Leitsatz (amtlich)

Zur Frage, wann eine falsche Bezeichnung des Gerichts des ersten Rechtszuges in einer Berufungsschrift unschädlich sein und deshalb formlos berichtigt werden kann.

 

Normenkette

ZPO § 518 Abs. 2 Nr. 1

 

Verfahrensgang

OLG Celle (Beschluss vom 12.10.1988)

LG Bückeburg

 

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde der Beklagten wird der Beschluß des 16. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Celle vom 12. Oktober 1988 aufgehoben.

Beschwerdewert: 11.785,88 DM

 

Gründe

Die Klägerin verlangt von der Beklagten Werklohn in Höhe von 13.057,64 DM zuzüglich Zinsen für von ihr ausgeführte Natursteinarbeiten. Über diesen Betrag hat das Landgericht am 15. Oktober 1987 Versäumnisurteil erlassen und dieses nach rechtzeitigem Einspruch der Beklagten durch Urteil vom 1. Juli 1988 unter Klageabweisung im übrigen in Höhe von 11.785,88 DM zuzüglich Zinsen aufrechterhalten. Das Urteil wurde der erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten der Beklagten am 5. Juli 1988 als Urteil des Landgerichts Bückeburg vom 24. Juni 1988 zugestellt.

Mit einem am 5. August 1988 eingegangenen Schriftsatz hat die Beklagte gegen ein Urteil des Landgerichts Hannover vom 24. Juni 1988 Berufung eingelegt, Aktenzeichen und Parteien sind die des vorliegenden Rechtsstreits. Eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des angefochtenen Urteils lag entgegen § 518 Abs. 3 ZPO der Berufungsschrift nicht bei. Nach Hinweis auf die falsche Bezeichnung des Gerichts hat die Beklagte mit einem am 25. August 1988 eingegangenen Schriftsatz die Rechtsmitteleinlegung wiederholt und gleichzeitig Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt.

Das Oberlandesgericht hat die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand versagt und die Berufung als unzulässig verworfen. Hiergegen hat die Beklagte frist- und formgerecht sofortige Beschwerde erhoben.

I.

Das Berufungsgericht führt aus: Die am 5. August 1988 eingelegte Berufung sei unzulässig und deshalb gemäß § 519 b ZPO zu verwerfen. Es handle sich bei den Angaben in der Berufungsschrift vom 5. August 1988 nicht um eine unschädliche Falschbezeichnung des Landgerichts Hannover, die formlos berichtigt werden könne. Die Berufungsschrift müsse die Bezeichnung des Urteils enthalten, gegen das die Berufung gerichtet werde. Unschädlich seien Unrichtigkeiten der Bezeichnung des Gerichts des ersten Rechtszugs nur dann, wenn insbesondere das Rechtsmittelgericht die zutreffende Bezeichnung innerhalb der Berufungsfrist aus sonstigen Angaben der Berufungsschrift oder aus Begleitumständen außerhalb der Berufungsschrift eindeutig zu entnehmen vermöge. Davon könne im Streitfall nicht ausgegangen werden.

Der Wiedereinsetzungsantrag der Beklagten sei nicht begründet. Der zweitinstanzliche Prozeßbevollmächtigte habe die fehlerhafte Bezeichnung des angegriffenen Urteils zu vertreten.

II.

Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde der Beklagten hat Erfolg. Die Berufung der Beklagten ist rechtzeitig eingegangen, weil – entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts – die falsche Bezeichnung des Landgerichts Hannover anstatt des Landgerichts Bückeburg hier unschädlich war und deshalb formlos auch nach Ablauf der Berufungsfrist berichtigt werden konnte.

1. Nach § 518 Abs. 2 Nr. 1 ZPO muß die Berufungsschrift allerdings die Bezeichnung des Urteils enthalten, gegen das die Berufung gerichtet ist. Dazu gehört auch, daß das Gericht namhaft gemacht wird, das das Urteil erlassen hat. Dabei ist aber der Wortlaut der Rechtsmittelschrift nicht allein maßgebend. Erforderlich ist vielmehr nur, daß der Prozeßgegner und – innerhalb der Rechtsmittelfrist – auch das Berufungsgericht in der Lage sind, sich Gewißheit über die Identität des angefochtenen Urteil zu verschaffen. Deshalb genügt es, wenn sich bei falscher Bezeichnung des erstinstanzlichen Gerichts bis zum Ablauf der Berufungsfrist aus dem sonstigen Inhalt oder aus weiteren Umständen auch für das Berufungsgericht ergibt, daß die unzutreffende Bezeichnung auf einem Irrtum beruht und in Wirklichkeit das Gericht gemeint ist, von dem das angefochtene Urteil tatsächlich erlassen worden ist (vgl. BGH Beschl. vom 15. Dezember 1982 – IVa ZB 15/82 = VersR 1983, 250; Urt. v. 27. Juni 1984 – VIII ZR 213/83 = VersR 1984, 870; Urt. vom 16. Januar 1986 – I ZR 181/84 = VersR 1986, 574, jew. m.w.N.).

