Leitsatz (amtlich)

Überträgt der Insolvenzverwalter eine ihm obliegende Aufgabe, die ein Verwalter ohne volljuristische Ausbildung nicht lösen kann, einem Rechtsanwalt und entnimmt er die dadurch entstehenden Auslagen der Insolvenzmasse, ist bei der Entscheidung über einen beantragten Zuschlag zur Vergütung zu berücksichtigen, dass dem Verwalter im Umfang der Delegation kein Mehraufwand entstanden ist.

 

Normenkette

InsVV § 3 Abs. 1 lit. b, § 4 Abs. 1 S. 3, § 5 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LG Bochum (Beschluss vom 05.12.2016; Aktenzeichen I-7 T 81/15)

AG Bochum (Entscheidung vom 06.01.2015; Aktenzeichen 80 IN 595/02)

 

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 7. Zivilkammer des LG Bochum vom 5.12.2016 wird auf Kosten des weiteren Beteiligten zurückgewiesen.

Der Wert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 72.095,56 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I.

Rz. 1

Der weitere Beteiligte ist Verwalter in dem am 1.8.2002 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin. Nachdem er im April 2012 Schlussrechnung gelegt hatte, beantragte er unter dem 2.8.2012 die Festsetzung seiner Vergütung, auf die er Vorschüsse i.H.v. 1.068.294,27 EUR erhalten hatte. Das Insolvenzgericht beauftragte einen Sachverständigen u.a. mit der Prüfung der Berechnungsgrundlage der Vergütung und weiterer Fragen zum Vergütungsantrag. Nach dem Eingang des Gutachtens und zweier Ergänzungsgutachten machte der weitere Beteiligte eine Vergütung einschließlich Auslagen und Umsatzsteuer im Betrag von 1.135.117,53 EUR geltend. Er ging zuletzt von einer Berechnungsgrundlage i.H.v. 10.729.402,24 EUR und einem Gesamtzuschlag in Höhe der dreifachen Regelvergütung aus.

Rz. 2

Das Insolvenzgericht hat die Vergütung auf insgesamt 998.135,29 EUR festgesetzt. Es hat eine Berechnungsgrundlage von 10.094.916,40 EUR angenommen und einen Gesamtzuschlag in Höhe der 2,5-fachen Regelvergütung gewährt. Auf die sofortige Beschwerde des weiteren Beteiligten, mit der er eine Vergütung von 1.125.463,50 EUR bei einem Gesamtzuschlag in Höhe des 2,75-fachen Regelsatzes verfolgte, hat das LG nach Einholung eines weiteren Ergänzungsgutachtens die Vergütung auf insgesamt 1.053.367,94 EUR festgesetzt. Mit seiner vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der weitere Beteiligte seinen zuletzt gestellten Vergütungsantrag weiter.

II.

Rz. 3

Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§§ 6 Abs. 1, 64 Abs. 3 InsO, § 574 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 2 ZPO) und auch im Übrigen zulässig (§ 575 Abs. 1 und 2 ZPO). In der Sache ist sie unbegründet.

Rz. 4

1. Das Beschwerdegericht hat in Übereinstimmung mit den Ausführungen des weiteren Beteiligten die Berechnungsgrundlage nach § 1 InsVV mit 10.729.402,24 EUR ermittelt. Es hat, wie zuvor schon das AG, auf die sich daraus ergebende Regelvergütung Zuschläge in Höhe des 2,5-fachen Regelsatzes für gerechtfertigt erachtet. In dem Gesamtzuschlag sind Einzelzuschläge für die Betriebsfortführung (0,5), für die sieben Betriebsstätten (0,15) und für die Bearbeitung arbeitsrechtlicher Fragen (0,5) enthalten.

Rz. 5

2. Die Rechtsbeschwerde rügt ohne Erfolg Rechtsfehler des Beschwerdegerichts bei der Bemessung der Einzelzuschläge für die Betriebsstättenzahl und für die arbeitsrechtliche Tätigkeit des Verwalters.

