Entscheidungsstichwort (Thema)

Einlegung einer Berufung durch den Prozessbevollmächtigten ohne Vorlage der Prozessvollmacht

 

Leitsatz (amtlich)

Wird eine vollmachtlos eingelegte Berufung durch Prozeßurteil als unzulässig verworfen, weil trotz gerichtlicher Fristsetzung keine Vollmacht für den Vertreter des Rechtsmittelklägers vorgelegt worden ist, so kann dieser Mangel im Revisionsverfahren nicht rückwirkend durch eine nunmehr erteilte Prozeßvollmacht und die darin liegende Genehmigung der bisherigen Prozeßführung geheilt werden.

 

Normenkette

ZPO § 89 Abs. 2, § 80; VwGO §§ 173, 67 Abs. 3; RsprEinhG § 2 Abs. 1

 

Gründe

I.

Im Ausgangsverfahren verfolgt der Kläger sein von der beklagten Bundesrepublik abgelehntes Begehren weiter, ihm politisches Asyl zu gewähren. Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen. Innerhalb der Rechtsmittelfrist hat ein zuvor nicht tätig gewesener Rechtsanwalt für den Kläger Berufung eingelegt, ohne eine Vollmacht vorzulegen. Das Berufungsgericht hat ihn unter Fristsetzung zur Vorlage einer Vollmacht aufgefordert. Nach erfolglosem Ablauf der Frist hat es die Berufung in Anwendung des Art. 2 § 5 Abs. 1 Satz 2 des Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit vom 31. März 1978 (BGBl I S. 446) durch Beschluß vom 13. Mai 1982 als unzulässig verworfen.

Der Kläger hat gegen diesen Beschluß durch einen anderen, auf Grund schriftlich vorliegender Vollmacht vom 25. Juni 1982 handelnden Prozeßbevollmächtigten Revision eingelegt.

Der 9. Senat des Bundesverwaltungsgerichts möchte den angefochtenen Beschluß aufheben und die Sache an die Vorinstanz zurückverweisen, sieht sich daran jedoch durch ein Urteil des IX. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs vom 17. Dezember 1970 - IX ZR 282/69 = LM Nr. 3 zu § 80 Abs. 1 ZPO = MDR 1971, 483 gehindert. In diesem Urteil hat der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs entschieden, daß eine Berufung unzulässig ist, wen der Rechtsanwalt des Rechtsmittelklägers sie ohne Ermächtigung zu dieser Prozeßhandlung eingelegt hat und auf Rüge des Gegners hin keine schriftliche Vollmacht zu den Akten gibt und daß ferner dieser Mangel im Revisionsrechtszug nicht mehr behoben werden kann. Der 9. Senat des Bundesverwaltungsgerichts ist demgegenüber der Auffassung, daß eine stillschweigende Genehmigung der vorhergehenden Prozeßführung gemäß der nach § 173 VwGO auch im Verwaltungsprozeß anwendbaren Vorschrift des § 89 Abs. 2 ZPO mit heilender Wirkung für die vorangegangene Instanz auch noch im Revisionsverfahren erfolgen kann. Er hat deshalb dem Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes die Frage vorgelegt:

Kann im Falle einer Verwerfung der Berufung durch Prozeßurteil, weil trotz gerichtlicher Fristsetzung keine Vollmacht vorgelegt worden ist (§ 67 Abs. 3 VwGO), der Mangel der nicht nachgewiesenen Vollmacht im Revisionsverfahren rückwirkend gemäß § 173 VwGO in Verbindung mit § 89 Abs. 2 ZPO geheilt werden?

