Leitsatz (amtlich)

Eine Widerspruchsklage, mit der ein Ehegatte gemäß § 774 ZPO die Unzulässigkeit der Zwangsvollstreckung in das eheliche Gesamtgut geltend macht, ist jedenfalls dann keine Familiensache, wenn der Vollstreckungstitel, der Grundlage der Zwangsvollstreckung ist, keine Familiensache betrifft.

 

Normenkette

GVG § 23b Abs. 1 S. 2 Nr. 9; ZPO § 774

 

Verfahrensgang

LG München I

OLG München

 

Tenor

Zuständig für das Berufungsverfahren ist ein Senat für allgemeine Zivilsachen bei dem Oberlandesgericht München.

 

Gründe

I.

Zwischen der Klägerin und ihrem getrennt lebenden Ehemann, der eine Arztpraxis betreibt, besteht Gütergemeinschaft. Das Gesamtgut wird von den Ehegatten gemeinschaftlich verwaltet. Die beklagte Bank hat gegen den Ehemann der Klägerin einen Vollstreckungsbefehl über 20.000,– DM erstritten, dem ein Anspruch auf Rückzahlung eines Darlehens zugrunde liegt; daraus betreibt die Beklagte gemäß § 741 ZPO die Zwangsvollstreckung in eine zum Gesamtgut der Eheleute gehörende Eigentumswohnung. Hiergegen wendet sich die Klägerin mit einer Widerspruchsklage nach § 774 ZPO. Sie macht geltend, daß das Gesamtgut nicht hafte, weil die Arztpraxis nicht als Erwerbsgeschäft angesehen werden könne und im übrigen das Darlehen auch nicht für die Arztpraxis verwendet worden sei.

Das Landgericht hat die Klage als unbegründet abgewiesen. Dagegen hat die Klägerin Berufung zum Oberlandesgericht eingelegt, mit der sie ihre Widerspruchsklage weiterverfolgt. Bei dem Berufungsgericht sind ein Senat für allgemeine Zivilsachen und ein Senat für Familiensachen, die jeweils nach der Geschäftsverteilung als zuständig in Betracht kämen, verschiedener Meinung darüber, ob eine Familiensache vorliegt. Beide Senate haben sich für unzuständig erklärt.

II.

In entsprechender Anwendung des § 36 Nr. 6 ZPO (vgl. BGHZ 71, 264) ist der Senat für allgemeine Zivilsachen als zuständig für das Berufungsverfahren zu bestimmen.

1. Die Zuständigkeit des Familiensenats würde allerdings nicht schon deshalb ausscheiden, weil die Entscheidung erster Instanz nicht von einem Familiengericht, sondern vom Landgericht erlassen worden ist. Für die Abgrenzung der gerichtsinternen Zuständigkeit der Familiengerichte und -senate kommt es nicht auf die formelle Behandlung der Sache in der Vorinstanz, sondern darauf an, ob materiell eine Familiensache im Sinne des § 23b Abs. 1 Satz 2 GVG vorliegt (BGH NJW 1978, 1925 und std. Rechtspr. des Senats).

2. Das Verfahren ist keine Familiensache. In Betracht könnte nur eine Einordnung des Rechtsstreits unter § 23b Abs. 1 Satz 2 Nr. 9 GVG kommen, der Streitigkeiten über Ansprüche aus dem ehelichen Güterrecht als Familiensachen bezeichnet. Zur Abgrenzung dieser Ansprüche hat der Senat in seinem Beschluß vom 28. Juni 1978 – IV ARZ 47/78 (NJW 1978, 1923) Stellung genommen. Danach fallen darunter Ansprüche, die sich aus den gesetzlichen Vorschriften über das eheliche Güterrecht (§§ 1363 ff. BGB) – unmittelbar oder in Verbindung mit einem Ehevertrag ergeben, und ferner Ansprüche aus Vereinbarungen der Ehegatten, durch die güterrechtliche Verhältnisse abweichend von einer gesetzlichen Ausgestaltung geregelt, güterrechtliche Ansprüche modifiziert oder die Auseinandersetzung güterrechtlicher Beziehungen geregelt werden.

Ein derartiger Anspruch ist nicht Gegenstand der Klage. Die Klägerin macht überhaupt keinen materiellrechtlichen Anspruch gegen die Beklagten geltend. Vielmehr erstrebt sie die Beseitigung der nach ihrer Meinung unzulässigen Zwangsvollstreckung der Beklagten in die zum Gesamtgut gehörende Eigentumswohnung. Es handelt sich bei der von der Klägerin erhobenen Widerspruchsklage nach § 774 ZPO um eine prozessuale Gestaltungsklage, deren Gegenstand die (Un-)Zulässigkeit der Zwangsvollstreckung der Beklagten in das in Frage stehende Objekt ist, nicht dagegen eine materielle Rechtsposition der Klägerin (Baumbach/Lauterbach/Hartmann, ZPO 36. Aufl. Einf. 1 A vor § 771; Stein/Jonas/Münzberg, ZPO 19. Aufl. § 771 Anm. I 1 c; A. Blomeyer AcP 165, 481 f.m.w.N.).

Ob eine Widerspruchsklage nach §§ 771 ff. ZPO dann als Familiensache zu qualifizieren wäre, wenn der Vollstreckungstitel, der Grundlage der Zwangsvollstreckung ist, eine Familiensache beträfe, bedarf keiner Entscheidung, weil ein solcher Fall nicht vorliegt. Der Darlehensanspruch der Beklagten gegen den Ehemann der Klägerin, der dem Vollstreckungstitel zugrunde liegt, ist nicht deshalb zu einem Anspruch „aus” dem ehelichen Güterrecht geworden, weil die Beklagte in das Gesamtgut vollstreckt und im vorliegenden Verfahren die materiell-rechtliche Haftung des Gesamtguts geltend gemacht hat.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI609541

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