer oder gerade als Schulangehöriger erlitten hat. Diese Frage ist nicht allgemein, sondern aufgrund der Beziehungen zwischen den an dem Unfallgeschehen Beteiligten zu entscheiden. Maßgeblich ist, ob der Verletzte den Unfall in einem Gefahrenkreis erleidet, für den seine Zugehörigkeit zum Organisationsbereich der Schule im Vordergrund steht, oder ob der Unfall damit nur einen losen äußeren Zusammenhang hat. Es kommt darauf an, ob sich in dem Unfall das betriebsbezogene Verhältnis niederschlägt oder der Gefahrenkreis des allgemeinen Verkehrs verwirklicht, wobei entscheidend auf die Beziehung zu dem in Anspruch genommenen Schädiger abzustellen ist (Senatsurteile BGHZ 17, 65; und v. 27. April 1981 aaO). Eine Teilnahme am allgemeinen Verkehr ist nur zu bejahen, wenn in dem Unfall nicht eine Konkretisierung derjenigen Gefahren gesehen werden kann, in die der Verletzte durch den Schulbesuch hineingestellt ist, sondern sich Gefahren konkretisiert haben, die außerhalb dieses mit dem Schulbesuch verbunden Gefahrenkreises liegen (Kreft, LM BGB § 839 Fk Nr. 4).

Dies ist hier auch im Verhältnis zur Bauaufsichtsbehörde nicht anzunehmen. Ein Unfall, der sich - wie der vorliegende - im Bereich der Schule ereignet, gehört auch dann nicht zur Teilnahme am öffentlichen Verkehr, wenn neben der Schule eine andere Behörde - wie hier die Bauaufsichtsbehörde - für die Sicherheit gerade des Schulbereichs mit zuständig sein sollte.

3.

Auch die beklagte Gemeinde kann sich auf die Anspruchsbeschränkung nach §§ 636, 637 RVO berufen.

Sie hat zwar den Zaun, an der der Kläger seinen Unfall erlitten hat, im Jahre 1982 errichtet und war verpflichtet, Gefahren, die von dem Zaun für die Gesundheit Dritter ausgingen, vorzubeugen und sie gegebenenfalls abzuwehren (vgl. BGH, Urteile v. 28. Oktober 1986 - VI ZR 254/85 - BGHR BGB § 823 Abs. 1 Verkehrssicherungspflicht 4). Die genannten Anspruchsbeschränkungen gelten aber auch für sie.

a)

Die beklagte Gemeinde hatte zur Zeit der Errichtung des Zaunes durch die Verwaltungsvereinbarung vom 9. Juni/23. November 1970 die Unterhaltung, sachliche Verwaltung und Bewirtschaftung der Schule im Auftrag des Landkreises übernommen. Damit war sie allerdings nicht nach § 17 Abs. 3 des hessischen Schulverwaltungsgesetzes in der Fassung vom 14. April 1978 (GVBl. I S. 232) in die Stellung des Schulträgers eingerückt. Dies ergibt sich schon daraus, daß es dem Landkreis vorbehalten war, für die Erfüllung der übernommenen Aufgaben Richtlinien zu erlassen (§ 2 Abs. 3), für die Vergabe der Renovierungs- und Reparaturarbeiten allgemeine Vergaberichtlinien aufzustellen (§ 2 Abs. 4 Satz 2) und im Benehmen mit der Gemeinde für die Vermietung von Schulgebäuden, Schulanlagen und Schuleinrichtungen für gewerbliche oder vergnügungssteuerpflichtige Veranstaltungen Richtlinien aufzustellen (§ 4 Abs. 2). Andererseits beschränkte die Aufgabenübernahme sich nicht rein auf das Innenverhältnis zwischen Landkreis und Gemeinde. Die Gemeinde beschaffte die benötigten Maschinen, Geräte und Materialien zwar im Namen des Landkreises (§ 2 Abs. 2); Renovierungs- und Reparaturarbeiten vergab sie aber im eigenen Namen (§ 2 Abs. 4 Satz 1); die für den Betrieb der Schule erforderlichen Bediensteten stellte sie als eigene Bedienstete an (§ 3 Abs. 1 Satz 1); deren Dienstvorgesetzter war der Bürgermeister (§ 3 Abs. 2).

