Leitsatz (amtlich)

a) Verweigert der Betroffene im Verfahren zur Aufhebung einer Betreuung beim erstinstanzlichen Anhörungstermin die Kommunikation mit dem Richter, ergibt sich allein hieraus keine Verpflichtung des Beschwerdegerichts zur erneuten Anhörung des Betroffenen.

b) Die fehlende Bereitschaft des Betroffenen zur Zusammenarbeit mit dem Betreuer (Unbetreubarkeit) lässt die Erforderlichkeit einer Betreuung nicht entfallen, wenn der Betreuer auch ohne Kommunikation mit dem Betroffenen in dessen Interesse und zu dessen Wohl rechtlich tätig werden kann (Fortführung des Senatsbeschlusses v. 28.1.2015 - XII ZB 520/14, FamRZ 2015, 650).

c) Legt der Betroffene erstmals im Rechtsbeschwerdeverfahren eine einen Dritten zu seiner Vertretung in bestimmten Angelegenheiten ermächtigende Vollmacht vor, handelt es sich hierbei um neues tatsächliches Vorbringen, das in der Rechtsbeschwerdeinstanz keine Berücksichtigung finden kann.

 

Normenkette

FamFG § 26 Abs. 1, § 74 Abs. 3 S. 4; ZPO § 559 Abs. 1; BGB § 1896 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LG Frankfurt am Main (Beschluss vom 28.07.2015; Aktenzeichen 2-29 T 125/15)

AG Bad Homburg (Beschluss vom 26.05.2015; Aktenzeichen 42 XVII 388/00 R)

 

Tenor

Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen den Beschluss der 29. Zivilkammer des LG Frankfurt/M. vom 28.7.2015 wird zurückgewiesen.

Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtsgebührenfrei (§ 25 Abs. 2 GNotKG).

Wert: 5.000 EUR

 

Gründe

I.

Rz. 1

Der Betroffene begehrt die Aufhebung der für ihn eingerichteten Betreuung.

Rz. 2

Der Betroffene, der sich derzeit in einem psychiatrischen Krankenhaus zur Heilbehandlung aufhält, leidet an einer Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis. Für ihn besteht seit 2001 eine Betreuung für die Aufgabenkreise Vertretung gegenüber Heim- und Klinikleitung, Behörden, Versicherungen und sonstigen Institutionen, Sorge für die Gesundheit, Aufenthaltsbestimmung, Entscheidung über die Unterbringung, Wohnungsangelegenheiten sowie Vertretung in Straf- und Ermittlungsverfahren. Zum Betreuer war zunächst der Vater des Betroffenen bestellt. Mit Einverständnis des Betroffenen wurde im Juli 2014 der Beteiligte zu 1) als Berufsbetreuer eingesetzt.

Rz. 3

Mit Schreiben vom 25.2.2015 hat der Betroffene die Aufhebung der Betreuung beantragt. Das AG hat ein psychiatrisches Sachverständigengutachten eingeholt und den Beteiligten zu 2) zum Verfahrenspfleger bestellt. Termin zur Anhörung des Betroffenen wurde auf den 20.4.2015 bestimmt. Als der Betreuungsrichter und der Beteiligte zu 2) zu dem festgesetzten Anhörungstermin in den Gemeinschaftsraum der Klinik eingetreten sind, in dem sich der Betroffene zu diesem Zeitpunkt aufgehalten hat, hat dieser sofort das Zimmer verlassen. Ein Versuch des Betreuungsrichters, den Betroffenen zur Mitwirkung an der Anhörung zu bewegen, ist erfolglos geblieben.

Rz. 4

Mit Beschluss vom 26.5.2015 hat das AG den Antrag des Betroffenen auf Aufhebung der Betreuung abgelehnt. Die Beschwerde des Betroffenen hat das LG ohne Anhörung des Betroffenen zurückgewiesen.

Rz. 5

Hiergegen wendet sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde. Im Rechtsbeschwerdeverfahren hat der Betroffene ein auf den 1.2.2015 datiertes Schriftstück vorgelegt, mit dem er seinem Vater Vollmacht zur Vertretung gegenüber Behörden und sonstigen Institutionen erteilt.

I.

Rz. 6

Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg.

Rz. 7

1. Soweit der Betroffene einen Verstoß gegen den Amtsermittlungsgrundsatz nach § 26 FamFG mit der Begründung geltend macht, das Beschwerdegericht habe ihn anhören müssen, greift diese Rüge nicht durch.

