Entscheidungsstichwort (Thema)

Eröffnung eines gemeinschaftlichen Testaments

 

Leitsatz (amtlich)

Bei der Eröffnung eines gemeinschaftlichen Testaments sind alle Verfügungen des überlebenden Teils, die sich von denen des Verstorbenen nicht sondern lassen, zu verkünden, oder den Beteiligten zur Kenntnis zu bringen (Bestätigung von RGZ 150, 315).

 

Normenkette

BGB §§ 2273, 2260, 2262

 

Tenor

Die weitere Beschwerde der Beteiligten gegen den Beschluß der 2. Zivilkammer des Landgerichts Stuttgart vom 2. November 1982 wird zurückgewiesen.

Beschwerdewert: 5.000,- DM

 

Gründe

I.

Der am 7. September 1982 verstorbene Erblasser und die Beteiligte, seine Ehefrau, aus deren Ehe die Töchter Helga und Gisela hervorgegangen sind, errichteten am 21. August 1959 ein gemeinschaftliches Testament. In dessen § 3 setzten sie sich gegenseitig zu unbeschränkten Alleinerben ein und bestimmten in § 6, daß der überlebende Ehegatte berechtigt sei, über seinen Nachlaß frei von Todes wegen zu verfügen. Die §§ 4, 5 enthalten Regelungen für die Fälle der Wiederverheiratung und der Geltendmachung des Pflichtteils durch einen Abkömmling. In einem weiteren gemeinschaftlichen Testament vom 4. Juni 1980 haben die Ehegatten die nach dem Tod des Überlebenden geltenden Regelungen durch Vermächtnisordnungen zugunsten eines Kindes und die Ernennung eines Testamentsvollstreckers ergänzt.

Das Nachlaßgericht hat beide Testamente eröffnet und das erste auch den Kindern des Erblassers und der Beteiligten, die bei der Testamentseröffnung nicht anwesend waren, mitgeteilt. Den Antrag der Beteiligten, von einer Mitteilung des zweiten Testaments an ihre beiden Töchter abzusehen, hat es zurückgewiesen. Die dagegen von der Beteiligten eingelegte Beschwerde blieb erfolglos. Das Oberlandesgericht möchte der weiteren Beschwerde der Beteiligten stattgeben. Hieran sieht es sich Jedoch durch die auf weitere Beschwerde ergangenen Entscheidungen des Reichsgerichts in RGZ 150, 315, des Oberlandesgerichts Hamburg in NJW 1965, 1969, des Oberlandesgerichts Hamm in FamRZ 1974, 387 und OLGZ 1982, 136, des Oberlandesgerichts Düsseldorf in Mitt Rh NotK 1978, 160 und des Kammergerichts in OLGZ 1979, 269 gehindert. Es hat deshalb die Sache gemäß § 28 Abs. 2 FGG dem Bundesgerichtshof vorgelegt.

II.

Die Vorlage ist zulässig, weil das vorlegende Oberlandesgericht bei seiner beabsichtigten Entscheidung von den genannten Entscheidungen abweichen würde.

Der Bundesgerichtshof hat daher gemäß § 28 Abs. 3 FGG über die weitere Beschwerde zu entscheiden. Diese ist zulässig, aber nicht begründet.

Das vorlegende Oberlandesgericht hat zutreffend erkannt, daß in der von ihm herangezogenen Entscheidung des Bundesgerichtshofes in BGHZ 70, 173 ff nicht darüber entschieden ist, ob die Töchter der Beteiligten benachrichtigt werden müssen, weil sie als gesetzliche Erben in Betracht kommen und zugleich Pflichtteilsberechtigte sind. Es hat diese Frage verneint und hierzu ausgeführt:

Die Rechtsposition der Kinder des Erblassers als Erben bzw. Pflichtteilsberechtigte werde allein dadurch berührt, daß der erststerbende Elternteil den Überlebenden zum Alleinerben eingesetzt habe. Die - eindeutig - gegenstandslose Vermächtnisanordnung bewirke weder eine Verschlechterung noch eine Verbesserung dieser Rechtslage. Sie sei also für die Kinder ohne Interesse. Was sie wirklich interessiere, seien die vom überlebenden Ehegatten getroffenen Verfügungen. Auf deren Offenlegung hätten sie aber keinen Anspruch. Es gebe zwar Fälle, in denen zweifelhaft sei, ob der Überlebende Voll - oder Vorerbe sein solle, in denen er ausschlage oder erbunwürdig sei, so daß sich die Frage einer Ersatzerbeinsetzung stelle, oder in denen eine Testamentsanfechtung erfolge. In diesen Fällen könne der gesamte Testamentsinhalt von Bedeutung werden. Dabei handele es sich jedoch um Ausnahmefälle. In aller Regel sei es wie in der vorliegenden Sache ganz zweifelsfrei, daß keine von ihnen zum Tragen komme. Es wäre daher verfehlt, auch in solchen eindeutigen Fällen dem Schutz rein abstrakter Rechtspositionen der Kinder oder sonstiger Dritter den Vorrang einzuräumen vor dem konkreten Interesse des überlebenden Ehegatten an der Geheimhaltung seiner Verfügung. Schließlich könne auch der Tatsache keine durchschlagende Bedeutung beigemessen werden, daß dann anders als nach bisheriger Praxis das Nachlaßgericht darüber zu entscheiden habe, ob eine Zuwendung eindeutig gegenstandslos ist. Die hieraus sich ergebende, allenfalls geringe Einbuße an Rechtssicherheit müsse zur Wahrung der Interessen des überlebenden Ehegatten hingenommen werden.

