Leitsatz (amtlich)

a) Im Prozeßkostenhilfeverfahren darf jedenfalls die untere Instanz eine hinreichende Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung nicht verneinen, wenn die Entscheidung von der Beantwortung einer schwierigen, bislang in der höchstrichterlichen Rechtsprechung und im Schrifttum nicht geklärten Rechtsfrage abhängt.

b) Eine gegen Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip verstoßende Auslegung des § 114 ZPO eröffnet nicht schon wegen dieser Grundrechtsverletzung den Zugang zur nächsten Instanz unter dem Gesichtspunkt der greifbaren Gesetzwidrigkeit, sondern ist vom Gericht, das die Entscheidung erlassen hat, auf Gegenvorstellung hin zu korrigieren.

 

Normenkette

ZPO §§ 114, 567 Abs. 4; GG Art. 3 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3

 

Verfahrensgang

Brandenburgisches OLG (Beschluss vom 17.04.1997)

LG Potsdam

 

Tenor

Die weitere Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluß des 8. Zivilsenats des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 17. April 1997 wird als unzulässig verworfen.

 

Tatbestand

I.

Der Antragsteller hat als Gesamtvollstreckungsverwalter Prozeßkostenhilfe für eine Klage beantragt, mit der er die Antragsgegnerin auf Rückzahlung von insgesamt 139.780,12 DM in Anspruch nehmen will, die sie aufgrund von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen vor Eröffnung der Gesamtvollstreckung erhalten hat. Der Antragsteller möchte die Klage auf eine Anfechtung nach § 10 Abs. 1 Nr. 4 GesO stützen. Das Landgericht und – auf Beschwerde – das Oberlandesgericht haben die Gewährung von Prozeßkostenhilfe wegen mangelnder Erfolgsaussicht verweigert. Nach ihrer Ansicht unterliegen Zwangsvollstreckungsmaßnahmen nicht der Gläubigeranfechtung nach § 10 GesO, weil nach dieser Vorschrift nur Rechtshandlungen des Schuldners anfechtbar seien und im vorliegenden Fall eine solche Handlung der Schuldnerin nicht vorliege. Der dagegen eingelegten „außerordentlichen Beschwerde” des Antragstellers hat das Oberlandesgericht unter dem Gesichtspunkt von Gegenvorstellungen nicht abgeholfen. Es hat sie sodann dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung vorgelegt.

 

Entscheidungsgründe

II.

Gegen Entscheidungen der Oberlandesgerichte ist grundsätzlich eine Beschwerde nicht zulässig (§ 567 Abs. 4 Satz 1 ZPO). Auch eine außerordentliche Beschwerde wegen greifbarer Gesetzwidrigkeit ist im vorliegenden Fall nicht gegeben.

