Entscheidungsstichwort (Thema)

Mindestanforderungen an Berufungsbegründungschrift. Zweifel an Ernsthaftigkeit der Berufungseinlegung: Auseinandersetzen der Berufung mit allen selbstständig tragenden rechtliche Erwägung der Klageabweisung. Anforderung an Fristversäumung

 

Leitsatz (amtlich)

a) Eine Begründung der Berufung wird nicht mit einem Schriftsatz bezweckt, wenn der Berufungskläger zwar einzelne Rügen erhebt, sich aber ausdrücklich die weitere Prüfung vorbehält, ob das Rechtsmittel überhaupt durchgeführt wird.

b) Die Partei hat ihr fehlendes Verschulden an der Nichteinhaltung einer Frist durch eine aus sich heraus verständliche Schilderung der tatsächlichen Abläufe darzulegen.

 

Normenkette

ZPO §§ 233, 236, 520 Abs. 3

 

Verfahrensgang

OLG München (Beschluss vom 25.08.2003; Aktenzeichen 5 U 2182/03)

LG München I

 

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 5. Zivilsenats des OLG München v. 25.8.2003 wird auf Kosten des Klägers als unzulässig verworfen.Beschwerdewert: 42.575,68 EUR

 

Gründe

I. Der Kläger, ein beim OLG München zugelassener Rechtsanwalt, hat gegen das Endurteil des LG München I v. 23.1.2003 fristgerecht Berufung eingelegt. Auf Antrag des Klägers hat das OLG mit Verfügung v. 6.3.2003 die Berufungsbegründungsfrist bis zum 5.5.2003 verlängert. Die von dem Kläger am 19.4.2003 i.V.m. einem weiteren Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist beantragte Aussetzung des Verfahrens (§ 148 ZPO) hat das OLG mit Beschluss v. 5.5.2003 abgelehnt, der dem Kläger am selben Tag fernmündlich bekannt gemacht worden ist. Die abermalige Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist hat das OLG - nach wiederholten Hinweisen an den Kläger über die Notwendigkeit einer Zustimmung der Gegenseite - wegen des Widerspruchs der Beklagten durch Verfügung v. 3.6.2003 versagt. Der Kläger hat die Berufungsbegründung in der Nacht v. 5. auf den 6.5.2003 per Telefax an das OLG übermittelt; die Seiten 1 bis 11 sowie die mit der Unterschrift seiner Bevollmächtigten versehene S. 25 gingen vor Mitternacht, die Seiten 12 bis 24 nach Mitternacht ein. Auf die gerichtliche Mitteilung, die Berufung voraussichtlich als unzulässig zu verwerfen, hat der Kläger am 19.5.2003 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beantragt.

Durch Beschluss v. 25.8.2003 hat das OLG die Berufung des Klägers unter Zurückweisung seines Wiedereinsetzungsantrages als unzulässig verworfen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Klägers.

II. Die gem. §§ 238 Abs. 2, 522 Abs. 1 S. 4, 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist gem. § 574 Abs. 2 ZPO unzulässig, weil die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.

1. Die Würdigung des OLG, der Schriftsatz des Klägers v. 19.4.2003 sei nicht als Berufungsbegründung zu erachten, steht in Einklang mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung.

Der Berufungsbegründungspflicht ist nicht schon genügt, wenn innerhalb der Begründungsfrist ein Schriftsatz des Berufungsklägers bei Gericht eingeht, der Berufungsrügen i.S.v. § 520 Abs. 3 Nr. 2 bis 4 ZPO enthält. Vielmehr ist erforderlich, dass der Schriftsatz auch zur Begründung bestimmt ist. Dies kann nicht angenommen werden, wenn mit dem Schriftsatz - wie im Streitfall - eine Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist beantragt wird (BGH, Beschl. v. 16.10.1985 - VIII ZB 15/85, VersR 1986, 91; Beschl. v. 13.7.1988 - IVa ZR 303/87, MDR 1989, 48 = VersR 1988, 1163). Davon abgesehen wird in dem Schriftsatz wiederholt dargelegt, dass der Verlängerungsantrag der Prüfung diene, ob die Berufung überhaupt durchgeführt werden solle. Angesichts dieses Vorbehalts verbietet sich die Annahme, dass der Schriftsatz, der zudem - wie das Berufungsgericht zutreffend ausführt - die gebotene Antragstellung vermissen lässt (§ 520 Abs. 3 Nr. 1 ZPO), die Begründung des Rechtsmittels bezweckt.

2. Ebenso entspricht es gefestigten Rechtsprechungsgrundsätzen, dass das OLG nur die bis um 24.00 Uhr des 5.5.2003 per Telefax eingegangenen Teile der Berufungsbegründung des Klägers in seine Zulässigkeitsprüfung einbezogen hat (BGH, Beschl. v. 18.11.1999 - III ZR 87/99, MDR 2000, 235 = NJW 2000, 364; Beschl. v. 4.5.1994 - XII ZB 21/94, MDR 1994, 826 = BRAK 1994, 248 = CR 1994, 753 = NJW 1994, 2097 f.). Die danach berücksichtigungsfähigen Ausführungen genügen nicht den Mindestanforderungen (§ 520 Abs. 3 ZPO) an den Inhalt einer Berufungsbegründung.

a) Der Kläger hat lediglich pauschal Verfahrensfehler des LG geltend gemacht. Jedoch kann der Begründung die gebotene Darlegung, dass das angefochtene Urteil auf einem dieser Verfahrensmängel beruhen kann, nicht entnommen werden (Musielak/Ball, ZPO, 4. Aufl., § 520 Rz. 32).

