Entscheidungsstichwort (Thema)

Selbstständiges Beweisverfahren. Vorweggenommene Beweisaufnahme. Zügige Durchführung. Schnelle Beweissicherung. Keine Anwendung von bzw. keine Unterbrechung durch § 240 ZPO

 

Leitsatz (amtlich)

Das selbstständige Beweisverfahren wird nicht durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen einer der Parteien unterbrochen.

 

Normenkette

ZPO §§ 240, 485

 

Verfahrensgang

Brandenburgisches OLG (Beschluss vom 05.05.2003)

LG Neuruppin

 

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 8. Zivilsenats des Brandenburgischen OLG v. 5.5.2003 wird zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerdeführerin trägt die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens mit Ausnahme der Kosten der Streithelferin, die diese selbst trägt.

Beschwerdewert: 1.774 Euro.

 

Gründe

I.

Die Antragstellerin betreibt gegen die Gemeinschuldnerin ein selbstständiges Beweisverfahren zur Feststellung von Baumängeln. Die Parteien streiten darüber, ob die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Gemeinschuldnerin gem. § 240 ZPO das selbstständige Beweisverfahren unterbrochen hat.

Das LG hat zunächst festgestellt, dass das selbstständige Beweisverfahren unterbrochen ist. Die Antragstellerin hat die Aufnahme des Verfahrens erklärt. Daraufhin hat das LG "dem Verfahren Fortgang gegeben". Die von der Insolvenzverwalterin gegen diesen Beschluss eingelegte und von der Streithelferin unterstützte sofortige Beschwerde hat das Beschwerdegericht zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die zugelassene Rechtsbeschwerde.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist nicht begründet.

1. Das Beschwerdegericht führt aus, das LG habe zu Recht das selbstständige Beweisverfahren gefördert. Denn dieses sei durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Gemeinschuldnerin nicht gem. § 240 ZPO unterbrochen worden.

2. Das hält der rechtlichen Nachprüfung stand.

a) In Rechtsprechung und Literatur ist umstritten, ob ein selbstständiges Beweisverfahren durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen einer der Parteien unterbrochen wird. Für eine Unterbrechung sprechen sich aus: OLG Hamburg v. 22.3.2000 - 11 W 11/00, OLGReport Hamburg 2000, 436; OLG München BauR 2002, 983; Werner/Pastor, Der Bauprozess, 10. Aufl., Rz. 6 (a. A. noch 9. Aufl.); Feiber in MünchKomm/ZPO, 2. Aufl., § 239 Rz. 7. Eine Unterbrechungswirkung verneinen: OLG Hamm v. 4.2.1997 - 21 W 12/96, OLGReport Hamm 1997, 95 = NJW-RR 1997, 723; OLG Frankfurt BauR 2002, 1886; Zöller/Greger, ZPO, 24. Aufl., vor § 239 Rz. 8; Zöller/Herget, ZPO, 24. Aufl., vor § 485 Rz. 6; Oelmaier/Merl, Hdb. priv. BauR, 2. Aufl., § 17 Rz. 11.

b) Ein selbstständiges Beweisverfahren wird durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen einer Partei nicht gem. § 240 ZPO unterbrochen.

aa) Die systematische Stellung des § 240 ZPO im ersten Buch der Zivilprozessordnung spricht für seine Anwendung auf das in der Regel kontradiktorische selbstständige Beweisverfahren. Auch enthalten die §§ 485 ff ZPO keine Bestimmung, dass § 240 ZPO nicht gelten solle.

Diese Vorschrift steht aber mit Sinn und Zweck des selbstständigen Beweisverfahrens nicht in Einklang und ist daher auf dieses Verfahren nicht anzuwenden.