Die Frage, ob Zwangsvollstreckungsmaßnahmen nach § 10 GesO angefochten werden können, obwohl nach dem Wortlaut dieser Vorschrift nur Rechtshandlungen des Schuldners anfechtbar sind, ist umstritten und höchstrichterlich bisher nicht geklärt (vgl. Senatsurt. v. 27. Februar 1997 – IX ZR 79/96, ZIP 1997, 649, 651 mit umfangreichen Nachw.). Allerdings hätte das Oberlandesgericht diese Frage nicht im summarischen Prozeßkostenhilfeverfahren entscheiden dürfen. Hängt die Entscheidung von der Beantwortung einer schwierigen, bislang ungeklärten Rechtsfrage ab, so darf jedenfalls in den unteren Instanzen die Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung nicht verneint werden, weil anderenfalls der unbemittelten im Gegensatz zur bemittelten Partei die Chance genommen würde, ihren Rechtsstandpunkt im Hauptsacheverfahren darzustellen und dort vor die höhere Instanz zu bringen (Stein/Jonas/Bork, ZPO 21. Aufl. § 114 Rdnr. 25; Zöller/Philippi, ZPO 20. Aufl. § 114 Rdnr. 21; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO 55. Aufl. § 114 Rdnr. 100; Thomas/Putzo, ZPO 20. Aufl. § 114 Rdnr. 5; AK-ZPO/Deppe-Hilgenberg, 1987, § 114 Rdnr. 31; vgl. auch BGH, Beschl. v. 27. Januar 1982 – IVb ZB 925/80, NJW 1982, 1104; a.A. OLG Stuttgart NJW-RR 1987, 913, 914; MünchKomm-ZPO/Wax, 1992, § 114 Rdnr. 51). Das wäre ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip (BVerfG NJW 1991, 413 f; NJW 1992, 889; NJW-RR 1993, 1090; NJW 1994, 241, 242). Das Oberlandesgericht, das selbst vom Vorliegen einer schwierigen und ungeklärten Rechtsfrage ausgegangen ist, hat damit § 114 ZPO in einer mit dem genannten Grundrecht nicht zu vereinbarenden Weise ausgelegt (vgl. BVerfG NJW 1991, 413, 414). Die Beschwerdeentscheidung, die das Oberlandesgericht im vorliegenden Fall getroffen hat, könnte daher grundsätzlich einer Verfassungsbeschwerde nicht standhalten.

Das macht trotzdem die in § 567 Abs. 4 Satz 1 ZPO ausdrücklich ausgeschlossene Beschwerde nicht zulässig. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs reicht für die Zulassung eines außerordentlichen Rechtsbehelfs ein – ebenfalls zur Verfassungswidrigkeit der Entscheidung führender – Verstoß gegen das Gebot des rechtlichen Gehörs nicht aus (BGHZ 130, 97, 99; BGH, Urt. v. 19. Oktober 1989 – III ZR 111/88, NJW 1990, 838, 840 m.w.N.; Beschl. v. 4. Dezember 1990 – X ZB 6/90, NJW-RR 1991, 831; Urt. v. 8. November 1994 – XI ZR 35/94, NJW 1995, 403; Beschl. v. 27. Februar 1997 – Blw 2/97, MDR 1997, 590). Für eine Verletzung des Gleichbehandlungsgebots durch zu strenge Anforderungen bei der Beurteilung der Erfolgsaussicht im Prozeßkostenhilfeverfahren gilt nichts anderes. Dem Anliegen, Grundrechtsverstöße nach Möglichkeit durch Abhilfe innerhalb der jeweiligen Gerichtsbarkeit zu korrigieren (vgl. dazu auch Pawlowski, in: Zivilprozeß und Praxis, Festschrift für Egon Schneider, 1997, S. 39, 61 f), ist dadurch Rechnung zu tragen, daß in solchen Fällen das Gericht, das die Entscheidung erlassen hat, als befugt angesehen wird, diese auf Gegenvorstellung hin selbst dann zu überprüfen und gegebenenfalls zu korrigieren, wenn sie nach dem Prozeßrecht grundsätzlich innerhalb der Instanz unabänderlich ist (BGHZ 130, 97, 99 f; BGH, Urt. v. 8. November 1994 a.a.O.). Im Fall der Verweigerung von Prozeßkostenhilfe liegt die Verweisung auf diese Abhilfemöglichkeit um so näher, als eine solche Entscheidung nicht in Rechtskraft erwächst und deshalb auf Gegenvorstellungen hin grundsätzlich jederzeit abänderbar ist.

 

Unterschriften

Brandes, Kreft, Stodolkowitz, Zugehör, Ganter

 

Fundstellen

Haufe-Index 1237699

HFR 1998, 495

NJW 1998, 82

JurBüro 1998, 107

KTS 1998, 115

Nachschlagewerk BGH

ZAP 1998, 209

ZIP 1997, 1757

AP, 0

JZ 1998, 634

MDR 1997, 1147

VersR 1998, 75

AGS 1998, 186

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge