Leitsatz (amtlich)

a) Für die Begründung des Stundungsantrags kann die Bezugnahme auf ein zeitnah erstelltes Gutachten genügen, in welchem der Sachverständige ermittelt hat, der Schuldner verfüge über kein die Kosten des Verfahrens deckendes Vermögen.

b) Hält das Insolvenzgericht die Angaben des Antragstellers für unvollständig, hat es die Mängel konkret zu bezeichnen und dem Antragsteller aufzugeben, sie binnen angemessener Frist zu beheben.

 

Normenkette

InsO § 4a Abs. 1 S. 1, § 20 Abs. 1 S. 1, § 26

 

Verfahrensgang

LG Bochum (Beschluss vom 18.11.2002; Aktenzeichen 10 T 148/02)

AG Bochum (Beschluss vom 25.07.2002)

 

Nachgehend

BGH (Beschluss vom 21.06.2012; Aktenzeichen IX ZB 287/11)

 

Tenor

Der Schuldnerin wird auf ihre Kosten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Versäumung der Frist zur Einlegung der Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des Einzelrichters der 10. Zivilkammer des LG Bochum v. 18.11.2002 gewährt.

Auf die Rechtsbeschwerde der Schuldnerin wird der vorgenannte Beschluss hinsichtlich der Kostenentscheidung für das Beschwerdeverfahren und insoweit aufgehoben, als die Ablehnung der Kostenstundung bestätigt worden ist.

Auf die sofortige Beschwerde der Schuldnerin wird der Beschluss des AG Bochum v. 25.7.2002 aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Entscheidung an das Insolvenzgericht zurückverwiesen.

Der Beschwerdewert wird auf 300 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I.

Die früher selbstständig tätige, verheiratete Schuldnerin beantragte im März 2002 beim Insolvenzgericht die Eröffnung des Insolvenzverfahrens, Gewährung von Restschuldbefreiung, Stundung der Verfahrenskosten, Beiordnung eines Rechtsanwalts und Einsetzung als Eigenverwalter. Zur Begründung des Stundungsantrags nahm sie auf ein Gutachten des Rechtsanwalts D. Bezug, das dieser in dem Verfahren 80 IK 490/01 (jetzt 80 IN 797/02) erstattet hat. Der Gutachter kommt darin zu dem Ergebnis, dass ein die Kosten des Verfahrens deckendes Vermögen der Schuldnerin nicht vorhanden sei.

Das AG übersandte der Schuldnerin das gerichtliche Formular "Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse" mit der Aufforderung, dieses vollständig ausgefüllt einzureichen. Die Schuldnerin erwiderte, dies sei wegen des Ergebnisses des Gutachtens von Rechtsanwalt D. nicht erforderlich.

Das AG hat den Antrag der Schuldnerin auf Stundung der Verfahrenskosten für das Eröffnungsverfahren und das Hauptverfahren zurückgewiesen. Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde hatte keinen Erfolg. Das Beschwerdegericht hat auch den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und den Hilfsantrag auf Beiordnung eines Rechtsanwalts für das Beschwerdeverfahren zurückgewiesen. Der Senat hat der Schuldnerin Prozesskostenhilfe für eine Rechtsbeschwerde bewilligt, soweit ihre sofortige Beschwerde zurückgewiesen worden ist. Insoweit verfolgt die Schuldnerin mit ihrer Rechtsbeschwerde ihren erstinstanzlichen Antrag auf Stundung der Verfahrenskosten weiter.

II.

Der Schuldnerin ist auf ihren form- und fristgerecht gestellten Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Versäumung der Frist zur Einlegung der Rechtsbeschwerde zu gewähren, weil sie ohne ihr Verschulden verhindert war, diese Frist einzuhalten (§ 233 ZPO, § 4 InsO).

III.

Die Rechtsbeschwerde ist gem. § 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zulässig und begründet.