Durch das selbstständige Beweisverfahren soll dem Antragsteller zum einen die Möglichkeit einer schnellen Beweissicherung auch ohne Zustimmung des Gegners und unabhängig von einem Streitverfahren gegeben werden, wenn Verlust oder erschwerte Benutzung eines Beweismittels zu besorgen sind, § 485 Abs. 1 ZPO. Zum anderen können durch ein selbstständiges Beweisverfahren tatsächliche Vorfragen für die Beurteilung eines Anspruchs geklärt werden, wenn der Antragsteller hieran ein rechtliches Interesse hat, insbesondere wenn dadurch ein Rechtsstreit vermieden werden kann, § 485 Abs. 2 ZPO. Das soll den Weg zu einer Erfolg versprechenden Güteverhandlung (vgl. § 492 Abs. 3 ZPO) und zu einer raschen und Kosten sparenden Einigung der Parteien ohne einen sonst zu erwartenden Rechtsstreit ebnen.

Um diese Ziele zu erreichen, ist das selbstständige Beweisverfahren möglichst zügig und ohne die mit einer Unterbrechung nach § 240 ZPO verbundene zeitliche Verzögerung durchzuführen. Eine auch nur geringe Verzögerung kann bedeuten, dass ein Beweismittel verloren geht oder bedeutsame tatsächliche Umstände nicht mehr festgestellt werden können. Gerade bei Streitigkeiten im Rahmen eines Bauvertrags kann das dazu führen, dass Mängel der Bauleistung oder der von einem Unternehmer erreichte Bautenstand durch nachfolgende Arbeiten verdeckt werden. Der Insolvenzverwalter ist auf das baldige Ergebnis des selbstständigen Beweisverfahrens angewiesen, um eine Grundlage für seine weiteren Entscheidungen und für eventuelle Vergleichsgespräche zu haben und so ggf. Ansprüche des Gemeinschuldners rasch zu Gunsten der Masse realisieren zu können. Dass er am selbstständigen Beweisverfahren nicht beteiligt ist, steht dem Führen von Vergleichsgesprächen nicht entgegen. Die von Befürwortern einer Unterbrechung empfohlene eilige Aufnahme bei eiligen Verfahren (Feiber in MünchKomm/ZPO, 2. Aufl., § 239 Rz. 7) ist nur in Grenzen geeignet, die nachteiligen Folgen einer Verfahrensverzögerung zu mildern.

bb) Eine Unterbrechung des selbstständigen Beweisverfahrens ist nicht deshalb geboten, weil den Beteiligten eine Überlegungsfrist hinsichtlich ihres weiteren Vorgehens eingeräumt werden müsste. Das selbstständige Beweisverfahren hat eine vorweggenommene Beweisaufnahme und nicht die Entscheidung möglicherweise schwieriger Rechtsfragen zum Gegenstand. Der Insolvenzverwalter kann sich binnen kurzem einen ausreichenden Überblick verschaffen. Die andere Partei ist ohnehin mit dem Sach- und Streitstand vertraut.

cc) Dass die ebenfalls eilbedürftigen Verfahren des Arrests und der einstweiligen Verfügung gem. § 240 ZPO unterbrochen werden (vgl. BGH, Urt. v. 15.1.1962 - VIII ZR 189/60, NJW 1962, 591; Zöller/Greger, ZPO, 24. Aufl., vor § 239 Rz. 8), führt zu keiner anderen Beurteilung. Die unterschiedliche Behandlung ist gerechtfertigt, weil diese Verfahren zu Vollstreckungstiteln führen können, die das Schuldnervermögen unmittelbar betreffen.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1, § 101 Abs. 1 ZPO.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1099281

NJW 2004, 1388

BGHR 2004, 405

BauR 2004, 531

EWiR 2004, 309

IBR 2004, 111

WM 2004, 1152

ZIP 2004, 186

ZfIR 2004, 123

MDR 2004, 404

NJ 2004, 469

ZInsO 2004, 85

ZfBR 2004, 268

BrBp 2004, 169

NZBau 2004, 156

BauRB 2004, 107

DS 2004, 383

JbBauR 2005, 374

Mitt. 2004, 284

ProzRB 2004, 129

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