Entscheidungsstichwort (Thema)

Prüfungspflicht des Rechtsanwalts vor Abfassung der Beschwerdebegründung. Überlassung der Handakten. Einhaltung der Beschwerdefrist. Beschwerde gegen Insolvenzeröffnung

 

Leitsatz (amtlich)

Werden dem Rechtsanwalt zur Abfassung der Beschwerdebegründung die Handakten vorgelegt, hat er auch zu prüfen, ob die Beschwerde fristgerecht eingelegt worden ist.

 

Normenkette

ZPO § 234 Abs. 1, § 569 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LG Karlsruhe (Beschluss vom 05.10.2011; Aktenzeichen 11 T 259/11)

AG Karlsruhe (Beschluss vom 27.04.2011; Aktenzeichen G 1 IN 951/10 (3))

 

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 11. Zivilkammer des LG Karlsruhe vom 5.10.2011 wird auf Kosten der Schuldnerin und des weiteren Beteiligten zu 1) als unzulässig verworfen.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 54.706 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I.

Rz. 1

Der weitere Beteiligte zu 2) beantragte mit Schreiben vom 9.8.2010 die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin. Mit Beschluss vom 13.8.2010 bestellte das Insolvenzgericht den weiteren Beteiligten zu 3) zum vorläufigen Insolvenzverwalter und beauftragte ihn zu prüfen, ob ein Eröffnungsgrund vorliege. Nach den Angaben des weiteren Beteiligten zu 1) im Anhörungsbogen des Insolvenzgerichts vom 27.8.2010 sind sowohl er als auch der weitere Beteiligte zu 2) Geschäftsführer der Schuldnerin. Mit Schriftsatz vom 21.10.2010 zeigte Rechtsanwalt Dr. A. die Vertretung sowohl für die Schuldnerin als auch für den weiteren Beteiligten zu 1) an und beantragte, den Antrag auf Eröffnung zurückzuweisen.

Rz. 2

Mit Beschluss vom 27.4.2011 hat das Insolvenzgericht wegen Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin eröffnet. Dieser Beschluss wurde am 28.4.2011 im Internet veröffentlicht und am 4.5.2011 Rechtsanwalt Dr. A. zugestellt. Mit Schriftsatz vom 12.5.2011 - per Telefax vorab beim Insolvenzgericht am 17.5.2011 eingegangen - hat Rechtsanwalt Dr. A. hiergegen sofortige Beschwerde namens der Schuldnerin und des weiteren Beteiligten zu 1) eingelegt, die er mit Schriftsatz vom 16.6.2011 begründet hat. Mit weiterem Schriftsatz vom 10.8.2011 hat Rechtsanwalt Dr. A. für die Beschwerdeführer wegen Versäumung der Beschwerdefrist Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand beantragt. Das LG hat die sofortige Beschwerde und den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand verworfen. Hiergegen wenden sich die Schuldnerin und der weitere Beteiligte zu 1) mit der Rechtsbeschwerde.

II.

Rz. 3

Die gem. §§ 6, 7 a.F., 34 Abs. 2 InsO, §§ 238 Abs. 2, 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist unzulässig, weil Gründe für eine Sachentscheidung gem. § 574 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen. Die geltend gemachten Verletzungen von Verfahrensgrundrechten greifen nicht durch.

Rz. 4

Die Annahme des Beschwerdegerichts, die beantragte Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand wegen Versäumung der Beschwerdefrist könne der Schuldnerin und dem weiteren Beteiligten zu 1) als Beschwerdeführer nicht gewährt werden, weil der Antrag nicht innerhalb der nach § 234 Abs. 1 ZPO maßgeblichen Zweiwochenfrist gestellt worden sei, ist zutreffend. Verfahrensgrundrechte der Beschwerdeführer werden hierdurch nicht verletzt.

Rz. 5

1. Die am 17.5.2011 beim Insolvenzgericht per Telefax eingegangene sofortige Beschwerde der Schuldnerin und des weiteren Beteiligten zu 1) gegen den Beschluss des Insolvenzgerichts vom 27.4.2011 war verfristet. Die Notfrist von zwei Wochen, innerhalb der die sofortige Beschwerde nach § 4 InsO, § 569 Abs. 1 Satz 1 ZPO einzulegen war, begann gem. § 569 Abs. 1 Satz 2 ZPO, §§ 34 Abs. 2, 9 Abs. 1 Satz 3, Abs. 3 InsO zwei Tage nach der am 28.4.2011 erfolgten öffentlichen Bekanntmachung des Eröffnungsbeschlusses im Internet und endete am 16.5.2011. Der Umstand, dass der Beschluss der Schuldnerin nach der Bekanntmachung im Internet auch noch persönlich zugestellt wurde, hatte auf den Lauf der Frist keinen Einfluss (vgl. BGH, Beschl. v. 5.11.2009 - IX ZB 173/08, ZInsO 2009, 2414 Rz. 9; v. 12.7.2012 - IX ZB 42/10, ZIP 2012, 1779 Rz. 6; vom 14.11.2013 - IX ZB 101/11, WM 2013, 2372 Rz. 5).

Rz. 6

a) Die Notfrist von zwei Wochen nach § 569 Abs. 1 Satz 2 ZPO begann mit der Zustellung der Entscheidung. Gemäß § 9 Abs. 3 InsO genügt die öffentliche Bekanntmachung zum Nachweis der Zustellung an alle Beteiligte, auch wenn das Gesetz neben ihr eine besondere Zustellung vorsieht.

