Verfahrensgang

LG Hamburg

 

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Beihilfe zum gewerbsmäßigen unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Dagegen wendet sich der Angeklagte mit der Sachrüge und mit mehreren Verfahrensrügen. Das Rechtsmittel hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg.

I. Die Revisionsbegründung ist nicht von dem bestellten Verteidiger, Rechtsanwalt D, sondern von Rechtsanwalt Sch. unterzeichnet. Dies führt hier aber nicht zur Unzulässigkeit der Revision, wie der Generalbundesanwalt meint. Zwar kann der bestellte Verteidiger seine Befugnisse grundsätzlich nicht auf einen anderen Rechtsanwalt übertragen (BGH StV 1981, 393; 1982, 213; BGH bei Miebach NStZ 1990, 230; KK StPO 2. Aufl. § 142 Rdn. 10; Kleinknecht/Meyer StPO 40. Aufl. 142 Rdn. 15). Dieser Grundsatz gilt jedoch nicht ausnahmslos. Die Unterzeichnung der Revisionsbegründung durch dessen amtlich bestellten Vertreter im Sinne des 53 Abs. 3 BRAO ist zulässig (BGH NJW 1975, 2351 BGHR StPO § 349 Abs. 1 - Einlegungsmangel 2). Dem amtlich bestellten Vertreter steht der allgemeine Vertreter gleich, den der Verteidiger bei Abwesenheit von nicht mehr als einem Monat gemäß § 53 Abs. 2 Satz 1 BRAO selbst bestellt. Das Vorliegen dieser Voraussetzungen haben der bestellte Verteidiger und Rechtsanwalt Sch zwar nicht ausdrücklich behauptet. Der auf die Abwesenheit des Pflichtverteidigers und auf das Vertretungsverhältnis hinweisende Vermerk, den Rechtsanwalt Sch seiner Unterschrift hinzugefügt hat, kann jedoch dahin verstanden werden, daß der bestellte Verteidiger ihn für die Zeit einer kurzen Abwesenheit zu seinem Vertreter bestellt hat. Damit ist der Bestellungsakt im Sinne des § 53 Abs. 2 Satz 1 BRAO bewiesen, da nichts dafür spricht, daß nur eine Vertretung in dem hier vorliegenden Einzelfall gewollt war, auch nichts dafür, daß der Rechtsanwalt Sch nicht die Verantwortung für den Inhalt des Schriftsatzes übernommen hätte.

II. Die Rüge ist auch begründet.

1. Ausweislich des Protokolls der Hauptverhandlung hatte der Vorsitzende zunächst mit der Verlesung der Urteilsformel zur Urteilsverkündung angesetzt. Nach der Verlesung der Formel wies der Staatsanwalt darauf hin, daß der Dolmetscher nicht anwesend war. Daraufhin wurde die Hauptverhandlung bis zum Erscheinen des Dolmetschers unterbrochen. Als dieser erschienen war, verkündete der Vorsitzende erneut die Urteilsformel.

Der dienstlichen Äußerung des Vorsitzenden ist zu entnehmen, daß während der Unterbrechung die Protokollführerin in das Beratungszimmer gekommen ist, um die vollständige Anwesenheit aller Verfahrensbeteiligten zu melden, und dabei zugleich mitteilte, daß der Verteidiger ihr gegenüber angekündigt habe, noch einen Beweisantrag zu stellen. Der Verteidiger hat in seiner Revisionsschrift vorgetragen, daß er während der Unterbrechung die Protokollführerin gebeten habe, den Vorsitzenden darüber zu informieren, daß ein schriftlicher Beweisantrag vorliege, der verlesen werden solle.

Den Versuch des Verteidigers, vor der erneuten Verlesung der Urteilsformel den Beweisantrag zu stellen, wies der Vorsitzende zurück.

2. Der Vorsitzende hat dadurch, daß er es abgelehnt hat, nach der Unterbrechung und vor der erneuten Verkündung des Urteils den durch die Protokollführerin angekündigten Beweisantrag des Verteidigers entgegenzunehmen, gegen die Pflicht zur Entgegennahme von Beweisanträgen nach 246 Abs. 1 StPO verstoßen.

a) Der Bundesgerichtshof (BGH NJW 1967, 2019) , insoweit dem Reichsgericht (RGSt 59, 420 [421]; 68, 88 [89]) folgend, hat bereits ausgesprochen, daß es nicht zulässig ist, einen Verteidiger nach der Urteilsberatung, aber vor der Urteilsverkündung nicht zu Wort kommen zu lassen und ihn dadurch an der Stellung eines Beweisantrages zu hindern. Entsprechendes muß gelten, wenn die Verkündung unterbrochen und nach der Unterbrechung erneut und vollständig von vorn begonnen wird, nachdem dem Vorsitzenden während der Unterbrechung und damit vor der erneuten Verkündung - hier durch die Protokollführerin als Botin des Verteidigers - die Stellung eines Beweisantrages angekündigt worden ist. Anders läge es, wenn die Verkündung nach der Unterbrechung an der Stelle fortgesetzt worden wäre, an welcher der Vorsitzende innegehalten hatte. In einem solchen Fall würden die allgemeinen Grundsätze für während der Urteilsverkündung gestellte Beweisanträge (vgl. BGH bei Dallinger MDR 1975, 24; NStZ 1986, 182) gelten. So ist hier aber nicht verfahren worden.

b) Der Senat kann nicht ausschließen, daß das Urteil auf dem Verfahrensfehler beruht.