Der Gemeinsame Senat hat Stellungnahmen der obersten Gerichtshöfe des Bundes und des Generalbundesanwalts beim Bundesgerichtshof eingeholt und den Beteiligten des Ausgangsverfahrens Gelegenheit zur Äußerung gegeben. Der Bundesgerichtshof hat darauf hingewiesen, daß der frühere Ia-Zivilsenat und der V. Zivilsenat in nicht veröffentlichten Urteilen eine rückwirkende Heilung des Mangels der nicht nachgewiesenen Vollmacht in der Revisionsinstanz bejaht haben. Der Bundesfinanzhof hat mitgeteilt, daß die mit der Vorlagefrage befaßt gewesenen Senate diese im Sinne des Bundesverwaltungsgerichts entschieden hätten. Der V. Senat des Bundesfinanzhofs halte jedoch an dieser Rechtsauffassung nicht mehr fest und schließe sich den in dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 17. Dezember 1970 (aaO) dargelegten Standpunkten an. Das Bundesverwaltungsgericht hat auf die mit dem vorlegenden Senat übereinstimmende, bisherige Rechtsprechung der nicht beteiligten Senate verwiesen. Das Bundessozialgericht hat mitgeteilt, daß der 2. und der 6. Senat die Vorlagefrage in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts entschieden hätten. Das Bundesarbeitsgericht hat erklärt, daß es die streitige Rechtsfrage bisher nicht entschieden habe und daß damit zusammenhängende Rechtsfragen nicht zur Entscheidung anstünden. Es hat auf sein Urteil vom 18. Dezember 1964 - BAG 17, 32 - hingewiesen.

Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat an seiner Meinung festgehalten (§ 14 RsprEinhG).

Die Beteiligten des Ausgangsverfahrens haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

II.

1.

Die Vorlage ist nach § 2 Abs. 1 des Gesetzes zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes (RsprEinhG) in der sich aus dem Entscheidungssatz ergebenden Fassung zulässig.

Die Rechtsfrage der Heilung des Mangels einer schriftlichen Vollmacht im Revisionsverfahren wird von den beteiligten obersten Gerichtshöfen unterschiedlich beantwortet. Der 9. Senat des Bundesverwaltungsgerichts will eine Behebung dieses Mangels stets zulassen. Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat eine solche Möglichkeit in den Fällen verneint, in denen die Berufung von einem Rechtsanwalt vollmachtlos eingelegt war und bis zum Abschluß der Instanz trotz Fristsetzung durch das Gericht (§ 89 Abs. 1 ZPO) weder eine Vollmacht vorgelegt worden noch sonst eine Genehmigung der Prozeßführung erfolgt ist. Die divergierenden Auffassungen beruhen nicht auf im Zivilprozeß und im Verwaltungsprozeß unterschiedlichen Voraussetzungen, unter denen eine Vollmacht nachzuweisen ist. Während im Zivilprozeß bei einer Vertretung durch Rechtsanwälte eine schriftliche Vollmacht nur auf eine Rüge des Gegners hin vorgelegt werden muß (§ 88 ZPO), kann das Vorhandensein der Vollmacht im Verwaltungsprozeß unter bestimmten Voraussetzungen auch ohne Rüge von Amts wegen geprüft werden (vgl. BVerwG, Beschluß vom 20. September 1974 - 3 C b 54.71 = Buchholz 310 § 67 VwGO Nr. 39). Der fehlende Nachweis einer Vollmacht hat jedoch in beiden Prozeßarten die Unzulässigkeit der Berufung zur Folge. Die Rechtsfrage einer Heilung dieses Mangels im Revisionsverfahren kann daher nur einheitlich für beide Prozeßordnungen beantwortet werden.

Die Entscheidung im Ausgangsverfahren hängt von der Beantwortung der Vorlagefrage ab. Kann der Mangel der Vollmacht nach Verwerfung der Berufung durch Prozeßurteil nicht rückwirkend durch eine nunmehr erteilte Prozeßvollmacht geheilt werden, müßte die vom Berufungsgericht zugelassene Revision zurückgewiesen werden.

2.

Der Gemeinsame Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes beantwortet die vorgelegte Rechtsfrage dahingehend, daß der Mangel der nicht nachgewiesenen Vollmacht im Revisionsverfahren nicht rückwirkend gemäß § 89 Abs. 2 ZPO geheilt werden kann, wenn die Berufung vollmachtlos eingelegt war und eine Vollmacht bis zum Abschluß der Instanz trotz Fristsetzung durch das Gericht hierfür nicht vorgelegt, sondern erst nach Verwerfung des Rechtsmittels als unzulässig erteilt und damit die Prozeßführung genehmigt worden ist.