Rz. 7

b) Nach § 9 Abs. 1 Satz 3 InsO gilt die Bekanntmachung als bewirkt, sobald nach dem Tag der Veröffentlichung zwei weitere Tage verstrichen sind. Vorliegend erfolgte die Veröffentlichung im Internet am 28.4.2011. Der zweite Tag nach Veröffentlichung fiel auf einen Samstag. Gemäß § 4 InsO, § 222 Abs. 2 ZPO endete die Frist deshalb mit Ablauf des nächsten Werktages, also des Montags, dem 2.5.2011 (vgl. BGH, Beschl. v. 14.11.2013, a.a.O., Rz. 7).

Rz. 8

c) Die zweiwöchige Beschwerdefrist berechnet sich sodann nach § 4 InsO, § 222 Abs. 1 ZPO, §§ 187 Abs. 2, 188 Abs. 2 Fall 2 BGB und endet mit Ablauf des Montags, 16.5.2011 (vgl. BGH, Beschl. v. 14.11.2013, a.a.O., Rz. 9 ff.). Der am 17.5.2011 eingegangene Beschwerdeschriftsatz der Schuldnerin und des weiteren Beteiligten zu 1) war mithin verfristet.

Rz. 9

2. Zutreffend und ohne Grundsatzfragen zu berühren ist das Beschwerdegericht auch davon ausgegangen, dass die Frist zur Beantragung der Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand jedenfalls am 16.6.2011 in Gang gesetzt wurde. Mit der Abfassung und Einreichung der Beschwerdebegründung war der Verfahrensbevollmächtigte in der Lage, festzustellen, dass seine Beschwerdeschrift nach Fristablauf eingereicht worden war.

Rz. 10

a) Die Kontrolle, ob die Rechtsmittelschrift innerhalb der gesetzlichen Frist beim Rechtsmittelgericht eingegangen ist, stellt mit der Vorlage der Handakten an den Anwalt zur Vorbereitung oder Durchführung einer fristgebundenen Prozesshandlung keine routinemäßige Büroarbeit mehr dar, sondern erfordert die Prüfung der Zulässigkeitsvoraussetzungen für das beabsichtigte oder bereits eingelegte Rechtsmittel, die in den Verantwortungsbereich des Rechtsanwalts fällt (vgl. BGH, Beschl. v. 25.5.1994 - XII ZB 57/94, VersR 1995, 69, 70; v. 21.3.1990 - XII ZB 131/89, VersR 1991, 119, 120; v. 16.10.2008 - III ZB 31/08, NJW 2008, 3706 Rz. 8). Diese Prüfung beschränkt sich, wenn die Akten beispielsweise zur Abfassung der Berufungsbegründung vorgelegt werden, nicht auf die Kontrolle, ob die hierfür laufende Frist noch gewahrt ist. Da dies nur eine Voraussetzung für die Zulässigkeit des Rechtsmittels ist, hat sich der Rechtsanwalt auch zu vergewissern, dass schon zuvor die Berufung rechtzeitig eingelegt worden war (BGH, Beschl. v. 25.5.1994, a.a.O.; vom 16.10.2008, a.a.O.). Dadurch, dass nunmehr gem. § 520 Abs. 2 Satz 1 ZPO n.F. die Berufungsbegründungsfrist mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten erstinstanzlichen Urteils beginnt, hat sich an der Pflicht des Rechtsanwalts, die Zulässigkeitsvoraussetzungen einer Berufung insgesamt zu prüfen, wenn ihm die Handakten zur Fertigung der Berufungsbegründung vorgelegt werden, nichts geändert (BGH, Beschl. v. 16.10.2008, a.a.O., Rz. 9).

Rz. 11

b) Diese Grundsätze gelten auch für die hier in Rede stehende Anfertigung einer Beschwerdebegründung. Auch hierfür hat der Anwalt vor Abfassung der Begründung den Inhalt seiner Handakte durchzuarbeiten und ist daher in der Lage, den Zeitpunkt der Zustellung des Beschlusses, der mit der Beschwerde angefochten wird, festzustellen. Bei der weiteren Durchsicht der Akte kann er die - regelmäßig kurz hinter der Durchschrift der Beschwerdeschrift abgeheftete - Mitteilung des AG oder Beschwerdegerichts über deren Eingang ohne Weiteres in den Blick nehmen (vgl. BGH, Beschl. v. 16.10.2008, a.a.O., Rz. 10). Im Übrigen ergibt sich die Prüfungspflicht des Anwalts auch daraus, dass er gehalten ist, seinen Mandanten von der Durchführung eines aussichtslosen Rechtsmittels abzuraten (vgl. BGH, Beschl. v. 18.4.1958 - IV ZB 44/58, MDR 1958, 496, 497; Urt. v. 17.4.1986 - IX ZR 200/85, BGHZ 97, 372, 376; v. 26.9.2013 - IX ZR 51/13, WM 2014, 89 Rz. 11).

Rz. 12

Von einer weiteren Begründung wird gem. § 577 Abs. 6 Satz 3 ZPO abgesehen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 6514701

BB 2014, 449

DB 2014, 6

NJW 2014, 1241

NJW 2014, 6

EBE/BGH 2014, 76

FamRZ 2014, 656

WM 2014, 418

ZIP 2014, 1133

JZ 2014, 246

MDR 2014, 492

NZI 2014, 431

PAK 2014, 75

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