2. Ob ein solcher Fall gegeben ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Im Grundsatz sind an eine solche unschädliche Falschbezeichnung im Interesse der Rechtssicherheit strenge Anforderungen zu stellen. Sie dürfen aber auch nicht überspannt werden. Es muß genügen, daß nach Lage des jeweiligen Falles kein vernünftiger Zweifel daran bestehen kann, welches erstinstanzliche Gericht trotz der unrichtigen Bezeichnung gemeint ist. So ist es hier.

a) Außer Frage steht, daß für die Klägerin als Berufungsbeklagte zweifelsfrei war, welches Urteil angefochten werden sollte. Denn zwischen den Parteien war zum damaligen Zeitpunkt nur dieser eine Prozeß anhängig. Für die Klägerin war deshalb das Urteil trotz der falschen Bezeichnung unverwechselbar.

b) Allerdings ist dem Berufungsgericht zuzugeben, daß aus dem Aktenzeichen und dem richtig angegebenen Zustellungsdatum nichts herzuleiten war, weil diese Merkmale sich auf jedes Landgericht innerhalb des Oberlandesgerichtsbezirks beziehen lassen.

c) Anders ist es dagegen schon mit dem Umstand, daß beide Parteien – wie in der Berufungsschrift im einzelnen angeführt – ihren Firmensitz bzw. Wohnort im Bezirk des Landgerichts Bückeburg haben. In einem solchen Falle ist die Zuständigkeit eines anderen Gerichts (hier des Landgerichts Hannover) durch Vereinbarung nach § 38 ZPO oder rügelose Einlassung gem. § 39 ZPO zwar nicht völlig ausgeschlossen, aber doch äußerst unwahrscheinlich. Auch für einen besonderen oder gar ausschließlichen Gerichtsstand in Hannover fehlte jeder Anhaltspunkt, nachdem in der Berufungsschrift der Geschäftsbetrieb der Beklagten näher mit „Ladenbau und Innenausbau” und der der Klägerin mit „Granit-Marmor-Kunststein” gekennzeichnet ist, was von vornherein auf eine bloße Forderung aus Warenlieferung oder Werkleistung hindeutete.

d) Vor allem aber spricht die genaue Angabe der erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten der Klägerin mit der Kanzleianschrift in Bückeburg hier geradezu zwingend dafür, daß auch das Landgericht Bückeburg, an dem sie nur zugelassen sind, das Gericht ist, dessen Urteil angefochten werden sollte. Denn einer der Ausnahmefälle, in denen ein in Bückeburg zugelassener Rechtsanwalt auch vor dem Landgericht Hannover auftreten darf, schied praktisch aus. Angesichts der näheren Kennzeichnung beider Parteien konnte es sich schwerlich um eine Kartellsache (§ 89 Abs. 3 GWB) oder um eine Urheberrechtssache (§ 105 Abs. 4 UrhG) handeln. Auch eine Sache nach dem AGB-Ges. kam nicht in Frage; Niedersachsen hat im übrigen von der Möglichkeit des § 14 Abs. 2 AGBG gar keinen Gebrauch gemacht.

e) Alle diese – schon der Berufungsschrift zu entnehmenden – besonderen Umstände zusammengenommen lassen hier keinen vernünftigen Zweifel aufkommen, daß die unzutreffende Bezeichnung des Landgerichts Hannover auf einem Irrtum beruht und in Wirklichkeit das Landgericht Bückeburg gemeint ist, es sich infolgedessen um eine unschädliche, formlos zu berichtigende Falschbezeichnung handelt.

Der Senat setzt sich mit der Beurteilung dieses besonders gelagerten Falles nicht in Widerspruch zu der vorstehend angeführten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes. Die dort entschiedenen Fälle weisen durchweg nicht Umstände auf, die in derart massierter Weise wie im Streitfall für eine irrtümlich falsche Gerichtsbezeichnung sprechen. So ging es in VersR 1983, 250 um die Verwechslung der Landgerichte München I und II, die es ohnehin schwer machen dürfte, den Irrtum schon aus dem sonstigen Inhalt der Berufungsschrift aufzudecken; außerdem fehlte dort die ladungsfähige Anschrift des Berufungsbeklagten. Im Fall VersR 1984, 870 war der erstinstanzliche Prozeßbevollmächtigte des Berufungsbeklagten nur namentlich benannt, seine Kanzleianschrift dagegen nicht angegeben; auch kam den Umständen nach offenbar eine Gerichtsstandvereinbarung in Betracht. In der Sache VersR 1986, 574 ging es um die Unterlassung einer Wettbewerbshandlung, die möglicherweise eine Kartellstreitigkeit hätte sein können; auch hatte die eine Partei ihren allgemeinen Gerichtsstand weder im Bezirk des falsch bezeichneten Landgerichts noch in dem, dessen Urteil tatsächlich angefochten werden sollte.

3. Da somit die Berufung der Beklagten zu Unrecht als unzulässig verworfen wurde, ist der angefochtene Beschluß aufzuheben, ohne daß es auf die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand noch ankäme.

 

Unterschriften

Girisch, Bliesener, Quack, Thode, Haß

 

Fundstellen

Haufe-Index 1502240

NJW 1989, 2395

Nachschlagewerk BGH

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