Die Prozeßvollmacht ermächtigt zu allen den Prozeß betreffenden Prozeßhandlungen. Ein von einem Vertreter ohne Vollmacht eingelegtes Rechtsmittel ist als unzulässig zu verwerfen, ebenso wie eine ohne Vollmacht eingereichte Klage als unzulässig abzuweisen ist. Unabhängig davon, ob der Mangel der Vollmacht von Amts wegen oder nur auf Rüge des Gegners hin (§ 88 Abs. 1 ZPO) zu berücksichtigen ist, ist eine ohne Vollmacht vorgenommene Prozeßhandlung unzulässig. Die prozeßrechtliche Bevollmächtigung kann nur durch eine schriftliche Vollmacht nachgewiesen werden, die zu den Gerichtsakten abzugeben ist (§ 80 Abs. 1 ZPO). Das Gericht kann zwar einen vollmachtlosen Vertreter zur Prozeßführung einstweilen zulassen (§ 89 Abs. 1 ZPO), hat ihm dann aber eine Frist zur Beibringung der Vollmacht zu bestimmen. Nach Ablauf der gesetzten Frist ist der vollmachtlose Vertreter durch besonderen Beschluß oder in den Gründen des Urteils zurückzuweisen. Ein von ihm eingelegtes Rechtsmittel ist als unzulässig zu verwerfen.

Der Mangel der Vollmacht bei Einlegung eines Rechtsmittels kann durch Genehmigung des Vertretenen, die auch in der Erteilung einer Prozeßvollmacht liegen kann, mit rückwirkender Kraft geheilt werden, soweit noch nicht ein das Rechtsmittel als unzulässig verwerfendes Prozeßurteil vorliegt (§ 89 Abs. 2 ZPO; dazu RGZ 161, 350, 351; BGHZ 10, 147; BGH Urteil vom 27. März 1980 - IX ZR 20/77 = RzW 1980, 112, Nr. 26; BGH Urteil vom 19. September 1967 - VI ZR 82/66 = NJW 67, 2304).

Die Rechtsmittelvoraussetzungen müssen am Schluß der mündlichen Verhandlung der letzten Tatsacheninstanz gegeben sein (BGHZ 31, 279, 283). Eine divergierende Auffassung der beteiligten Gerichtshöfe liegt nicht vor, soweit eine schriftlich erteilte Vollmacht bereits vor Erlaß des Prozeßurteils ausgestellt worden war. In diesem Falle kann sie im Revisionsverfahren berücksichtigt werden mit der Folge, daß das Berufungsurteil aufzuheben und die Sache zurückzuverweisen ist (so wohl die Sachlage in den Entscheidungen BFHE 90, 280; BFHE 102, 442; BFHE 106, 257; BSGE 32, 253); denn die Verwertung von Tatsachenstoff (auch neuem Vorbringen in der Revisionsinstanz) aus der Zeit vor der letzten mündlichen Verhandlung des Berufungsgerichts ist für die Prüfung der Prozeß- oder Rechtsmittelvoraussetzungen zulässig.