Im Verhältnis von Landkreis und Gemeinde lag danach keine Organleihe vor, die eine (dann aber wieder durch §§ 636, 637 RVO ausgeschlossene) Haftung des Landkreises begründen könnte; denn es haben nicht bestimmte Organe der Gemeinde neben den Aufgaben der Gemeinde Aufgaben des Kreises wahrgenommen und sind insoweit als dessen Organe tätig geworden (vgl. H. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 4. Aufl. § 21 Rn. 54). Vielmehr hat die Gemeinde als Verwaltungsträger auftragsweise Aufgaben des Landkreises übernommen. Ihre Organe haben zwar Aufgaben des Landkreises erfüllt, aber als Organe der Gemeinde gehandelt. Deshalb trifft die Gemeinde auch die Verantwortlichkeit für Pflichtverletzungen ihrer Bediensteten (vgl. H. Maurer a.a.O. Rn. 55).

b)

Obwohl die beklagte Gemeinde nach allem zur Zeit der Errichtung nicht Schulträger im Sinne des Gesetzes war, war sie im Hinblick auf die vertragliche Übernahme von Unterhaltung, sachlicher Verwaltung und Bewirtschaftung der Schule im Rahmen der §§ 636, 637 RVO wie ein Schulträger als "Unternehmer" des "Schulbetriebs" anzusehen. Diese Haftungsbeschränkungen kommen auch ihr und ihren Bediensteten zugute. Für ihre Haftung gilt daher das gleiche, wie für die des Landkreises als des Schulträgers, der vom 1. Januar 1983 an auch die tatsächliche Verwaltung der Schule übernommen hat.

Dem steht nicht entgegen, daß der Zaun durch den städtischen Bauhof errichtet wurde und zugleich der Abgrenzung der Baustelle auf dem - im Eigentum der Gemeinde stehenden - benachbarten Grundstück diente. Der Zaun wurde auf dem Schulgrundstück errichtet und diente dazu, den Zugang von diesem zu der Baustelle zu verhindern. Insofern diente er der Sicherung des Schulbetriebs und damit gerade der Erfüllung einer Aufgabe des Schulträgers. Als Eigentümerin des Nachbargrundstücks war die Gemeinde nach § 11 der hessischen Bauordnung in der Fassung vom 16. Dezember 1977 (GVBl. 1978 I S. 2) nicht verpflichtet, das Grundstück einzufrieden, da der Schulhof keine öffentliche Verkehrsfläche ist.

Deshalb hat der Unfall des Klägers sich auch im Verhältnis zu keiner der beteiligten Gemeindeverwaltungen "bei Teilnahme am allgemeinen Verkehr" ereignet.

c)

Die Verwaltung der Schule durch die beklagte Gemeinde ist allerdings seit dem 1. Januar 1983 beendet. Dies steht aber der Anwendung der §§ 636, 637 RVO hier nicht entgegen. Die Übernahme der äußeren Schulverwaltung durch den Landkreis hat an der Anspruchsbeschränkung gegenüber der Gemeinde für bis zu diesem Zeitpunkt begangene Pflichtverletzungen von Bediensteten der Gemeinde bei der Wahrnehmung von Aufgaben der äußeren Schulverwaltung nichts geändert. Seit dem 1. Januar 1983 besteht für die Bediensteten der Gemeinde nicht mehr die für die Annahme einer Verletzung der Verkehrssicherungspflicht erforderliche Einwirkungsmöglichkeit hinsichtlich des auf dem Schulgrundstück befindlichen Zaunes.

 

Unterschriften

Krohn

Kröner

Engelhardt

Rinne

Wurm

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1456440

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