Rz. 8

a) Gemäß § 294 Abs. 1 FamFG gelten für die Aufhebung der Betreuung die §§ 279, 288 Abs. 2 Satz 1 FamFG entsprechend. Nicht erfasst wird von der Verweisung § 278 Abs. 1 FamFG, der die persönliche Anhörung des Betroffenen vorschreibt. Es verbleibt insoweit bei den allgemeinen Verfahrensregeln (BGH, Beschl. v. 2.2.2011 - XII ZB 467/10, FamRZ 2011, 556 Rz. 9 f.). Die Durchführung eines Verfahrens auf Aufhebung einer Betreuung wird daher maßgeblich von den Grundsätzen der Amtsermittlung (§ 26 FamFG) bestimmt. Das Gericht hat danach von Amts wegen die zur Feststellung der Tatsachen erforderlichen Ermittlungen durchzuführen und die geeignet erscheinenden Beweise zu erheben (BGH BGHZ 185, 272 = FamRZ 2010, 1060 Rz. 29 f.). Nur nach den Maßstäben dieser Vorschrift bestimmt sich, ob im Einzelfall eine erneute persönliche Anhörung des Betroffenen durchzuführen ist (BGH, Beschl. v. 2.2.2011 - XII ZB 467/10, FamRZ 2011, 556 Rz. 10).

Rz. 9

Da über Art und Umfang der Ermittlungen grundsätzlich der Tatrichter nach pflichtgemäßem Ermessen entscheidet, obliegt dem Rechtsbeschwerdegericht insoweit lediglich eine Kontrolle auf Rechtsfehler, insb. die Prüfung, ob der Tatrichter die Grenzen seines Ermessens eingehalten hat und die rechtliche Würdigung auf einer ausreichenden Sachaufklärung beruht (vgl. BGH v. 21.11.2012 - XII ZB 114/12, FamRZ 2013, 287 Rz. 8).

Rz. 10

b) Gemessen hieran ist es aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden, dass das Beschwerdegericht von einer erneuten Anhörung des Betroffenen abgesehen hat.

Rz. 11

Der Betroffene zeigte bereits während des erstinstanzlichen Verfahrens Verhaltensweisen, aus denen das Beschwerdegericht darauf schließen konnte, dass von einer erneuten Anhörung im Beschwerdeverfahren keine weiteren Erkenntnisse für die zu treffende Entscheidung zu erwarten sind, weil der Betroffene nicht mitwirken werde. So weigerte er sich während der Anhörung durch den Betreuungsrichter mit diesem zu sprechen, und verließ wortlos das Zimmer. Ebenso wenig war er bereit, in dem von ihm selbst eingeleiteten Verfahren zur Aufhebung der Betreuung an der Begutachtung durch den gerichtlich bestellten Sachverständigen mitzuwirken. Bei dem ersten vom Sachverständigen festgesetzten Untersuchungstermin hatte der Betroffene das Krankenhaus verlassen, um der Begutachtung zu entgehen. Bei einem weiteren Untersuchungstermin verließ er laut schreiend sein Krankenzimmer als der Sachverständige den Raum betrat. Hinzu kommt, dass der Betroffene auch in früheren Anhörungsterminen nicht bereit war, mit den Richtern zu kommunizieren.

Rz. 12

Unter diesen Umständen ist aus Rechtsgründen nichts dagegen zu erinnern, dass das Beschwerdegericht nach § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG von einer erneuten persönlichen Anhörung des Betroffenen abgesehen hat.

Rz. 13

2. Auch in materiell-rechtlicher Hinsicht ist die Beschwerdeentscheidung aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.

Rz. 14

Rechtlich zutreffend ist das Beschwerdegericht davon ausgegangen, dass nach § 1908d BGB die Betreuung aufzuheben ist, sobald die Voraussetzungen für die Bestellung eines Betreuers entfallen. Hierfür genügt es, wenn eines der die Betreuung begründenden Tatbestandsmerkmale des § 1896 BGB weggefallen ist (vgl. BGH v. 18.11.2015 - XII ZB 16/15, FamRZ 2016, 291 Rz. 8 m.w.N.).

Rz. 15

a) Soweit die Rechtsbeschwerde meint, es sei von den Instanzgerichten nicht ausreichend festgestellt worden, dass dem Betroffenen zum Zeitpunkt der Entscheidung über seinen Aufhebungsantrag die Fähigkeit zur freien Willensbildung i.S.v. § 1896 Abs. 1a BGB fehle, dringt sie mit dieser Rüge nicht durch.

