Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer räuberischer Erpressung in zwei Fällen, davon in einem Fall wegen Versuchs, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg, so daß es auf das übrige Revisionsvorbringen nicht mehr ankommt.

1. Das Landgericht hält den die Tat bestreitenden Angeklagten auf Grund von Indizien für überführt, im Dezember 1996 zwei Sparkassenfilialen in Hannover überfallen zu haben. Nach den getroffenen Feststellungen hat er bei dem ersten Überfall u.a. "Halbschuhe mit einem kleinen, reflektierenden Metallschild mit der Werbeprägung Puratex an der Außenseite zumindest des linken Schuhs" getragen. Bei dem zweiten Überfall trug er wiederum "geschnürte Halbschuhe, möglicherweise dieselben" wie bei dem ersten Überfall. Bei seiner Festnahme wenige Tage nach dem zweiten Überfall war er u.a. mit "einem Paar brauner Lederhalbschuhe Größe 41 Marke Puratex/Landrover (Asservat III 4)" bekleidet. Die Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten hat die Strafkammer - auch - aus folgendem gewonnen:

"Aus dem sich bei den Akten befindlichen Foto ergibt sich, daß sich auf beiden Außenseiten der Schuhe ein kleines längliches, waagerecht verlaufendes Metallplättchen mit dem Aufdruck 'PURATEX' befindet. Bei einem Vergleich der von der Überwachungskamera in den Sparkassen-Filialen Immelmannstraße und Pumpstraße hergestellten Schwarz/Weiß-Fotos ist mehr oder weniger deutlich an den Außenseiten der von dem Täter getragenen Schuhe ein waagerechter heller Strich zu erkennen. Nach Überzeugung der Kammer spricht alles dafür, daß es sich hierbei um das metallene Plättchen mit dem Aufdruck 'PURATEX' handelt, welches bei entsprechender Stellung zu der aufnehmenden Überwachungskamera durch den verwendeten Blitz zu einer Reflektion und damit zu einem helleren Erscheinungsbild führt als die dieses Plättchen umgebende braune Lederfläche. Ohne daß dieser Punkt im einzelnen durch einen Sachverständigen näher untersucht worden ist, besteht für die Kammer der dringende Verdacht, daß die bezeichneten, von dem Angeklagten bei seiner Festnahme getragenen Schuhe mit den Schuhen identisch sind, die sowohl bei dem Überfall vom 4.12.1996 als auch bei dem versuchten Überfall vom 12.12.1996 getragen worden sind" (UA S. 29, 30).

Diese Vorgehensweise des Landgerichts verstößt - wie Revision und Generalbundesanwalt zutreffend beanstanden - gegen § 261 StPO, weil die Strafkammer der Beweiswürdigung ein Lichtbild zugrunde gelegt hat, ohne dieses - wie sich aus dem Hauptverhandlungsprotokoll (Bd. III, Bl. 122 d.A.) ergibt - durch Augenscheinseinnahme in die Hauptverhandlung eingeführt zu haben. Ob die Strafkammer die Kenntnis von dem Aussehen der Schuhe auch auf anderem Wege, etwa durch Vernehmung des Zeugen K. gewonnen hat, ist unerheblich, da sie sich in ihrer Beweiswürdigung ausdrücklich auf das "bei den Akten befindliche" Lichtbild stützt (vgl. Senatsurteil BGHR StPO § 261 Inbegriff der Hauptverhandlung 31 m.w.Nachw.). Angesichts der übrigen Beweissituation kann der Senat nicht ausschließen, daß das Urteil auf diesem Rechtsfehler beruht.

Offenbleiben kann deshalb, ob es angesichts der mitgeteilten Umstände (Schwarz-Weiß-Photos, Stellung der Überwachungskameras, Reflexion, "mehr oder weniger deutlich") rechtsfehlerhaft war, von der Hinzuziehung eines Sachverständigen abzusehen, wenn die Strafkammer ihre Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten aus einem Vergleich der Photos von den Schuhen und den Bildern der Überwachungskameras herleitet.

2. Der Senat weist auf folgendes hin:

a) Das Landgericht hält den Angeklagten auch aufgrund der Aussagen von unmittelbaren Tatzeugen unter Berücksichtigung der Photos der Überwachungskameras für überführt.

"Die Zeugen Roswitha S., der Rentner Alfred Si., der Sparkassenkaufmann Jens B., die Rentnerin Hilde D., der Sparkassenbetriebswirt Harald Sch., die Sparkassenangestellte Heide U. und die Hausfrau Lilli F. haben sämtlich den Angeklagten in der Hauptverhandlung in Augenschein genommen. Sie haben völlig übereinstimmend angegeben, daß der Angeklagte nach Statur und Größe die Person gewesen sein könnte, die sie zu den betreffenden Zeitpunkten gesehen haben. Darüber hinaus hat die Zeugin F. angegeben, daß der Angeklagte der Person ähnlich sehe, die sie damals am 9.12.1996 beobachtet habe. Keine Merkmale seien ihr an dem Angeklagten aufgefallen, die er seinerzeit nicht gehabt habe.

Die Kammer hat ebenso wie die anderen Prozeßbeteiligten die von den Überwachungskameras am 4.12. und 12.12.1996 gefertigten Schwarz/Weiß-Fotos aus den betreffenden beiden Sparkassenfilialen in Augenschein genommen und hat dagegen das äußere Erscheinungsbild des Angeklagten in der Hauptverhandlung sowie die bei den Akten befindlichen und zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Fotos von dem Angeklagten verglichen und hat eine auffallende Übereinstimmung der dort abgelichteten Täterperson mit der Person des Angeklagten feststellen können, und zwar sowohl nach der Statur, der auffallend breiten Nasenwurzel sowie dem insbesondere auf den Fotos zu erkennenden Haaransatz" (UA s. 29).