Rz. 6

a) Dem Umfang und der Schwierigkeit der Geschäftsführung des Verwalters wird gem. § 63 Abs. 1 Satz 3 InsO durch Abweichungen vom Regelsatz Rechnung getragen. § 3 InsVV konkretisiert diese gesetzlichen Vorgaben beispielhaft durch Zu- und Abschlagstatbestände. Maßgebend ist, ob die Bearbeitung den Insolvenzverwalter stärker oder schwächer als in entsprechenden Insolvenzverfahren allgemein üblich in Anspruch genommen hat, also der real gestiegene oder gefallene Arbeitsaufwand. Das Insolvenzgericht hat dabei die in Betracht kommenden Tatbestände im Einzelnen zu überprüfen und zu beurteilen. Einer Bewertung der Höhe jedes einzelnen Zu- oder Abschlags bedarf es nicht. Es genügt, wenn der Tatrichter die möglichen Zu- und Abschlagstatbestände dem Grunde nach prüft und anschließend in einer Gesamtschau unter Berücksichtigung von Überschneidungen und einer auf das Ganze bezogenen Angemessenheitsbetrachtung den Gesamtzuschlag oder Gesamtabschlag bestimmt (st.Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschl. v. 22.6.2017 - IX ZB 65/15, ZInsO 2017, 1694 Rz. 7 m.w.N.; v. 14.2.2019 - IX ZB 25/17, WM 2019, 548 Rz. 14). Die Bemessung von Zu- und Abschlägen ist nach ständiger Rechtsprechung des Senats grundsätzlich Aufgabe des Tatrichters. Sie ist in der Rechtsbeschwerdeinstanz nur darauf zu prüfen, ob sie die Gefahr der Verschiebung von Maßstäben mit sich bringt (BGH, Beschl. v. 14.2.2019, a.a.O.).

Rz. 7

b) Eine solche Gefahr besteht hier nicht. Die angefochtene Entscheidung steht im Einklang mit den in der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten Maßstäben für die Bemessung von Zuschlägen zur Vergütung des Insolvenzverwalters.

Rz. 8

aa) Das Beschwerdegericht hat bei seiner Beurteilung berücksichtigt, dass das Unternehmen der Schuldnerin an sieben Betriebsstätten angesiedelt war. Es hat ausgeführt, der Zuschlag für die Betriebsfortführung gelte grundsätzlich alle in diesem Kontext erbrachten Arbeiten ab, auch wenn sie an verschiedenen Betriebsstätten wahrgenommen werden mussten. Gleichwohl sei hier im Blick auf die sieben Betriebsstätten eine Erhöhung des vom AG für die Betriebsfortführung angesetzten Zuschlags von 0,5 auf 0,65 angemessen. Eine weitere Erhöhung sei nicht gerechtfertigt, weil es sich bei den vom Insolvenzverwalter angeführten Tätigkeiten, die für jede Betriebsstätte zu erfolgen hatten, um solche gehandelt habe, die bei der Fortführung eines Unternehmens notwendig zu erbringen seien.

Rz. 9

Die Rechtsbeschwerde wendet ein, eine hohe Anzahl von Betriebsstätten führe nicht nur bei den zur Betriebsfortführung notwendigen Tätigkeiten zu einem Mehraufwand, sondern auch bei der Inventarisierung von Massegegenständen, bei der Bearbeitung von Aus- und Absonderungsrechten, bei der Debitoren- und Kreditorenverwaltung sowie im Arbeitnehmerbereich. Die abstrakte Möglichkeit eines solchen Mehraufwands rechtfertigt jedoch nicht den Vorwurf, das Beschwerdegericht habe die Anzahl der Betriebsstätten unter verkürztem Maßstab in den Blick genommen oder es an einer Gesamtwürdigung fehlen lassen. Macht der Insolvenzverwalter einen Zuschlag wegen eines erhöhten Aufwands geltend, muss er die erforderlich gewordene Tätigkeit konkret und substantiiert darlegen (BGH, Beschl. v. 16.6.2005 - IX ZB 285/03, ZInsO 2005, 806; v. 7.12.2006 - IX ZB 1/04, WM 2007, 551 Rz. 11; v. 6.5.2010 - IX ZB 123/09, ZInsO 2010, 1504 Rz. 2, 4). Die Rechtsbeschwerde zeigt einen solchen Vortrag des weiteren Beteiligten zu einem durch die Anzahl der Betriebsstätten verursachten und nicht mit der Betriebsfortführung zusammenhängenden konkreten Mehraufwand nicht auf.