Der Verteidiger hatte beabsichtigt, drei Hilfsbeweisanträge für den Fall der Verurteilung zu stellen.

aa) Ausschließen kann der Senat allerdings, daß die Verurteilung auf der Nichtentgegennahme und Nichtbescheidung des erneut gestellten Antrages auf Vernehmung des Richters am Amtsgericht H beruht. Denn die diesen Antrag zugrunde liegende Beweisbehauptung ist schon auf den Hilfsbeweisantrag vom 21. April 1991 vom Landgericht als wahr unterstellt worden.

Das Urteil beruht auch nicht darauf, daß der Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Schuldfähigkeit des Angeklagten nicht entgegengenommen und beschieden wurde. In dem beabsichtigten Antrag werden keine Tatsachen behauptet, die als Anknüpfungstatsachen in Betracht kommen könnten; es heißt in der Antragsschrift lediglich, "die Schuldfähigkeit sei aufgrund seiner Heroinabhängigkeit" erheblich vermindert gewesen. Heroinabhängigkeit als solche reicht noch nicht zur Annahme einer verminderten Schuldfähigkeit aus (BGHR StGB § 21 BtM-Auswirkungen 2). Hier kommt hinzu, daß das Landgericht, sachverständig beraten, nur leichtere Entzugserscheinungen während der Untersuchungshaft festgestellt hat und keine genaueren Feststellungen über Art und Umfang des Rauschgiftkonsums treffen konnte.

bb) Hinsichtlich der begehrten Verlesung der Vernehmungsprotokolle über die richterliche Vernehmung des wichtigsten Belastungszeugen T vor dem Amtsgericht Lauffen kann der Senat jedoch nicht völlig ausschließen, daß das Urteil anders ausgefallen wäre, wenn der Beweisantrag entgegengenommen und beschieden worden wäre. Mit dem Antrag sollte u.a. bewiesen werden, daß T bei der dortigen Vernehmung bekundet habe, Ramazan G habe ihm im November 1985 "Heroin des Kulturvereins" mit dem Auftrag übergeben, dieses in seinem Keller zu verstecken. Dies stünde im Widerspruch zur Aussage T's in der Hauptverhandlung, wonach ihm der Angeklagte Heroin zum Aufbewahren übergeben habe.

Zwar hat das Landgericht mit Beschluß vom 22. April 1991 einen ähnlichen Beweisantrag des Verteidigers vom 12. April 1991 mit der Begründung abgelehnt, er sei aus tatsächlichen Gründen ohne Bedeutung. Am 12. April 1991 hatte der Verteidiger die Vernehmung des Staatsanwalts beantragt, der T. am 21. März 1990 in Bad Reichenhall vernommen haben soll. Dieser sollte bestätigen, daß T dort ausgesagt habe, ihm sei im November 1989 von G eine Plastiktüte übergeben worden, in der sich drei durchsichtige Gefriertüten mit beigefarbigem Pulver befunden hätten. Die Bedeutungslosigkeit folge daraus, daß darin kein Widerspruch zur Aussage T in der Hauptverhandlung liege.

Der Senat kann dem aber nicht sicher entnehmen, daß beide Beweisthemen identisch waren. Auch wenn ein etwaiger Widerspruch in diesem Punkt die Glaubhaftigkeit der Aussage T zur Tat des Angeklagten nicht notwendigerweise beeinträchtigen mußte, so kann der Senat doch letztlich nicht ausschließen, daß das Landgericht einem solchen Beweisantrag hätte nachgehen müssen und die Beweiserhebung zu einem dem Angeklagten günstigeren Beweisergebnis geführt hätte. Nach den Feststellungen hat der Angeklagte das Heroin T übergeben. Bei der Würdigung der Aussage T ist im Urteil ausgeführt: "Die Aussage des Zeugen stimmt auch mit früheren Angaben überein. Entgegen der Auffassung der Verteidigung sind keine Widersprüche aufgetreten, die von Bedeutung wären".

III. Für die neue Verhandlung weist der Senat auf folgendes hin:

Eine obligatorische Milderung des Strafrahmens des § 29 Abs. 3 BtMG (wegen Beihilfe zum Handeltreiben gemäß §§ 27 Abs. 2, 49 Abs. 1 StGB) kommt dann nicht in Betracht, wenn die Beihilfe in Tateinheit (vgl. dazu BGHR BtMG § 29 Abs. 1 Nr. 3 - Konkurrenzen 1) mit Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gemäß § 29 Abs. 3 Nr. 4 BtMG steht. Auch wird die Beihilfe selbst nicht allein deshalb zu einem besonders schweren Fall im Sinne des § 29 Abs. 3 BtMG, weil das strafschärfende Merkmal der Gewerbsmäßigkeit gemäß § 29 Abs. 3 Nr. 1 BtMG beim Haupttäter vorliegt (vgl. BGHR StGB § 28 Abs. 2 - Merkmal 1; BtMG § 29 Abs. 3 Nr. 4 - Gehilfe 2).

 

Fundstellen

Haufe-Index 2993114

BRAK-Mitt 1992, 176

DRsp IV(460)168Nr.3b

NStZ 1992, 248

NStZ 1992, 325 (Schoreit)

wistra 1992, 195

StV 1992, 218

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