Danach hat keiner der Zeugen den Angeklagten zweifelsfrei wiedererkannt; seine Identität ergibt sich auch nicht aus den Photos der Überwachungskameras. Bei einer solchen Beweislage, bei der die vorhandenen Beweismittel nur eine "auffallende Übereinstimmung" der beobachteten oder fotographierten Person mit der Person des Angeklagten ergeben, hätte die Kammer näher darlegen müssen, warum sie insoweit auf die Einholung eines Gutachtens verzichtet hat (vgl. zum Beweiswert eines solchen Gutachtens BGHR StPO § 261 Identifizierung 4). Ein Sachverständiger könnte nach den gegebenen Umständen ein geeigneteres Beweismittel darstellen, um sich von der Identität der mehrfach fotographierten Person und der Person des Angeklagten zu überzeugen oder aber den Angeklagten als Tatverdächtigen auszuschließen.

b) Zur Überführung des Angeklagten stützt sich die Strafkammer auf ein Gutachten, in dem die Jeanshosen des Angeklagten mit den Blue Jeans verglichen werden, die auf den Photos der Überwachungskameras zu sehen sind. Der Sachverständige kommt zu dem Ergebnis, daß mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen sei, daß zwei der insgesamt vier bei dem Angeklagten asservierten Jeanshosen bei den beiden Überfällen getragen worden sind. Dabei hat der Sachverständige

"aus den Lichtbildern der beiden Tatkomplexe diejenigen Bilder bestimmt, die die Details der Hose des Täters in quantitativer und qualitativer Hinsicht am besten darstellen. Soweit erforderlich hat er über die mitgelieferten Negative die für die Untersuchung erforderlichen Arbeitsvergrößerungen in Form von Papierabzügen und Videodrucken angefertigt. Die Bildrollen wurden zur Vermeidung von Verwechslungen durchgehend numeriert. Die Bestimmung der individuellen Faltenbildung der Hosen erfolgte mittels Schaufensterpuppen, mit denen die Beinstellungen des Tatgeschehens nachvollzogen wurden. Das sich dabei ergebende Faltenbild hat der Sachverständige den Tatlichtbildern gegenübergestellt und mit ihnen verglichen. Dabei hat er auch lupen- und lichttechnische Hilfsmittel angewandt" (UA S. 33).

Zur Entstehung der von dem kriminaltechnischen Sachverständigen angewandten Methode teilt die Strafkammer mit, daß Basis der Untersuchungen grundlegende Erkenntnisse auf dem Gebiet der Textil- und Bekleidungskunde sowie eigene anhand von Versuchsreihen gewonnene Erfahrungen seien, die er im Rahmen seiner Beschäftigung mit der Aufklärung von Banküberfällen zunächst hinsichtlich Fußspuren und dann seit 1985 durch eine vertiefte Beschäftigung mit Stoffen, und zwar nicht nur mit Jeansstoffen gesammelt hat. Im Anschluß daran führt die Kammer näher aus, warum nach Darstellung des Sachverständigen die angewandte Methode zur sicheren Bestätigung der Identität oder zu ihrem Ausschluß führt. Abschließend heißt es im Urteil:

"Das überzeugende und anschaulich durch Fotos dargestellte Gutachten des Sachverständigen war für die Kammer nachvollziehbar. Das Gericht schließt sich ihm aufgrund eigener Überzeugungsbildung an. Es teilt im übrigen auch die vom Sachverständigen abschließend vertretene persönliche Aussage, daß er persönlich nicht den geringsten Zweifel habe, daß die beiden genannten Hosen des Angeklagten bei den Überfällen vom 4. und 12.12.1996 getragen worden sind" (UA S. 34).

Das Landgericht war - wie der Generalbundesanwalt zutreffend ausführt - nicht gehindert, auch eine neue, bislang nicht in größerem Umfang erprobte kriminaltechnische Erkenntnisquelle im Rahmen der Beweiserhebung zu berücksichtigen. Die Pflicht zu einer umfassenden Aufklärung kann gebieten, sich auch über Methoden und Verfahren zu unterrichten, die noch nicht allgemein anerkannt sind (vgl. BGHSt 41, 206, 215; BGH NStZ 1994, 250). Bei der Beweiswürdigung hat es dann aber diesen Umstand einer kritischen Betrachtung zu unterziehen, die sich sowohl auf die allgemeinen Grundsätze der neuen Methode als auch auf ihre konkrete Anwendung beziehen muß. Der Senat vermißt insoweit eine nähere Erörterung möglicher Zweifel sowohl an der Methode selbst als auch an ihrer Anwendbarkeit, z.B. wenn als Vergleichsmaterial Schwarz-Weiß-Photos der mitgeteilten Qualität Verwendung finden müssen, oder wenn die individuellen Übereinstimmungsmerkmale bezüglich des angeblich unverwechselbaren Faltenwurfs der beiden Hosen unter Zuhilfenahme einer Schaufensterpuppe bestimmt werden.

Zwar hat die Strafkammer den Beweiswert des Gutachtens im Rahmen einer Gesamtwürdigung aller Indizien gewichtet. Da es aber die Auffassung des Sachverständigen teilt, der "nicht den geringsten Zweifel" an der Identität der fotographierten Hosen mit den dem Angeklagten gehörenden Jeanshosen hat, besorgt der Senat, daß es die Beweiskraft des Gutachtens überbewertet hat (vgl. zum Beweiswert eines Fasergutachtens BGH NStZ 1993, 395 f.). Es kann sich empfehlen, zur Zuverlässigkeit der vom Sachverständigen angewandten Methode einen weiteren Sachverständigen zu hören.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2993539

NStZ 1998, 528

StV 1998, 470

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