Leitsatz (amtlich)

a) § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG räumt dem Beschwerdegericht auch in einem Betreuungsverfahren die Möglichkeit ein, von einer erneuten Anhörung des Betroffenen abzusehen. Dies setzt jedoch u.a. voraus, dass die Anhörung bereits im ersten Rechtszug ohne Verletzung von zwingenden Verfahrensvorschriften vorgenommen worden ist (im Anschluss an Senatsbeschluss v. 21.11.2018 - XII ZB 57/18 - juris).

b) Wird dem Betroffenen das im Verfahren eingeholte Sachverständigengutachten nicht rechtzeitig vor dem Anhörungstermin überlassen, leidet die Anhörung an einem wesentlichen Verfahrensmangel (im Anschluss an Senatsbeschluss v. 21.11.2018 - XII ZB 57/18 - juris).

 

Normenkette

FamFG § 37 Abs. 2, § 68 Abs. 3 S. 2, § 278

 

Verfahrensgang

LG Köln (Beschluss vom 26.09.2018; Aktenzeichen 6 T 232/18)

AG Leverkusen (Entscheidung vom 01.08.2018; Aktenzeichen 14 XVII 233/18)

 

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der 6. Zivilkammer des LG Köln vom 26.9.2018 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die außergerichtlichen Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das LG zurückverwiesen.

Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtskostenfrei.

Wert: 5.000 EUR

 

Gründe

I.

Rz. 1

Der 39-jährige Betroffene leidet nach den getroffenen Feststellungen an einer maniformen Psychose, wegen derer er seine Angelegenheiten nicht mehr selbst erledigen kann. Das AG hat eine Betreuung für den Aufgabenkreis der Aufenthaltsbestimmung, Gesundheitssorge, Regelung des Postverkehrs, Vertretung gegenüber Behörden und Sozialversicherungsträgern sowie Vermögensangelegenheiten einschließlich Immobilienangelegenheiten eingerichtet und die Beteiligte zu 1) als Berufsbetreuerin bestimmt. Außerdem hat es einen Einwilligungsvorbehalt für den letztgenannten Bereich angeordnet.

Rz. 2

Die hiergegen vom Betroffenen eingelegte (vom LG unzutreffend als sofortige Beschwerde bezeichnete) Beschwerde hat das LG zurückgewiesen. Dagegen richtet sich seine Rechtsbeschwerde.

II.

Rz. 3

Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Sie führt zu Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht.

Rz. 4

1. Das LG hat seine Entscheidung wie folgt begründet: Die Betreuung sei für den genannten Aufgabenkreis erforderlich, da der Betroffene seine Angelegenheiten nicht selbst besorgen könne. Er könne auch seinen Willen nicht mehr frei äußern. Der Einwilligungsvorbehalt sei erforderlich, da aufgrund der Erkrankung die akute Gefahr für den Betroffenen bestehe, dass er auch in Zukunft weitere selbstschädigende Vermögenshandlungen vornehme.

Rz. 5

2. Dies hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.

Rz. 6

Die angefochtene Entscheidung kann schon aus verfahrensrechtlichen Gründen keinen Bestand haben. Die Rechtsbeschwerde rügt zu Recht als verfahrensfehlerhaft, dass das LG von einer erneuten Anhörung des Betroffenen gem. § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG abgesehen hat.

