Leitsatz (amtlich)

Zur Unzulässigkeit einer Erinnerung des Schuldners gegen eine bereits beendete Maßnahme zur Vollstreckung eines Räumungsanspruchs.

 

Normenkette

ZPO §§ 766, 885

 

Verfahrensgang

LG Mühlhausen (Beschluss vom 04.11.2003; Aktenzeichen 2 T 224/02)

AG Eisenach

 

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 2. Zivilkammer des LG Mühlhausen v. 4.11.2003 wird auf Kosten der Schuldnerin zurückgewiesen.

Wert: 6.000 EUR

 

Gründe

I.

Das LG verurteilte am 16.12.1998 Frau A. P. , Inhaberin der Firma M. , u.a. zur Räumung der in dem Urteil näher bezeichneten Gewerberäume auf dem Grundstück A. in Eisenach und zur Herausgabe der Räume und sämtlicher Schlüssel an die Gläubigerin. Am 14.10.2002 ließ die von der Gläubigerin mit der zwangsweisen Räumung der Gewerberäume beauftragte Gerichtsvollzieherin die Schlösser der Türen der inzwischen von Frau P. der Schuldnerin zur Nutzung überlassenen Räume austauschen und händigte der Gläubigerin die neuen Schlüssel aus. Die Einrichtungsgegenstände der Schuldnerin wurden von der Gerichtsvollzieherin nicht weggeschafft.

Gegen die Vollstreckungsmaßnahmen der Gerichtsvollzieherin legte die Schuldnerin Erinnerung ein und beantragte

- die durch die Gerichtsvollzieherin auf Grund des vollstreckbaren Titels gegen Frau Angelika P. erfolgte Zwangsvollstreckung gegen die Erinnerungsführerin für unzulässig zu erklären,

- die Gerichtsvollzieherin anzuweisen, der Erinnerungsführerin den freien Zutritt zu den Räumlichkeiten im Hauptgebäude der Erinnerungsgegnerin in Eisenach, A. , zu gewähren, hierzu einen Satz zu den Außentüren der Räumlichkeiten gehörender Schlüssel auszuhändigen sowie den Außen- und Innenbriefkasten wieder zur Verfügung zu stellen und die Beschriftung mit "D. "zuzulassen.

Die Schuldnerin machte geltend, der Titel der Gläubigerin habe sich allein gegen Frau A. P. gerichtet, die die Räume, die sie zunächst an ihren Ehemann, den Geschäftsführer der Schuldnerin, untervermietet gehabt habe, inzwischen an die Schuldnerin untervermietet habe. Darauf sei die Gerichtsvollzieherin, die dem Geschäftsführer der Schuldnerin die Räumung mit Schreiben v. 20.8.2002 angekündigt habe, mit Schreiben des Bevollmächtigten des Geschäftsführers v. 13.9.2002 hingewiesen worden. Der Gerichtsvollzieherin seien am 23.9.2002 der zwischen den Eheleuten P. abgeschlossene Aufhebungsvertrag und der mit der Schuldnerin abgeschlossenen Untermietvertrag v. 31.3.2002 vorgelegt worden.

Das AG Eisenach hat die Erinnerung mit der Begründung zurückgewiesen, sie sei ungeachtet ihrer Zulässigkeit jedenfalls unbegründet, weil die Schuldnerin auf Grund des rechtskräftigen Berufungsurteils des LG Mühlhausen v. 4.7.2002 in dem Rechtsstreit "Sch. ./. D. GmbH, D. und A. P. "zur Räumung verpflichtet gewesen sei.

Die Schuldnerin machte mit ihrer sofortigen Beschwerde, mit der sie ihre Anträge aus dem Erinnerungsverfahren weiterverfolgte, geltend, das in dem Beschluss des AG genannte Urteil sei in einem anderen, nicht von der Gläubigerin geführten Rechtsstreit ergangen und betreffe zudem nicht die geräumten Gewerberäume, sondern Räume auf einem anderen Grundstück. Den Beschluss der Einzelrichterin des LG, mit dem die sofortige Beschwerde der Schuldnerin verworfen worden war, hat der Senat unter Zurückverweisung der Sache zu neuer Entscheidung aufgehoben.

Das LG hat die sofortige Beschwerde der Schuldnerin erneut zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich die Schuldnerin mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde.

II.

Das gem. § 574 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 S. 2 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsmittel ist unbegründet.