Dieser Ansicht kann der Senat nicht folgen.

Die allgemeinen Vorschriften über die Eröffnung und Verkündung von Testamenten (§§ 2260 ff. BGB) gelten auch für gemeinschaftliche Testamente, soweit nicht § 2273 BGB etwas anderes bestimmt (RGZ 137, 222, 229). Nach § 2273 Abs. 1 BGB sind bei der Eröffnung eines gemeinschaftlichen Testaments die Verfügungen des überlebenden Ehegatten, soweit sie sich sondern lassen, weder zu verkünden, noch sonst zur Kenntnis der Beteiligten zu bringen. Die Entscheidung über die weitere Beschwerde hängt daher davon ab, ob sich die Verfügungen des überlebenden Ehegatten in dem Testament vom 4. Juni 1980 von denen des Erblassers sondern lassen. Das ist nicht der Fall.

Das vorlegende Oberlandesgericht hat seine gegenteilige Ansicht in erster Linie darauf gestützt, daß die Vermächtnisanordnung des Erblassers durch seinen Tod gegenstandslos geworden und daher für seine Kinder ohne Interesse sei. Mit dieser Erwägung läßt sich die von dem Oberlandesgericht beabsichtigte Entscheidung nicht rechtfertigen.

Das Reichsgericht hat eine Unterscheidung nach wirksamen und gegenstandslosen Anordnungen abgelehnt (RGZ 150, 315, 318). In Fortführung dieser Rechtsprechung haben die Oberlandesgerichte in den von dem vorlegenden Oberlandesgericht angeführten Entscheidungen ausgeführt, daß gesetzlichen Erben und Pflichtteilsberechtigten, sofern sie als Beteiligte bei der Eröffnung nicht zugegen waren, gemäß § 2262 BGB sämtliche Verfügungen des Erblassers ohne Rücksicht auf deren Bedeutung für die Rechtslage mitzuteilen sind. Zur Begründung wurde darauf verwiesen, daß erst die lückenlose Bekanntgabe jeden einzelnen Beteiligten in die Lage versetze, seine Rechte wahrzunehmen. In Betracht zu ziehen seien hierbei die Prüfung eines Anfechtungsgrundes, die Klärung der Testierfähigkeit des Erblassers oder die Entscheidung, den Pflichtteil zu fordern. Zudem sei zu beachten, daß sich im Einzelfall hinter der testamentarischen Anordnung, nach dem Tode des überlebenden Ehegatten solle ein Dritter erben, auch die Anordnung einer Nacherbeneinsetzung verbergen könne. Dieser Auffassung ist beizutreten (ebenso: Erman/Hense, 7. Aufl. § 2273 Rdn. 1; MK-Musielak, § 2273 Rdn. 3; RGRK-Johannsen, 12. Aufl. § 2273 Rdn. 6; Soergel/Harder, 11. Aufl. § 2262 Rdn. 4; Bartholomeyczik/Schlüter, Erbrecht 11. Aufl. S. 188; Vogels, DFG 1936, 107; Asbeck MDR 1959, 897, 898; Steffen, RdL 1980, 4).