b) Auch im Blick auf die von dem LG verneinte Kausalität eines etwaigen Pflichtverstoßes für den von dem Kläger geltend gemachten Schaden fehlt es an einer ordnungsgemäßen Rechtsmittelbegründung. Ist die Klageabweisung hinsichtlich eines prozessualen Anspruchs auf mehrere voneinander unabhängige, selbständig tragende rechtliche Erwägungen gestützt, muss die Berufungsbegründung geeignet sein, das Urteil insgesamt in Frage zu stellen, weshalb sie für jede der Erwägungen darzulegen hat, warum sie die angefochtene Entscheidung nicht trägt. Andernfalls ist das Rechtsmittel insgesamt unzulässig (BGH, Urt. v. 13.11.1997 - VII ZR 199/96, MDR 1998, 303 = NJW 1998, 1081 f.; Urt. v. 15.6.1993 - XI ZR 111/92, MDR 1994, 830 = NJW 1993, 3073 f.; Beschl. v. 25.1.1990 - IX ZB 89/89, BRAK 1990, 115 = MDR 1990, 712 = NJW 1990, 1184). Das LG hat den fehlenden Kausalzusammenhang auf mehrere eigenständige Umstände - Bedeutungslosigkeit des entfallenen Beherrschungsvertrages für eine Erhöhung des Aktienkurses, mangelnde Vertrautheit des Klägers mit kursbestimmenden Faktoren, kein Rückkauf der Aktien durch den Kläger nach Bekanntwerden der Beendigung des Beherrschungsvertrages trotz unveränderten Aktienkurses - gestützt. Mit diesen einzelnen Erwägungen setzt sich die Berufungsbegründung nicht ansatzweise auseinander.

3. Ferner greift ein Zulassungsgrund nicht ein, soweit das OLG dem Kläger die begehrte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand versagt hat.

Die Partei hat ihr fehlendes Verschulden an der Nichteinhaltung der Frist schlüssig darzulegen (BGH, Beschl. v. 21.2.2002 - IX ZA 10/01, BGHReport 2002, 570 = MDR 2002, 774 = NJW 2002, 2180). Durch eine aus sich heraus verständliche, geschlossene Schilderung der tatsächlichen Abläufe ist anzugeben, auf welchen konkreten Umständen die Fristversäumung beruht (BGH, Beschl. v. 17.5.2004 - II ZB 22/03, CR 2004, 709 = BGHReport 2004, 1256 = MDR 2004, 1133 = NJW 2004, 2525 f. - "Computer-Absturz"; Urt. v. 7.3.2002 - IX ZR 235/01, BGHReport 2002, 706 = MDR 2002, 902 = NJW 2002, 2107 f.; Beschl. v. 14.6.1978 - VIII ZB 6/78, VersR 1978, 942). Diesen Anforderungen hat der Kläger nicht genügt.

a) Er hat zur Begründung seines Gesuchs vorgetragen: Seine Bevollmächtigte habe ihm am 5.5.2003 eine Diskette übermittelt, auf welcher der von ihm zur Einarbeitung in die Berufungsbegründung vorgesehene Schriftsatz v. 31.7.1998 abgespeichert gewesen sei. Die Diskette habe sich nicht öffnen lassen. Vielmehr sei sogar der Entwurf der Berufungsbegründung verschwunden und total verloren gegangen. Stundenlange Bemühungen um eine Wiederherstellung seien erfolglos geblieben. Dadurch sei eine nicht geplante E-Mail-Versendung an seine Bevollmächtigte nötig geworden. Die Datei sei dort wegen einer Überlastung der Sendeanlagen ("Upload") verspätet eingetroffen.

b) Dieser Sachvortrag ist bereits in sich widersprüchlich. Konnte die Diskette nicht geöffnet werden und war überdies die Berufungsbegründung "total" verloren gegangen, war der Kläger aus tatsächlichen Gründen gehindert, Änderungen und Ergänzungen an der Berufungsbegründung vorzunehmen. Erst nach Durchführung etwaiger (objektiv nicht möglicher) Korrekturen hätte für den Kläger Veranlassung bestanden, die Endfassung der Berufungsbegründung an seine Bevollmächtigte zu mailen. Konnten aber Änderungen gar nicht vorgenommen werden, so ist es nicht nachvollziehbar, woraus sich die Notwendigkeit einer "nicht geplanten" und dadurch verzögerten E-Mail-Versendung ergab (BGH, Beschl. v. 17.5.2004 - II ZB 22/03, CR 2004, 709 = BGHReport 2004, 1256 = MDR 2004, 1133 = NJW 2004, 2525 f. - "Computer-Absturz"). Bestand andererseits zwischen dem Kläger und seiner Bevollmächtigten E-Mail-Kontakt, hätte er die verlorenen Dateien auf diesem Weg unter Vermeidung "stundenlanger Bemühungen" kurzfristig anfordern können.

Angesichts dieser Unklarheiten ist ein Wiedereinsetzungsgrund nicht schlüssig dargetan.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1337894

BB 2005, 1136

BGHR 2005, 860

EBE/BGH 2005, 2

FamRZ 2005, 882

NJW-RR 2005, 793

JurBüro 2005, 390

MDR 2005, 944

VersR 2006, 567

MMR 2006, 348

ProzRB 2005, 293

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