Leitsatz (amtlich)

Die Unterlassung der Rechtsverfolgung läuft allgemeinen Interessen zuwider, wenn die Entscheidung grössere Kreise der Bevölkerung oder des Wirtschaftslebens ansprechen und soziale. Wirkungen nach sich ziehen würde. Das allgemeine Interesse an der richtigen Entscheidung eines Prozesses rechtfertigt in der Regel die Anwendung des § 114 Abs. 4 ZPO nicht.

 

Verfahrensgang

OLG München

LG München I

 

Tenor

Der Antrag der Klägerin auf Bewilligung des Armenrechts wird zurückgewiesen.

 

Gründe

Die Klägerin ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Sie verpflichtete sich gegenüber dem Beklagten, den spanischen Film "Isabella von Kastilien" zu synchronisieren. Der Beklagte verweigert die Zahlung der zugesagten Vergütung. Das Landgericht hat der deswegen erhobenen Klage zum Teil stattgegeben, das Oberlandesgericht hat sie in vollem Umfange abgewiesen.

Die Klägerin hat Revision eingelegt und die Bewilligung des Armenrechts gemäss § 114 Abs. 4 ZPO erbeten. Sie macht geltend, dass weder ihr noch der Geschäftsführerin, die zugleich die Hauptgesellschafterin sei, die für die Durchführung des Rechtsstreits erforderlichen. Mittel zur Verfügung ständen. Nach ihrer Auffassung läuft die Unterlassung der Rechtsverfolgung auch allgemeinen Interessen zuwider. Zur Begründung hat sie insoweit folgendes vorgetragen: Die deutsche Filmwirtschaft werde von wenigen grossen Firmen beherrscht, denen ausreichendes Kapital zur Verfügung stehe. Es liege im öffentlichen Interesse, dass auch kleine Firmen konkurrenzfähig blieben. Zu ihnen gehöre die Klägerin, deren Bestehen von dem Eingang der Forderung abhänge.

Dem Antrage kann nicht stattgegeben werden, weil die Voraussetzungen des § 114 Abs. 4 ZPO nicht gegeben sind. Nach dieser Vorschrift darf einer juristischen Person das. Armenrecht nur bewilligt werden, wenn die Unterlassung der Rechtsverfolgung allgemeinen Interessen zuwiderlaufen würde. Das ist hier nicht hinreichend dargetan.

Die Frage, welche Erfordernisse insoweit aufzustellen sind, ist streitig. Sie ist, soweit ersichtlich, höchstrichterlich noch nicht entschieden worden.

Die Bestimmung stammt aus dem Gesetz zur Änderung des Verfahrens in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten vom 27. Oktober 1933 (RGBl I S. 780). Bis dahin hatte das Reichsgericht die Möglichkeit, einer Partei kraft Amtes oder einer juristischen Person das Armenrecht zu bewilligen, verneint (RGZ 33, 366; 50, 394; 65, 287). Nunmehr wurde sie durch das angegebene Gesetz in gewissem Umfange zugelassen. Nach der Begründung (DRAnz 1933 Nr. 257) soll bei dem Merkmal des "allgemeinen Interesses" an Fälle zu denken sein, in denen die juristische Person, z.B. eine Gemeinde oder gemeinnützige Stiftung, an der Erfüllung ihrer der Allgemeinheit dienenden Aufgaben gehindert werden würde, wenn der Prozess nicht durchgeführt werde; ferner sollten juristische Personen geschützt werden, die sonst zur Entlassung einer grossen Zahl von Arbeitern schreiten müssten; schliesslich werden Verfahren erwähnt, bei denen es sich darum handelt, wichtige Patente dem Ausland gegenüber zu verteidigen. In jedem Falle dürfe die Vorschrift, wie es weiter in der Begründung heisst, nur in besonderen Ausnahmefällen angewendet werden.

Diese Erörterungen beschränken sich danach im wesentlichen auf die Anführung von Beispielen, ohne eine positive Begriffsbestimmung zu geben. Sie muss also dem Wortsinn der Vorschrift unter Berücksichtigung des Zusammenhanges, in dem sie steht, entnommen werden.

Der Begriff des "allgemeinen Interesses" steht im Gegensatz zu den Belangen des einzelnen. Daraus folgt, dass es sich um Entscheidungen handeln muss, die grössere Kreise der Bevölkerung oder des Wirtschaftslebens ansprechen und soziale Wirkungen nach sich ziehen können. Auf diesen Rahmen, innerhalb dessen sich auch die von der Begründung angeführten Fälle halten, muss sich die Anwendung der Vorschrift beschränken.

Dagegen ist es, mindestens in der Regel, nicht angängig, das "allgemeine Interesse" an der richtigen Entscheidung eines Prozesses für ausreichend anzusehen (so Landgericht Kassel MDR 1954, 45). Diesem Gedanken wird durch die in Abs. 1 des § 114 ZPO vorgeschriebene Prüfung Rechnung getragen, ob die Rechtsverfolgung aussichtsvoll und nicht mutwillig ist; das in Abs. 4 erwähnte "allgemeine Interesse" tritt demgegenüber zusätzlich neben jenes Erfordernis und muss daher eine darüber hinausgehende Bedeutung haben. Auch das Ausmass des etwaigen Unrechts wird jedenfalls dann keine andere Beurteilung rechtfertigen können, wenn sich die unmittelbaren Wirkungen der Entscheidung auf den einzelnen Fall beschränken und das soziale Gefüge nicht berühren.

Aus dem Gesagten folgt, dass der Klägerin das Armenrecht nicht bewilligt werden kann. Der hier zur Entscheidung stehende Fall betrifft unmittelbar nur die Klägerin; Rückwirkungen auf grössere Teile der Bevölkerung oder des Wirtschaftslebens sind auch dann nicht zu erwarten, wenn die Nichtdurchführung des Prozesses zu ihrer Auflösung führen würde. Die Frage, ob einer etwaigen unerwünschten "Blockbildung" in der Filmindustrie entgegenzuwirken ist, spielt demgegenüber in diesem Verfahren oder bei der Entscheidung keine Rolle; es braucht daher nicht erörtert zu werden, ob und unter welchen Voraussetzungen einem Antrage aus § 114 Abs. 4 ZPO im Hinblick auf solche Erwägungen überhaupt stattgegeben werden könnte.

 

Fundstellen

Haufe-Index 3018547

BGHZ 25, 183 - 186

BGHZ, 183

DB 1957, 991 (Volltext mit amtl. LS)

NJW 1957, 1636

NJW 1957, 1636-1637 (Volltext mit amtl. LS)

JZ 1957, 715-716

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