Bei den hiergegen in Teilen des Schrifttums (Soergel/Wolf, 11. Aufl. § 2273 Rdn. 3; Lange/Kuchinke, Erbrecht 2. Aufl. S. 652 f; Pütz DNotZ 1936, 369 f; Lützeler NJW 1966, 58; Haegele Rechtspfleger 1968, 137 ff. und 77, 207; Bühler BWNotZ 1980, 34) geäußerten Bedenken wird im wesentlichen auf das Interesse des überlebenden Ehegatten an der Geheimhaltung seiner letztwilligen Verfügungen und der Erhaltung des Familienfriedens abgestellt. Dies rechtfertigt jedoch keine Abweichung von der Regelung in § 2273 Abs. 1 BGB. Denn ganz abgesehen davon, daß schwere Beeinträchtigungen des Familienfriedens gerade auch dann auftreten können, wenn die gesetzlichen Erben und die Pflichtteilsberechtigten nur erfahren, daß der Erstversterbende sie übergangen hat, während die eventuelle Berücksichtigung ihrer Belange im zweiten Erbfall im Dunkeln bleibt, hat der Gesetzgeber den Konflikt zwischen dem Unterrichtungsbedürfnis der Erben und dem Geheimhaltungsinteresse des Überlebenden in § 2273 Abs. 1 BGB entschieden. Geheimzuhalten sind demnach nur die Verfügungen des Überlebenden, die sich von den Anordnungen des Erblassers sondern lassen, § 2273 BGB soll den tatsächlich Überlebenden schützen, nicht aber Geheimnisse des Erblassers wahren. Letzterem nimmt das Gesetz ausdrücklich die Freiheit, über die Bekanntgabe seines letzten Willens eigene Dispositionen zu treffen. Eröffnungsverbote des Erblassers sind nichtig (§ 2263 BGB). Mit seiner Beschränkung auf absonderbare Anordnungen ergänzt § 2273 BGB die Regelung dahin, daß § 2262 BGB auch nicht durch Verbindung zweier letztwilliger Verfügungen in einem gemeinschaftlichen Testament oder Erbvertrag umgangen werden darf.

Gesetzliche Erben und Pflichtteilsberechtigte nehmen Rechtspositionen ein, die bei einem Abweichen von der gesetzlichen Erbfolge regelmäßig berührt werden. Zur Wahrung ihrer Interessen, die auch in der Hinnahme sie benachteiligender Anordnungen ihren Ausdruck finden kann, benötigen sie Kenntnis aller letztwilliger Verfügungen des Erblassers (MK-Musielak aaO). Der Zugang hierzu kann vom Nachlaßgericht nicht in der Weise beschränkt werden, daß dieses vorab prüft, welche Teile des Testaments oder des Erbvertrages gegenstandslos geworden und welche weiterhin von Belang sind. Auch in Fällen, in denen der Wortlaut des Testaments zunächst eindeutig und zweifelsfrei erscheint, kann hinter der Erklärung ein anderer Erblasserwille stehen. Gerade auf diesen kommt es bei der Frage, welche Wirkungen der Erblasser mit seinen Erklärungen anstrebte, entscheidend an (BGHZ 86, 41). Dem Nachlaßgericht liegt aber nur der Wortlaut der Anordnungen vor. Umstände außerhalb der Urkunde kann es schon deshalb nicht heranziehen, weil die Beteiligten hierzu sinnvoll nur in Kenntnis des Wortlauts vortragen können. Das Nachlaßgericht ist somit zu einer umfassenden und abschließenden Würdigung weder berufen noch instandgesetzt. Die in BGHZ 70, 173 dem Nachlaßgericht überlassene Beurteilung von Vermächtnissen des Längstlebenden stellt eine Ausnahme dar, bei der es um die Vortrage der Beteiligtenstellung geht, und deren Gründe bei dem berechtigten Interesse der gesetzlichen Erben und Pflichtteilsberechtigten an umfassender Unterrichtung nicht zu tragen vermögen.

Soweit gegen die Bekanntgabe nicht absonderbarer Erklärungen des Überlebenden verfassungsgerichtliche Bedenken aus § 2 Abs. 1 GG geltend gemacht werden, (Lützeler aaO), vermag der Senat dem nicht zu folgen. Auch die vom vorlegenden Oberlandesgericht angestrebte Interessenabwägung rechtfertigt kein anderes Ergebnis. Ein Zwang, die eigene letztwillige Verfügung mit der eines anderen so zu verbinden, daß eine Absonderung unmöglich wird, besteht nicht. Jede angestrebte sachliche Regelung läßt sich sowohl im gemeinschaftlichen Testament als auch im Erbvertrag durch getrennte Erklärungen verfügen, die ohne weiteres voneinander geschieden werden können. Die Wahrung des Geheimhaltungsinteresses liegt somit in Händen der Testierenden. Diese können bei der Errichtung ihrer letztwilligen Verfügung die Schwierigkeiten bedenken und ausräumen (BGHZ 88, 102). Deshalb besteht kein hinreichendes Bedürfnis, im Rahmen der gesetzlichen Eröffnungs- und Mitteilungsbestimmungen die Belange der übrigen Beteiligten dem Geheimhaltungsinteresse hintanzusetzen.

Die weitere Beschwerde war daher als unbegründet zurückzuweisen.

 

Unterschriften

Dr. Hoegen

Rottmüller

Dehner

Dr. Zopfs

Dr. Ritter

 

Fundstellen

Haufe-Index 1456214

BGHZ, 105

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