1. Nach Auffassung des Beschwerdegerichts hat das AG die Vollstreckungserinnerung im Ergebnis zu Recht zurückgewiesen. Die Erinnerung sei unzulässig, weil das Rechtsschutzbedürfnis für die Anfechtung der Zwangsvollstreckungsmaßnahme der Gerichtsvollzieherin mit deren Beendigung durch den Austausch der Schlösser und die Übergabe der Schlüssel an die Gläubigerin entfallen sei. Dem stehe nicht entgegen, dass der Schuldnerin gehörende Einrichtungsgegenstände in den Gewerberäumen belassen worden seien, denn die Gläubigerin habe sich mit Schriftsatz v. 22.1.2003 bereit erklärt, diese Gegenstände der Schuldnerin zu überlassen.

Die Rechtsbeschwerde ist demgegenüber der Auffassung, die Zwangsvollstreckung sei trotz der Besitzeinweisung der Gläubigerin noch nicht beendet, weil die Einrichtungsgegenstände der Schuldnerin von der Gerichtsvollzieherin nicht weggeschafft worden seien. Allenfalls mit der Einlagerung der weggeschafften Gegenstände des Schuldners und deren Freigabe durch die Gläubigerin könne eine Räumungsvollstreckung als beendet angesehen werden. Das Beschwerdegericht habe deshalb in der Sache entscheiden und entsprechend dem Antrag der Schuldnerin die Rückgängigmachung der wegen des Fehlens eines Räumungstitels der Gläubigerin gegen die Schuldnerin rechtswidrigen Zwangsvollstreckungsmaßnahme anordnen müssen.

2. Die Entscheidung des Beschwerdegerichts ist richtig.

a) Es hat das Rechtsschutzbedürfnis für die auf eine Rückgängigmachung der Räumung gerichtete Erinnerung zu Recht verneint.

Insoweit kann dahinstehen, ob eine Räumungsvollstreckung, wie die Rechtsbeschwerde meint, erst mit der Entfernung eingebrachter Sachen des Schuldners aus den Räumen (§ 885 Abs. 2, 3 ZPO) endet (OLG Köln JurBüro 2001, 213; Wieczorek/Schütze/Storz, ZPO, 3. Aufl., § 885 Rz. 44) und ob dem, wie das Beschwerdegericht annimmt, die Freigabe der Sachen durch den Gläubiger gleichsteht (OLG Köln JurBüro 2001, 213). Das Rechtsschutzbedürfnis für den Rechtsbehelf der Erinnerung gem. § 766 ZPO ist zwar grundsätzlich bis zur Beendigung der Zwangsvollstreckung gegeben (K. Schmidt in MünchKomm/ZPO, 2. Aufl., § 766 Rz. 44; Musielak/Lackmann, ZPO, 4. Aufl., § 766 Rz. 17, jeweils m.w.N.). Soll auf die Erinnerung jedoch - wie hier - eine bestimmte Vollstreckungsmaßnahme für unzulässig erklärt werden, entfällt das Rechtsschutzbedürfnis insoweit aber nicht erst mit der Beendigung der Zwangsvollstreckung im Ganzen (Musielak/Lackmann, ZPO, 4. Aufl., vor § 704 Rz. 30; Zöller/Stöber, ZPO, vor § 704 Rz. 33), sondern mit der Beendigung der beanstandeten Zwangsvollstreckungsmaßnahme (Musielak/Lackmann, ZPO, 4. Aufl., vor § 704 Rz. 30; Thomas/Putzo, ZPO, 26. Aufl., § 766 Rz. 21). Mit der Erinnerung kann der Schuldner nur erreichen, dass die beanstandete Maßnahme für unzulässig erklärt und entsprechend § 775 Nr. 1 i.V.m. § 776 ZPO von dem zuständigen Vollstreckungsorgan aufgehoben wird (Musielak/Lackmann, ZPO, 4. Aufl., vor § 704 Rz. 30; Zöller/Stöber, ZPO, vor § 766 Rz. 29 f.). Im Sinne dieser Vorschriften aufgehoben werden kann aber nur eine noch nicht beendete Maßnahme, wie etwa eine unzulässige Sachpfändung durch Entfernen der Pfandsiegel, nicht dagegen eine bereits endgültig vollzogene Maßnahme. Sie müsste vielmehr rückgängig gemacht werden, was mit der Erinnerung nicht durchgesetzt werden kann (K. Schmidt in MünchKomm/ZPO, 2. Aufl., § 766 Rz. 45; Stein/Jonas/Münzberg, ZPO, 22. Aufl., § 766 Rz. 41; Zöller/Stöber, ZPO, vor § 766 Rz. 13).