Die Vorinstanzen haben der Schuldnerin die Stundung der Verfahrenskosten mit der Begründung versagt, sie habe trotz mehrfacher Aufforderung die Erklärung über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nicht ausgefüllt. Diese Erklärung sei nicht mit Rücksicht auf das Sachverständigengutachten des Rechtsanwalts D. im Parallelverfahren entbehrlich. Dies hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

1. Nach § 4a Abs. 1 S. 1 InsO ist Voraussetzung einer Stundung, dass das Vermögen des Schuldners voraussichtlich nicht ausreicht, die anfallenden Kosten zu decken. Für den Abschnitt des Insolvenzverfahrens müssen die in § 54 InsO genannten Kosten gedeckt sein. Das Vermögen des Schuldners ist nach Maßgabe der Vorschriften der §§ 35 bis 37 InsO über die Insolvenzmasse zu bestimmen (BGH v. 24.7.2003 - IX ZB 539/02, BGHZ 156, 92 [93 f.] = BGHReport 2003, 1309 = MDR 2003, 1440; Beschl. v. 25.9.2003 - IX ZB 459/02, BGHReport 2003, 1439 = MDR 2004, 171 = NZI 2003, 665), so dass auch Neuerwerb, insbes. also pfändbares Arbeitseinkommen zu berücksichtigen ist. Die Fragestellung, über die das Gericht zu entscheiden hat, entspricht derjenigen des § 26 Abs. 1 S. 1 InsO (Kübler/Prütting/Wenzel, InsO, § 4a Rz. 32; vgl. auch RegE InsOÄndG, BT-Drucks. 14/5680, 20).

2. Der Schuldner hat dem Insolvenzgericht die Angaben zu machen, die dieses zur Beurteilung benötigt, ob das Vermögen des Schuldners voraussichtlich zur Deckung der anfallenden Kosten nicht ausreicht. Dabei genügt eine formlose Darstellung des Schuldners über seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse. § 117 ZPO ist nicht entsprechend anwendbar (BGH v. 24.7.2003 - IX ZB 539/02, BGHZ 156, 92 [94] = BGHReport 2003, 1309 = MDR 2003, 1440; Beschl. v. 4.7.2002 - IX ZB 221/02, BGHReport 2002, 1053 = MDR 2002, 1330 = NJW 2002, 2793 [2794]). Die gem. § 305 Abs. 5 InsO ergangene Verordnung v. 17.2.2002 (BGBl. I, 703) betrifft ausschließlich die nach § 305 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 InsO im Verbraucherinsolvenzverfahren vorzulegenden Bescheinigungen, Anträge, Verzeichnisse und Pläne und ist einer analogen Anwendung auf das Stundungsverfahren nicht zugänglich. Ergeben die dem § 20 Abs. 1 S. 1 InsO entsprechenden Angaben des Schuldners über seine Vermögensverhältnisse, dass die Verfahrenskosten voraussichtlich nicht gedeckt sind, so hat er im Rahmen des § 4a InsO ausreichend vorgetragen, warum der Stundungsantrag aus seiner Sicht berechtigt ist. Sind die Angaben hingegen unvollständig, hat das Insolvenzgericht die Mängel konkret zu bezeichnen und dem Schuldner aufzugeben, binnen angemessener Frist Darlegung und Nachweise zu ergänzen. Dies folgt im Übrigen auch aus der dem Gericht gem. § 4a Abs. 2 InsO obliegenden besonderen Fürsorgepflicht. Erst dann, wenn der Schuldner die gebotenen Hinweise unbeachtet lässt, darf der Stundungsantrag zurückgewiesen werden.