Wird dagegen eine Bevollmächtigung für die Zeit nach Erlaß des ein Rechtsmittel als unzulässig verwerfenden Prozeßurteils mit nachträglicher Genehmigung der bisherigen Prozeßführung, die in dieser Bevollmächtigung gesehen werden kann, durch schriftliche Vollmacht nachgewiesen, kann der Mangel der Vollmacht nicht mehr behoben werden (BAGE 17, 32 = NJW 1965, 1041; Stein Jonas/Leipold, ZPO, 20. Aufl., § 89 Rdnr. 14; Wieczorek, ZPO, 2. Aufl., § 88 Anm. B II a 4; Rosenberg/Schwab, Zivilprozeßrecht, 13. Aufl., § 55 IV; Zöller, 13. Aufl., ZPO, § 89 Anm. IV 2). Eine solche Bevollmächtigung kann nur noch für die Zukunft wirken. Die darin enthaltene nachträgliche Genehmigung kann keine Wirkung mehr für die Vergangenheit entfalten. Solange ein Prozeßurteil in der Berufungsinstanz nicht ergangen ist, ist das Rechtsmittel, das ohne Vollmacht eingelegt worden ist, schwebend unwirksam (s. BFHE 90, 280, 281), weil das Gericht den vollmachtlosen Vertreter einstweilen zulassen und der Vertretene die bisherige Prozeßführung genehmigen und damit wirksam machen kann. Das Gesetz verfolgt auch bei der Regelung der Vertretung ohne Vertretungsmacht die Absicht, eine durch das Fehlen der Genehmigung des Vertretenen eingetretene Unklarheit zu einem bestimmten Zeitpunkt enden zu lassen (§ 177 Abs. 2 BGB). Setzt das Berufungsgericht eine Frist zur Beibringung der schriftlichen Vollmacht und wird diese Vollmacht bis zum Schluß der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung nicht beigebracht, so wird die schwebende Unwirksamkeit des Rechtsmittels mit dem Erlaß des Prozeßurteils beendet. Der vollmachtlose Vertreter ist dann zurückgewiesen worden. Das Rechtsmittel ist endgültig unzulässig. Eine nunmehr in der Revisionsinstanz erteilte Genehmigung kann nicht mehr zur Zulässigkeit des Rechtsmittels führen, weil mit dem Erlaß des Prozeßurteils in der Berufungsinstanz eine genehmigungsfähige Rechtslage nicht mehr besteht. Da der Vertreter die Prozeßhandlung ohne Vollmacht vorgenommen hat und sie nun mit Vollmacht nicht mehr vornehmen kann, würde jetzt eine nachträgliche Genehmigung nicht den Mangel der Vollmacht beseitigen, sondern nur dem richtigen Prozeßurteil die Grundlage entziehen (s. BAG aaO).

Die gegenteilige Auffassung liefe auf eine im Gesetz nicht vorgesehene Verlängerung der Berufungsfrist hinaus; denn damit hätte es die Partei, die vorher eine Vollmacht (bewußt) nicht ausgestellt hatte, in der Hand, noch nach formellem Abschluß der Instanz nachträglich das Verfahren wieder in die Tatsacheninstanz zurückzubringen. Das stünde nicht im Einklang mit den allgemeinen Grundsätzen über fristgebundene Rechtsmittelvoraussetzungen und widerspräche zudem der vom Gesetzgeber verfolgten Absicht der Beschleunigung und Straffung gerichtlicher Verfahren, wie sie gerade im Gesetz zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit vom 31. März 1978 - BGBl I 446 und dem Änderungsgesetz hierzu vom 22. Dezember 1983 - BGBl I 1515 zum Ausdruck gekommen ist. Stellt das Berufungsgericht im Prozeßurteil zu Recht fest, daß die innerhalb der Rechtsmittelfrist vollmachtlos eingelegte Berufung mangels späterer Einreichung einer Vollmacht unwirksam ist, so kann eine in der Revisionsinstanz, also nach Ablauf der Berufungsfrist vorgenommene Rechtshandlung nur auf Grund erteilter Wiedereinsetzung in die versäumte Frist zu einer wirksamen Berufung führen.

Auch erfordern Rechtsklarheit und Rechtssicherheit für den Gegner der vollmachtlos vertretenen Partei, daß nicht durch nachträgliche Genehmigung einem prozessual zu Recht ergangenem Urteil die Grundlage entzogen wird. Der Einzelfallgerechtigkeit wird durch die Fristsetzung und durch die einstweilige Zulassung Genüge getan.

Das Verfahren ist kostenfrei; außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten (§ 17 RSprEinhG).

 

Unterschriften

Wannagat

Pfeiffer

Dr. Risse

Klein

Oppenheimer

Merz

Fuchs

Dr. Säcker

Kemper

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1456321

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