Nach diesen Grundsätzen ist das Rechtsschutzbedürfnis für die Erinnerung der Schuldnerin nicht gegeben. Mit der Einweisung der Gläubigerin in den Besitz der Räume durch Übergabe der Schlüssel ist diese Vollstreckungsmaßnahme beendet und kann demgemäß von der Gerichtsvollzieherin nicht mehr aufgehoben werden. Zur Durchsetzung der von der Schuldnerin angestrebten erneuten Einweisung in den Besitz der Räume bedürfte es vielmehr einer Vollstreckungsmaßnahme gem. § 885 Abs. 1 S. 1 ZPO gegen die Gläubigerin. Diese setzt gem. § 750 Abs. 1 ZPO einen entsprechenden Titel voraus, der nur auf Grund einer Klage im Erkenntnisverfahren erlangt werden kann. Die materiellrechtlichen Fragen, ob die Schuldnerin wegen der Besitzentziehung gegen die Gläubigerin einen Herausgabeanspruch gem. § 861 Abs. 1 BGB hat und ob dieser möglicherweise gem. § 864 BGB erloschen ist, sind nicht im formalisierten Zwangsvollstreckungsverfahren zu prüfen, sondern im Erkenntnisverfahren.

b) Die Feststellung der Rechtswidrigkeit einer bereits beendeten Vollstreckungsmaßnahme (zur Unzulässigkeit einer Räumungsvollstreckung gegen den Untermieter auf Grund des gegen den Hauptmieter ergangenen Titels vgl. BGH, Beschl. v. 18.7.2003 - IXa ZB 116/03, BGHReport 2003, 1240 = MDR 2004, 53 = NJW-RR 2003, 1450) sieht § 766 ZPO grundsätzlich nicht vor (OLG Köln JurBüro 2001, 213; OLG Hamm v. 2.3.1993 - 14 W 50/93, WuM 1993, 474; K. Schmidt in MünchKomm/ZPO, 2. Aufl., § 766 Rz. 45, m.w.N.). Zwar kann bei tief greifenden Grundrechtseingriffen in Fällen prozessualer Überholung ein Rechtsschutzinteresse des Betroffenen anzuerkennen sein, die Rechtswidrigkeit einer Maßnahme feststellen zu lassen (zum Fortsetzungsfeststellungsinteresse bei erledigten gerichtlichen Anordnungen vgl. BVerfG v. 30.4.1997 - 2 BvR 817/90, 2 BvR 728/92, 2 BvR 802/95, 2 BvR 1065/95, BVerfGE 96, 27 [40]; v. 5.12.2001 - 2 BvR 527/99, BVerfGE 104, 220 [232 ff.]; BGH, Beschl. v. 4.3.2004 - IX ZB 133/03, BGHReport 2004, 985 = MDR 2004, 1022 = WM 2004, 992). Die Annahme eines Fortsetzungsfeststellungsinteresses im vorgenannten Sinne kommt hier schon deshalb nicht in Betracht, weil bei einer Räumungsvollstreckung im Erinnerungsverfahren eine Entscheidung über die Zulässigkeit einer Vollstreckungsmaßnahme regelmäßig vor deren Beendigung erlangt werden kann. Bei einer drohenden Räumungsvollstreckung ist das Rechtsschutzinteresse für die Erinnerung bereits vor der ersten Vollstreckungshandlung gegeben (K. Schmidt in MünchKomm/ZPO, 2. Aufl., § 766 Rz. 44, m.N.), so dass die Schuldnerin als von der Maßnahme betroffene und damit erinnerungsbefugte Dritte sich nach der Ankündigung der Vollstreckung durch die Gerichtsvollzieherin mit der Erinnerung gegen die drohende Zwangsvollstreckung hätte wenden können.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Für die von der Schuldnerin beantragte Nichterhebung der Kosten des vorangegangen Rechtsbeschwerdeverfahrens gem. § 8 Abs. 1 S. 1 GKG a.F. ist kein Raum, weil die Rechtsbeschwerde Erfolg hatte, so dass keine Gerichtsgebühr für das Verfahren entstanden ist, und demgemäß Kosten außer Ansatz geblieben sind.

 

Fundstellen

BGHR 2005, 676

EBE/BGH 2005, 1

NZM 2005, 193

WM 2005, 292

ZMR 2005, 289

AnwBl 2005, 2

InVo 2005, 283

JA 2005, 408

MDR 2005, 648

NJ 2005, 271

Rpfleger 2005, 207

WuM 2005, 147

WuM 2005, 669

GuT 2005, 23

MietRB 2005, 149

ProzRB 2005, 119

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