Rz. 16

aa) Die Ablehnung eines Antrags auf Aufhebung einer Betreuung erfordert grundsätzlich die Feststellung, dass der Betroffene nicht in der Lage ist, seinen Willen in den bestimmten Aufgabenkreisen frei zu bestimmen. Das Gericht hat daher auch im Aufhebungsverfahren festzustellen, ob der Betroffene trotz seiner Erkrankung noch zu einer freien Willensbestimmung i.S.v. § 1896 Abs. 1a BGB fähig ist (vgl. BGH v. 16.9.2015 - XII ZB 500/14, FamRZ 2015, 2160 Rz. 12; v. 9.2.2011 - XII ZB 526/10, FamRZ 2011, 630 Rz. 7 f.). Dabei müssen die Feststellungen zum Ausschluss der freien Willensbestimmung durch ein noch aktuelles Sachverständigengutachten belegt sein (vgl. BGH v. 22.1.2014 - XII ZB 632/12, FamRZ 2014, 647 Rz. 9 m.w.N.).

Rz. 17

bb) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde wurden die Voraussetzungen des § 1896 Abs. 1a BGB von den Instanzgerichten ausreichend festgestellt. Gestützt auf die Ausführungen des Sachverständigen in seinem im Aufhebungsverfahren erstatteten Gutachten hat das AG rechtsfehlerfrei angenommen, dass der Betroffene krankheitsbedingt nicht in der Lage ist, seinen Willen frei und unbeeinflusst von seiner Erkrankung zu bilden und nach den gewonnenen Erkenntnissen zu handeln. Diese Begründung, die sich das Beschwerdegericht zu Eigen gemacht hat, trägt die Annahme, dass der Betroffene wegen seiner Erkrankung nicht zu einer freien Willensbestimmung i.S.v. § 1896 Abs. 1a BGB fähig ist.

Rz. 18

b) Zu Recht hat das Beschwerdegericht die Betreuung auch nicht im Hinblick auf die fehlende Bereitschaft des Betroffenen, mit seinem Betreuer zusammenzuarbeiten, aufgehoben.

Rz. 19

aa) Zwar kommt nach der Rechtsprechung des Senats eine Aufhebung der Betreuung in Betracht, wenn sich herausgestellt hat, dass der mit der Bestellung des Betreuers erstrebte Erfolg nicht zu erreichen ist, weil der Betreuer seine Aufgaben nicht wirksam wahrnehmen und zum Wohl des Betroffenen nichts bewirken kann. Dies kann ausnahmsweise der Fall sein, wenn der Betroffene jeden Kontakt mit seinem Betreuer verweigert und der Betreuer dadurch handlungsunfähig ist, also eine "Unbetreubarkeit" vorliegt (BGH, Beschl. v. 18.12.2013 - XII ZB 460/13, FamRZ 2014, 466 Rz. 7 m.w.N.). Bei der Annahme einer solchen Unbetreubarkeit des Betroffenen ist allerdings Zurückhaltung geboten (BGH, Beschl. v. 28.1.2015 - XII ZB 520/14, FamRZ 2015, 650 Rz. 12 f.), zumal die fehlende Bereitschaft, vertrauensvoll mit dem Betreuer zusammenzuarbeiten, Ausdruck der Erkrankung des Betroffenen sein kann. Gerade in diesem Fall kommt die Aufhebung einer Betreuung nur dann in Betracht, wenn es gegenüber den sich für den Betroffenen aus der Krankheit oder Behinderung ergebenden Nachteilen unverhältnismäßig erscheint, die Betreuung weiter durchzuführen (vgl. BGH v. 28.1.2015 - XII ZB 520/14, FamRZ 2015, 650 Rz. 14). Besteht objektiv ein Betreuungsbedarf, ist daher bei fehlender Kooperationsbereitschaft des Betroffenen entscheidend, ob durch die Betreuung eine Verbesserung der Situation des Betroffenen erreicht werden kann. Dabei ist zu berücksichtigen, inwieweit ein Betreuer durch rechtliche Entscheidungen einen für den Betroffenen positiven Einfluss nehmen könnte (BGH, Beschl. v. 28.1.2015 - XII ZB 520/14, FamRZ 2015, 650 Rz. 17).