Rz. 10

bb) Die Ausführungen des Beschwerdegerichts zum Zuschlag wegen der Befassung mit arbeitsrechtlichen Fragen (§ 3 Abs. 1 lit. d InsVV) lassen ebenfalls keine Maßstabsverschiebung besorgen. Das Beschwerdegericht hat, wie schon das Insolvenzgericht, den beantragten Zuschlag in Höhe einer vollen Regelvergütung für überhöht und einen Zuschlag in Höhe der 0,5-fachen Regelvergütung für ausreichend erachtet. Zur Begründung hat es u.a. ausgeführt, dass der weitere Beteiligte die Vertretung der Schuldnerin in Kündigungsschutzprozessen auf einen Rechtsanwalt delegiert habe, womit eine Arbeitsentlastung des Verwalters einhergegangen sei.

Rz. 11

Dies ist rechtlich nicht zu beanstanden. Die Abwicklung von Arbeitsverhältnissen gehört zu den Aufgaben eines Insolvenzverwalters. Aufgaben, die ein Insolvenzverwalter ohne volljuristische Ausbildung im Allgemeinen nicht lösen kann, darf er, auch wenn er selbst Volljurist ist, auf einen Rechtsanwalt übertragen und die dadurch entstehenden Auslagen aus der Masse entnehmen (BGH, Beschl. v. 23.3.2006 - IX ZB 130/05, WM 2006, 1298 Rz. 6; v. 3.7.2008 - IX ZB 167/07, juris Rz. 10, jeweils m.w.N.). Ist er selbst als Rechtsanwalt zugelassen und führt er die Tätigkeit selbst aus, kann er aus der Insolvenzmasse Gebühren und Auslagen nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz entnehmen (§ 5 Abs. 1 InsVV). Betrifft die delegierte oder selbst ausgeführte Tätigkeit die Erledigung einer dem Verwalter obliegenden, aber über den üblichen Umfang eines Insolvenzverfahrens hinausgehenden Aufgabe und beantragt der Verwalter deshalb einen Zuschlag nach § 3 Abs. 1 InsVV, ist bei der Entscheidung über den Zuschlag zu berücksichtigen, dass im Umfang der Delegation kein Mehraufwand für den Verwalter entstanden ist oder - im Falle des § 5 Abs. 1 InsVV - die Tätigkeit des Verwalters gesondert vergütet wurde (vgl. Keller, Vergütung und Kosten im Insolvenzverfahren, 4. Aufl., Teil A § 2 Rz. 184; Graeber/Graeber, InsVV, 3. Aufl., § 4 Rz. 58 und § 5 Rz. 3; Haarmeyer/Mock, InsVV, 5. Aufl., § 5 Rz. 31; Riedel in MünchKomm/InsO, 4. Aufl., InsVV, § 5 Rz. 9). Diese Grundsätze hat das Beschwerdegericht beachtet. Seine Begründung bietet auch keine Anhaltspunkte dafür, dass es den durch die Kündigungsschutzprozesse beim Verwalter trotz der Beauftragung eines Rechtsanwalts entstandenen Mehraufwand außer Betracht gelassen hätte.

 

Fundstellen

BB 2019, 2497

DStR 2019, 10

NWB 2019, 3054

StuB 2019, 879

WM 2019, 1977

ZAP 2019, 1166

ZIP 2019, 2016

ZIP 2019, 80

AnwBl 2019, 689

DZWir 2020, 188

JZ 2019, 757

MDR 2019, 1536

NZI 2019, 7

NZI 2019, 989

NZI 2020, 11

NZI 2020, 160

Rpfleger 2020, 96

ZInsO 2019, 2239

ZInsO 2023, 1512

InsbürO 2020, 98

ZVI 2020, 33

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