3. Das Verfahren der Vorinstanzen entspricht diesen rechtlichen Anforderungen nicht. Allerdings ergab sich aus den Angaben der Antragstellerin nicht, ob die Kosten aus laufenden Einkünften, d.h. dem Neuerwerb nach § 35 Abs. 1 InsO, aufgebracht werden konnten. Insofern war ihr Vorbringen unzureichend. Indes haben Amts- und LG ihr nicht nachvollziehbar mitgeteilt, wieso das Gutachten von Rechtsanwalt D. nicht zur Darstellung ihrer Einkommens- und Vermögensverhältnisse ausreiche. Sie haben lediglich auf der formularmäßigen Abgabe der "Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse" bestanden, die - wie von der Antragstellerin geltend gemacht - nicht verlangt werden kann. In ihrem Standpunkt musste sich die Antragstellerin überdies durch die richterliche Verfügung v. 7.5.2002 bestätigt fühlen, dass das Insolvenzgericht von einer die Kosten des Verfahrens nicht deckenden Masse ausgehe. In dem Parallelverfahren hat es zudem mit Schreiben v. 19.3.2002 angekündigt, dass es im Blick auf das Ergebnis des Gutachtens beabsichtige, den Eröffnungsantrag mangels Masse abzuweisen, falls kein Kostenvorschuss gezahlt werde (§ 26 Abs. 1 InsO). Die zum Stundungsantrag - und nicht zum Eröffnungsantrag - vertretene Ansicht des Beschwerdegerichts, die Ausführungen des Gutachters seien nicht mehr "aktuell", hat den Sachvortrag der Schuldnerin nicht erschöpft. Diese hat ersichtlich geltend gemacht, ihre Vermögensverhältnisse hätten sich seitdem nicht nennenswert verbessert. Soweit das Beschwerdegericht in diesem Zusammenhang bemerkt hat, die Darlegung der aktuellen Einkommensverhältnisse sei erforderlich, weil nur so festgestellt werden könne, ob eine ratenweise Zahlung der Verfahrenskosten in Betracht komme, ist zudem darauf hinzuweisen, dass von einer mangelnden Verfahrenskostendeckung bereits dann auszugehen ist, wenn der Schuldner nicht in einer Einmalzahlung die Verfahrenskosten aufbringen kann (BGH, Beschl. v. 25.9.2003 - IX ZB 459/02, BGHReport 2003, 1439 = MDR 2004, 171 = NZI 2003, 665). Die Vorinstanzen haben auch nicht die nach ihrer Auffassung vorliegenden Mängel konkret bezeichnet und der Schuldnerin aufgegeben, binnen angemessener Frist Darlegung und Nachweise zu ergänzen (BGH v. 24.7.2003 - IX ZB 539/02, BGHZ 156, 92 [94 f.] = BGHReport 2003, 1309 = MDR 2003, 1440).

IV.

Die Sache ist noch nicht i.S.v. § 577 Abs. 5 ZPO zur Endentscheidung reif. Mit Rücksicht auf die seit der Antragstellung verstrichene Zeit wird die Schuldnerin eine aktuelle Darstellung ihrer Einkommens- und Vermögensverhältnisse, die insb. auch den Neuerwerb berücksichtigt, abzugeben haben. Ferner wird die Schuldnerin - die erklärt hat, "dass von dritter Seite die Verfahrenskosten nicht übernommen werden" - darzulegen haben, dass sie keinen Anspruch auf Leistung eines Kostenvorschusses nach § 1360a Abs. 4 BGB hat. Andernfalls wäre der Stundungsantrag unbegründet (BGH v. 24.7.2003 - IX ZB 539/02, BGHZ 156, 92 [95 f.] = BGHReport 2003, 1309 = MDR 2003, 1440).

V.

Der Senat hält es für angezeigt, die Zurückverweisung in die erste Instanz auszusprechen (vgl. BGH, Beschl. v. 22.7.2004 - IX ZB 161/03, ZIP 2004, 1717 [1721]).

 

Fundstellen

DStZ 2005, 207

NWB 2005, 237

BGHR 2005, 405

EBE/BGH 2004, 1

NJW-RR 2005, 199

StuB 2005, 144

WM 2005, 44

WuB 2005, 227

DZWir 2005, 150

InVo 2005, 47

MDR 2005, 415

NZI 2005, 45

Rpfleger 2005, 104

ZInsO 2004, 1307

RVGreport 2005, 80

ZVI 2004, 745

ZVI 2006, 10

DS 2005, 183

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