Rz. 20

bb) Gemessen hieran ist es aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden, dass die Instanzgerichte die fehlende Bereitschaft des Betroffenen zur Zusammenarbeit mit seinem Betreuer nicht als ausreichenden Grund für eine Aufhebung der Betreuung angesehen haben.

Rz. 21

Nach den Ausführungen des Sachverständigen ist der Betroffene aufgrund seiner psychischen Erkrankung in den von der bestehenden Betreuung erfassten Aufgabenkreisen außerstande, seine Angelegenheiten selbst zu regeln. Er ist daher in weiten Teilen des täglichen Lebens auf Hilfe durch Dritte angewiesen. Diese notwendige Unterstützung kann der Beteiligte zu 1) in den von der Betreuung erfassten Aufgabenkreisen trotz der fehlenden Kooperationsbereitschaft des Betroffenen erbringen. So kann der Beteiligte zu 1) etwa durch die Stellung von Anträgen gegenüber Sozialversicherungsträgern oder Entscheidungen zur Aufenthaltsbestimmung und zu Wohnungsangelegenheiten im Interesse und zum Wohl des Betroffenen rechtlich tätig werden, ohne dass hierfür zwingend eine Kommunikation zwischen dem Betroffenen und seinem Betreuer notwendig wäre. Zudem ergibt sich aus dem Sachverständigengutachten, dass es in der Vergangenheit wiederholt zu krisenhaften Situationen im Krankheitsverlauf des Betroffenen gekommen ist, die mehrfach zu einer zwangsweisen Unterbringung des Betroffenen nach den Landesgesetzen über die Unterbringung psychisch Kranker geführt haben. Es ist daher nicht ausgeschlossen, dass auch in Zukunft jederzeit wieder Entscheidungen über die Erforderlichkeit einer geschlossenen Unterbringung des Betroffenen zu treffen sind. Auch unter diesem Gesichtspunkt ist eine Aufrechterhaltung der bestehenden Betreuung angezeigt.

Rz. 22

Wenn das Beschwerdegericht vor diesem Hintergrund annimmt, dass trotz der fehlenden Bereitschaft des Betroffenen zur Zusammenarbeit mit dem Beteiligten zu 1) eine Betreuung weiterhin erforderlich ist, liegt dies im Rahmen zulässiger tatrichterlicher Beurteilung.

Rz. 23

c) Soweit der Betroffene erstmals im Rechtsbeschwerdeverfahren eine Vollmacht vorgelegt hat, mit der er seinen Vater zur Vertretung gegenüber Behörden und sonstigen Institutionen bevollmächtigt, handelt es hierbei um neues tatsächliches Vorbringen, das in der Rechtsbeschwerdeinstanz keine Berücksichtigung finden kann.

Rz. 24

§ 74 Abs. 3 Satz 4 FamFG bestimmt in entsprechender Anwendung von § 559 ZPO als für die Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts maßgebliche Tatsachengrundlage nur dasjenige Parteivorbringen, das aus der Beschwerdeentscheidung und dem Sitzungsprotokoll bzw. den Vermerken über Anhörungstermine (§ 28 Abs. 4 FamFG) ersichtlich ist. Damit ist in der Rechtsbeschwerdeinstanz eine Nachprüfung tatsächlicher Verhältnisse grundsätzlich ausgeschlossen. Eine Ausnahme hiervon gilt aus Gründen der Verfahrensökonomie, also im Interesse einer möglichst raschen und Kosten sparenden Erledigung der Sache bei Vermeidung eines neuen Verfahrens, wenn die Berücksichtigung neuer tatsächlicher Umstände keine nennenswerte Mehrarbeit verursacht (vgl. BGH v. 7.11.2012 - XII ZB 17/12, FamRZ 2013, 214 Rz. 11 m.w.N.).

Rz. 25

Diese Voraussetzung liegt hier jedoch nicht vor. Die Rechtsbeschwerde hat auch keine durchgreifende Verfahrensrüge dahingehend erhoben, dass dem Beschwerdegericht im Zeitpunkt seiner Entscheidung die Vollmacht bekannt war und sie dennoch unberücksichtigt geblieben ist. Dem Betroffenen bleibt es jedoch unbenommen, im Hinblick auf die Vollmacht die Erforderlichkeit der Betreuung erneut durch das AG prüfen zu lassen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 9494131

NJW 2016, 2650

FamRZ 2016, 1350

FuR 2016, 519

BtPrax 2016, 196

JZ 2016, 578

MDR 2016, 1021

Rpfleger 2016, 559

FF 2016, 333

FF 2016, 376

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