Rz. 7

a) Nach der Rechtsprechung des Senats räumt § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG dem Beschwerdegericht zwar die Möglichkeit ein, von einer erneuten Anhörung des Betroffenen abzusehen, etwa wenn die erstinstanzliche Anhörung des Betroffenen nur kurze Zeit zurückliegt, sich nach dem Akteninhalt keine neuen entscheidungserheblichen Tatsachen oder rechtlichen Gesichtspunkte ergeben, das Beschwerdegericht das in den Akten dokumentierte Ergebnis der erstinstanzlichen Anhörung nicht abweichend werten will und es auf den persönlichen Eindruck des Gerichts von dem Betroffenen nicht ankommt. Zieht das Beschwerdegericht für seine Entscheidung dagegen eine neue Tatsachengrundlage heran, die nach der amtsgerichtlichen Entscheidung datiert, gebietet dies eine erneute persönliche Anhörung des Betroffenen. Zudem kann im Beschwerdeverfahren nicht von einer Wiederholung solcher Verfahrenshandlungen abgesehen werden, bei denen das Gericht des ersten Rechtszugs zwingende Verfahrensvorschriften verletzt hat. In diesem Fall muss das Beschwerdegericht, vorbehaltlich der Möglichkeiten nach § 69 Abs. 1 Satz 2 und 3 FamFG, den betreffenden Teil des Verfahrens nachholen (vgl. Senatsbeschluss v. 15.8.2018 - XII ZB 10/18, FamRZ 2018, 1770 Rz. 11 m.w.N.).

Rz. 8

b) Gemessen hieran durfte das LG im vorliegenden Fall nicht von einer persönlichen Anhörung des Betroffenen nach § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG absehen.

Rz. 9

aa) Bereits die Anhörung des Betroffenen durch das AG litt an einem wesentlichen Verfahrensmangel, weil ihm das eingeholte Sachverständigengutachten nicht vor dem Anhörungstermin überlassen worden war. Die Verwertung eines Sachverständigengutachtens als Grundlage einer Entscheidung in der Hauptsache setzt gem. § 37 Abs. 2 FamFG voraus, dass das Gericht den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt hat. Insoweit ist das Gutachten mit seinem vollen Wortlaut im Hinblick auf die Verfahrensfähigkeit des Betroffenen (§ 275 FamFG) grundsätzlich auch ihm persönlich zur Verfügung zu stellen. Davon kann nur unter den Voraussetzungen des § 288 Abs. 1 FamFG abgesehen werden (vgl. Senatsbeschluss v. 15.8.2018 - XII ZB 10/18, FamRZ 2018, 1770 Rz. 15 m.w.N.).

Rz. 10

Die im Rahmen der persönlichen Anhörung zu gewährende Gelegenheit zur Stellungnahme setzt voraus, dass der Betroffene vor der Entscheidung nicht nur im Besitz des schriftlichen Sachverständigengutachtens ist, sondern auch ausreichend Zeit hatte, von dessen Inhalt Kenntnis zu nehmen und sich dazu zu äußern. Wenn dem Betroffenen das Sachverständigengutachten nicht rechtzeitig vor dem Anhörungstermin überlassen worden ist, leidet die Anhörung an einem wesentlichen Verfahrensmangel (Senat, Beschl. v. 21.11.2018 - XII ZB 57/18 - juris Rz. 6 m.w.N.).

Rz. 11

bb) Wie der Gerichtsakte zu entnehmen ist, wurde dem Betroffenen das Gutachten erst nach dem Erlass der erstinstanzlichen Entscheidung in vollem Umfang zur Kenntnis gegeben. Diesen Mangel hätte das Beschwerdegericht durch erneute Anhörung beheben müssen, zumal der Betroffene im - dem Beschwerdeverfahren zuzurechnenden - Abhilfeverfahren schriftliche Einwendungen gegen das Gutachten erhoben hat.

Rz. 12

3. Der angefochtene Beschluss kann daher keinen Bestand haben. Der Senat kann in der Sache nicht abschließend entscheiden, da er die erforderlichen Feststellungen nicht selbst treffen kann.

Rz. 13

Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass auch ausreichende Voraussetzungen für die Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts in dem angefochtenen Beschluss nicht dargelegt sind (vgl. Senatsbeschluss v. 15.8.2018 - XII ZB 10/18, FamRZ 2018, 1770 Rz. 24 ff.).

 

Fundstellen

Haufe-Index 12975478

FuR 2019, 281

JZ 2019, 348

MDR 2019, 498

Rpfleger 2019, 339

FK 2019, 94

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